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Mayday in Switzerland

28.01.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Diese Woche ist WEF – haben Sie was davon mitbekommen?

Man kann vom World Economic Forum halten, was man will. Aber es ist schon ganz nett für die Schweiz, dass sich US-Präsidenten, Nobelpreisträgerinnen und Klimaschutzikonen ausgerechnet in einem Bündner Bergdorf gegenseitig erklären möchten, was für challenges die road ahead jetzt globally ein wenig in the future so alles impacten wird.

Dieses Jahr läuft das WEF pandemiebedingt online – und onlinebedingt, ohne dass es irgendjemanden gross kratzt. Zwar wollen sich die global leaders später im Jahr auch mal noch physisch treffen. Dann aber im virensicheren Singapur statt im Corona-Hotspot Schweiz.

Was macht die Pandemie eigentlich mit dem Ruf der Schweiz im Ausland? Christine Wichert doziert an der Hochschule Luzern und berät Firmen bei der Imagepflege. Hier ist ihre Perspektive auf die Marke Switzerland:

«Die Veranstaltungen und Standorte, die in den letzten Wochen den Ruf der Schweiz in der weiten Welt nicht gestärkt, sondern beschädigt haben, liest sich wie das Who’s who der Swissness-Flagschiffe: das WEF, das Lauberhornrennen, St. Moritz. Ausgelagert, abgesagt, in Quarantäne. Der Grund ist immer derselbe: viel zu hohe Infektionszahlen. Dazu kommt eine der höchsten Sterberaten Europas, ein nicht berauschender Impfstart, ein zögerlicher inkonsequenter Shutdown … Nein, die Schweiz überzeugt nicht in der Jahrhundertpandemie.

Das ist eigentlich überraschend: In zahlreichen Rankings zu Wirtschaftsklima, Lebensqualität und Gesundheit belegt das Land sehr regelmässig und mit Stolz den ersten Platz. Nur wenn es darum geht, die Pandemie zu bewältigen, scheint es plötzlich keine Rolle zu spielen, wie die Schweiz im internationalen Vergleich abschneidet und ob da nicht ein Imageschaden droht.

Nebst allen menschlichen und gesundheitlichen Aspekten: Aus Sicht des Markenmanagements ist diese Leichtfertigkeit erstaunlich. Bislang erfreute sich die Schweiz erwiesenermassen eines starken Images als hoch entwickeltes Sehnsuchtsland. Nun aber publizieren ausländische Medien wie FAZ, ARD oder FT regelmässig Gruselberichte über den «Schweizer Weg», über die föderalistische Selbstherrlichkeit von Minikantonen, über rücksichtslose Alleingänge bei den Skigebieten. Dazu kommen sarkastische Glossen zu offenen Puffs bei geschlossenen Läden und zu auf Hochtouren laufenden Hotelspeisesälen bei geschlossenen Restaurants. Freiheitlichkeit und Freizeitlichkeit scheinen nahe beieinanderzuliegen in der Alpenrepublik.

Im Ausland macht man sich auf diese Weise allerdings keine Freunde, weckt weder Sympathien noch Begehrlichkeit nach Schweizer Produkten und Dienstleistungen. Das ist fatal für eine exportorientierte Nation: Die Marke Schweiz ist ein Wertschöpfungsfaktor. Kommunikationskampagnen werden es jedoch schwer haben, diesen Imageschaden zu korrigieren.

Taten und Statistiken sprechen lauter als schöne Worte.

Aus der Markenforschung wissen wir: Während ein positives Image Zeit zum Entstehen braucht, kann es durch ein einziges Negativereignis jäh zerstört werden. Menschen haben die Neigung, Erfahrungen aus einem Gebiet auf andere zu übertragen. Das Pandemiemanagement könnte deshalb zu einem «Moment der Wahrheit» werden, der nachhaltige Imageschäden auslöst – unter anderem im Tourismus oder bei ausländischen Fachkräften.

Werden Chinesen noch in die Schweiz reisen wollen, wenn sie sich hier nicht sicher fühlen? Werden deutsche Ärztinnen noch an Schweizer Spitälern arbeiten wollen, wenn es die Regierung in Notzeiten geschehen lässt, dass das Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs gerät? Wie attraktiv wird der Standort für Firmen bleiben, wenn die Schweiz im Epidemiefall zum quarantänepflichtigen Risikoland mutiert? Es wäre naiv, zu glauben, dass Alpenkulissen, Schoggi und Uhren diese Imageschäden ganz von selbst wieder auffangen werden.

Was macht eine Marke stark? Wie müsste die Schweiz während der Pandemie handeln, um ihre Nationenmarke nicht zu schwächen, sondern stärker zu machen? Am bedrohlichsten ist immer noch die Ungewissheit. Das heisst: Die Schweiz müsste zeigen, dass sie rational und erkenntnisorientiert handelt. Sie müsste demonstrieren: Wir lernen von den erfolgreichsten, demokratischen Staaten, wir übernehmen bestätigte Erkenntnisse. Wenn wissenschaftliche Studien zeigen, dass Gesundheit und Wirtschaft gleichermassen von frühen Massnahmen profitieren, dann wird entsprechend gehandelt.

Die Schweiz müsste eine langfristige Strategie mit dem ambitionierten Ziel einer europäischen Spitzenposition verfolgen, die ihre traditionellen Stärken affirmiert. Zum Beispiel könnte die Schweiz Vermittlerin sein, um auf neutralem Boden mit europäischen und anderen Partnerstaaten eine koordinierte Zero-Covid-Strategie auszuhandeln. Der Bundesrat müsste mit zentralen Vorgaben Verantwortung übernehmen, damit Orientierung jederzeit gewährleistet ist und die Markenidentität bestätigt wird. Die Schweiz muss kommunizieren: Wir kennen unsere Identität und unsere Kernwerte, die humanitäre Tradition, Sicherheit, Stabilität, Qualität. Zu diesen Werten stehen wir verlässlich, besonders in der Pandemie.

Handkehrum muss auch klar werden, dass die Schweiz weiss, was sie nicht ist. Sie sagt Nein zur Durchseuchung, zur Favorisierung von Partikularinteressen, zur Ausgrenzung von Risikopersonen. Sie schafft Vertrauen durch transparente und glaubwürdige Kommunikation. Wenn der Bundespräsident deklariert, dass die Gesundheit an erster Stelle steht, muss das widerspruchsfrei in Massnahmen erkennbar werden. Für das Schweizer Image extrem hilfreich wäre es zudem, wenn das Land mindestens bei einem Element der Pandemiebekämpfung zum internationalen Vorbild werden könnte, so wie Israel bei der Impfung oder Grossbritannien bei der Sequenzierung von Viren-DNA.

Bei der Eindämmung der ersten Welle überzeugte die Schweiz auch im internationalen Vergleich durch ihre Entschlossenheit und Effizienz. Warum soll das nicht ein zweites Mal funktionieren?

Aus Sicht der Markenführung ist eines klar: Ein positives Image führt langfristig zu grösseren Marktanteilen und zur Durchsetzung höherer Preise. Wir würden alle davon profitieren, wenn die Schweiz diesen Vorteil bewahren und sich dazu entschliessen könnte, das Image ihrer Nationenmarke auch in Krisenzeiten mit Sorgfalt zu pflegen. Dann widersteht auch die Alpenkulisse diesem Albtraum.»

Und damit:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Noch nie hatte sich das Universitäts-Kinderspital Zürich um mehr misshandelte Kinder kümmern müssen als 2020. In fast 400 Fällen bestätigte das Kinderspital eine Misshandlung, wie es mitteilt – die meisten seien Fälle von physischer und teilweise sexualisierter Gewalt. «Expertinnen und Experten vermuten, dass das Coronavirus ausschlaggebend war: Shutdown, Homeoffice und vorübergehende Schulschliessungen sorgten für mehr Stress und vermehrte Konflikte in einigen Familien», heisst es in der Mitteilung.

Weil es zu wenig Daten gibt, empfiehlt die Deutsche Impfkommission den Impfstoff von Astra Zeneca nur für Menschen unter 65. Grundsätzlich sei der Impfstoff wirksam, aber er soll nur bei jüngeren Menschen eingesetzt werden. In den ersten klinischen Studien des Unternehmens hätten zu wenig Teilnehmerinnen über 65 Jahren teilgenommen, um etwas über die Wirksamkeit auszusagen, so die Kommission. Das Unternehmen führt derzeit weitere Studien mit älteren Teilnehmern in Grossbritannien durch, wo der Stoff bereits seit Wochen verimpft wird. Die Schweiz hat 5,3 Millionen Dosen bestellt, und es wäre überraschend, wenn Swissmedic die Datenlage zurzeit anders beurteilen würde.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO erwartet, dass bis Ende Jahr auf dem afrikanischen Kontinent ungefähr ein Drittel der Menschen geimpft sein wird. Die WHO schätzt, das es mindestens 1,5 Milliarden Dosen brauchen wird, um die Pandemie in Afrika effektiv einzudämmen. Im Moment horten die reichsten Industriestaaten einen Grossteil der Impfungen für sich.

Die Experten der WHO dürfen in China endlich mit der Arbeit beginnen. Wo kommt Sars-CoV-2 genau her? Diese Frage ist bis heute nicht abschliessend geklärt – und China hatte sich lange gegen unabhängige Untersuchungen gestemmt. Ab heute kann ein internationales Team in Wuhan ermitteln, geplant sind Interviews, Spital- und Ortsbesuche.

Und zum Schluss: Ein Blick nach Ibirien

Sie erinnern sich vielleicht, ganz zu Anfang der zweiten Newsletter-Staffel hatten wir einen Blick auf unsere Nachbarländer geworfen – und Ihnen dazu die passenden Flüche empfohlen, die Sie bei Bedarf in Landessprache gen Himmel schicken können. Heute schauen wir kurz nach Spanien und Portugal.

Spanien war in der ersten Welle eines der am schwersten getroffenen europäischen Länder. Leider sieht es nun auch im neuen Jahr danach aus, als würde Covid-19 im Land noch mal aufflammen. Anfang Januar überholte Spanien die Schweiz im 7-Tage-Schnitt der gemeldeten Neuinfektionen pro 100’000 Einwohnerinnen. Und auch die Zahl der Spitaleinweisungen wächst wieder rasant. Bisher stemmt sich die Zentralregierung in Madrid gegen harte national einheitliche Massnahmen. Es gilt ein Flickenteppich an Regeln, ähnlich wie in der Schweiz im Herbst.

  • In Spanien gibt man viel auf die Familie. Also ist es dort naheliegend, den zu verfluchenden Kontrahenten auf die vermeintliche Beschäftigung von dessen Mutter als Erbringerin luststeigernder Dienstleistungen hinzuweisen. Da Sars-CoV-2 aber technisch gesehen keine Eltern hat, empfehlen wir Ihnen, dem Proteinhäufchen stattdessen ein beherztes «vete a la mierda» entgegenzuschleudern.

Portugal gilt dagegen als Vorbild bei der Bewältigung der ersten Welle. Aber Anfang Januar sind die Infektionszahlen enorm gestiegen. Jetzt liegt der 7-Tage-Schnitt pro 100’000 Einwohner etwa sechsmal höher als jener der Schweiz. Das Gesundheitssystem ist teilweise zusammengebrochen. Man müsse inzwischen Patientinnen triagieren, sagte unlängst Miguel Guimarães, Chef der Ärztekammer. Seit zwei Wochen ist Portugal im Lockdown, auch die Schulen sind zu.

  • Manchmal liegt die Kürze in der Würze. Also empfehlen wir das schlichte «Cu». Ausserdem haben unsere Recherchen ergeben, dass Sie sich für exotischere Flüche am besten an einen Bewohner der Stadt Porto wenden sollen. Sie gelten allgemein als die besten und originellsten Flucherinnen des Landes.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs und Christine Wichert

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Endlich Brauchbares zur bemaskierten Bartlänge! Das Statens Serum Institut – das Zentrum des dänischen Gesundheitsdienstes für Infektionskrankheiten – hat ein für alle Male geklärt, bei wie viel Gesichtsbehaarung ein Mann in pandemischen Zeiten besser ins Stutzen kommen sollte. Hier finden Sie das Ganze grafisch dargestellt.

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