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Tatkraft, palettenweise

08.02.2021

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Liebe Leserinnen und Leser – and everyone beyond

Erinnern Sie sich noch an die Bilder aus dem ersten Corona-Frühling, wo Hunderte Menschen für ein kostenloses Essen anstanden? Es waren Bilder aus Genf, aus Basel, aus Zürich. Wissen Sie auch, wer dieses Essen ausgab? Republik-Journalist Carlos Hanimann hat mit ihm gesprochen:

Amine Diare Conde stand in der Migros, sah, wie die Leute ihre Einkaufstaschen füllten, die Pastaregale sich leerten, das Toilettenpapier ausging, und er dachte: Oh, die legen sich Vorräte zu, die Lage ist ernst. Und dann: Was machen jetzt die Geflüchteten in den Notunterkünften, die nur 8.50 Franken am Tag haben? Was machen die Sans-Papiers, die jetzt ihren Job verlieren?

Das war am 16. März 2020, und der junge Guineer, damals 22 Jahre alt, selbst abgewiesener Asylbewerber ohne Aufenthaltsbewilligung, beschloss, eine beispiellose Hilfsaktion auf die Beine zu stellen, die zeitweise in sieben Kantonen tätig war und jede Woche tonnenweise Lebensmittel verteilt – kostenlos. Bis heute erhalten dank Conde und über 600 freiwilligen Helferinnen jeden Samstag allein in der Stadt Zürich etwa 750 Familien gratis Lebensmittel.

Kaum war er an jenem Tag im Frühling zu Hause angekommen, schrieb Conde einigen Bekannten aus der Autonomen Schule Zürich, einem selbstverwalteten Ort von und für Migrantinnen, er wolle einmal pro Tag gratis Essen ausgeben. Die Idee stiess auf Skepsis: Die Schule zu öffnen, wenn der Bundesrat alles schliessen lässt, schien riskant. Man fürchtete, die Schule könnte zu einem Corona-Hotspot werden. Doch Conde blieb stur. Es musste eine Möglichkeit geben, den Menschen zu helfen und das Infektionsrisiko klein zu halten. Seit drei Jahren ging er in der Autonomen Schule ein und aus und besass einen Schlüssel. Also öffnete er die Schule auf eigene Faust – ohne jemanden zu benachrichtigen.

Er telefonierte herum und landete irgendwann bei Menu and More, einem Unternehmen, das für Kitas kocht. Dieses stellte ihm 1500 Mahlzeiten zur Verfügung. Conde verteilte sie alle an einem einzigen Tag. Die Aktion sprach sich in Windeseile herum. Am zweiten Tag gab Conde schon 3500 Mahlzeiten aus. «Ich hatte ständig Angst vor der Polizei», sagt er. Schliesslich hatte er keine Aufenthaltsbewilligung. Eine Polizeikontrolle hätte ihn und auch viele illegalisierte Besucherinnen in Gefahr gebracht.

Am dritten Tag wollte Conde frühmorgens aufräumen gehen. Als er in der Autonomen Schule ankam, standen die Leute schon Schlange. Damit hatte er nicht gerechnet. «Ich wollte sie nicht enttäuschen», sagt Conde heute. Also ging er in das Büro der Schule, telefonierte wieder herum und organisierte Hilfe. Sie kam von Privatpersonen, von der Autonomen Schule, dem Solinetz und der offenen Kirche St. Jakob. «Die Leute sagten mir: Das ist unglaublich, was du machst, Amine. Aber du kannst das nicht länger im Verborgenen machen.»

So entstand das Projekt «Essen für alle». Bis zum Juli lief es unter der Leitung von Conde, seit dem 1. Juli in Zusammenarbeit mit dem Sozialwerk Pfarrer Sieber. Jeden Samstag verteilt «Essen für alle» nun bei den SBB-Werkstätten in Zürich-Altstetten Lebensmittel für alle, die Hilfe brauchen.

Conde selbst kam vor fast sieben Jahren aus Guinea in die Schweiz – über Senegal, Mauretanien und Marokko, ehe er mit dem Gummiboot übers Mittelmeer setzte: Melilla, Spanien, Frankreich, Zürich. 2017 lehnte die Schweiz sein Asylgesuch ab. Die Behörden wollten Conde in die Notunterkunft Urdorf bringen, in den verrufenen unterirdischen Bunker für abgewiesene Asylbewerber.

Nur durch Zufall und Glück konnte Conde in der Stadt Zürich bleiben. Darum bezeichnet er sich heute als «privilegiert». Er habe Deutsch lernen und sich weiterbilden können. «Hätten sie mich in den Bunker geschickt, wäre ich kaputtgegangen», sagt Conde.

«Niemand sollte in einer Notunterkunft leben. Das bringt niemandem etwas. Nicht den Menschen, nicht der Schweiz. Im Bunker werden die Leute nur krank und kosten Geld.» Er selbst könne seit sieben Jahren nicht arbeiten, keine Miete zahlen und keine Steuern. Schon zweimal sei ihm eine Lehrstelle angeboten worden, die er nicht antreten konnte, weil er kein Aufenthaltsrecht hatte.

Jetzt aber vermeldete der «Beobachter» eine gute Nachricht: Conde erhält eine Aufenthaltsbewilligung. Die Behörden haben sein Härtefallgesuch gutgeheissen. Fehlt nur noch jemand, der dem Organisationstalent eine Lehrstelle anbietet – am liebsten als Hochbauzeichner oder Laborant.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Österreich spricht eine Reisewarnung für Tirol aus. Nicht notwendige Reisen in das Bundesland im Westen des Landes sollten unterlassen werden. Reisende in beide Richtungen werden aufgefordert, sich testen zu lassen. Tirol ist einer der europaweiten Hotspots der südafrikanischen Virusmutation. Derzeit sind die Skigebiete vor Ort mehrheitlich offen. Seit Tagen herrscht ein politischer Streit zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Tiroler Landesregierung, die sich bisher gegen Massnahmen wie eine Isolation der Region wehrt.

Der Impfstoff von Astra Zeneca nützt kaum gegen die neue Virusmutation aus Südafrika. Das hat eine Studie gezeigt. Südafrika stoppt vorübergehend die Kampagne mit diesem Impfstoff. Die neue Variante ist im Land mit 90 Prozent aller Ansteckungen die dominierende Variante geworden. In der Schweiz ist die Variante erstmals Ende Dezember festgestellt worden.

Und zum Schluss: Grenzüberschreitungen

Ab heute Montag gelten in der Schweiz aufgrund der Pandemiesituation neue Einreisebestimmungen. Da es nicht immer einfach ist, den Überblick zu behalten, dröseln wir kurz und bündig auf:

Sie reisen aus einem Risikoland oder Risikogebiet ein?

Dann brauchen Sie einen negativen PCR-Test, der nicht älter als 72 Stunden ist. Zudem müssen Sie Ihre Kontaktangaben vor der Einreise elektronisch erfassen und für 10 Tage in Quarantäne gehen. Für Geschäftsreisende oder solche mit medizinischen Gründen sowie für Transitpassagierinnen gelten Ausnahmen. Hier finden Sie die aktuelle Liste der Risikoländer und -gebiete.

Sie reisen mit dem Flugzeug aus einem Nicht-Risikoland oder -gebiet ein?

Dann brauchen Sie einen negativen PCR-Test, der nicht älter als 72 Stunden ist, und müssen Ihre Kontaktangaben vor der Einreise elektronisch erfassen.

Sie reisen mit dem Schiff, dem Zug oder dem Bus/Reisecar aus einem Nicht-Risiko-Grenzgebiet in die Schweiz ein?

Auch dann müssen Sie Ihre Kontaktangaben vor der Einreise elektronisch erfassen.

Wir hoffen, das bringt ein bisschen Klarheit ins Einreise-Wirrwarr. Zumindest für heute.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Carlos Hanimann und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Sie haben die Nase voll vom «Lass uns mal spazieren gehen!»-Vorschlag? Wir auch! Vor allem, wenn das Wetter so ein bisschen unberechenbar bis eklig ist. Republik-Journalistin Bettina Hamilton-Irvine hat im Internet eine kreativere Form des Kaffeeklatschs gefunden. Doch schauen Sie selbst. Wir findens herzig.

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