Auf lange Sicht

Unsere Klima­bilanz, zerlegt in Einzelteile

Die Ernährung ist ein Problem, Textilien sind ein Schlamassel – und der Bauboom belastet die Umwelt. Der Schweizer Klima-Fuss­abdruck wird grösser, wenn man genauer rechnet.

Von Daniel Bütler, 22.02.2021

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Viele Schweizer glauben, sie leben in einem Klima-Musterland. Bei klima­schädlichen Emissionen denken sie an die rauchenden Kamin­schlote im Ruhrpott oder den Smog von Delhi – aber nicht an ihr trautes Zuhause.

Doch diese Erzählung ist höchstens zur Hälfte wahr. Sie blendet die Treibhausgas­emissionen im Ausland aus, die wir durch die Konsum­güter und Rohstoffe, die wir importieren, mitverursachen. Tatsache ist: Diese Ausland­emissionen übersteigen die Emissionen im Inland deutlich.

Das ganze Bild

Um Emissionen genau zu quantifizieren, müssen wir die Bilanz aller Materialien anschauen, die wir verbrauchen. Und zwar vom Rohstoff bis zum Endprodukt: vom Ölfeld in Saudiarabien bis zum Auspuff eines Offroaders am Zürichberg, vom Sojafeld in Brasilien bis auf den Teller der Betriebs­kantine in Liestal und von der Mine im Kongo bis zum Recycling­werk im Berner Oberland.

Genau dies hat die Eidgenössische Material­prüfungs- und Forschungs­anstalt (Empa) in einer Studie gemacht. Die Ergebnisse zeigen: Unser Treibhausgas-Fussabdruck entlang der gesamten Material­kette ist mehr als doppelt so hoch wie die Inland­emissionen, die wir gemäss Klima­konvention ausweisen.

Die tatsächliche Belastung ist höher

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Bundesamt für Umwelt5,4 Tonnenim Inland, gemäss Pariser KonventionStudie der Empa11,6 Tonnenkonsumbedingt, entlang der Kette

Daten für 2018, Angaben in CO2-Äquivalenten. Quellen: Empa, Bafu.

Zur Studie

Die Studie «Match Synthese» ist die bisher detaillierteste Berechnung des Treibhausgas-Fussabdrucks. Sie wurde im Auftrag des Bundes­amts für Umwelt erstellt und liegt der Republik exklusiv vor. Das Papier analysiert anhand von 18 Kategorien die Material- und Energie­flüsse der schweizerischen Volks­wirtschaft und berechnet den Treibhausgas­ausstoss sowie die gesamte Umweltbelastung.

So weit, so gut – dass die Schweiz Emissionen gewisser­massen ins Ausland auslagert, ist nicht neu. Auch die Dimensionen sind bereits weitgehend bekannt. Das Besondere an der Studie ist: Sie schlüsselt erstmals im Detail auf, welches Material wie viel zum Treibhausgas-Fussabdruck beiträgt.

1. Benzin, Diesel, Kerosin

Klimakiller Nummer eins sind die Emissionen aus den Treib­stoffen, die unsere Motoren verbrennen. Sie sind seit 30 Jahren kaum gesunken. Mehr als die Hälfte davon geht aufs Konto der Personen­wagen (in denen im Schnitt nur 1,6 Personen sitzen); fast ein Fünftel stammt aus der Luftfahrt.

Mobilität ist der grösste Posten

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Treibstoff
Rest
2,9Tonnen

Quelle: Empa.

Treibstoff­emissionen sind auch im inländischen Inventar ein grosser Posten. Doch dort wird, so wie in der Klima­konvention üblich, der internationale Flugverkehr nicht mit einberechnet. In der Empa-Studie, die den ganzen Effekt des Schweizer Konsums berücksichtigt, sind sie deshalb noch grösser.

2. Heizöl und Erdgas

Dicht hinter den Treib­stoffen folgen Öl und Gas. Sie werden im Wesentlichen zum Heizen eingesetzt. Rund zwei Drittel der Gebäude werden mit Erdöl oder Erdgas beheizt – das ist Europa­rekord. Immerhin: Bei Neubauten kommen inzwischen kaum noch fossile Heizungen zum Zug.

Fossile Brenn­stoffe für Heizungen

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Brennstoff
Rest
2,2Tonnen

Quelle: Empa.

Fast die Hälfte unseres gesamten Fuss­abdrucks entfällt damit auf die direkte Verbrennung fossiler Energie­träger. Davon wegzukommen, ist die dringlichste Aufgabe. Konzentrieren wir uns also auf die grossen Baustellen: weg von Benzin- und Diesel­autos, weg von Öl- und Gasheizungen. Und die Flug­branche sollte nach dem Ende der Pandemie idealer­weise auf dem Boden bleiben.

3. Ernährung

Auch die Ernährung macht einiges aus. Sie verursacht knapp ein Fünftel der Treibhausgas­emissionen, die eine Schweizer Konsumentin im Durch­schnitt verantwortet (eingerechnet ist dabei auch die Nahrung für Tiere). Das ergibt fast gleich viele Emissionen wie durch fossile Brennstoffe.

Fleisch belastet das Klima

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Ernährung
Rest
2,1Tonnen

Quelle: Empa.

Vor allem die Fleisch­produktion schadet dem Klima. Mehr als 50 Kilo pro Jahr essen Schweizer pro Kopf im Jahres­durchschnitt, Tendenz langsam abnehmend. Doch ausgerechnet hier hält sich der Staat vornehm zurück. Verbindliche Vorschriften zur Treibhausgas­reduktion fehlen für die Land­wirtschaft und die Lebensmittel­branche.

Zusammen­gezählt haben wir damit schon 60 Prozent des Fuss­abdrucks zusammen. Die restlichen 40 Prozent teilen sich auf viele verschiedene Materialien auf.

4. Metalle

Primär geht es hier um Stahl und Eisen, daneben um Aluminium und andere Metalle wie Kupfer, Zink, Chrom, Silber. Sie werden in Minen aufwendig abgebaut und mit hohem Energie­aufwand geschmolzen und transportiert. Die Treibhausgas­emissionen fallen dabei vorwiegend im Ausland an.

Energie­intensive Metall­herstellung

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Metalle
Rest
0,9Tonnen

Beitrag einzelner Metalle

Stahl
Aluminium
Andere Metalle
0,6 t.0,3 t.0,1 t.

Quelle: Empa.

Metalle stecken etwa als tragende Strukturen in Bauwerken. Sie werden für die Herstellung von Auto- und Nutzfahrzeug­karosserien benötigt und sind auch in vielen Geräten enthalten, die wir im Haushalt oder im Garten verwenden. Der grösste Teil davon ist importiert – es geht hier also um graue Emissionen.

5. Baustoffe

Auch andere Materialien, die wir im Hoch- und Tiefbau benötigen – also für den Bau von Häusern und Strassen –, sind CO2-intensiv. Die Zement­herstellung alleine trägt rund 3 Prozent zum Treibhausgas-Fussabdruck bei. Der grösste Teil davon fällt in den sechs Zementwerken der Schweiz an.

Materialisierte Emissionen

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Baustoffe
Rest
1,0Tonne

Der Ausstoss nach Werkstoff

Beitrag einzelner Baustoffe

Beton, Mauerwerk
Kies, Sand, Asphalt
Glas, Keramik
Holz, Papier
0,5 t.0,1 t.0,2 t.0,2 t.

Quelle: Empa.

Hinzu kommen Materialien wie Kies, Sand, Asphalt, Glas, Holz: Auch hier verursachen Herstellung und Bereit­stellung schädliche Emissionen. Um das Klima zu schonen, muss die Baubranche umdenken: Statt Beton sollten vermehrt klimaschonende Materialien zum Zug kommen, und statt Gebäude plattzuwalzen, müsste mehr umgebaut werden. Denn insgesamt verursacht die Baubranche rund 10 Prozent der Treibhausgasemissionen.

6. Weitere Materialien

Selbst für Klima­expertinnen bietet die Empa-Studie Überraschungen. Auf den weiteren Rängen tauchen nämlich Materialien auf, die noch kaum auf dem Radar sind.

Zum Beispiel Textilien: Sie sind für fast 5 Prozent unseres Fuss­abdrucks verantwortlich. Mehr als 30 Kilo Kleider und Schuhe kauft der Durchschnitts­schweizer pro Jahr (ein Fünftel davon landet in der Kleider­sammlung). Das Verarbeiten und Färben von Shirts und Hosen verschlingt enorme Energie. Denken Sie daran, wenn Sie beim Online­shop Ihre Frühlings­garnitur bestellen.

Konsum verursacht Emissionen

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Industriematerialien
Rest
1,8Tonnen

Beitrag einzelner Materialien

Textilien, Leder
Elektronik, Batterien
Kunststoff
Chemische Grundstoffe
0,5 t.0,4 t.0,4 t.0,5 t.

Quelle: Empa.

Einen über­proportionalen Klima-Fussabdruck hinterlassen elektronische Geräte – Computer, Tablets, Handys und Konsolen. Trotz geringem Gewicht sind sie mit gut 3 Prozent für dieselbe Menge Treibhaus­gase verantwortlich wie die viel geschmähten Kunst­stoffe. Das liegt vor allem an den Akkus, deren Herstellung enorm viel Energie benötigt. Und schliesslich stehen auch noch diverse industrielle Basis­chemikalien in der Klimabilanz.

Für all diese Materialien gilt: Jeder Franken, der in der Schweiz für ein Konsumgut ausgegeben wird, belastet irgendwo auf der Welt das Klima.

7. Strom

Last, but not least: die Elektrizität. Sie trägt fast 6 Prozent zum Fuss­abdruck bei. Schuld daran ist in erster Linie der Strom­import. Zwar verursacht die Produktion im Inland relativ wenige CO2-Emissionen. Doch aus unseren Steck­dosen fliesst auch ausländischer Kohle­strom, der die Bilanz vermiest.

Keine ganz saubere Sache

Jährliche Emissionen, pro Kopf

Elektrizität
Rest
0,7Tonnen

Quelle: Empa.

Das Beispiel Strom verdeutlicht: Nicht alles liegt in unserer Hand.

  • Gemäss der Empa-Studie sind wir für rund die Hälfte unserer Emissionen direkt verantwortlich – über die Wahl von Lebens­mitteln, Transport­mitteln und generell unseren Konsum.

  • Auf die andere Hälfte haben wir nur einen indirekten Einfluss: Als Mieterinnen haben wir die Gasheizung im Keller nicht zu verantworten, und dass der Kanton Strassen baut, kann ich alleine nicht ändern.

«Indirekte» Verantwortung ist aber nicht gleich keine Verantwortung. Als Bürger haben wir Möglichkeiten, mitzubestimmen, wie die Rahmen­bedingungen und Regeln in unserer Gesellschaft definiert werden.

Die Schweiz im Vergleich

Dass wir diese Verantwortung vermehrt wahr­nehmen müssen, zeigt sich im Vergleich – über die Zeit und international.

Die Schweiz liegt dabei weltweit auf Rang neun. Das liegt nicht daran, dass bei uns die Umwelt­normen lasch wären, sondern am Reichtum: Schweizerinnen kaufen pro Kopf deutlich mehr ein als andere Nationen, besetzen Spitzen­plätze beim Fliegen und errichten auf Teufel komm raus Neubauten.

Schweizer sind Klimasünder

Konsum­bedingte Treibhausgas­emissionen pro Person (ausgewählte Länder)

USA18,1 TonnenAustralien17,9 TonnenKanada15,2 TonnenSchweiz11,3 TonnenRang 9 weltweitJapan10,6 TonnenDeutschland10,4 TonnenGrossbritannien8,8 Tonnen

Der Fuss­abdruck weicht in dieser Studie leicht von der Empa-Studie ab. Quelle: Bafu.

Aber wo ist beispielsweise China, das doch eine so schmutzige Wirtschaft haben soll? Nun: Die Grafik zeigt nur jene Emissionen, welche die Bewohner eines Landes durch Güter verantworten, die sie selbst verbrauchen. Und da China den Grossteil seiner Industrie­erzeugnisse exportiert, werden diese Emissionen nicht in China angerechnet. Sondern – zum Beispiel – in der Schweiz.

Letztlich ist die Diskussion, wer der grössere Verschmutzer ist, aber müssig. Die Welt als Ganzes muss ihren Treibhausgas­ausstoss drastisch reduzieren.

Doch während die Schweiz im Inland Reduktions­ziele kennt, werden die konsum­bedingten Emissionen im Ausland in der Politik weitgehend ausgeblendet. Im neuen CO2-Gesetz etwa (das noch vors Volk kommt) werden sie lediglich in einem schwammig formulierten Paragrafen angesprochen.

Klar ist: Wir können diese Emissionen durchaus beeinflussen. Jede Einzelne über ihren Konsum – und Unternehmen über ihre Beschaffungs­politik. Letztlich rührt unser Fuss­abdruck aber auch im Ausland zu einem beträchtlichen Teil aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas. Gerade in ausser­europäischen Ländern sind sie oft die Basis der Energieerzeugung.

Darum gilt global dasselbe wie für die Schweiz: weg von fossilen Energien.

Eine Berichtigung: Wir haben geschrieben, dass die Schweiz weltweit auf Rang vier liegt – das ist falsch. Bei dem Vergleich, den die letzte der Grafiken darstellt, handelt es sich um einen Vergleich ausgewählter Länder; diesen Hinweis haben wir im Untertitel der Grafik ergänzt. Die Schweiz liegt, wie im Text berichtigt, weltweit auf Rang neun.

Zum Autor

Daniel Bütler ist freier Journalist und Texter in Zürich. Er hat Germanistik und Wirtschafts­geschichte studiert und schreibt regel­mässig über Umwelt­themen, unter anderem für den Beobachter.

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