Tanz die Infektion
«Dancing Mania XR» von Hito Steyerl wirkt zunächst wie eine absurde Disco. Weit gefehlt: In der interaktiven Web-Applikation geht es um Machtmissbrauch und die Verbreitung von Fake News und Krankheiten.
Von Mona Schubert (Text) und Hito Steyerl (Bilder), 20.02.2021
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Moderne Kriegsführung und Staatsgewalt, künstliche Intelligenz und Datenökonomie sind die Themen der deutschen Medienkünstlerin und Kunsttheoretikerin Hito Steyerl. Ihre bildschirmbasierten Arbeiten sind in Onlinewelten zu Hause.
Bekannt ist Steyerl nicht nur für ihre bahnbrechenden Auseinandersetzungen mit digitalen Bildpraktiken, sondern auch für ihre politische Haltung. Die kommt auch in ihrer jüngsten Arbeit zum Ausdruck, der Web-Applikation «Dancing Mania XR. A Social Choreography», die ursprünglich als Teil der Installation «SocialSim» im Rahmen der Überblicksausstellung «I Will Survive» in Düsseldorf gezeigt wurde.
«Dancing Mania» reflektiert die aktuellen Lebensbedingungen zwischen pandemischer Kunstproduktion, Polizei- beziehungsweise Staatsgewalt, Ungleichheit und über soziale Netzwerke verbreiteter Massenhysterie. Bildete 2020 doch nicht nur den Auftakt einer globalen Pandemie, sondern auch ein Jahr der Proteste – von Black Lives Matter bis zu Querdenker-Demos.
Wer die 3-Kanal-Projektion betritt, kommt in einen Raum, der mit einem spiegelnden schwarzen Boden ausgekleidet ist und uns über alle vier Wände mit dem politisch und wirtschaftlich angespannten Klima konfrontiert. Uns begegnen 3-D-Animationen von tanzenden weissen US-Polizisten in Uniformen. Ihre Arme halten sie hinter dem Rücken verschränkt, als trügen sie Handschellen. Dazu gesellt sich eine Armee aus Avataren, die sich über ihre kugelsicheren Westen als people, also als die Bevölkerung, ausweist.
Zunächst wirkt das wie ein absurdes Disco-Setting. Doch auf den zweiten Blick entpuppt es sich als infektiöse Menschenansammlung. Nach einigen Minuten strahlen die Tanzenden flackernde rote Laserstrahlen aus. Krankheit, Machtmissbrauch, Fake News, Verschwörungstheorien – was die Avatare befallen hat, müssen letztlich die Zuschauerinnen entscheiden.
Soziale Simulationen, wie Hito Steyerl hier eine präsentiert, sind computergestützte Modelle, die in der Verhaltensforschung zum Einsatz kommen. Anhand von einzelnen Parametern, sogenannten quantifizierten sozialen Interaktionen wie Social Distancing, können Prognosen etwa über Infektionsraten erstellt werden.
Mit der coronabedingten Schliessung der Ausstellung wurde «Dancing Mania» als interaktive Anwendung ins Web ausgelagert. Hier kann die Arbeit von den Besucherinnen manipuliert werden. Durch die Veränderung von einzelnen Parametern lässt sich die Ausbreitung von gesellschaftsgefährdenden Faktoren eindämmen oder eskalieren – was als Seitenhieb auf die Neue Rechte, Polizeigewalt, Corona-Leugner sowie die gesellschaftspolitische Rolle von Social Media und Online-Communitys gelesen werden kann.
«Dancing Mania» führt den Betrachtenden nicht nur ihre unbewusste Komplizenschaft, sondern auch ihre potenzielle Handlungsmacht vor Augen. Die Online-Ressourcen, die über die digitale Plattform des K21 zugänglich gemacht werden, zeigen zudem auf, wie sich nicht nur Künstlerinnen, sondern auch Institutionen sowie die breite Bevölkerung in prekären Zeiten einmischen und positionieren können.