Covid-19-Uhr-Newsletter

Unbefriedigend

12.02.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Es ist Februar, nasskalt, und vielen Menschen macht der Shutdown zu schaffen. Das gilt ganz besonders für jene, die nicht im warmen und geschützten Homeoffice arbeiten können. Beispielsweise Sexarbeiterinnen.

Bereits im Juni letzten Jahres sprach Republik-Reporterin Brigitte Hürlimann mit Melanie Muñoz, Leiterin der Fachstelle Lysistrada in Olten. Damals hatte der Bundesrat mit dem Shutdown auch die Sexarbeit untersagt, und manche der Frauen auf dem dortigen Strassenstrich waren auf Nothilfe und Lebensmittellieferungen angewiesen. Sie sassen draussen an der Sonne, trösteten sich gegenseitig und wiesen Freier ab, die das landesweit geltende Verbot der Sexarbeit einfach nicht wahrhaben wollten. (Wir haben die Frauen in jenen Tagen besucht und hier davon berichtet.)

Wie aber geht es den Sexarbeiterinnen jetzt auf dem Strich? Bei Schnee, Regen und Kälte? Sie arbeiten weiter – unter erschwerten Bedingungen. Melanie Muñoz von Lysistrada beschreibt:

«In diesem Winterlockdown ist alles anders, denn neu hat ja der Bundesrat die Sexarbeit nicht verboten, genauso wenig wie Massagen, Physiotherapie oder ähnliche Tätigkeiten mit engem Körperkontakt. Die Kantone dürfen jedoch strengere Massnahmen verfügen. Einige haben die Sexarbeit komplett verboten, in anderen ist sie erlaubt, zum Teil mit zeitlichen Einschränkungen. Wieder andere haben sich für eine Mischform entschieden. Im Kanton Solothurn müssen sämtliche Etablissements, die über eine sexgewerbliche Bewilligung verfügen, geschlossen bleiben. Erlaubt ist nach wie vor die Sexarbeit auf der Strasse oder in den Wohnungen der Prostituierten.

Das ist für die Frauen auf dem Oltner Strassenstrich eine schwierige Situation. Sie akquirieren ihre Kundschaft zwar draussen, vollziehen das Geschäft aber (normalerweise) drinnen; in Zimmern, die sie gemietet haben. Diese Häuser gelten jedoch als sexgewerbliche Betriebe und sind geschlossen worden. Das heisst, die Frauen müssen ihre Dienstleistungen draussen oder in den Autos der Freier anbieten. Was die Schutzmassnahmen, die Hygiene aber auch die Sicherheit der Frauen betrifft, ist das Arbeiten in den Autos nicht optimal. Da hätten die Sexworker deutlich bessere Bedingungen in ihren Zimmern. Die Betreiberinnen haben die Schutzmassnahmen gut umgesetzt, das wurde von den Behörden auch regelmässig kontrolliert. Das Sexgewerbe gehört nicht zu den Treibern der Pandemie.

Nun verteilen wir den Frauen auf dem Strassenstrich erneut Hygienemasken und Desinfektionsmittel. Sie wissen genau, mit welchen Dienstleistungen sie sich am wenigsten gefährden, sie haben grosse Erfahrung darin, auf ihre Gesundheit und auf die Gesundheit ihrer Kundschaft zu achten. Die Gesundheit ist ihr wichtigstes Gut. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung gelten sie halt immer noch als Seuchenherd, das kennen wir aus der Vergangenheit.

Unsere Fachstelle erhält deutlich mehr Anrufe von Sexarbeiterinnen, die verunsichert sind und nicht wissen, wie und wo sie noch legal arbeiten dürfen. Darunter sind viele Schweizerinnen. Es ist eine unbefriedigende Situation, dass in jedem Kanton oder sogar in jedem Halbkanton ein anderes Regime herrscht. Schade, dass Lysistrada im Kanton Solothurn nicht konsultiert wurde, bevor man sich für dieses halbe Verbot entschied. Wir kennen die Situation der Sexarbeiterinnen am besten, und dies schon seit zwanzig Jahren. Nun leisten wir erneut finanzielle Unterstützung und verteilen Lebensmittel an die Frauen, die kaum mehr etwas verdienen. Sie befinden sich in einer prekären Situation. Es kommen deutlich weniger Freier an den Strassenstrich; weil auch sie verunsichert sind oder weil sie es nicht schätzen, dass sie mit den Frauen nicht aufs Zimmer gehen dürfen.»

Und nun:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Drei Prozent aller eingerückten Rekruten wurden positiv auf Covid-19 getestet. Das schrieb die Armee in einer Mitteilung. Vor zwei Tagen sind die 5000 Rekrutinnen, die ihre Rekrutenschule die ersten drei Wochen in Distance-Learning verbracht haben, in die Kasernen eingerückt. Dort wurden sie getestet. Die allermeisten Armeeangehörigen waren ohne Symptome.

Schweden hat sein abendliches Ausschankverbot verlängert. Bis Ende Februar dürfen Bars nach 20 Uhr keinen Alkohol verkaufen, danach bleibt dies bis Mitte April nach 22 Uhr ebenfalls verboten. Bis vor rund zwei Wochen sanken die Fälle in Schweden rasch. Seither verlangsamt sich der Abwärtstrend, während der Anteil an Fällen der ansteckenderen britischen Virusvariante zunehmen.

Und zum Schluss: Der Lagebericht zur Woche

Vor einer Woche hatten wir von einer guten Nachricht geschrieben: Die Zahl der Spitaleinweisungen und Todesfälle ging zurück. Wir schrieben aber auch: Die Zahlen sind aufgrund von Verzögerungen und Meldelücken mit einer Portion Vorsicht zu interpretieren.

Neue Spitaleinweisungen; gleitender Mittelwert über 7 Tage. Die Daten nach dem 5. Februar sind vermutlich noch unvollständig, deshalb haben wir sie nicht berücksichtigt. Stand: 12. Februar 2021. Quelle: Bundesamt für Gesundheit.

Eine optimistische Feststellung erlaubt auch der Blick auf die laborbestätigten Neuansteckungen: Diese sinken langsam, aber stetig – wohl haben die Massnahmen dieses Shutdowns zu einem grossen Teil gegriffen.

Für Stirnrunzeln hingegen sorgt derzeit der rasch ansteigende Anteil der mutierten Varianten an allen Neuansteckungen. Er verdoppelt sich jede Woche. Den Fachleuten bereitet die ansteckendere südafrikanische und vor allem die brasilianische Variante Sorgen, sagte ETH-Biostatistikerin Tanja Stadler diese Woche in der SRF-Sendung «Puls». Bei der Variante aus Brasilien werde vermutet, dass «das Virus das menschliche Immunsystem gewissermassen ‹ausgetrickst› hat». Seit einigen Tagen sind nun auch die ersten Fälle der brasilianischen Variante in der Schweiz bestätigt.

Was heisst das? Die Impfkampagne läuft hierzulande langsamer an als erhofft. Das hat auch mit Lieferengpässen der Hersteller zu tun. Wir stecken in einem Wettlauf: Wer wird schneller sein – die mutierten Varianten oder die Umsetzung der Impfung?

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Brigitte Hürlimann und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Frohes Neues! In China bricht heute das neue Mondjahr an. Normalerweise reisen dazu Abermillionen von Chinesinnen heim zu ihren Familien. Dieses Jahr hielten strikte Anweisungen – wie auch Geldgeschenke – von Behörden viele vom Reisen ab. Das vergangene Jahr stand im Tierkreis der Ratte. Das neue Jahr steht in jenem des Ochsen. Traditionelle Wahrsagerinnen sagen voraus, dass das Jahr harmonisch und friedlicher ablaufen soll. Nun denn, hoffen wir darauf! Eindrückliche Fotos zum chinesischen neuen Jahr aus ganz Asien gibts hier.

PPPPS: Packen Sie sich gut ein und schnallen Sie sich die Sonnenbrille auf die Nase. Denn Samstag und Sonntag wird das Wetter praktisch in der ganzen Schweiz kalt – aber äusserst sonnig. Perfekt für etwas frische Luft. Geniessen Sie das Wochenende!

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