Am Gericht

Folge dem Gold

Der Beschuldigte bezeichnet sich selbst als «freischaffenden Entrepreneur». Die Anklage nennt ihn Hehler und Geldwäscher. Präziser wäre: Goldwäscher – eine Schweizer Tradition.

Von Yvonne Kunz, 17.02.2021

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Die Schweiz ist weltweit führend in der Verarbeitung und im Handel von Gold, das ist allgemein bekannt. Auch, dass dieser Status auf einer düsteren Vergangenheit beruht: Einst ist das Land mit Nazigold ins Business eingestiegen. Zum bedeutenden Raffinerie­standort wurde es in den Achtziger­jahren mit südafrikanischem Apartheid-Gold. Ein grosser Anteil der damals mit Sanktionen belegten Produktion Südafrikas wurde in Schweizer Schmelzen zum frei handelbaren Qualitäts­produkt gegossen. Aus Blutgold wurden saubere Goldbarren, Swiss made.

Auch heute stehen die hiesigen Raffinerien, die nach Schätzungen 50 bis 70 Prozent der weltweiten Goldproduktion schmelzen, in der Kritik, illegales Gold zu verarbeiten. NGOs beleuchten regelmässig Missstände in den verworrenen Liefer- und Wertschöpfungsketten. Der Basler Strafrechts­professor Mark Pieth zeichnet in einer ausführlichen Buchrecherche 2019 ein Bild der Schweiz als globale Gold­wasch­anlage und fordert griffige Gesetze. Letztes Jahr beanstandete gar die Eidgenössische Finanzkontrolle die Überwachung von Goldimporten durch die Zollbehörden als viel zu lasch. Kurzum: Es entsteht nicht der Eindruck, als ob es die Schweiz gross kümmert, woher all das Gold stammt, das sie schmilzt und wieder ausführt.

Exakt diesen Vorwurf bekam kürzlich ein im Gold­business tätiger Schweizer von einem leitenden Zürcher Staatsanwalt zu hören: «Ihnen war schlicht egal, woher das Gold stammt. Sie haben alle Augen zugedrückt, sogar das Hühner­auge.» Es war ein etwas bizarrer Prozess, der aber zeigt: Ob gross oder klein, im Goldhandel haben alle ähnliche Probleme.

Ort: Obergericht Zürich
Zeit: 2. Februar 2021, 8.00 Uhr
Fall-Nr.: SB200369
Thema: Geldwäscherei, Hehlerei

Selbst vor einem Strafgericht, wo öfter wilde Geschichten zu hören sind, passiert es selten, dass sich einer hinstellt und sagt, er sei vor ein paar Jahren in den Emiraten vom Geheim­dienst entführt worden.

Das, um zu verhindern, dass er bei einem dortigen Prozess gegen die Königs­familie hätte aussagen können. In einem Prozess, den er zudem selbst angestrengt habe, weil der Staat ihm zuvor seine Anteile an einer Goldbank abgeluchst habe – via Beduinen­recht: Der Scheich steht über allem. Besagte Anteile habe er zuvor als Bezahlung beim Verkauf seiner Gold- und Silber­förder­firma in Peru an vier Angehörige ebendieser Königs­familie erhalten. Wert: 3,5 Millionen US-Dollar. Nach diesem Deal pendelte er zwischen Südamerika und Dubai.

Die KV-Lehre und die zehnjährige Anstellung bei einer Grossbank sieht man dem Angeklagten nicht unbedingt an. Tattoos bedecken seinen Nacken, der Anzug sitzt satt. Er sieht aus wie der Türsteher des heftigsten Clubs der Stadt. Oder eben wie ein «freischaffender Entrepreneur», als den er sich selbst bezeichnet.

Er habe gut gelebt da unten, sagt er zum Gerichts­vorsitzenden Beat Stiefel. Mit Penthouse und schicker Karre. «Wir waren die grössten Gold­händler in Dubai.» Aber was dann abgegangen sei … Der Mann stockt und fährt fort: Er habe die offizielle Schweiz um Hilfe gebeten, auf dem höchsten Level, in Bern oben, bei Bundesrat Maurer, the President. Bis heute warte er auf eine Antwort, «sehr enttäuschend» sei das.

Klingt alles zu verrückt, um wahr zu sein? Nach «wilden Geschichten», wie der Leitende Staatsanwalt Daniel Kloiber sagt? Hat der Beschuldigte sie erfunden? Oder doch nicht? Was könnte dran sein?

Dubai dubios

Die Location zumindest ist stimmig, nicht umsonst trägt Dubai den Beinamen «City of gold». Die Story passt auch zum beispiellosen Goldrausch der letzten Jahrzehnte am Golf. Mitte der Neunziger­jahre waren die Vereinigten Arabischen Emirate noch nicht einmal in den Top hundert der globalen Gold­handels­plätze. Heute gehört das Land zu den grössten zehn, auch unter den Top fünf war es schon, sogar unter den Top drei.

Einfach so passierte das nicht: Um die Abhängigkeit der Region von Öl zu mindern, setzt Scheich Mohammed bin Rashid al-Maktoum, Emir von Dubai und in Personal­union Vizepräsident, Premier­minister und Verteidigungs­minister der Vereinigten Arabischen Emirate, aggressiv auf Frei- und Rohstoffhandel.

Von nirgendwoher importierte die Schweiz in den letzten Jahren mehr Gold. Dabei gilt Dubai als «kritische» Goldquelle. Die Credit Suisse gibt an, keine Goldbarren mit den Siegeln der dortigen Raffinerien anzunehmen. Drei der vier Grossraffinerien in der Schweiz verarbeiten kein Gold mehr aus den Emiraten, weil das Risiko von illegalem Gold nicht ausgeschlossen werden könne. Letzten November drohte nun der wichtigste ausserbörsliche Gold- und Silber­handels­platz, der London Bullion Market, Dubai auszuschliessen.

Denn zu viel dubioses Gold kommt im Handgepäck Geschäfts­reisender nach Dubai, wo es in den Gold-Souks verkauft wird. Einzige Formalität: die Zoll­deklaration des Landes – auf der die Herkunft des Golds nicht angegeben werden muss. Die Händler in den Souks fragen nicht, ob das Gold von Warlords im Ostkongo stammt oder aus gesetzlosen Minen im peruanischen Hochland. Ob es Schmuggel­gold ist aus Togo. Konflikt­gold aus dem Sudan.

Vom Juwelier in den Zahntechnikladen

Die verschlungenen Wege des Golds zeigen sich auch im vorliegenden Zürcher Straffall beispielhaft: Gegen Ende 2017 werden in einem Berner Juwelier­geschäft etwa achteinhalb Kilogramm Gold­schmuck gestohlen. Dieser wechselt kurz vor Jahresende in einem Zahntechnik­laden in Zürich die Hand. Gegen eine Anzahlung von 30’000 Franken und das Versprechen auf weitere 120’000 Franken aus dem dereinstigen Verkaufs­erlös übernehmen zwei Männer das Gold; Männer, die angeblich in der Kunst­branche tätig sind.

Anfang Januar 2018 bringen sie den Schmuck in den Kanton Glarus, um ihn zu achtzig bis neunzig Rohgold­nuggets einzuschmelzen.

2. Februar 2018, an einem Kebab­stand in Zürich: Die beiden Männer zeigen die Nuggets einem dritten Mann, dem Beschuldigten. Die Männer geben an, es sei Altgold aus einem Kunst­gegenstand. Man habe gehört, er, der Beschuldigte, kenne sich aus im Business und könne behilflich sein bei der fachgerechten Verwertung.

Kann er. Für eine Fixprämie von 5000 Franken und 10 Prozent Beteiligung am künftigen Verkaufserlös.

Zwei Tage später fährt man zu dritt in den Kanton St. Gallen zu einer Schmelze mit Schmelzbewilligung des Bundes gemäss Edelmetall­kontrollgesetz.

Ab Übergabe des Golds ist der Beschuldigte der offiziell wirtschaftlich Berechtigte am Edelmetall. Er ist es, der alle Quittungen und Dokumente unterschreibt, vor allem die «Declaration of Ultimate Beneficial Owner». Auf diesem Papier wird als Ursprung des Golds Rumänien angegeben.

Die Nuggets werden zu Barren geschmolzen und mit einem Siegel der Ostschweizer Schmelzerei versehen. Doch erst in den Tagen danach wird das Gold zum frei handelbaren Gut, nachdem es in einer Raffinerie im Kanton Neuenburg nochmals verarbeitet worden ist. Aus den rund 8,5 Kilogramm Gold­schmuck sind nun 7,5 Kilo Reingold gewonnen. Die Neuenburger Raffinerie kauft 2,5 Kilo davon gleich selbst, überweist dafür dem Schmelzer rund 100’000 Franken und liefert Anfang März den Rest, 5 Kilo Goldbarren, zurück ins Sankt-Gallische.

Der weitere Verkauf schreitet voran, der Erlös wird verteilt: Gold-gegen-Kunst-Tauschverträge zwischen dem Beschuldigten und einem der beiden Kunstbranchen­typen sind unter Dach und Fach. Dann fliegt die Sache auf. Und die Kunden belasten den Schweizer «Entrepreneur».

In erster Instanz hat das Bezirks­gericht Zürich den Beschuldigten vorigen Sommer wegen Geldwäscherei zu einer bedingten Freiheits­strafe von 14 Monaten verurteilt – das entspricht fast dem Wunsch der Staats­anwaltschaft. Fast. Sie beharrt nun vor Obergericht auf einem zusätzlichen Schuldspruch wegen Hehlerei und will die Freiheits­strafe auf 16 Monate bedingt erhöht haben. Der Mann habe hart an der Grenze zum direkten Vorsatz gehandelt.

«Das schwere Los des Entrepreneurs»

Mit dieser Interpretation ist der Beschuldigte nicht einverstanden. Er hat ebenfalls Berufung erhoben. Denn er habe nie und nimmer wissen können, dass die Nuggets aus geklautem Schmuck stammten: «Herr Oberrichter, nicht mal, wenn Sie an die Bahnhof­strasse gehen und einen Ring kaufen, können Sie ganz sicher sein, dass kein dreckiges Gold drinsteckt.»

Dass er, wie Staatsanwalt Kloiber sagt, «die elementarsten Abklärungen zur Herkunft des Golds nicht getätigt» habe, lässt er nicht gelten.

Zwar sei ihm auch unüblich vorgekommen, dass die Nuggets aus einem Bilder­rahmen stammen sollen. Doch seien seine Kunden beide in der Kunst tätig, also vom Fach gewesen. Recherchiert habe er auch – und auf Youtube gesehen, dass es hinter dem Eisernen Vorhang durchaus vorkam, dass Gold in Kunst­gegenständen versteckt wurde. Für ihn schien alles okay.

Auch beteuert er, die beiden Männer überprüft zu haben. KYC, know your client, wie ein Grundsatz der Branche heisst. Seine Schlüsse: «Der eine fährt einen Ferrari und hat eine grosse Villa an bester Lage. Der andere arbeitet bei einer Bank.» Mit gutem Gewissen habe er das Einschmelzen des Golds vermittelt und dafür eine Prämie kassiert.

Ob und in welcher Höhe er sie tatsächlich bekommen hat, bleibt unklar. Fest steht: Der Mann könnte das Geld gut gebrauchen. Inzwischen lebt er mit seiner Familie bei seiner Mutter, in einer bescheidenen Wohnung. Er sei aber dabei, wieder Fuss zu fassen, mit einem Blockchain-Projekt, sagt er, der höchst zuversichtlich in die Zukunft blickt; überzeugt, dass das neue Projekt zum Fliegen kommt. Deshalb halte er seine derzeit missliche Lage aus. So sei es einfach «das schwere Los eines Entrepreneurs».

Was sagte eigentlich Lenin?

Eine Anmerkung liegt ihm noch am Herzen. Es möge schon unüblich sein, dass Goldgeschäfte an einem Kebabstand eingefädelt würden. Aber dass die Staats­anwaltschaft dermassen auf diesem Punkt rumreite, gehe in der heutigen Zeit nicht mehr an. Das sei rassistisch.

Unsinn, kontert Staatsanwalt Kloiber. Das «Rössli» in Hintertupfingen wäre ebenso merkwürdig gewesen.

Auch Verteidiger Gian Andrea Danuser lässt die Kebabstand-Thematik nicht ruhen. Es werfe ein schiefes Licht auf die Unabhängigkeit der Staats­anwaltschaft, sagt er, dass sie dieser Sache so grosses Gewicht beimesse.

Danuser hält ausserdem fest, dass die Echtheit der Unterschriften des Beschuldigten auf der «Declaration of Ultimate Beneficial Owner» und den Tausch­verträgen bestritten ist. Die Behörden hätten ein grafologisches Gutachten jedoch stets abgelehnt.

Der Verteidiger spricht viel von Vertrauen, das sei gerade in dieser Branche legitim und wichtig. Wenn die Vorinstanz mit «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» Lenin zitieren wolle, stimme das nicht ganz. «Vertraue, aber prüfe nach» soll Lenins Losung gewesen sein. Genau das habe der Beschuldigte getan. Nur sei er angelogen worden, getäuscht. Aber er sei in dieser Situation ohnehin nicht verpflichtet gewesen, die Vorschriften der Edelmetall­verordnung einzuhalten, und er sei deswegen in dubio pro reo freizusprechen.

Bleibt noch das Blockchain-Business

Zum unglaublichen dritten Mal klingelt in dieser Verhandlung eines der Telefone der Verfahrens­beteiligten. Schnarrend merkt der Gerichts­präsident an, es sei hoffentlich bekannt, dass die Idee eigentlich sei, dass Mobil­telefone während eines Prozesses ausgeschaltet bleiben.

Das Urteil des Obergerichts wird nicht mündlich eröffnet, sondern kurz nach der Verhandlung schriftlich bekannt gegeben. Wie von der Staats­anwaltschaft gefordert, ergeht ein Schuld­spruch sowohl wegen Geld­wäscherei als auch wegen Hehlerei. Die bedingte Freiheits­strafe wird gegenüber dem vorinstanzlichen Urteil um einen Monat auf 15 Monate erhöht. Und dem ursprünglich ausgeraubten Juwelier muss der Gold-Entrepreneur 17’780 Franken Schaden­ersatz sowie 2100 Franken Prozess­entschädigung zahlen. Etwa 8500 Franken werden für die Gerichts­kosten fällig.

Vielleicht klappt es ja wirklich mit dem Blockchain-Projekt des verurteilten Schweizers. Das scheint in der Goldbranche ein Trend zu sein, dem auch die grösste Edelmetall­raffinerie der Schweiz folgt: Valcambi, die einzige, die noch Gold aus Dubai bezieht. Wie deren Chef Michael Mesaric in einem Interview letzten Oktober sagte, baut die Edelmetall­schmelze im Tessin ein eigenes System, mit dem man das Gold dann nachverfolgen könne – auf der Basis der Blockchain-Technologie.

Illustration: Till Lauer

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