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28.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Kennen Sie den Weihnachtsklassiker «Und täglich grüsst das Murmeltier»? Die Prämisse ist folgende: Ein grantiger Wetteransager, gespielt von Bill Murray, durchlebt immer und immer wieder denselben Tag. Er ist gefangen in einer endlosen Zeitschleife in der Kleinstadt Punxsutawney.

In diesem Pandemiejahr geht es uns manchmal auch ein bisschen so.

Seit Monaten kursiert in den Kreisen, die komplett abstreiten, dass dieses Virus gefährlich ist, ein Argument in immer neuer Verpackung. Auch in der Mailbox zu diesem Newsletter taucht es regelmässig auf. Es geht im Wesentlichen so: Der sogenannte PCR-Test, mit dem das Virus im Menschen nachgewiesen werden kann, funktioniert nicht richtig. Ergo sind die Zahlen falsch, ergo auch die Massnahmen unnötig.

Die Journalistin Mela Eckenfels schreibt nicht nur, aber auch auf Twitter so unterhaltsam wie lehrreich gegen Pseudowissenschaft an. Wir baten sie, uns einen Ausweg aus der pandemischen Murmeltierschlaufe aufzuschreiben:

«Im Januar, als das Sars-Coronavirus 2 für die meisten Teile der Welt noch ein rein chinesisches Problem zu sein schien, arbeitete das Team um den Virologen Christian Drosten an der Charité in Berlin bereits an einem Test, um infizierte Menschen effizient zu erkennen.

Sie legten eine Art Bibliothek mit Sars-Virenmerkmalen an und verfeinerten die Auswahl auf jene, die zuverlässig bei Coronaviren der Sars-Familie zu finden waren, nicht aber bei normalen Erkältungs-Coronaviren oder anderen Virentypen.

Das Ergebnis reagierte auf ein Merkmal des ursprünglichen Sars-Virus, das nach Ende der Sars-Epidemie nicht mehr bei Menschen gefunden wurde, und ein Merkmal eines nur bei Fledermäusen vorkommenden Sars-Coronavirus.

In der Praxis gilt der Test als zuverlässig und empfindlich. Die dazugehörige wissenschaftliche Publikation erhielt weltweite Anerkennung und wurde bis heute über tausend Mal zitiert.

Was das Team bei der Entwicklung definitiv nicht im Sinn hatte, war, zum Ziel von Verschwörungs­mythen und einer Kampagne zu werden, die seine professionelle Integrität infrage stellt.

In Zweifel gezogen wird dabei nicht weniger als die Existenz der Pandemie selbst. Die Pandemie gebe es nur, weil der Test existiere, so eine gängige Argumentationslinie.

Überhaupt habe der Erfinder des Verfahrens ‹kurz vor seinem Tod› die PCR-Methode als ungeeignet zur Diagnostik erklärt. Damit tut man dem – nach eigenen Angaben von Aliens entführten – Nobelpreisträger, Klimawandel- und Aids-Leugner Kary Mullis unrecht. In dem im Netz herumgereichten Ausschnitt (der übrigens sichtlich lange vor seinem Tod aufgezeichnet wurde) wendet er sich gegen die vom Fragesteller implizierte Missbrauchbarkeit des PCR-Tests, bleibt aber vage genug, um Spielraum für Spekulationen – und seine Ansichten über das HI-Virus – zu lassen.

Im Oktober griff Dr. Sucharit Bhakdi (auch schon mal Thema in diesem Newsletter) die Behauptung im Mitteldeutschen Rundfunk auf.

Als weitere Variante des gleichen Grundthemas geistert die Erzählung durchs Netz, ‹auf dem Beipackzettel› der PCR-Tests stünde, dass diese nicht zur Diagnostik zugelassen seien.

Der November lieferte den vorläufigen Höhepunkt: Ein ‹internationales Konsortium› unter der Leitung eines niederländischen Kreationisten will schwere Fehler in der Publikation gefunden haben.

Auffällig dabei ist, dass sie auf das übliche Drehbuch von Impfgegnern, Aids- oder Klimaleugnerinnen zurückgreifen: Auf dem kritischen ‹Review› – das von Fachpersonen gewogen und als so leicht befunden wurde, dass es sogar auf Milch schwimmt – prangt ein ‹Confidential›-Stempel. Alles sehr wichtig also. Und geheim. Und deswegen wichtig.

So geheim, dass es auf einer eigens aufgesetzten Website veröffentlicht wurde, statt die Wege wissenschaftlichen Publizierens einzuhalten.

Begeisterung fand man bei den üblichen Verdächtigen. Toxikologe Stefan Hockertz twitterte: ‹Damit ist die Pandemie Geschichte, denn es beruht ALLES auf diesem Test.›

Neben Jubel im Lager der Leugner wird das ‹Review› von einem kollektiven Kopfschütteln aus der Laborbranche und der Intensivmedizin begleitet. Die einen wenden den Test der Charité oft nicht oder nicht mehr an – beim deutschen ‹Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte› finden sich unterdessen über 100 zugelassene PCR-Tests. Die anderen sehen sich täglich mit einer steigenden Zahl Personen mit den ausschliesslich für Covid-19 charakteristischen Krankheitsmerkmalen konfrontiert.

Auch beim mysteriösen ‹Beipackzettel› klären die Praktikerinnen bereitwillig auf: Nicht alle PCR-Tests sind für die Diagnostik validiert, sondern sie sind für die Forschung vorgesehen. Weniger zuverlässig macht sie das nicht.

Derweil üben sich Corona-Leugner im Multitasking und greifen nach den PCR-Tests auch die Validität der Antigen-Schnelltests an.

In einem Videoschnipsel, bei dem es sich um einen Mitschnitt eines italienischen TV-Kanals handeln soll, sieht man einen Mann im Arztkittel eine Kiwi auf Covid-19 testen. Die Kiwi scheint – Überraschung! – tatsächlich infiziert. Das zumindest wird der Zuschauerin erklärt. Bildanalysen des betreffenden Videos lassen Zweifel aufkommen. Ähnliche Videos mit Zitronen ‹beweisen›, dass Antigen-Schnelltests einfach irgendwas anzeigen. Eine Überraschung ist das nicht. Auch Schwangerschaftstests melden ein positives Ergebnis, wenn man sie in Apfelsaft taucht.

Chemische Reaktionen auf aggressive Säuren sind in etwa so aussagekräftig, als würde man mit einem Vorschlaghammer auf ein Einmachglas einschlagen, um zu beweisen, dass Schraubverschlüsse nichts taugen.

Schrauben Sie die selbst gemachte Himbeerkonfi Ihrer Schwägerin also in Ruhe von Hand auf und lassen Sie den Vorschlaghammer in der Ecke. Selbst wenn Ihnen nach den besinnlichen Festtagen eigentlich nach so ein klein wenig Krawall wäre …»

… und damit zu dem, was heute sonst noch geschah:

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Virusmutation: Bundesrat bleibt vorerst bei den bestehenden Massnahmen. Die mutierten Virusstämme aus Südafrika und England könnten zu schärferen Massnahmen führen, allerdings noch nicht jetzt. Am Mittwoch wird sich der Bundesrat erneut treffen, Gesundheitsminister Berset geht aber nicht davon aus, dass im alten Jahr weitere Massnahmen diskutiert und beschlossen werden. Er betonte heute vor den Medien jedoch auch: «Wenn sich die Mutation rasch verbreitet, müssen wir reagieren.»

Der eidgenössische Datenschützer will nicht, dass Private und Unter­nehmen Regeln für Geimpfte aufstellen. Schliesslich sei die Bekämpfung von Seuchen Aufgabe des Staates und nicht von Privaten, sagt Datenschützer Adrian Lobsiger im «Blick». Es sei ein politischer Entscheid, wenn der Gesetzgeber sage, ungeimpft dürfe niemand fliegen oder ein Restaurant betreten. Private aber dürften beispielsweise keine digitale Impfausweis­pflicht einführen. Oder wenn ein Wirt nur geimpfte Gäste einliesse, würde das gegen das Datenschutz­gesetz verstossen.

Japan macht die Grenzen zu. Nur japanische Staatsbürgerinnen oder Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung dürfen in den Inselstaat einreisen. Zudem müssen diese Personen 14 Tage in Quarantäne. Der Tourismus-Stopp gilt vorerst bis Ende Januar. Auch in Japan wurden Ansteckungen mit der neuen Corona-Mutation nachgewiesen. Bisher sind es 7 Fälle, alle kamen aus Grossbritannien, darunter ein Pilot.

Und zum Schluss: In Basel wird gepikst

Die Messe Basel, einst Schauplatz des alljährlichen Uhren-Stelldicheins, wird heuer zum helvetischen Impf-Hotspot: Seit heute wird in der Basler Messehalle geimpft, streng nach dem Grundsatz: Risikopatientinnen ab 75 Jahren und Betreuungspersonal zuerst. Und so trat Bundesrat Berset heute in Basel besonders zuversichtlich vor die Medien und sagte: «Das könnte nun der Gamechanger sein. Mit der Impfung werden wir die Covid-Krise überwinden.» Noch sind nur kleinste Mengen in der Schweiz angekommen, zudem muss jede Person zweimal gepikst werden – zumindest mit dem aktuell verfügbaren Impfstoff von Pfizer und Biontech. In den ersten drei Tagen will Basel 1900 Personen impfen. In anderen Kantonen wie Luzern haben mobile Impfteams damit begonnen, in Pflegeheimen zu impfen. Berset selbst will sich «selbstverständlich» piksen lassen, sobald er an der Reihe ist. Ob sich die Schweizer Regierung öffentlichkeitswirksam stechen lassen wird – wie in Tschechien geschehen –, ist noch offen.

Sicher ist: Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Mela Eckenfels, Oliver Fuchs und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Kitsch at its best: Sie haben keinen Bock mehr auf schlechte Neuigkeiten? Wollen endlich wieder schwelgen? Das können Sie nie im Jahr besser als jetzt! Die Mitautorin dieses Newsletters empfiehlt: Kuscheln Sie sich auf die Couch und machen Sie «Sissi»-Bingewatching. Die an Kitsch und Geschichtsklitterung fast nicht zu übertreffende Verfilmung mit Romy Schneider aus den Fünfzigerjahren war im Nachkriegsdeutschland Balsam für die Bevölkerung. Und auch gegen den Corona-Blues helfen diese Schmachtstreifen ungemein! Zwar sind die Ausstrahlungstermine schon durch, aber zeitversetzt können Sie die Filme bei den meisten Anbietern noch sehen. Hier eine Übersicht, wie und wo Sie mit der 16-jährigen Romy Schneider träumen können. Wetten, Sie vergessen Corona für einen Moment, wenn die künftige Kaiserin im achtlagigen Reifrock auf der Donau nach Wien fährt, um ihren Franz zu heiraten?! Franz, ach mein Franz.

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