Die Erde, das Polarlicht – und das All: Aufnahme der ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti von der Internationalen Raumstation aus (Dezember 2014). NASA

Der Weltraum, unendliche Weiten

Wenn das Universum doch nur ein bisschen kleiner wäre. Oder wenigstens stillhalten würde. Wo die Astronomie an ihre Grenzen kommt – und darüber hinausdenkt.

Von Katie Mack (Text), Bernhard Schmid (Übersetzung) und Oliver Fuchs (Redaktion), 24.12.2020

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Der Weltraum ist, so wie jeder weiss, gross. Sehr gross. Douglas Adams sagte es so:

«Du glaubst vielleicht, die Strasse runter bis zur Drogerie ist es eine ganz schöne Strecke. Aber schau, das sind einfach Peanuts, verglichen mit dem Weltraum.»
Douglas Adams, «Per Anhalter durch die Galaxis», 1979

Es ist gar nicht so einfach, die immense Grösse des Universums in Alltags­begriffe zu fassen. Schliesslich tun sich die meisten von uns schon schwer genug damit, sich vorzustellen, wie gross die Erde ist – ganz zu schweigen von unserer Galaxie oder den endlosen Weiten des inter­galaktischen Raums. Und so behelfen wir uns mit «Licht­jahren», der Strecke also, die Licht in einem Jahr zurück­zulegen vermag – als ob die Licht­geschwindigkeit irgendwie intuitiver erfassbar wäre als eine ausgeschriebene Zahl in der Grössen­ordnung von Billionen von Kilo­metern. Auch als Bezugs­grösse taugt sie kaum. Licht braucht 1,3 Sekunden von der Erde zum Mond, doch für uns erscheint Licht sofort. Kurz: Wir könnten ebenso gut die Höhe eines Hauses in aufeinander­gestapelten Atomen angeben, es wäre nicht weniger anschaulich.

Sind wir grade guter Laune, dann versuchen wir es eventuell mit Analogien aus der persönlichen Erfahrung: Die Entfernung von der Erde zum Mond entspricht der Länge von 32 Millionen Schul­bussen! Könnte man die Strecke in einem davon zurück­legen, kämen wir – bei einer durch­schnittlichen Geschwindigkeit von 100 km/h – in etwa 166 Tagen dort an. Ich bin nicht sicher, ob das wirklich hilfreicher ist.

Ich wünschte, ich könnte mit Überzeugung sagen, wir Astronominnen hätten ein besseres intuitives Verständnis von all dem. Haben wir aber nicht. Unsere Hirne sind dafür schlicht nicht gemacht. Also tricksen wir mit den Zahlen. Wir nehmen einfach grössere Mass­stäbe für grössere Distanzen: Kilometer, Licht­jahre, Parsec (Parallaxen­sekunden), Kilo-, Mega-, Giga­parsec. Wir gewöhnen uns an Exponenten (1000 entspricht 103, eine Billion 1012), und wir trainieren das Denken in logarithmischen Intervallen, bei denen der jeweils nächste Schritt einer neuen Zehner­potenz entspricht.

Ab irgendeinem Punkt gerät Entfernung dann zum komplett abstrakten Konzept. Raum und Zeit wissen sich in unserem Sonnen­system in der Regel durchaus zu benehmen, aber wenn wir es mit dem Kosmos in seiner Gänze zu tun bekommen, müssen wir akzeptieren, dass dieser fürs Mass­nehmen einfach nicht lange genug stillhalten will.

Was heisst schon «früher»?

Der Weltraum wird immer grösser. Er dehnt sich aus. Das tut er seit dem Urknall, und daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Wenn wir eine ferne Galaxie betrachten, müssen wir nicht nur einberechnen, dass längst überholt ist, was wir da vor uns sehen – wir müssen auch noch bedenken, dass die Galaxie längst nicht mehr dort ist, wo wir sie jetzt sehen.

Angenommen, wir beobachten, wie eine Milliarde Licht­jahre entfernt ein Stern in einer gewaltigen Super­nova explodiert. Hat es gerade eben geknallt oder vor einer Milliarde Jahren? Nun: Letzteres! Schliesslich war das Licht von dieser Explosion eine geschlagene Milliarde Jahre zu uns unterwegs. Nur: Was soll denn das überhaupt bedeuten, wenn wir sagen, der Stern sei in der Vergangenheit explodiert? Schliesslich waren wir ja damals nicht dort, um das mitanzusehen. Und: Ja, vielleicht war die Super­nova vor einer Milliarde Jahren eine Milliarde Licht­jahre weit von uns weg, aber in all den Jahren hat sich der Raum zwischen uns und der Super­nova weiter ausgedehnt – sie muss also unterdessen noch viel, viel weiter weg sein.

Was für eine Entfernung gilt denn jetzt?

Zarte Gasfetzen nach einer Supernova: SNR 0519 befindet sich über 150’000 Lichtjahre von der Erde entfernt im südlichen Sternbild Dorado. NASA

Sogar die Zeit selbst wird durch die Ausdehnung des Raums verzerrt. Wir können das Aufleuchten und Verlöschen des explodierenden Sterns beobachten, wir erkennen, wie die Schock­welle durch ihn hindurch­rollt. Und wir sehen, dass es ungefähr hundert Tage dauert, bis er verglüht ist. Vergleichen wir diese Super­nova jedoch mit einer näher gelegenen, dann sehen wir, dass die entferntere Explosion einige Tage länger dauert.

Von uns aus gesehen, explodiert diese Super­nova in Zeitlupe.

Wo alles begann. Vielleicht

Aber selbst mit unseren begrenzten Definitions­möglichkeiten tun wir unser Bestes, das Universum zu vermessen und es bis in seine entferntesten Winkel in Ziffern zu fassen. Wir haben zahllose Galaxien katalogisiert, einige davon sind so weit weg von uns, dass es nahezu die ganze Lebens­zeit des Kosmos gedauert hat, bis ihr Licht es zu uns schaffte. Wir haben unsere Karten des Universums nach irgendeinem Hinweis auf einen Rand (oder ein Zentrum) abgesucht, ohne je fündig zu werden.

Wir haben also keinerlei Grund zur Annahme, dass sich das Universum nicht einfach endlos in alle Richtungen erstrecken sollte, ohne sich vom Inhalt oder von der Struktur her signifikant zu verändern. Unsere Heimat­galaxie, die Milch­strasse, ist ein winziges Sand­korn in einer gigantischen, ununterbrochenen Wüste; zoomen wir nur weit genug hinaus, sieht alles mehr oder weniger gleich aus.

Doch wir stossen an Grenzen. Egal, wie stark unsere Teleskope auch werden, egal, wie lange wir damit in den Welt­raum starren, wir werden nie etwas jenseits der kosmischen Blase zu sehen bekommen, die wir unser «beobachtbares Universum» nennen. Wir sprechen hier von einer imaginären Kugel mit uns selbst als Mittel­punkt. Ihre Grösse ist vorgegeben durch die Licht­geschwindigkeit und das Alter des Universums. Ihr Radius entspricht der Entfernung, die ein Licht­strahl zurücklegen könnte, wäre er bereits das gesamte Alter des Universums hindurch unterwegs.

Wenn wir jedes Mal, wenn wir ins Universum schauen, eigentlich in die Vergangenheit zurück­blicken, dann wäre es nur logisch, dass wir, würden wir nur weit genug hinaus­blicken, jenen Moment zu sehen bekommen, in dem das Universum entstanden ist. Genau das definiert unseren kosmischen Horizont.

Anders ausgedrückt: Alles jenseits unseres kosmischen Horizonts ist so weit weg, dass, selbst wenn ein Licht­strahl diese Region im Augen­blick der Entstehung des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren verlassen hat, die Entfernung so immens ist, dass uns der Licht­stahl nicht erreichen konnte.

Er hatte buchstäblich alle Zeit der Welt – alle Zeit, die überhaupt jemals war –, und das hat trotzdem nicht gereicht.

Feuer, Feuer überall

Wir haben guten Grund zur Annahme, dass es in diesem anscheinend grenzen­losen Universum Galaxien jenseits unseres Horizonts gibt. So wie wir, wenn wir an der Meeres­küste stehen, guten Grund zur Annahme haben, dass sich irgendwo da draussen Land befindet. Würden wir in ein Schiff steigen und lossegeln, dann würde sich unser Horizont mit uns mitbewegen, und irgendwann käme dann das bis dahin nur vermutete Land in Sicht. Wenn wir nun in einem Raum­schiff Kurs auf einen anderen Teil des Kosmos nehmen würden, dann befänden wir uns ebenfalls stets im Zentrum unseres Horizonts, egal, wo wir gerade wären. Unser Horizont bewegt sich mit uns.

Leider schränken die Gesetze der Physik uns dabei ziemlich stark ein, von unseren bescheidenen Raum­fahrzeugen mal ganz abgesehen. Darum ist es nicht machbar, so weit von der Erde wegzukommen, dass sich unser Blick­feld gross ändern würde. Aber wir können herleiten, was hinter dem kosmischen Horizont liegt.

Und obwohl er eine genauso subjektive Grenze ist wie jeder hunds­gewöhnliche Horizont auf der Erde – einen gravierenden Unter­schied gibt es doch. Was wir sehen, wenn wir bis an den Rand des beobachtbaren Universums blicken, das ist wahrhaft umwerfend.

Das fernste Licht ist auch das älteste, es ist das Licht vom Urknall selbst.

Das frühe Universum war unmittelbar nach seinem Entstehen überall heiss, es war dicht, und es pulsierte vor vibrierendem Plasma. Am aller­äussersten Rand unseres Blick­felds sehen wir so weit in die Vergangenheit zurück, dass wir dieses glühende Plasma buch­stäblich noch leuchten sehen. Dieses Urknall­inferno hielt etwa 380’000 Jahre an, bevor sich der Raum weit genug ausgedehnt und fest genug abgekühlt hatte, dass Licht und Teilchen ungehindert durch ihn hindurch­fliegen konnten. Wenn wir an den Rand des beobachtbaren Universums blicken, sehen wir die letzte schwelende Glut jener heissen, dichten Phase. Wir sehen einen brennenden Kosmos.

Sonnenlicht, Magnet­felder und Bewegung der Sonne: Die ersten Bilder der Raumsonde Solar Orbiter. NASA

Übrigens beträgt die Entfernung zwischen uns und unserem kosmischen Horizont keineswegs – wie man es erwarten würde – 13,8 Milliarden Licht­jahre. Wie bereits erwähnt, ist das mit den Entfernungen in einem expandierenden Universum ja so eine Sache. Etwas, das 13,8 Milliarden Licht­jahre weit weg war, als sein Licht sich auf den Weg zu uns machte, ist mittler­weile noch viel, viel weiter weg. Wenn wir all das mitberechnen, ist das glühende Plasma am äusseren Rand des beobachtbaren Universums in Wirklichkeit eher so um die 45 Milliarden Licht­jahre von uns entfernt.

Warum nur drei?

Nur weil wir nicht hinter unseren feurigen Horizont blicken können, bedeutet das keineswegs, dass dort nichts ist. Die Anhalts­punkte, die wir aus dem Studium der Gleichheit von Galaxien in allen Teilen des kartierten Universums erhalten, legen den Gedanken nahe, dass sich der Raum weit über unseren Horizont hinaus erstreckt, und zwar in alle Richtungen; die Grenzen unseres Blick­felds sind rein umstands­bedingt. Was wir heute über das Universum wissen, das deutet darauf hin, dass wir mehr oder weniger genau dasselbe sehen würden, lebten wir nicht in der Milch­strasse, sondern in einer Galaxie gleich hinter unserem kosmischen Horizont.

Wirklich abgelegene Winkel des Universums könnten im Prinzip natürlich völlig anders aussehen. Doch ohne sie wirklich zu sehen, lässt sich das nicht mit Sicherheit sagen. Tatsächlich können wir Regionen, die weit genug jenseits unseres Horizonts liegen, sogar als separate, eigen­ständige Universen betrachten, weil physikalisch keinerlei Austausch mit dem unseren möglich ist.

Aber was, wenn das Universum nicht nur grösser ist, als wir aufgrund der Physik sehen, sondern noch grösser, als wir uns das überhaupt vorstellen können? Wenn es sich in alle Richtungen ins Endlose erstreckt – und noch darüber hinaus?

Unsere Alltags­erfahrung sagt uns, dass der Raum drei Dimensionen hat: vorne/hinten, links/rechts, oben/unten. In der Physik bezeichnen wir die Zeit als vierte Dimension und verpacken das Ganze dann zur Raum­zeit – eine Art flexibles vier­dimensionales kosmisches Raster. Die Formbarkeit der Raum­zeit, ein wichtiger Grund­satz von Albert Einsteins Relativitäts­theorie, gestattet es diesem Raster, sich zu krümmen und zu dehnen; abhängig von all der Masse und jeder Bewegung in diesem Raum drin. Deshalb kann der Raum den Lauf der Zeit sowohl ausdehnen als auch verzerren – und deshalb vergeht die Zeit langsamer, wenn wir in einer schnellen Rakete sitzen oder in der Nähe eines schwarzen Lochs rumhängen.

Physiker fragen sich jedoch schon seit Jahren, ob die drei Dimensionen des Raums womöglich nur ein Teil der Wahrheit sind. Wenn es nämlich noch mehr räumliche Dimensionen gäbe, die wir einfach nicht wahrnehmen können, dann würde uns das wohl bei der Erklärung einiger Rätsel aus der theoretischen Physik und des Verhaltens der Schwer­kraft behilflich sein. Fügt man dem Universum eine weitere Raum­dimension hinzu, dann stellt man fest, dass Schwer­kraft in diese «rüberfliessen» kann – und darum erscheint sie uns weniger stark, als sie in Wirklichkeit ist. Das wiederum könnte erklären, warum die Schwerkraft so schwach ist im Vergleich zu den Kräften, die in der Teilchen­physik regieren.

Höhere (also zusätzliche) Raum­dimensionen sind ausserdem eine wichtige Zutat für String­theorien. Die besagen, dass es sich bei dem, was wir als Elementar­teilchen wahrnehmen, in Wirklichkeit um Fäden aus Energie (eben diese «Strings») handelt – und die schwingen auch in einige für uns unsichtbare Dimensionen.

Diesen Theorien zufolge sind die Extra­dimensionen kompaktifiziert – in sich «zusammen­gerollt» –, sodass wir, wenn es tatsächlich gelänge, eine dieser neuen Richtungen zu entdecken, und wir ihrem Weg folgen könnten, nicht weit kämen, bevor wir wieder am Ausgangs­punkt wären.

Das atmende Universum

Das führt zu einer faszinierenden Frage: Könnte sich ein ganzes Universum in so einer Extra­dimension verstecken?

Eine Hypothese, die Anfang der 2000er entwickelt wurde, geht so: Wir leben in einer drei­dimensionalen «Bran» (von Membran) am Rand eines grösseren Raums mit vier räumlichen Dimensionen (plus Zeit). In dieser höher­dimensionalen Raum­zeit, dem sogenannten «Bulk», könnte es eine weitere drei­dimensionale Bran geben. Und diese andere Bran könnte von Zeit zu Zeit in die unsere krachen.

Die Väter dieser Theorie bezeichneten sie als das «ekpyrotische» Kosmosmodell; nach dem griechischen Ausdruck für die Zerstörung und die Wieder­auferstehung der Welt in Feuer. Das ist eine Anspielung darauf, dass jede kosmische Kollision erneut die feurigen Bedingungen des Urknalls zur Folge hätte, was wiederum Ursprung und letztlich Schicksal unseres Universums erklären könnte. In diesem Modell bewegen sich die Branen aufeinander zu, kollidieren miteinander, um sich dann wieder voneinander zu entfernen – ein endloser Zyklus von Big Bang, Expansion und Big Crunch zurück zum Big Bang.

Rütteln an Einstein

So abwegig es auf den ersten Blick auch erscheinen mag, höhere Dimensionen und neue Universen zu postulieren, nur um den Urknall zu erklären: Physikerinnen haben gute Gründe dafür, solche Ideen ernst zu nehmen. Die gängige Vorstellung vom frühen Universum ist nämlich wahrscheinlich komplizierter als lange gedacht.

Wenn Sie an den Urknall denken, kommt Ihnen vermutlich als Erstes eine Singularität in den Sinn: ein unendlich kleiner Punkt von unendlich grosser Dichte, der den gesamten Raum und die gesamte Zeit enthält. Der explodiert urplötzlich und erschafft das gesamte Universum. Grossen Anklang fand dieser Gedanke deshalb, weil die Gleichungen von Albert Einstein die Beschreibung eines Universums möglich machen, das auf ebendiese Weise beginnt (und womöglich mit einem Big Crunch in einer weiteren Singularität enden wird).

Leider passt die Idee einfach nicht zu unseren Beobachtungen. Das Hintergrund­licht, das wir am Rande des kosmischen Horizonts sehen, dieses Nachglühen des Urknalls, zeigt uns, dass die Theorie einer einfachen Evolution von einer Singularität hin zu unserem grossen, schönen Universum schlicht keinen Sinn ergibt.

Die Jovian-Wolken in der nördlichen Hemisphäre des Jupiters – aufgenommen von der Juno-Raumsonde aus 18’906 Kilometern Entfernung. NASA
Über dem Himmel Alaskas: Die sich kräuselnden Wellen – sie erscheinen kurz in der Bildmitte, bevor sie sich auflösen – könnten erklären, wie sich Gase in ansonsten stabilen Schichten der Atmosphäre vermischen. NASA

Das Problem ist, dass das Nachglühen des Urknalls oder die Mikro­wellen­hintergrund­strahlung, wie wir dieses Nachglühen auch nennen, einfach zu perfekt ist. Es gleicht sich in allen Regionen des Universums mit geradezu absurder Präzision (mit Unterschieden von einem Hundert­tausendstel), und das in jeder Richtung. Die «Farbe» ist gleich (oder besser die Frequenz, schliesslich sprechen wir von Mikro­wellen­licht), das Spektrum ist gleich und ebenso die Intensität.

Warum ist das ein Problem? Weil es keinen Grund dafür gibt, dass zwei Regionen auf entgegen­gesetzten Seiten des Himmels sich in diesem Mass gleichen sollten. Selbst wenn alles einen gemeinsamen Anfang hatte, in einer einzigen Singularität, sollte die Art und Weise seiner Expansion in verschiedenen Teilen des frühen Universums für extreme Unterschiede gesorgt haben. Regionen, die heute unendlich weit auseinander­liegen, hatten im Feuerball­stadium der kosmischen Evolution nie auch nur die geringste Chance, sich auf eine gemeinsame Temperatur zu einigen. Die kosmische Mikro­wellen­hintergrund­strahlung auf der einen Seite des Himmels sollte sich also eigentlich drastisch von der auf der anderen unterscheiden.

Und dann ging alles ganz schnell

Die Erklärung, auf die sich Physiker in den 1980er-Jahren einigten, fügte der Geschichte unseres Universums darum ein neues Kapitel hinzu. Was, so meinten sie, wenn sich das Universum noch vor der heissen Feuerball­phase extrem schnell ausdehnte? Vielleicht war der frühe Kosmos, unmittelbar nach der Singularität (um jetzt mal davon auszugehen, dass es diese gab), ein komplettes Durch­einander – mal heisser, mal kälter als anderswo. Dann jedoch expandierte das Universum so schnell, dass ein winziger Fleck – zu klein für grosse Variationen – sich ausweitete, bis er schliesslich gross genug war, um unser gesamtes beobachtbares Universum auszumachen.

Ausserdem stellten die Physikerinnen die Hypothese auf, dass, welch bizarrer neuer Bestand­teil des Universums auch immer diese Hyper­expansion (wir sprechen von kosmologischer Inflation) verursacht haben mochte, diese plötzlich überall in Strahlung zerfiel. Und damit zur Entzündung des expandierenden Feuerball­kosmos führte, der heute für uns in besagtem Hintergrund­licht sichtbar ist.

Nach allem, was wir bislang beobachtet haben, scheint sich diese Inflation mit unserem gegenwärtigen Paradigma ganz gut zu vertragen. Sie sorgt sogar für eine prima Erklärung der beobachteten Schwankungen von gerade mal einem Hundert­tausendstel beim kosmischen Mikro­wellen­hintergrund­licht. Allerdings haben wir weder etwas in der Hand, was als konkreter Beweis dafür durchgehen würde, noch können wir sagen, wie oder warum diese Hyper­inflation begann.

Und übrigens: Selbst innerhalb dieser Geschichte ist die Möglichkeit nicht ganz auszuschliessen, dass irgendwann ein anderes Universum in das unsere kracht.

In der Bubble

Sagen wir mal: Es kam zu dieser Inflation. Dann könnten sich Ereignisse, die unser beobachtbares Universum haben entstehen lassen, immer und immer wieder wiederholt haben, in verschiedenen Teilen eines weit grösseren Raums. Das bezeichnen Physiker als ewige Inflation. Jetzt wird es ein bisschen kompliziert.

Der Gedanke hinter der ewigen Inflation ist folgender: Der grössere Raum im Hinter­grund ist zwar ständig dieser Inflation unterworfen, sie hält aber hier und da, in einem kleinen Teil davon, inne. Dieses Stückchen Universum erhitzt sich, und die normale Expansion übernimmt. Dadurch würde eine Art Multi­versum geschaffen, da fortwährend kleine, durch diese separaten post­inflationären Regionen definierte kosmische Blasen aus dem rasch expandierenden Hintergrund herausfielen. Durch den ständig expandierenden Raum von allen anderen getrennt, würde diesen kosmischen Blasen die Fähigkeit zur Inter­aktion miteinander abhanden­kommen. Jedenfalls grösstenteils.

Hier und da könnten in unmittelbarer Nähe gleich zwei solcher kosmischer Blasen entstehen. Sollte es dazu kommen und beide weiter expandieren, kollidieren sie womöglich irgendwann miteinander. Dann hinterlassen sie – Prellungen gleich – blasen­förmige Dellen auf dem Hinter­grund­licht des anderen.

Astronomen sind auf der Suche nach solchen Dellen. Bisher haben wir keine gefunden, aber wir geben die Suche nicht auf. In der Zwischen­zeit werden einige von uns dem Inflations­konzept mit seinem mysteriösen Motor und seinen unendlichen Multiversen weiter mit Misstrauen begegnen.

Und wir sehen uns nach einer verdaulicheren Alternative um.

Hunderte neue Sterne in seinem Inneren bringen ihn zum Leuchten: Der Orionnebel, eine grosse Wolke aus Gas und Staub, in der etwa 1300 Lichtjahre entfernten Milchstrassengalaxie. Prof. Dr. Ben Moore, Universität Zürich

Da capo al fine

Der kosmische Horizont, der definiert, was wir in unserem Universum beobachten können, ist eine harte Grenze. Wir können nicht darüber hinaus­blicken, und solange sich unser Verständnis von der Struktur der Realität nicht drastisch ändert, werden wir das wohl auch nie können. Die Expansions­geschwindigkeit des Kosmos nimmt stetig zu; alles jenseits unseres Horizonts wird in immer grösserem Tempo in die Ferne hinaus­getragen – was sein Licht niemals wird aufholen können. Auch wenn wir womöglich niemals mit Sicherheit werden sagen können, was jenseits dieser Grenze liegt, so ist doch all diesen Theorien der Gedanke gemein, dass unser beobachtbares Universum Teil eines viel, viel grösseren Ganzen ist.

Ob dieser Raum nun ein Multiversum von Blasen mit jeweils eigenen physikalischen Gesetzen enthält; ob er Teil eines stetig wachsenden Universums ist, von dem auch wir wiederum nur ein Teil in einem seiner Zyklen sind; oder ob der Raum sich in Richtungen ausdehnt, die wir noch nicht einmal erahnen können? Wir wissen es heute nicht. Aber wir geben die Suche nach Hinweisen auf die richtige Geschichte nicht auf.

Die Muster im kosmischen Mikro­wellen­hintergrund­licht, die Verteilung von Galaxien, ja selbst Experimente mit der Schwer­kraft und dem Verhalten von Elementar­teilchen in der Teilchen­physik vermitteln uns eine Einsicht sowohl in die fundamentale Struktur des Universums als auch in seine ersten Augenblicke.

Wir nähern uns unaufhaltsam dem Punkt, an dem wir die Geschichte des Kosmos in ihrer Gänze werden erzählen können. Wir können jetzt schon das Feuer sehen, in dem unser Universum geschmiedet wurde. Wir sehen, was war, nur Augen­blicke unmittelbar nach dem Anfang.

Mit all dem, was wir heute zusammen­tragen, werden wir die Geschichte womöglich eines Tages nicht nur von Anfang an erzählen können. Sondern wir werden ihr auch in die Zukunft folgen können. Bis ganz zu ihrem Ende.

Zur Autorin und zu diesem Beitrag

Katie Mack ist theoretische Astro­physikerin, die sich mit einer Reihe von Fragen der Kosmologie beschäftigt, der Erforschung des Universums von Anfang bis Ende. Derzeit ist sie Assistenz­professorin für Physik an der North Carolina State University, wo sie auch Mitglied des Clusters Leadership in Public Science ist.

Dieser Essay basiert auf Macks Buch «The End of Everything (Astrophysically Speaking)» (August 2020). Er erschien am 31. Juli 2020 auf «Aeon». Ermöglicht wurde er durch Förder­mittel der John Templeton Foundation an «Aeon». Die hier ausgedrückten Ansichten sind ausschliesslich die der Autorin und reflektieren in keiner Weise die Ansichten der Foundation.

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