Briefing aus Bern

Neuer Lockdown, Anti-Terror-Gesetz kommt an die Urne und die Geschichte der Schweizer Frauen lebt weiter

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (130).

Von Philipp Albrecht, Reto Aschwanden und Cinzia Venafro, 14.01.2021

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Fertig Lädele und Käfele im Büro – der Bundesrat hat sich in seiner ersten Sitzung von Angesicht zu Angesicht im neuen Jahr für einen zweiten Lockdown entschieden.

Weil es im Mediencenter des Bundeshauses anschliessend eng wurde, traten Bundes­präsident Guy Parmelin, Finanz­minister Ueli Maurer und Gesundheits­minister Alain Berset mit Maske und durch Plexiglas voneinander getrennt vor die Medien. So symbolisch dieser Auftritt, so dramatisch die Lage: «C’est le moment crucial de cette pandémie», sagte Guy Parmelin – der entscheidende Moment dieser Pandemie.

Selbstverständlich ist es nicht, dass der Gesundheits­minister im bürgerlich dominierten Gremium eine Mehrheit für den Laden-Lockdown und die Homeoffice-Pflicht gefunden hat. Doch die neuen Virus­mutationen aus Grossbritannien und Südafrika machen Bundesräten aus allen Parteien Sorgen: «In mehreren Ländern, wo die neuen Varianten breit zirkulieren, sind die Fallzahlen in den letzten Wochen sprunghaft angestiegen. Der Bundesrat hat keine Hinweise darauf, dass die Entwicklung in der Schweiz anders verlaufen wird.» Laut Berset steht die Schweiz aktuell am gleichen Punkt wie Grossbritannien Anfang Dezember: «Wir müssen reagieren, bevor die Fallzahlen explodieren.»

Die Frage ist für den Bundesrat nicht, ob man die Massnahmen verschärfe, sondern wann. Und die Schweiz müsse jetzt hart sein. «Die Entscheidung mag paradox erscheinen», sagte Parmelin, da die Zahlen im Moment ganz leicht sänken. Doch diese Zahlen täuschten. Die Mutationen seien «ein game changer», so Parmelin, und machten radikalere Massnahmen nun nötig.

Darum werden die vor Weihnachten getroffenen Massnahmen um fünf Wochen verlängert. Restaurants, Kultur­betriebe, Sportanlagen und Freizeit­einrichtungen bleiben bis Ende Februar geschlossen.

Ab kommendem Montag, 18. Januar, gilt zudem:

  • Alle Läden und Märkte des nicht täglichen Bedarfs müssen ihre Türen schliessen. Die Warenhäuser werden also am Samstag vorläufig zum letzten Mal zum Shopping öffnen dürfen. Etwas Balsam für Romantiker: Auch Blumenläden gehören laut Bundesrat zum «täglichen Bedarf».

  • Tankstellenshops, Lebensmittel­läden und Kioske dürfen wieder länger als bis 19 Uhr offen bleiben – und auch sonntags Kundinnen bedienen.

  • Homeoffice wird Pflicht: Die Arbeitgeber müssen Homeoffice anordnen, soweit dies «mit verhältnis­mässigem Aufwand» möglich ist. Wer weiter im Büro arbeitet, muss ständig Maske tragen, sofern andere Leute zugegen sind. Und zwar auch, wenn die Mindest­abstände eingehalten werden können.

  • Privat dürfen sich nur noch 5 Personen treffen – Kinder inklusive.

«Wir müssen füreinander leben, nicht gegeneinander», sagt Bundespräsident Parmelin. «Wir müssen uns alle noch einmal bemühen und disziplinieren. Wir schaffen das nur gemeinsam.»

Sicher ist: Ohne Wirtschaftshilfe werden viele Unternehmen den neuerlichen Lockdown nicht überleben. Und so gilt neu als Härtefall, wer seit dem 1. November für mindestens 40 Tage auf behördliche Anordnung hin schliessen musste. Zudem wird die Obergrenze für A-fonds-perdu-Beiträge auf 20 Prozent des Umsatzes oder auf bis zu 750’000 Franken pro Unternehmen erhöht.

Von Notrecht wie im Frühjahr will der Bundesrat übrigens jetzt nichts wissen: Mit dem Covid-19-Gesetz habe man nun eine Grundlage – und dieses könne das Parlament im Frühjahr wieder anpassen. Die Schulen bleiben «Sache der Kantone» – und diese müssen nun selbst überlegen, wie sie die Schulen trotz Pandemie offen behalten wollen.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Anti-Terror-Gesetz: Das Referendum kommt dank Schluss­spurt zustande

Worum es geht: Das neue Anti-Terror-Gesetz gelangt an die Urne. Kurz vor Ablauf der Sammel­frist heute Donnerstag sind über 100’000 Unterschriften zusammen­gekommen – weit mehr als doppelt so viele wie nötig.

Warum Sie das wissen müssen: Das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, kurz PMT, gibt den Behörden weitreichende Möglichkeiten, gegen sogenannte Gefährder vorzugehen. So können Leute auf Verdacht hin unter Hausarrest gestellt und bereits 12-Jährige mit Meldepflicht, Rayon- und Ausreise­verboten belegt werden. Rechts­expertinnen protestierten gegen die drohende Verletzung von Grundrechten und die Abschaffung der Unschuldsvermutung. Die Gegner hatten – wohl auch coronabedingt – grosse Anlauf­schwierigkeiten, die nötigen 50’000 Unterschriften zu sammeln. Noch Mitte Dezember stand das Referendum vor dem Scheitern. Jetzt kann allein das offizielle Nein-Komitee, das sich unter dem Titel «Nein zum Willkürparagraph» mehr­heitlich aus dem links-grünen Lager rekrutiert, über 90’000 Unterschriften einreichen. Der corona­skeptische Verein «Freunde der Verfassung» trägt zusätzlich weitere 50’000 Unterschriften bei.

Wie es weitergeht: Wegen der Pandemie übernimmt die Bundeskanzlei die Beglaubigung der Unterschriften. Erst danach wird offiziell feststehen, ob das Referendum zustande gekommen ist. Im Abstimmungs­kampf werden sich ganz unterschiedliche Gruppierungen gegen das PMT engagieren. So sind neben der Piraten­partei, den Jungen Grünen und den Jungen Grünliberalen sowie den Juso auch manche Kantonalsektionen der Jungfreisinnigen und Libertäre gegen das Gesetz. Zudem dürften sich auch die «Freunde der Verfassung» zu Wort melden – und zwar kaum zum letzten Mal, denn der Verein hat sich in kürzester Zeit zur referendums­fähigen Kraft und damit zu einem ernst zu nehmenden politischen Player entwickelt.

Neuer Bericht rückt Gewalt von links in den Fokus

Worum es geht: Der Bundesrat hat am 13. Januar den Bericht «Griffige Instrumentarien gegen Gewaltextremismus» gutgeheissen und damit ein Postulat der Mitte-Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler beantwortet. Gewalt­extremismus stellt laut diesem Bericht zunehmend eine Bedrohung dar, darum will die Landes­regierung im Rahmen der laufenden Revision des Nachrichten­dienst­gesetzes (NDG) weitere Massnahmen prüfen.

Warum Sie das wissen müssen: Gewalt­extremismus und Terrorismus sind in der Betrachtung der Schweizer Behörden nicht identisch. Extremismus wird näher bei politisch-ideologischen Gruppen angesiedelt, weshalb den Behörden derzeit weniger scharfe Instrumente zur Verfügung stehen als im Kampf gegen Terroristen. Das könnte sich mit der Revision des Nachrichtendienstgesetzes ändern, denn der Bundesrat verweist im Bericht nicht nur auf bestehende, sondern auch auf geplante Massnahmen. Zwar sei man grundsätzlich gut gewappnet, doch heisst es im Bericht auch: «Das Gewalt­potenzial des gewalt­tätigen Links­extremismus hat in den letzten Jahren zugenommen.» Verantwortlich dafür seien vorwiegend «Exponenten der anarchistischen Szene». Gewalt von rechts hat sich laut dem Bericht «auf einem tiefen Niveau» eingependelt. Das grösste Risiko aus diesem Bereich sieht der Bundesrat in Einzel­tätern mit rechts­extremer Ideologie.

Wie es weitergeht: Der Bundesrat will eine Ausweitung der Post- und der Fernmeldeverkehrs­überwachung sowie das Hacken von Computern prüfen. Dazu soll bis Ende Jahr ein Vernehmlassungs­entwurf für die Revision des Nachrichten­dienst­gesetzes vorliegen. Zudem verweist der Bericht darauf, dass beim Inkraft­treten des PMT (siehe oben) neue Mittel zur Verfügung stünden für Fälle, in denen sich gewalttätig-extremistische Aktivitäten zu terroristischen Gefährdungen entwickelten.

CO2-Gesetz: Das Volk wird das letzte Wort haben

Worum es geht: Den einen geht es viel zu weit, da es bloss viel koste, statt wirklich einen Impact gegen die Klima­erwärmung zu haben. Für die anderen ist es ein Wischiwaschi-Gesetz und Pflästerli­politik gegen die drohende Klima­katastrophe. Nun haben verschiedene Verbände mineralöl­naher Branchen unterstützt von der SVP 110’000 Unterschriften für das Referendum gegen das CO2-Gesetz eingereicht.

Warum Sie das wissen müssen: Das Parlament hatte das CO2-Gesetz nach fast vierjähriger Beratung letztes Jahr verabschiedet – und nun kämpft einzig die SVP als Partei dagegen. Mit Massnahmen wie einer Flugticket­abgabe, Gebäude­sanierungen und Abgaben auf Benzin und Heizöl will die Schweiz ihre Treibhausgase bis 2030 halbieren. Der Klimastreik-Bewegung gehen die Massnahmen viel zu wenig weit: Die Westschweizer Sektion hat ebenfalls 7000 Referendums­unterschriften bei der Bundes­kanzlei eingereicht.

Wie es weitergeht: Die Bundes­kanzlei prüft die eingereichten Unterschriften. Voraussichtlich Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahres wird das Stimmvolk das letzte Wort haben.

Nationalbank: Gewinne sollen Wirtschaft stützen

Darum geht es: Die Schweizerische Nationalbank hat letztes Jahr mit ihren Investitionen einen Gewinn von 21 Milliarden Franken erwirtschaftet. Bund und Kantone erhalten davon 4 Milliarden. Mit dem Rest will die SNB die Preisstabilität noch stärker sichern und die Reserven aufbauen. Nun läuft eine Diskussion darüber, ob die SNB für die Stützung der Wirtschaft einen höheren Teil des Gewinns verteilen soll.

Warum das wichtig ist: Wegen der Pandemie bauen viele Unternehmen Stellen ab. Das führt zu steigenden Arbeitslosen­zahlen und einem Rückgang des Konsums. Vertreterinnen aus Politik und Wirtschaft erwarten darum, dass der Staat die Unternehmen während dieser schwierigen Zeit stützt. Das Geld dafür könnte von der SNB kommen, die in Absprache mit dem Bund die Gewinn­ausschüttung auf 8 Milliarden Franken verdoppeln könnte. Doch SNB-Präsident Thomas Jordan gilt als konservativer Noten­banker, der sich vorzugsweise darauf konzentriert, die Währung stabil zu halten und sowohl Inflation als auch Deflation zu verhindern. Jordans Vorgehen wird durch zwei Aspekte gestützt. Erstens wurde die Gewinn­ausschüttung im Februar 2020 in Absprache mit dem Eidgenössischen Finanz­departement von 2 auf maximal 4 Milliarden Franken erhöht. Zweitens ist der Gewinn der SNB wegen Corona und des Absturzes der Aktienmärkte von 49 auf 21 Milliarden Franken eingebrochen.

Wie es weitergeht: Dieses Jahr verhandeln das Finanz­departement und die Nationalbank die Gewinn­ausschüttungen für die Jahre 2021 bis 2025. Ob sie erhöht werden, um die krisengeplagte Wirtschaft anzukurbeln, ist offen.

Selbstständige: Tausende könnten in Sozial­hilfe abrutschen

Worum es geht: Die Pandemie könnte Tausende Selbstständig­erwerbende in Not bringen. Vor Corona waren sie eher selten auf Sozialhilfe angewiesen. Doch nun seien Taxifahrer, selbstständige Kursleiterinnen in der Weiter­bildungs- und Eventbranche, Künstler oder im Sexgewerbe tätige Frauen akut gefährdet, schreibt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos). Sie rechnet damit, dass bis 2022 rund 14’000 Selbstständige auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Zum Vergleich: Vor Corona waren unter den 180’000 erwachsenen Sozialhilfe­bezügern gerade 2000 Selbstständig­erwerbende.

Warum Sie das wissen müssen: Die Skos rechnet bis 2022 mit insgesamt 58’000 zusätzlichen Sozialhilfebezügern – das sind plus 21 Prozent gegenüber 2019. Dieser Anstieg werde die Gemeinden zusätzlich 820 Millionen Franken kosten, rechnet die Skos vor.

Wie es weitergeht: Skos-Präsident Christoph Eymann appelliert an die Politik: Der Corona-Erwerbs­ersatz und andere Hilfsprogramme dürften nicht mitten in der Pandemie auslaufen. Dabei wurde eine wichtige Hilfestellung bereits wieder ausgesetzt: So erhielten Arbeitslose zwischen März und August 2020 zusätzliche 120 Taggelder. Diese Leute könnten nun in der Sozialhilfe landen, weil ihnen ohne ein anderes Auffangnetz die Aussteuerung droht. Zudem müssten die Bedingungen für die Sozialhilfe bei Selbstständigen angepasst werden, sagt Eymann: Nach aktueller gesetzlicher Bestimmung muss ein Selbstständiger zuerst sein Betriebs­vermögen veräussern, also ein Taxifahrer sein Auto. Ohne Wagen ist er aber zur Arbeitslosigkeit verdammt – selbst wenn die Wirtschaft sich nach der Pandemie erholt und er wieder Kunden hätte.

Gedächtnis der Schweizer Frauen­geschichte lebt weiter

Worum es geht: «Gebt den Schweizer Frauen ihre Geschichte», forderte Marthe Gosteli zeitlebens. 1982 gründete die Frauen­rechtlerin in ihrem Elternhaus vor den Toren Berns das Gosteli-Archiv und sammelte alles historisch Wertvolle zum Kampf der Schweizer Frauen für das Stimmrecht. Nach ihrem Tod im 100. Lebensjahr 2017 war die Zukunft des Archivs gefährdet, der Nationalrat forderte in einer Motion vom Bund 4 Millionen für die Erhaltung. Nun ist klar: Das Archiv ist gerettet und gilt als Forschungs­einrichtung von nationaler Bedeutung. Der Bund wird in den nächsten vier Jahren 2,2 Millionen Franken an die Gosteli-Stiftung bezahlen. Und auch der Kanton Bern hat Geld in Aussicht gestellt.

Warum Sie das wissen müssen: Das Gosteli-Archiv gilt als Gedächtnis der Schweizer Frauen­geschichte. Marthe Gosteli kämpfte bereits in den Fünfziger­jahren um die politischen Rechte der Frauen und gehörte von 1967 bis 1972 dem Bund Schweizerischer Frauen­vereine an. Sie verhandelte geschickt mit dem Bundesrat und trug damit dazu bei, dass das Frauen­stimmrecht auf eidgenössischer Ebene schliesslich angenommen wurde.

Wie es weitergeht: Mit dem gesprochenen Geld werden die Bestände gesichert, und das Gosteli-Archiv wird definitiv zum «bedeutenden Gedächtnisort der Schweizer Frauen­geschichte», sagte Silvia Bühler, die bereits vor Gostelis Tod das Archiv betreute. Am 7. Februar ist es 50 Jahre her, dass die Schweizer Frauen auf nationaler Ebene das Stimmrecht erhielten.

Solidaritätsgedanke der Woche

Wenn eine Pandemie Land und Leute beutelt, dann ist das ein günstiger Moment zur volkstümlichen Profilierung. So oder ähnlich dachten wohl die Jungfreisinnigen, als sie am Mittwoch eine Medienmitteilung raushauten, in der es heisst: «Der leidenden Bevölkerung muss jetzt geholfen werden.» Darum appelliert die Jungpartei, deren Slogan «Mehr Freiheit. Weniger Staat» lautet, an die Solidarität. Und zwar an jene von Politikern: «Die Mitglieder des Bundesrates und des Parlaments sollen bis auf weiteres auf 20 Prozent ihres Polit-Einkommens verzichten. Die eingesparten Gelder sollen in die Arbeitslosen­versicherung fliessen, welche durch die Folgen der Pandemie stark belastet wird.» Etwa 5 Millionen Franken würden so zusammenkommen, schätzen die Jungfreisinnigen. Wir finden das ein bisschen wenig. Wenn die Jungpartei wirklich einen anständigen Betrag zur Unterstützung «der leidenden Bevölkerung» auftreiben möchte, dann könnte sie doch berechnen, wie viel eine Corona-Sondersteuer von einem Prozent auf Vermögen von, sagen wir, mehr als einer Milliarde einbringen würde. Dann wären wir auch eher geneigt zu glauben, dass es der Jugend­abteilung des Freisinns ernst ist mit dem Solidaritätsgedanken.

In einer früheren Version haben wir zu den Gegnern des Bundes­gesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus die «Jungliberalen» gezählt. Es geht an dieser Stelle aber um die Jungen Grünliberalen. Wir entschuldigen uns für den Fehler.

Illustration: Till Lauer

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