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Verflixt Navidad

24.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Es war ein kleiner, silberfarbener Wecker. Quadratisch, mit abgerundeten Ecken und einem nervigen Piepsgeräusch. Kein besonders ausgefallenes oder schönes Gerät. Vermutlich war es der meistverkaufte, günstigste Wecker der Schweiz.

Für mich war dieser Wecker aber ein besonderer. Denn er stand zu Hause neben dem Telefon in der Stube, links vom Fernseher, vermutlich auf einem kleinen weissen Häkeldeckchen, so genau erinnere ich mich nicht. Dass er neben dem Telefon stand, war kein Zufall, denn er war so was wie unser Telefonwecker. Und er eröffnete mir die Welt.

Meine Mutter pflegte ihn jeweils hervorzuholen, wenn sie mit demjenigen Teil der Familie telefonierte, der stets weit und noch weiter weg wohnte. Die Kosten für Anrufe nach Übersee waren unverschämt teuer, und so behielt sie beim Reden stets einen Blick auf die Minuten und auf die Kosten.

Es gab jedoch eine Ausnahme:

An Weihnachten wurde der Wecker nicht benutzt. Ich erinnere mich an: Geschenke unter dem Baum, im Pyjama oder in den Trainerhosen herumsitzen, Schnaps und Nüsschen, Kuscheln, Witzchen machen und sich gegenseitig ein bisschen nerven. Und dann die Anrufe.

Die Ländervorwahlen waren gefühlt ewig lang. Ich fand das seltsam, dass man sich in ein anderes Land einwählen musste. Der Zeitpunkt des Anrufs wollte wohlüberlegt sein – nicht dass jemand am anderen Ende der Welt bereits schlief oder noch schlief oder gerade am Essen war. Das Konzept von Zeitzonen faszinierte mich. Es fasziniert mich noch heute, und noch heute rechne ich sie im Kopf nach unserem weihnächtlichen Anrufschema von damals aus.

Es war jeweils recht aufregend: das Tack-Tack der Drehscheibe, die kurze Pause, das matte Ring-Ring, das Klacken und Räuspern in der Leitung, bis endlich die Stimme ertönte.

Erst kamen die Erwachsenen dran: Frohe Weihnachten. – Frohe Weihnachten. – Wie geht es euch? – Uns geht es gut. – Ja, uns auch. – Habt ihr unsere Karte bekommen? – Was meinst du? – Diesmal war die Post wohl langsamer. Ich hab sie schon im November geschickt. – Alles Liebe. – Passt auf euch auf. – Ja, tschüss. – Kuss. – Kuss.

Und dann durften wir Kinder. Wir, die daneben sassen, irgendwo zwischen erwartungsvoll und gleichzeitig lieber mit den Bescherungen spielen wollen. Sag Tante und Onkel Hallo, bedank dich für das Brieflein, deine Grossmutter freut sich auf deine Stimme.

Hallo Tante, wie geht es euch? – Mir geht es gut. – Hast du meine Zeichnung bekommen? – Ja, es gefällt mir sehr, danke. – Ich habe ein Buch bekommen. Und Buntstifte. Und Socken. – Ich vermisse dich auch, Grossmutter. – Habt ihr Sonne? Hier hat es Schnee. Tschüss Onkel. – Kuss. – Kuss.

Ich habe mir heimlich immer gewünscht, einmal die ganze Verwandtschaft an einem Tisch zu haben an Weihnachten. Das wird nie passieren, und irgendwie ist es auch nicht so wichtig. So ist es eben.

Diese Weihnachten werden ein bisschen wie als Kind. Nur bleiben wir alle allein zu Hause. Es wird keine Telefonate geben, dafür ein Video. Wir werden uns vor unsere Bäumchen setzen, wir werden ein bisschen Schnaps trinken und dieselben Witze machen wie jedes Jahr, wir werden unsere Geschenke auspacken, und ich wette, ich bekomme wieder Socken.

Es wird ein bisschen wie immer. Ohne Wecker – aber mit ganz viel Zeit füreinander.

(Schönen Heiligabend wünscht Ihnen Marguerite Meyer. Falls Sie Weihnachten feiern. Falls nicht: einfach einen äusserst gemütlichen Abend.)

Und damit …

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Die Rückreise von britischen Touristinnen aus der Schweiz hat heute Morgen begonnen. Zwei Swiss-Maschinen sind von Zürich in Richtung London-Heathrow abgeflogen. Um am Flughafen beim Einchecken und Einsteigen eine mögliche Ansteckung zu verhindern, wurden die Briten separat von den anderen reisenden Personen abgefertigt. Im Laufe der letzten Wochen war es in Grossbritannien zu gehäuften Neuansteckungen gekommen, wohl wegen einer mutierten Virusvariante. Parallel dazu waren viele britische Touristinnen in der Schweiz gelandet, die im Gegensatz zu anderen umliegenden Ländern ihre Skigebiete nicht geschlossen hat.

Tausende Lastwagenfahrer werden Heiligabend am Ärmelkanal im Stau stehen. Frankreich hatte wegen der raschen Ausbreitung der neuen Virusvariante die Grenzen zu Grossbritannien geschlossen und erst in der Nacht auf Mittwoch wieder geöffnet. Nach Tagen des Stillstands können wieder Güter nach Frankreich über den wichtigen Hafen Dover und durch den Eurotunnel übersetzen. Doch da Frankreich vor der Einreise einen negativen Test sehen will und die Logistik schwierig ist, müssen Tausende Chauffeure warten.

In Nigeria kursiert eine weitere neue Virusvariante. Dies teilte die panafrikanische Gesundheitsorganisation Africa CDC mit. Es gebe noch wenige Daten dazu, aber es sehe so aus, als habe sich die Variante getrennt von den Virenmutationen in Grossbritannien und Südafrika entwickelt, so der Leiter der Africa CDC, John Nkengasong. Wie weit die neue Variante in Nigeria oder in anderen Ländern verbreitet ist, sei noch nicht bekannt.

Israel verhängt einen dritten Teil-Lockdown. Aufgrund erneut steigender Zahlen treten die neuen Massnahmen am kommenden Sonntag für zwei Wochen in Kraft. Zu den Massnahmen gehören die Schliessung von Restaurants, ein Verbot von Hausbesuchen ausserhalb der Kernfamilie und die Begrenzung des Bewegungsradius auf einen Kilometer um den Wohnsitz. Das Ziel ist, die täglichen Neuinfektionen auf unter 1000 zu drücken. Falls dies nicht gelingt, wird der Teil-Lockdown verlängert.

In den USA sind bereits mehr als eine Million Menschen geimpft worden. Dies kommunizierte die Gesundheitsbehörde CDC. Die USA hatten vor 10 Tagen ihre Impfkampagne mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech begonnen. Am Montag wurde dann nach der Zulassung auch das Vakzin der Firma Moderna verimpft.

Und zum Schluss: Die guten Seiten

In den vergangenen Tagen erhielten wir einige Zuschriften und Anfragen von Newsletter-Leserinnen bezüglich Büchern. Genauer: zur Bücherausleihe.

Ich wollte den Jahreswechsel in Ruhe und mit einem guten Buch verbringen – was tue ich nun?

Wie erkläre ich meinen Kindern, dass sie keine neuen Bücher ausleihen können? (Und wie viele Nerven wird mich das dann kosten?)

Und was ist mit meinen ausgeliehenen Büchern, wenn ich sie nicht zurückbringen kann?

Wir können Entwarnung geben: Die Bibliotheken bleiben offen.

Das bestätigt ein Blick auf die Website des Bibliotheksverbands Bibliosuisse. Was geschlossen bleibt, sind die Lesesäle. Auch Tische, Sitzgruppen und PC-Stationen in Bibliotheken dürfen nicht benutzt werden, und Bibliothekscafés bleiben geschlossen. Was Sie aber grundsätzlich nach wie vor können, ist: rein in die Bib, Buch ausleihen (oder retournieren), raus aus der Bib.

Dem Seitenschmökern, dem Lesespass, dem Buchstabenverschlingen steht also nichts mehr im Weg. (Sie müssen sich nur noch über die Feiertags-Öffnungszeiten Ihrer Bibliothek erkundigen.) Und wenn Sie noch nicht genug haben: Republik-Kollege und Kulturjournalist Daniel Graf hat diese Woche eine wundervolle literarische Liste zusammengestellt.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marguerite Meyer und die ganze Crew der Republik

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Noch auf der Suche nach einem Last-last-Viertel-vor-12-Geschenk?

PPPPS: Kennen Sie Handlettering? Das ist das Zeichnen und Malen von Buchstaben von Hand. Vor einigen Tagen haben wir ein wunderhübsches Kompliment für diesen Newsletter bekommen – und zwar eine kalligrafische Höchstleistung von einer wohlwollenden Leserin. Sie kombinierte Weihnachten, Handschrift und unseren Newsletter-Leitspruch – wie schön ist das denn?

PPPPPS: Wenn Sie auch Teilzeit im Internet wohnen wie die Autorin dieses Newsletters, kennen Sie vielleicht Whitney Avalon. Die US-amerikanische Sängerin, Produzentin und Rapperin hat sich mit ihren Princess-Rap-Battle-Videos einen Namen gemacht, in denen sie Disney-Prinzessinnen mit Sprechgesang aufeinander losgehen lässt. Nun hat Avalon die perfekte Weihnachtshymne für dieses Jahr aufgenommen. Das Video beinhaltet sämtliche kitschigen Zutaten (und eine tolle Stimme) – aber hält nicht mit expliziter Kritik an diesem (Scheiss-)Jahr zurück. Entsprechend heisst das Lied: «WTF 2020?! – Funny Christmas Song for an Awful Year». Man will es nicht, findet sich aber fusswippend und mitsummend wieder. Merry Christmas!

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