Einer der nur noch 600 Sumatra-Tiger, deren Lebensraum durch Palmölplantagen bedroht ist. Xinhua/Jiang Fan/eyevine/laif

Wie ist das jetzt mit diesem Palmöl, den Tieren und Plantagen?

Erstmals seit fast 50 Jahren stimmt die Schweiz im März über ein Freihandels­abkommen ab, ausgehandelt zwischen den Efta-Staaten und Indonesien. Dabei scheidet ein begehrtes Fett die Geister.

Von Michael Rüegg, 19.02.2021

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Indonesien. 17’508 Inseln, die zwei Kontinente verbinden und zwei Ozeane trennen. Gegen 270 Millionen Menschen aus 360 ethnischen Gruppen mit 300 gesprochenen Sprachen leben auf dem Archipel.

Neun von zehn Indonesierinnen gehören dem muslimischen Glauben an. Und auch wenn ein paar dieser neun Kopftuch tragen, verhüllt kaum eine ihr Gesicht. Es ist denn auch nicht die anstehende Schweizer Abstimmung über das Burkaverbot, die Auswirkungen auf das Land hätte, sondern die andere Abstimmungs­frage vom 7. März: Sofern Sie, liebe Stimm­bürgerin, lieber Stimmbürger, die Pläne von Bundesrat und Parlament nicht durchkreuzen, hat Indonesien schon bald ein Freihandels­abkommen mit der Schweiz und den restlichen Staaten der Europäischen Freihandels­assoziation, der Efta.

Adam Smiths Durst kreiert den Freihandel

Schaut man sich die Abstimmungs­kampagnen an, könnte man denken, wir würden über einen Zoo abstimmen. Bei den Gegnern blicken von Flammen umgebene Orang-Utans gequält in die Welt. Die Befürworterinnen lassen in ihrer Werbung wahlweise einen Orang-Utan einen Steinbock knuddeln oder einen Bären innig einen Tiger umarmen.

Einst bewohnten drei Unterarten der Grosskatze die Sundainseln. Doch nachdem der Bali- und der Java-Tiger längst in die ewigen Jagdgründe geschossen sind und als müffelige Felle geflieste Böden schmücken, bleibt nur noch eine überschaubare Population von maximal 600 Sumatra-Tigern übrig. Und die leiden unter schwindendem Lebens­raum, weswegen sie gelegentlich in Siedlungs­gebiete vorstossen und dort Menschen töten.

Tiger genauso wie Orang-Utans sind auf grosse, naturbelassene Wälder und dergleichen angewiesen – von denen es immer weniger gibt, weil immer mehr Land für Nutzungen durch den Menschen herhalten muss. Und damit sind wir bei der Kernfrage, wieso das mit Aussen­handels­politik wenig befasste Stimmvolk in dieser Frage zur Urne gerufen wird.

Als Vater des modernen Freihandels­vertrags gilt der Brite Adam Smith (1723–1790). Der erste grosse National­ökonom der Welt ärgerte sich über die miese Qualität und die hohen Preise von Wein.

Es sollte doch, fanden Smith und seine Mitdenker, möglich sein, die teuren Zölle auf Weine aus Frankreich zu senken, wenn auch Frankreich etwas in die Waagschale werfe – zum Beispiel seinerseits Schutz­zölle auf englische Stoffe senke. So entstand ein System, das auf dem Gedanken fusst, dass Volks­wirtschaften durch den Abbau von Handels­hemmnissen profitieren, indem sie Märkte für jene Produkte besser erschliessen können, die sie in besonders hoher Qualität und ausreichenden Mengen herstellen können. Dafür müssen beide Länder importieren und exportieren. Denn wollen sie ausschliesslich Letzteres, entsteht kein Handel.

Oder kurz: Ich nehme dir Palmwedel­korb­waren ab, wenn du dafür meine Maschinen bestellst. Und wir freuen uns beide wie Tiger und Bären.

Geflecht aus multi- und bilateralen Verträgen

Die Schweiz unterhält seit 1973 Abkommen mit der heutigen EU und hat dadurch wesentliche Markt­zugänge, obwohl sie nicht Mitglied ist. Als export­starke Nation braucht das Land jedoch weitere Absatz­märkte ausserhalb der EU. Nur einen geringen Teil macht der Binnen­handel mit der über die Jahre arg geschrumpften Efta aus.

Doch zusammen mit ihren Efta-Gspänli Norwegen, Liechtenstein und Island unterhält die Schweiz Abkommen mit acht weiteren europäischen Ländern und zahlreichen Mittelmeer-Anrainer­staaten. Hinzu kommen Mexiko, Singapur, Chile, Südkorea und so weiter. Mit Japan und China existieren bilaterale Verträge. Und mit Staaten wie Indien, Vietnam und Malaysia laufen derzeit Verhandlungen – die Aufzählung ist nicht abschliessend.

Vertragswerke werden nach den Bedürfnissen der involvierten Staaten individuell ausgehandelt. Die Idee ist wie bei allen Verhandlungen zwischen Nationen, dass die Interessen ausgewogen sind – ein Geben und ein Nehmen. Ausgehandelt werden die Abkommen von den involvierten Regierungen, ratifiziert durch die Parlamente. Volks­abstimmungen über Freihandels­verträge sind quasi unerhört, die letzte fand 1972 statt, wobei es damals um den freien Handel mit der späteren EU ging.

Schuld ist das Öl

Das kommt nicht von ungefähr, denn das Abkommen Efta–Indonesien ist als erstes seiner Art überhaupt dem fakultativen Referendum unterstellt. Und prompt gingen einige NGOs auf Unterschriften­sammlung. Der Grund dafür steckt in allerlei möglichen Lebens­mitteln, Kosmetika und sogar Waschmitteln und heisst: Palmöl.

Die Erzählung dazu ist hierzulande bekannt: Regenwald wird gerodet, es entstehen riesige Monokulturen, auf denen sich das Fett in den Kernen der Ölpalme ansammelt, um nach einer Reise um den Planeten irgendwann vielleicht zur Zutat einer Engadiner Nusstorte zu werden. Leid­tragende dieser Entwicklung sind Orang-Utans, Sumatra-Tiger und Co.

Nun produziert Indonesien gut die Hälfte des weltweiten Palmöls. Ein gutes Geschäft, zumal Palmöl einen sechsmal höheren Ertrag liefert als Soja. Ein Freihandels­abkommen, in dem ihr Export­schlager ungenannt bliebe, wäre für das Land kein Gewinn. Palmöl sei für Indonesien viel wichtiger als etwa die Uhren­industrie für die Schweiz, sagte der Botschafter des Landes in einem Interview mit «Swissinfo». Obwohl palmölkritische Organisationen lange dagegen lobbyiert haben – am Ende sind Reduktionen der Zölle auf indonesisches Palmöl ein Teil des Freihandels­abkommens geworden.

Die Schweiz hat gemäss der Botschaft des Bundesrats die Zoll­befreiung für die Einfuhren nach Indonesien erreicht, sie konnte die Reduktion technischer Handels­hemmnisse, pflanzenschutz­rechtliche Massnahmen und den Schutz des geistigen Eigentums verankern. Doch ohne Palmöl wollte Indonesien kein Abkommen.

Werden das Öl und sein schlechter Ruf zum Freihandels­killer? Angesichts der bei vielen Menschen wohl zu Recht verbreiteten Skepsis gegenüber dem Rohstoff scheint diese Annahme nicht abwegig. Für das Abkommen könnten jedoch zwei respektive drei Umstände sprechen:

  1. Die Zollreduktionen von 20 bis 40 Prozent auf Palmöl betreffen nur ein festgelegtes Kontingent – und gelten ausschliesslich für nachhaltig produziertes Palmöl.

  2. Dank des Abkommens soll Indonesien sich zu nachhaltiger Produktion verpflichten. Dazu gehören der Schutz von Urwäldern, Torfmooren und ein Verzicht auf Brandrodungen.

  3. Daraus könnte abgeleitet werden: Bislang importiert die Schweiz nur geringe Mengen Palmöl aus Indonesien. Der Rest stammt aus anderen Staaten. Es ist also denkbar, dass die Schweiz künftig zwar nicht insgesamt grössere Mengen an Palmöl importiert, dafür aber solches, das unter besseren Bedingungen für die Umwelt produziert wird.

Nachhaltigkeit ja, aber …

So weit die Theorie. Einige gegenüber dem Abkommen kritisch eingestellte NGOs sehen zwar durchaus den Wert einer Nachhaltigkeits­klausel in einem Freihandels­abkommen, auch als Modell für künftige Verträge. Das ist in dieser Form eine Premiere.

Sie wollen im konkreten Fall aber vor allem ein Lippen­bekenntnis erkennen. Pro Natura etwa spricht von «Greenwashing» und Standards, die nicht ausreichten. Tatsächlich gelten die für die Erreichung der Nachhaltigkeits­ziele verwendeten RSPO-Standards als umstritten.

Die Abkürzung RSPO steht für Roundtable on Sustainable Palm Oil. Dieser runde Tisch entstand vor 20 Jahren auf Initiative des WWF, daran Platz nahmen die Migros, Unilever und der malaysische Palmöl­verband. Mittlerweile gehören dem in Zürich domizilierten Verein fast 5000 Mitglieder an, die Mehrheit davon Unternehmen, die Palmöl direkt herstellen oder damit handeln. Zwar gelangte bereits 2008 das erste RSPO-zertifizierte Palmöl auf den Markt, und mittlerweile gibt der runde Tisch an, dass 19 Prozent des weltweit verkauften Öls nach seinen Standards gewonnen würden.

Doch Organisationen wie Greenpeace bemängeln, dass sich Palmöl in Monokulturen gar nicht nachhaltig anbauen lasse. Ausserdem schone das Label nur besonders schützens­werte Wälder und gebe andere wichtige Waldflächen der Rodung preis, mit der einher­gehenden Vernichtung der Arten­vielfalt. Selbst der WWF spricht lediglich von Mindest­standards – von einer ökologischen Produktion seien diese weit entfernt.

Es ist kompliziert

All das macht es nicht gerade einfach, sich für ein Ja oder ein Nein auf dem Stimm­zettel zu entscheiden. Die Zerrissenheit lässt sich sehr schön am Beispiel der Sozial­demokratischen Partei ablesen: Während die Juso gemeinsam mit den Grünen, der EVP und einigen bekannten und weniger bekannten NGOs gegen das Abkommen sind, stützt es der SP-Partei­vorstand – als eine Art gedankliche Fortsetzung von Drittwelt­läden und Max-Havelaar-Bananen. Dass mit dem Zürcher Nationalrat Fabian Molina ausgerechnet einer fürs Abkommen plädiert, der bis vor fünf Jahren noch Juso-Präsident war, ist eine originelle Fussnote. An der Delegierten­versammlung wurde trotz seines Einsatzes die Nein-Parole beschlossen.

Bei den Befürworterinnen sind neben einigen SP-Kantonal­parteien die üblichen Verdächtigen aufgeführt: FDP, SVP, Mitte, Economie­suisse, Gewerbe­verband, diverse Handels­kammern und derlei – aber auch das Hilfswerk Swissaid. Letzteres lobt das Abkommen dafür, dass erstmals überhaupt Nachhaltigkeits­ziele in ein Vertrags­werk über den freien Handel geflossen sind. Hingegen kritisiert Swissaid, dass aufgrund der Sorten­schutz­bestimmungen die Kleinbauern benachteiligt würden.

Ein deutliches Jein

Einige NGOs verzichten ganz auf eine Parole. Dazu zählt Public Eye. Die Organisation, die sich medien­wirksam vor allem für die Einhaltung von Menschen­rechten einsetzt, mag sich keinem der beiden Lager anschliessen. Eine differenzierte Betrachtungs­weise der Pro- und der Kontra-Argumente habe kein eindeutiges Ergebnis gebracht. Auch Public Eye streicht die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit in einem Freihandels­abkommen heraus, gerade auch für künftige Verhandlungen mit anderen Staaten. Indem jedoch die RSPO-Standards übernommen würden, überlasse es die Schweiz der Privat­wirtschaft, sich selber zu kontrollieren.

Und noch ein Punkt: Indem Indonesien verpflichtet werde, den Schutz des geistigen Eigentums zum Beispiel bei Patenten auf Medikamenten und den Sorten­schutz beim Saatgut einzuhalten, nehme man dort höhere Preise für Medikamente und einen erschwerten Zugang zu Saatgut in Kauf.

Und kritische Stimmen in Indonesien? Dort scheint man sich in erster Linie vor dem norwegischen Kabeljau zu fürchten, der als Folge des Freihandels­abkommens die lokale Fischerei bedrängen könnte.

«Besser etwas als gar nichts», sagt ein alltägliches indonesisches Sprichwort. Ob sich diese Betrachtungs­weise in der Abstimmung durchsetzen wird?

Deutlicher konnte man jedenfalls zu einer Vorlage noch nie Jein sagen.

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