Briefing aus Bern

Kinder sollen weiter zur Schule, Bundesrat will Postfinance privatisieren und Rekruten dienen im Homeoffice

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (131).

Von Philipp Albrecht, Reto Aschwanden, Dennis Bühler, Cinzia Venafro, 21.01.2021

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Kurz vor den Wahlen 2019 publizierte die Republik eine fiktive Geschichte: «Stell dir vor, du wirst in den Nationalrat gewählt», lautete der Titel. Gefolgt von der Frage: «Für wen setzt du dich ein und was ist es dir wert?»

Der Beitrag schilderte, was einer 31-jährigen Aargauerin widerfahren könnte, die für die Grün­liberalen in den Nationalrat gewählt wird und dort in der Kommission für Umwelt, Raum­planung und Energie (Urek) Einsitz nimmt. Es war eine Geschichte über Lobbying, gut bezahlte Nebenämter und eine mediale Skandalisierung, die sich zum waschechten Shitstorm auswächst.

Ähnlich, wie wir es uns damals ausmalten, ergeht es zurzeit Jakob Stark.

Zwar unterscheiden sich die Vorzeichen: Stark ist Ständerat statt Nationalrat, kommt aus dem Thurgau statt dem Aargau und politisiert in der SVP statt in der GLP. Und er ist doppelt so alt wie unsere fiktive Politikerin von damals und alles andere als ein Quereinsteiger: Während seiner 14 Jahre im Thurgauer Regierungsrat stand er drei verschiedenen Departementen vor.

Doch so wie unsere erfundene Politikerin ist auch Jakob Stark in die Urek berufen worden. Und wie sie hat auch er sich nach seiner Wahl ins nationale Parlament auf die Suche nach einem lukrativen Mandat gemacht – und fand eines: Stark wurde in den Verwaltungsrat des Stromkonzerns Axpo gewählt.

Das Mandat bringt ihm pro Jahr zwischen 84’000 und 100’000 Franken ein – oder gar 125’000 Franken, falls er das Vizepräsidium übernimmt, das bis anhin Roland Eberle innehatte, sein Vorgänger im Ständerat. Geld, das Stark zusätzlich zu seinem Lohn als Parlamentarier erhalten wird – gemäss einer Studie der Universität Genf beträgt das mittlere Gesamt­einkommen für Stände­rätinnen vor Steuern rund 92’200 Franken.

Zwar gehören dem Kanton Thurgau 12,25 Prozent der Axpo. Anrecht, einen Politiker in den Verwaltungs­rat zu entsenden, hat der Kanton aber nicht. Kurzum: Die Axpo hat Stark nicht ausgewählt, weil er ein langjähriger Regierungs­rat ist oder als ausgewiesener Stromexperte gelten würde. Sondern weil sie sich von ihm Einfluss in Bern verspricht. Ein Axpo-Sprecher bestätigte dies: Stark decke «das Kompetenzprofil nationale Politik» ab.

Die Wahl irritiert. Nicht primär, weil Stark «die Klimaziele und die Energie­politik des Bundes und der Axpo-Kantone nur widerwillig akzeptiert», wie die Thurgauer Kantonal­parteien der SP, der Grünen und der GLP in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben. Sondern vor allem, weil Jakob Stark 2019 während des Wahlkampfs versprochen hatte, bei der Annahme von Mandaten «sehr zurückhaltend» zu agieren. «Die Unabhängigkeit geht über alles», sagte er in einem Interview. «Wenn jemand ein Mandat annimmt, muss er klarmachen, dass er als Parlamentarier unabhängig ist. Wenn das nicht garantiert ist, würde ich ein Mandat nicht annehmen.»

Der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts» schrieb diese Woche in einem Leitartikel: «Gewählt haben ihn die Thurgauerinnen und Thurgauer vor gut einem Jahr als amtierenden Regierungsrat, der versprach, in Bern die Interessen des Thurgaus zu vertreten. Das ändert sich nun abrupt.» Staatspolitisch störend bleibe zudem die Tatsache, dass Stark gleichzeitig in der Urek sitze, die über die Schweizer Energie­politik bestimme, und im Verwaltungsrat eines Unternehmens, das von dieser Energie­politik direkt betroffen ist. «Da werden Hüte vermischt, die auseinander gehören.»

Und damit zum Briefing aus Bern.

Appell der Erziehungsdirektoren: Lasst die Schulen offen!

Worum es geht: Während in Deutschland die Schulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen sind, will die Schweiz Schliessungen mit aller Kraft verhindern. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungs­direktoren rät «in der aktuellen Situation von einem Verbot des Präsenz­unterrichts ab», wie der Bundesrat mitteilt – sowohl für die Primarschule und die Sekundar­stufe I als auch für die Sekundarstufe II.

Warum Sie das wissen müssen: Ein Verbot des Präsenz­unterrichts hätte laut den Erziehungs­direktoren weitreichende negative Folgen auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sowie auf deren Bildungs­verläufe. Auch für die wissenschaftliche Taskforce überwiegen die Vorteile einer Umstellung auf Fernunterricht deren Nachteile erst bei einer gefährlichen oder sehr gefährlichen epidemiologischen Situation und nur auf Sekundar­stufe I und II. Die Taskforce hat untersucht, welche Rolle Kinder und Jugendliche in der Epidemie spielen und was die Reduktion von Kontakten bis hin zu einem Verbot von Präsenz­unterricht in den Schulen aus epidemiologischer und jugend­psychologischer Sicht bedeuten würde. Es sei ein Abwägen – und zumindest bis jetzt hätten mit den bisher ergriffenen Massnahmen an den Schulen grössere Ausbrüche verhindert werden können. Falls sich die neuen Virus­varianten aber stark ausbreiten würden, «könnten weitere Massnahmen in Schulen nötig werden», so der Bundesrat.

Wie es weitergeht: Die Zahl der Neuan­steckungen, Hospitalisa­tionen und Todesfälle ist in den letzten Tagen gesunken. «Wegen der Ausbreitung der neuen, deutlich ansteckenderen Virus­varianten bleibt die epidemiologische Lage aber angespannt. Die Anzahl Ansteckungen mit den neuen Varianten verdoppelt sich weiterhin jede Woche», so der Bundesrat. Die Folgen der Kurzarbeit will der Bundesrat besser abfedern. Unter anderem wird der Anspruch auf Kurzarbeits­entschädigung auf Personen in befristeten Arbeits­verhältnissen und Lernende ausgeweitet. Die gute Nachricht: Die Schweiz hat bisher rund 500’000 Impf­dosen erhalten. Das Bundesamt für Gesundheit sei daran, zusätzliche Impfdosen zu kaufen und Verträge mit weiteren Impfstoff­produzenten abzuschliessen.

Bundesrat will die Postfinance privatisieren

Worum es geht: Die Postfinance soll vom Post-Konzern abgespaltet und mehrheitlich für private Investoren geöffnet werden. Das ist der Plan des Bundesrates, der am Mittwoch beschlossen hat, die Kontrollmehrheit abzugeben.

Warum Sie das wissen müssen: Weil die Zinsen im Keller sind und die Postfinance weder Hypotheken noch Kredite vergeben darf, hat sie zunehmend Mühe, Geld zu verdienen. Nun will der Bundesrat das staatliche Finanzinstitut, das als systemrelevant (too big to fail) gilt, retten. Die Postfinance soll eine vollwertige Bank werden. Die Entscheidung, das Postgesetz anzupassen, wurde bereits 2020 getroffen. Nun soll die Privatisierung folgen. Dies wünscht sich ein gewichtiger Anteil der Kantone, Verbände und Parteien, die letzten Sommer an der Vernehmlassung teilgenommen hatten. Sie wollen verhindern, dass eine staatlich kontrollierte Bank den Finanz­häusern und Kantonal­banken im Kredit- und Hypotheken­markt zusätzlich Konkurrenz macht. Es wird befürchtet, dass die Postfinance in Staatsbesitz dann Wettbewerbs­vorteile hätte, die der Konkurrenz verwehrt blieben. Der Bundesrat nimmt die Einwände nun auf und empfiehlt dem Parlament, das Postgesetz entsprechend anzupassen.

Wie es weitergeht: Zuerst ist das Parlament am Zug. Einiges deutet aber darauf hin, dass am Ende das Volk über die Privatisierung entscheiden wird. Denn es gibt Opposition von zwei Seiten: Der Gewerkschaftsbund fürchtet um den Service public, während sich der Gewerbeverband gegen einen neuen (staatlichen) Akteur auf dem Kredit- und Hypothekenmarkt wehrt.

Schutz vor Gewalt in Asylzentren soll verbessert werden

Worum es geht: Die nationale Kommission zur Verhütung von Folter ortet Handlungs­bedarf in Schweizer Asylzentren. Deren Bewohnerinnen und Bewohner müssten besser vor Gewalt geschützt werden, schreibt sie in einem Bericht zuhanden des Staatssekretariats für Migration, nachdem sie in den vergangenen zwei Jahren acht Asylzentren inspiziert hat.

Warum Sie das wissen müssen: Gemäss der Kommission ist das Sicherheits­personal teilweise ungenügend ausgebildet. Asylsuchende würden körperlich fixiert, in «Besinnungs­räume» gebracht oder mit Pfeffer­spray ruhig­gestellt. Das Fazit der Kommission: Leider gehören Konflikte zum Alltag in einem Bundes­asyl­zentrum und eskalieren nicht selten und es kommt zu Gewalt. Fortschritte verlangt die Kommission auch bei der Erkennung besonders bedürftiger Asylsuchender, wozu sie unter anderem Opfer von Menschen­handel sowie von sexueller, psychischer und physischer Gewalt zählt. Das Personal der Asylzentren sei in dieser Hinsicht mehrheitlich unzureichend sensibilisiert. Schliesslich sollen Frauen in Asylzentren besser vor geschlechts­spezifischer Gewalt geschützt werden (diesbezüglich waren vor etwas mehr als einem Jahr bereits die kantonalen Asylzentren kritisiert worden). Lobend erwähnt wird, dass für Kinder und Jugendliche in Asylheimen ein Grundschul­unterricht eingeführt wurde.

Wie es weitergeht: Das Staats­sekretariat für Migration verspricht Besserung. Unter anderem sei man daran, einen Leitfaden zum Umgang mit Personen mit besonderen Bedürfnissen zu erarbeiten, schreibt Staatssekretär Mario Gattiker in einer Stellungnahme. Ab dem Frühjahr soll er in den Bundes­asylzentren eingesetzt werden.

Korruption: Venezolanische Milliarden auf Schweizer Konten

Worum es geht: Umgerechnet 9 Milliarden Franken fragwürdiger Herkunft flossen aus Venezuela in die Schweiz. Dies haben Zürcher Strafverfolger seit Herbst 2019 ermittelt. Innerhalb nur eines Jahres habe man Geldflüsse auf mehrere Hundert Konten bei 30 Schweizer Banken festgestellt, sagt die Staatsanwaltschaft im «Tages-Anzeiger». Somit hat jede achte Schweizer Bank fragwürdige Gelder aus Venezuela angenommen.

Warum Sie das wissen müssen: Im mittel­amerikanischen Land Vene­zuela leben 9 von 10 Menschen in Armut. Ein Grund dafür: die grassierende Korruption. Eine kleine Elite unter den sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez und Nicolás Maduro hat sich schamlos am Ölreichtum des Landes bedient. Auf Staats­kosten leisteten sie sich ein Leben im Luxus. Das Geld wurde verprasst für Villen und Jachten. Korrupte Beamte wurden offenbar direkt mit Geld von einem Schweizer Bankkonto bestochen.

Wie es weitergeht: Die Staats­anwaltschaft Zürich hat mindestens fünf Verfahren wegen Geldwäscherei eröffnet und bei etlichen Banken Konto­unterlagen beschlagnahmt. Nun müssen die Ermittlerinnen beweisen, dass diese Gelder tatsächlich aus Verbrechen stammen – selbst wenn sie längst nicht mehr auf Schweizer Konten sind. Die Schweizer Strafverfolger kooperieren dazu mit ausländischen Kolleginnen. Zuvorderst treibt die USA Verfahren gegen die korrupte Elite Venezuelas voran. Bisher hatte die Venezuela-Affäre keine strafrechtlichen Konsequenzen für Banker. Derzeit laufen neben den eröffneten Geldwäsche­verfahren bei der Staats­anwaltschaft Zürich aber Vorab­klärungen gegen den ehemaligen Chef der Bank Julius Bär. Daneben beschäftigt auch der Libanon die Straf­behörden: Die Bundes­anwaltschaft hat ein Straf­verfahren eröffnet, weil im grossen Stil Gelder der libanesischen Zentralbank in der Schweiz versteckt worden seien.

Bericht rehabilitiert Schweizer Chef des Palästinenserhilfswerks

Worum es geht: Eine Untersuchung der Uno entlastet den früheren Leiter des Palästinenser­hilfswerks UNRWA, Pierre Krähenbühl, von Vorwürfen der Misswirtschaft und Korruption. Allerdings blieb der Bericht unter Verschluss, bis er dem Westschweizer Fernsehen RTS zugespielt wurde. Von den Vorwürfen blieb wenig übrig. Dafür verfestigt sich der Eindruck, dass Krähenbühl vom Schweizer Aussen­departement EDA geopfert wurde, um die UNRWA-Gegner in den USA und in Israel zu besänftigen.

Warum Sie das wissen müssen: Pierre Krähenbühl war als Leiter des Palästinenser­hilfswerks der höchstrangige Schweizer bei der Uno. Und exponiert: Dem UNRWA wird etwa vorgeworfen, es lasse die israel­feindliche Indoktrination palästinen­sischer Kinder zu. Die USA kürzten Anfang 2018 ihre Beiträge massiv. Auch das EDA unter Ignazio Cassis ging auf Distanz. So fragte der Aussen­minister öffentlich: «Ist das UNRWA Teil der Lösung oder Teil des Problems?» Die Aussage wurde von Israel, dem das Hilfswerk ein Dorn im Auge ist, dankbar aufgenommen. Ein Jahr darauf war in einem Bericht der UNRWA-Ethik­kommission von mangelhaftem Management und Vetternwirtschaft die Rede. Krähenbühl persönlich wurde vorgeworfen, er habe eine Affäre mit seiner Assistentin. Der Bundesrat fror seine Beiträge ans Hilfswerk ein und desavouierte damit auch Krähenbühl. Im November 2019 trat dieser zurück, bestritt aber die Vorwürfe.

Wie es weitergeht: Krähenbühl arbeitet heute für Universitäten im Bereich der Konflikt­prävention. Schweizer Diplomaten sehen die Affäre als Ausdruck der Aussenpolitik unter Cassis. Er habe sich auf die Seite der Trump-Regierung geschlagen, was katastrophale Folgen habe für den Ruf der Schweiz als neutrales Land, das die humanitäre Tradition hochhalte. Das EDA unternimmt nichts zur Rehabili­tierung von Krähenbühl, es handle sich um eine interne Angelegenheit der Uno.

Militäreinsatz der Woche

Eigentlich war Neu-Rekrut Robin Kabul aus Steinen (SZ) eingerückt, um das Land zu verteidigen. Doch dann durfte er sich in Jogginghosen und Hausschuhen durch die IT-Schützengräben der helvetischen Militärausbildung klicken. Stillgestanden wird hier höchstens auf dem Bildschirm: Denn pandemie­bedingt musste die Armee den neuen Rekrutenlehrgang per Homeoffice starten lassen. 5000 Rekruten rückten digital ein. Oder sie versuchten es zumindest: Tausende Rekruten konnten sich am ersten Tag nicht richtig einloggen. Als es dann endlich geklappt hatte, kam der Befehl vom Oberst für Rekrut Kabul aus dem Computer: «Wir fordern, dass die Sache erledigt wird.» Gemeint ist das Distance Learning. Unter anderem muss Rekrut Kabul 168 Seiten «Integrale Sicherheit» studieren. Er ist enttäuscht: Dafür hat er seine Armee­stiefel in der Freizeit eingelaufen und sich mit Liege­stützen auf die RS vorbereitet? Immerhin darf er am 8. Februar dann doch noch physisch einrücken und eine Prüfung absolvieren. Bis dahin gilt: Stillgesessen, hochgefahren, angeklickt und hoffentlich auch eingeloggt.

Illustration: Till Lauer

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