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Anti-Bio-Ticker

16.02.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Als die Pandemie vor rund einem Jahr in der Schweiz sichtbar wurde, ging es Ihnen vielleicht wie manchen von uns: Mit Erstaunen stellten wir fest, dass Expertinnen schon seit Jahren vor genau einem solchen Szenario warnten, wie wir es nun erlebten – nur hatten das viele Menschen, einschliesslich Politikern, schlicht nicht mitbekommen.

Das wirft eine ungemütliche Frage auf. Nämlich: Was sind die Gefahren, vor denen heute viele Wissenschaftlerinnen vergeblich warnen? Eine davon ist die Antibiotikaresistenz. Weil wir Antibiotika weltweit viel zu grosszügig einsetzen, unter anderem in der Massentierhaltung, entwickeln immer mehr Bakterien eine Resistenz dagegen. Sie lassen sich mit Antibiotika kaum mehr wirksam bekämpfen. Diese Resistenz «nimmt in allen Teilen der Welt ein gefährliches Ausmass an», warnte die Weltgesundheitsorganisation letzten Juli. «Eine wachsende Zahl von Infektionen – wie etwa Lungenentzündung, Tuberkulose, Blutvergiftung, Gonorrhö oder Lebensmittelvergiftungen – lässt sich erschwert oder gar nicht mehr behandeln, weil Antibiotika weniger wirken», warnt die WHO.

Auch bei diesem Thema gibt es Menschen, die eindringlich vor der potenziellen Gefahr warnen. Etwa Maria Lung, eine Studentin der Biomedizin an der Universität Genf. Republik-Journalistin Olivia Kühni lernte sie im Oktober kennen, als Lung an einem Ideenwettbewerb der Wissenschaftsvermittlung Reatch ein eindringliches Plädoyer hielt: dafür, Gesellschaft und Politik jetzt sofort viel mehr über die Antibiotikaresistenz aufzuklären, damit wir noch rechtzeitig handeln könnten. Jetzt hat Kühni bei Lung nachgefragt: Wie geht es weiter?

Frau Lung, Sie haben die Antibiotikaresistenz als eines der grössten aktuellen Risiken für unsere Gesellschaft bezeichnet. Warum?
Spätestens diese Pandemie hat uns gezeigt, welchen immensen Einfluss Mikroorganismen auf unser Leben haben können. Wir haben gesehen, wie unglaublich schwierig es ist, nur schon ein Virus zu bekämpfen. Die Antibiotikaresistenz ist noch schwerwiegender, weil sie sich noch weniger kontrollieren lässt: Es gibt nicht einfach eine bestimmte Behandlung dagegen, die man finden müsste, weil es hier nicht einfach um einen bestimmten Mikroorganismus geht.

Es sind bereits heute ganz verschiedene Bakterien gegen die Behandlung mit Antibiotika resistent.
Richtig. Das Problem ist längst akut, jährlich sterben weltweit über 700’000 Menschen daran, weil sie nicht mehr behandelt werden können. Ich glaube, dass das vielen nicht bewusst ist. Besonders tragisch ist etwa der Fall von Hyderabad in Indien: Viele internationale Pharmafirmen produzieren dort unsere Antibiotika – aber in der Gegend selber haben diese aufgehört, gegen Infektionen zu wirken.

Sie sind noch im Studium. Wie sind Sie auf dieses Problem aufmerksam geworden?
Ganz früh, über einen Dokumentarfilm noch in der Schule. Er zeigte das ganze Ausmass auf und auch, dass Wissenschaftler in Georgien seit Generationen an einem möglichen Gegenmittel forschen: Sie setzen Bakteriophagen ein, also Viren, die die Bakterien auffressen und somit unschädlich machen. Das hat mich extrem fasziniert, ich kann mich noch heute detailliert an diesen Film erinnern.

Viren, die Bakterien auffressen?
Ja, das ist hoch spannend. Man kann Viren gegen Bakterien einsetzen – und im Fall von Georgien sind das sogar Viren, die sie in einem örtlichen Fluss entdeckt haben. Natürlich birgt das auch Risiken. Es würde sich sehr lohnen, hier stark in die Forschung zu investieren, um das Ganze besser zu verstehen.

Wollen Sie auf diesem Gebiet arbeiten?
Ja. Generell sind Mikroorganismen ein Feld, wo wir noch unglaublich viel lernen können. Das interessiert mich. In den letzten Jahren hat man beispielsweise angefangen, vom Darm als unserem zweiten Gehirn zu sprechen, weil die dortigen Mikroorganismen in der Lage sind, sehr viel in unserem Körper zu beeinflussen. Man geht sogar davon aus, dass sie etwa bei Depressionen eine Rolle spielen können.

Zurück zur Resistenz. Sie haben im Herbst die Idee einer Kampagne präsentiert, um die Öffentlichkeit über das Thema aufzuklären. Haben Sie das weiterverfolgt?
Das Projekt ist wie vieles wegen der Pandemie schwieriger geworden. Ich habe Kontakt mit Lehrern aufgenommen, weil ich es sinnvoll fände, damit bereits in der Schule anzufangen. Meine Hauptidee ist es, zu einem grossen öffentlichen Event zu laden, an dem wir live mit Laborausrüstung vorführen, wie einfach es ist, Bakterien resistent zu machen. Ich glaube, dass das besser wirkt als reine Information. Was ich aber für die Zukunft vor allem spannend fände, ist ein Citizen-Science-Projekt.

Was meinen Sie damit?
Die Forscherinnen in Georgien haben ihre Bakteriophagen in einem Fluss entdeckt. Das bedeutet, dass es potenziell überall in der Natur Mikroorganismen gibt, die Bakterien wirksam bekämpfen könnten oder andere wichtige Eigenschaften haben. Wenn sich sehr viele Leute zusammentäten – jede nimmt von ihrem Spaziergang im Wald eine Probe mit, vereinfacht gesagt –, könnten wir auf interessante Dinge stossen. Das mag auf den ersten Blick lächerlich klingen, ist es aber nicht: Auch das Penicillin wurde nur durch Zufall entdeckt.

Vielen Dank für das Gespräch – und alles Gute für Ihre Projekte.
Danke auch.

Und jetzt:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Ein Fasnachtsumzug fand in Einsiedeln trotz Verbot statt. Am traditionellen «Sühudiumzug» gestern Montag drängten sich rund 1000 Fasnächtlerinnen und Zuschauer im Zentrum von Einsiedeln, teilweise ohne Masken. Alle anderen Fasnachtsveranstaltungen waren abgesagt worden, so die Kantonspolizei Schwyz. Das Problem: Der «Sühudiumzug» ist keine klassische Veranstaltung, er findet jedes Jahr ohne Ansprechpartner und ohne Verantwortliche statt. Die Polizei verteilte gemäss eigener Aussage rund 100 Ordnungsbussen.

Die nächtliche Ausgangssperre in den Niederlanden ist rechtswidrig. Dies entschied ein niederländisches Gericht und wies die Regierung an, die Ausgangssperre aufzuheben. Es fehle dafür die rechtliche Grundlage. Die Ausgangssperre sei nur für Notfallsituationen zulässig, wenn keine parlamentarische Debatte möglich sei. Die epidemiologische Lage zum Zeitpunkt der Ausgangssperre ab 21 Uhr habe diese nicht gerechtfertigt. Vor einigen Wochen war es deswegen in verschiedenen Städten zu Tumulten gekommen.

Johnson & Johnson hat die EU-Zulassung seines Impfstoffes beantragt. Dies teilte die europäische Arzneimittelbehörde Ema mit. Die Behörde habe bereits im Dezember ein rollendes Verfahren für das Vakzin der US-Pharmafirma begonnen. Im Falle einer Zulassung wäre dies der vierte in der Europäischen Union verfügbare Impfstoff.

Und zum Schluss: Wo stehen wir politisch?

Der Bundesrat hatte angekündigt, morgen mehr zu kommunizieren bezüglich der aktuellen Massnahmen, die noch bis Ende Februar gelten. Werden sie in den März verlängert? Werden sie gelockert?

Zeit für eine kleine politische Standortbestimmung.

Die Positivitätsrate sinke, sagte Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) an der heutigen Medienorientierung der Fachstellen des Bundes (die ihre Kenntnisse meist einen Tag vor der Bundesratssitzung am Mittwoch präsentieren). Das ist erfreulich. Und doch: «Die Situation ist immer noch äusserst fragil. Die Virusvarianten werden immer dominanter.» Die Frage sei, ob das jetzige Niveau von Neuinfektionen mit den geltenden Massnahmen gehalten werden könne. «Wenn das der Fall ist, sind Lockerungen möglich. Ansonsten setzen wir uns weiteren Risiken eines Anstiegs der Fallzahlen aus.»

Anfang Februar hatte Gesundheitsminister Alain Berset Lockerungen auf Ende Februar als unrealistisch bezeichnet. Nun wächst aber der Druck auf den Bundesrat. Eine Petition von rechtsbürgerlicher Seite mit rund 250’000 Unterschriften fordert die Öffnung von Restaurants, Bars, Läden sowie Freizeit- und Sportanlagen mit Schutzkonzepten ab 1. März. Zum Thema Schutzkonzepte sagte Mathys: «Auch Schutzkonzepte können Übertragungen nicht zu 100 Prozent verhindern – das muss uns klar sein.»

Während Branchenvertreter schnelle Öffnungen wollen, setzen manche Wissenschaftlerinnen auf eine andere, nicht minder radikale Strategie. Dazu blicken wir über die Grenze: Eine Gruppe Forscher in Deutschland – darunter Virologinnen und Ökonomen – hat eine Strategie erarbeitet, die auf «No Covid» abzielt – also eine Abkehr von der bisher verfolgten Eindämmungsstrategie (wie sie auch die Schweiz fährt). Das Ziel dabei ist, möglichst wenige Ansteckungen zu haben – idealerweise null. Dies entspricht der Strategie von Staaten wie Neuseeland oder Australien, deren Politik darauf abzielt, bei Ausbrüchen lokal rasch und kurzfristig hart zu handeln, statt über Monate mittelmässig harte Shutdowns zu haben.

Zurück in die Schweiz. Grob gesagt lässt sich feststellen: Fachleute warnen vor einer allzu schnellen Öffnung, Gewerbevertreter wünschen sich bessere wirtschaftliche Möglichkeiten. Klar ist: Die neuen Varianten des Virus, die ansteckender sind, sind dabei die grossen Unbekannten in der Abschätzung der weiteren Entwicklung. Morgen Mittwoch will der Bundesrat seine weitere Linie kommunizieren und den Kantonen zur Konsultation darlegen.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Olivia Kühni und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Wer selbst an Covid-19 erkrankte oder eine Betroffene kennt, weiss: Eines der vielleicht ungefährlichen, aber eher ekelhaften Symptome ist der teils mehrmonatige Verlust des Geschmackssinns. Nicht nur für diejenigen, die ihn zurücktrainieren wollen (wie er selber), präsentiert unser Hauskulinariker Michael Rüegg eine Chipotlesuppe. Der Republik-Autor vermisst sein Patenkind am anderen Ende der Welt – die emotionale Brücke nach Mexiko baut er mit diesem Rezept in der neuesten Ausgabe von «Geschmacksache». Mahlzeit!

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