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Zunge da, Nase weg

12.01.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Es fühlt sich an wie ein Stolperer auf der Zielgeraden. «Ihr Test ist leider positiv», sagt der Herr hinter der Plexiglasscheibe. Deswegen sei er – Michael Rüegg, Republik-Hauskulinariker – doch nicht hierher ins Testzentrum gefahren. Aber nun liegt er mit Covid-19 zu Hause und schreibt Tagebuch – déformation professionnelle, so der Kollege.

«Ich bin hier, um auszuschliessen, dass ich das Virus habe. Um zu bestätigen, dass es nur die übliche Erkältung ist, die mich jeden Winter mindestens zweimal heimsucht. Ich hatte mich bereits in einigen Wochen lächelnd auf dem Stuhl im Impfzentrum gesehen. Und nun dies.

Daheim in meiner neuen Isolation nehme ich mir vor, die kommenden zehn Tage in den Kampf um meinen Geruchs- und Geschmacks­sinn zu investieren. Von rundherum hatte ich Geschichten darüber gehört, wie die beiden Sinne verschwunden seien. Und manchmal auch Wochen später noch keine Spur von ihnen war.

Das geht nicht, fand ich am Tag 1 meiner Isolation. Ich bin Foodkolumnist. Wenn ich nichts mehr rieche und schmecke, kann ich nicht mehr arbeiten. Gut, die neusten vier Ausgaben lagen bereits bei der Redaktion, bis Ende Februar war ich aus dem Schneider. Aber was käme danach?

An Tag 1, einen Tag nach Symptombeginn, bleibe ich guten Mutes. Mein Nachbar kauft für mich ein, ich nehme mir vor, eine grosse Lasagne zu machen. Davon könnte ich tagelang essen, wenns sein muss. Die Zubereitung fühlt sich an wie ein Wettlauf gegen die Zeit, sie muss fertig werden, bevor meine Sinne auf und davon sind – kein Problem, wie sich herausstellte. Noch alles da. Ich recht fröhlich. Lasagne lecker.

Am Tag 2 fühlt sich zunächst alles an wie bei einer üblichen Erkältung. Etwas eingeschränkt, weil Nase verstopft und so. Mehrmals täglich teste ich meine Zunge. Salzkorn drauf, etwas Honig, Zitronensaft. Die Basics sind alle noch da. Dann, am Abend von Tag 2, tritt der Fight um meine Lieblingssinne plötzlich in den Hintergrund: Das Fieber steigt an, erst auf 38 Grad, dann innerhalb einer halben Stunde auf 39, dann 39,5. Die Schmerzen beim Husten werden schier unerträglich.

So viel zu milden Verläufen.

Kurz bevor ich die medizinische Hotline anrufe, kommt eine Whatsapp-Nachricht eines Bekannten rein: ‹Gastro muss wieder öffnen! Mach jetzt mit und teile dieses Bild.› Mir ist grad nicht danach.

Bei der Hotline rät man mir, ein Gramm Paracetamol zu schlucken. Wenn das Fieber nicht innerhalb einer Stunde um rund ein Grad runtergehe, soll ich umgehend wieder anrufen.

Der Plan geht auf. Meine Panik legt sich etwas. Ich ziehe den Schlüssel aus der Haustür, für alle Fälle. Und doch gehe ich mit einem miesen Gefühl zu Bett. Um fünf Uhr morgens erwache ich mit einer Körper­temperatur von etwas über 35 Grad.

Am Tag 3 ist mein Zustand wieder stabil, der Husten etwas milder, ich setze meine Gaumentests fort. Süss, sauer, salzig, alles noch da (für bitter fiel mir keine geeignete Testsubstanz ein). Nicht mehr ganz so präzis, aber da. Dann miaut die Katze und deutet dezent auf den leeren Napf. Ich hole ihr Futter hervor, irgendwas Edles aus bestialisch stinkenden Fischabfällen. Ich setze mich vor die Mieze auf den Boden, öffne die Packung – und da ist nichts. Ich stecke meine Nase tief hinein und atme ein, unter normalen Umständen würde ich mich nun vermutlich übergeben. Doch das Zeug riecht wie frische Alpenluft.

Zunge noch da, Nase weg. Das ist die Bilanz. Ich schnuppere mich durch die Küche. Die Nelken nehme ich noch ganz, ganz knapp wahr, den Thymian auch. Anis ist weg, auf dem Gaumen bleibt die Süsse. Von den ätherischen Ölen nichts. Piment, Knoblauch, Wacholder: tschüss. Vom Curry bleibt eine leise Ahnung. Der Wein riecht nach Wasser, aber der Essig nach Essig. Das Kalbsplätzli fühlt sich beim Zerkauen an wie Fleisch, mehr nicht.

Ich beginne zu begreifen, wie Nase und Gaumen zusammenhängen. Wie die Zunge die Grobarbeit erledigt, die Auslegeordnung macht, und die Nase die Nuancen erkennt und die Lücken im Bild füllt. Und wenn der eine Partner aussteigt, macht der andere seinen Job nicht mehr ordentlich.

Ich gebe nicht auf. Die Nase mag kapituliert haben, der Kampf um meine Zunge geht weiter.

Und wenn ich dies hier als Schlusswort anfügen darf: Auch wenn Covid-19 die meisten von uns nicht in die Not­aufnahme zwingt (und ich hoffe, das bleibt bei mir so) – das Virus kann einem eine Scheissangst einjagen. So einen unberechenbaren Erreger hatte ich noch nie. Wenn es irgendwie geht, bleiben Sie bitte, bitte gesund.»

Wir sagen: Gute Besserung, Kollege Rüegg. (Hier sehen Sie an einem Beispiel, was Rüeggs Geschmack sonst noch so kann – so viel Wehmut darf sein.)

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Der Impfstoff von Moderna ist nun auch für die Schweiz zugelassen. Damit gibt die Arzneimittelbehörde Swissmedic grünes Licht für das zweite Vakzin nach demjenigen von Biontech/Pfizer. Eine erste Lieferung von 200’000 Moderna-Dosen erfolge in den nächsten Tagen an die Armeeapotheke, teilte heute das Bundesamt für Gesundheit mit. Die Armeeapotheke verteile dann den Impfstoff an die Kantone. Damit sollen im Januar insgesamt rund eine halbe Million Impfdosen für rund 250’000 Personen im Januar bereitstehen.

Die Todesursache des Ende Jahr verstorbenen Kleinkindes wurde geklärt. Über die Feiertage starb ein Kleinkind in einem Ostschweizer Kinderspital, das positiv auf das Coronavirus getestet wurde, teilte der Kanton St. Gallen mit. Covid-19 war demnach nicht die Haupttodesursache. Allerdings hatte die Infektion im weiteren Verlauf eine schwerwiegende bakterielle Infektion der Atemwege nach sich gezogen, die zum Tod des Kindes geführt hat.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat seine Quarantäneliste für Einreisende in die Schweiz angepasst. Ab sofort gilt eine Quarantänepflicht für Einreisende aus Irland, ab dem 15. Januar auch für solche aus Dänemark, Niederlande, Panama und Tschechien sowie aus dem deutschen Bundesland Sachsen und der italienischen Region Veneto.

Im Zoo von San Diego (USA) wurden einige Gorillas positiv auf das Virus getestet. Anzeichen waren Hustenanfälle gewesen, schreibt der Zoo in einer Presseaussendung. «Abgesehen von Verstopfung und Husten geht es den Tieren gut», so die Direktorin Lisa Peterson. Die Menschenaffen würden zusammen die Quarantäne bestreiten und Nahrung zu sich nehmen. Vermutlich sei die Übertragung durch ein asymptomatisches (menschliches) Teammitglied geschehen. Es ist die erste bestätigte natürliche Übertragung auf Menschenaffen.

Und zum Schluss: Das liebe Geld

«Wir können uns keinen zweiten Lockdown leisten», sagte Finanzminister Ueli Maurer Mitte September. Da war die zweite Welle der Pandemie zwar noch nicht da, aber wenn man die Augen zusammenkniff, konnte man sie am Horizont erkennen. Man müsse deshalb wahrscheinlich im Gesundheits­bereich Risiken eingehen, fuhr Maurer fort.

Rund zwei Monate später, als die zweite Welle sich voll entfaltet hatte und rund 700 Menschen pro Woche ihr Leben aufgrund des Virus verloren, schrieben 60 Ökonomie-Professorinnen einen offenen Brief. In diesem stellten sie klar: «Es gibt in dieser epidemiologischen Lage keinen Ziel­konflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit.» Sie plädierten für einen raschen zweiten Lockdown, der von finanziellen Massnahmen begleitet werden sollte.

Wo stehen wir jetzt, nochmals zwei Monate später? Die Tontechnikerin weiss nicht, wie sie ihre Firma über Wasser halten soll. Der Finanzchef des Hockey-Clubs Davos, weiss nicht, wie er ohne die Spengler-Cup-Einnahmen auskommt. Und die Restaurantbesitzerin kann keine Gäste bewirten – und die Hoffnung auf einen Mieterlass ist auch dahin.

Demgegenüber stehen 21 Milliarden Franken – so viel Gewinn hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) im Corona-Jahr 2020 gemäss ihren vorläufigen Zahlen erzielt.

Diese Knausrigkeit müsse nicht sein, schreibt Republik-Journalist und Geldpolitikexperte Fabio Canetg. Die Nationalbank ist eine mächtige Institution, weil sie dem Bund und den Kantonen Geld auszahlen kann. Dieses Geld könnte grosszügig Betriebe retten, die pandemiebedingt geschlossen sind. Doch stattdessen bunkert die SNB ihre Gewinne in den Tresoren.

Warum? In seiner Analyse zeigt Kollege Canetg auf, wie die SNB funktioniert und was ihr historisches Verhältnis zur Politik ist. Es ist ein Staatsversagen, wenn der Finanzminister den Bundesrat davon überzeugen kann, dass wir uns Hilfe nicht leisten könnten. Wie könnte die SNB dazu beitragen, diesen Miss­stand zu korrigieren? Ich empfehle Ihnen dieses Lesestück unbedingt.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Fabio Canetg und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Vor einigen Tagen hatten wir Sie auf unsere grosse Serie «Eyes Wide Shut» aufmerksam gemacht, die sich den Verschwörungstheorien widmet. Teil 3 legen wir Ihnen ebenso ans Herz: Republik-Reporter Daniel Ryser und Olivier Würgler besuchen einen Bauern und ehemaligen Grünen-Politiker, der überzeugt ist, dass sich Bill Gates, die Pharma und andere Vertreter der Elite gegen uns verschworen haben. Wieder mal eine Leseempfehlung für die tolle Arbeit der Kollegen!

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