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Simonazzional

17.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

36-mal trat André Simonazzi in diesem Jahr vor die Medien, stets ergriff er als Erster das Wort. «Madame la Présidente de la Confédération, Monsieur le Conseiller fédéral, Mesdames et Messieurs», sagte er jeweils, «bienvenu à cette conférence de presse consacrée aux décisions prises par le Conseil fédéral sur le thème du coronavirus.»

Dann erteilte er Bundespräsidentin Sommaruga das Wort oder Gesundheitsminister Berset, die besonders häufig neben ihm auf dem Podium im Berner Medienzentrum Platz nahmen. Nach besonders weitreichenden Entscheiden flankiert von einem dritten oder gar vierten Mitglied der Landesregierung.

Seit 11 Jahren leitet Simonazzi, in einem früheren Leben Journalist bei der Walliser Zeitung «Le Nouvelliste» und später Medienverantwortlicher von Caritas, als Vizekanzler und Bundesratssprecher die Pressekonferenzen. In gewöhnlichen Zeiten sind die Veranstaltungen von einem bis zwei Dutzend Journalistinnen besucht, die danach mit Zeitungs- und Onlineartikeln sowie TV- und Radiobeiträgen über die Bundesratsentscheide berichten. Während der Pandemie schauten auf einmal Hunderttausende Bürger zu.

Bevor sich die Regierung morgen Freitag zum letzten Mal in diesem Jahr zu einer ordentlichen Sitzung trifft und Simonazzi im Verlauf des Nachmittags wie immer mit ruhiger Stimme die Medienkonferenz eröffnen wird, hat unser Bundeshaus-Autor Dennis Bühler den 52-Jährigen zum Gespräch gebeten.

«Krisenkommunikation ist für den Bundesrat nichts Ungewöhnliches. Der Fall Tinner, die Libyen-Affäre, Fukushima, der Streit ums Bankgeheimnis, der Fall Hildebrand, die Vogel- und die Schweinegrippe – im Grunde jagte im letzten Jahrzehnt eine Krise stets die nächste. Dieser hohe Rhythmus zwang uns, das Dispositiv in der Krisenkommunikation ständig weiterzuentwickeln. Und deshalb wusste ich im Februar, als sich das Coronavirus allmählich auf die Schweiz zubewegte: Es kommt etwas auf uns zu, aber kommunikativ sollten wir parat sein.

In der ersten Welle klappte das meiste wie gewünscht: Die Botschaften des Bundesrates kamen an, die Menschen hielten sich an die Massnahmen, das Vertrauen in den Staat blieb auf konstant hohem Niveau. Dies ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern das Fazit eines vor einer Woche vorgestellten ausführlichen Berichts. Als der Bund die Verantwortung im Sommer an die Kantone delegierte, wurde auch die Kommunikation dezentralisiert. Dies hat logischerweise dazu geführt, dass der Überblick über die gerade geltenden Massnahmen zeitweise verloren ging. Wir haben diesen Ansatz gewählt. Doch wir werden diese Phase genau evaluieren müssen, um für zukünftige Krisen zu lernen.

Seit Ende Februar gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht mit der Pandemie beschäftigt habe. Zuerst nahm mir Corona die Wochenenden, dann auch die Abende – immer wieder gab es Tage, an denen ich das Tageslicht nur sah, wenn ich aus dem Bürofenster schaute. Solche Zeiten gehören zu meiner Funktion.

Die Aufmerksamkeit für die bundesrätlichen Medienkonferenzen ist in diesem Jahr enorm gewachsen: Jene vom 16. März wurde auf Youtube fast 470’000-mal angeklickt, obwohl sie von der SRG und diversen Onlineportalen live übertragen wurde. Ich vermute, dass diese Konferenz von insgesamt rund 2 Millionen Menschen verfolgt wurde – eine Einschaltquote, die nicht einmal erreicht wird, wenn das Fussballnationalteam zur Primetime an einer Weltmeisterschaft spielt.

Glücklicherweise werde ich auf der Strasse dennoch nach wie vor fast nie erkannt; Sie fragen, ob ich Liebesbriefe bekommen habe? Nein, genauso wenig wie Hassbriefe. Was es gab, sind ein paar Telefonate von Wutbürgern. Sofern sie ein Mindestmass an Anstand nicht unterschritten, hörte ich ihnen zu – auch das gehört zum Aufgabenbereich eines Bundesratssprechers.

Auch wenn morgen die letzte ordentliche Bundesratssitzung des Jahres auf dem Programm steht, werden die Festtage dieses Mal alles andere als ruhig. Denn selbstverständlich ist der Bundesrat auch zwischen Weihnachten und Neujahr jederzeit handlungsfähig: Wenn nötig, wird der Bundesrat ausserordentliche Sitzungen abhalten, virtuell oder vor Ort, und er kann auch Entscheide fällen. Uns allen ist bewusst, dass die Pandemie keine Verschnaufpause erlaubt.»

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Die Schweiz hat eine Impfstrategie. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) hat sie heute festgelegt. Prioritär sollen besonders gefährdete Personen geimpft werden (ältere Menschen sowie solche mit Vorerkrankungen). In zweiter Priorität dann das Gesundheitspersonal und Menschen, die mit besonders gefährdeten Personen zusammenleben. Es würden derzeit die letzten Vorbereitungen laufen, damit in der Schweiz im Januar mit den ersten Impfungen gestartet werden könne. Voraussetzung sei, dass die Arzneimittelbehörde Swissmedic nach Prüfung aller klinischen Daten einen ersten Impfstoff zulassen könne.

In Israel ist die Anzahl der Neuinfektionen so hoch wie seit zwei Monaten nicht mehr. Nach einem vergleichsweise milden Pandemiebeginn hatten diese im Sommer massiv zugenommen. Als Grund gelten unter anderem verfrühte Lockerungen. Im Frühherbst verhängte die Regierung einen zweiten, harten Lockdown, der die Zahlen deutlich senkte. Seit Mitte Oktober werden schrittweise Lockerungen umgesetzt, seither nehmen die Zahlen wieder zu.

Neuseeland unterstützt seine Nachbarn im Südpazifik beim Kauf von Impfstoffen. Dafür werde das Land 75 Millionen Neuseeland-Dollar (rund 47 Millionen Schweizer Franken) bereitstellen, so Aussenministerin Nanaia Mahuta. Damit sollen verschiedene Inselstaaten im Pazifik Zugang zu sicheren Impfstoffen bekommen.

Und zum Schluss: …, so hast du in der Not?

Viel wurde in den letzten Tagen geschrieben und gesagt über Sinn und Unsinn des Gegensatzpaars «Gesundheit» und «Wirtschaft» in einer Pandemie. Nun machen selbst Vertreterinnen des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse eine Kehrtwende und sprechen sich für strengere Massnahmen aus. Bisher nicht überzeugt sind der Gewerbe- und der Arbeitgeberverband – wohl auch mit der Sorge, dass Schliessungen von Betrieben nicht kompensiert werden könnten.

Diese Sorge ist nicht unbegründet, schliesslich beherrschte in den vergangenen Monaten der Blick auf die Schulden die öffentliche Diskussion um Massnahmen. Der dogmatische Blick darauf sei ein Fehler, schreibt Mark Dittli, Chefredaktor von «The Market», in dieser lesenswerten, meinungsstarken Analyse. (An dieser Stelle, der Transparenz wegen: Mark Dittli war früher Wirtschaftsjournalist und Co-Chefredaktor bei der Republik, bevor er 2019 «The Market» gründete.)

Er geht dabei der Frage nach, was die Gründe dafür sind, dass die Schweiz so unbedarft in die zweite (und nun auch die dritte) Welle schlitterte. Darunter seien nicht nur Kompetenzfragen des Föderalismus und ein teils hochmütiger Blick ins Ausland gewesen, sondern vor allem auch eine ideologische Betrachtung des Themas Verschuldung: «Unter allen Faktoren am schädlichsten war – und ist – jedoch ein im Land tief verankerter Irrglaube: die Auffassung nämlich, die Schweiz könne sich zum Wohl der eigenen Wirtschaft konsequente Massnahmen im Kampf gegen das Virus nicht leisten.» Dieses Mantra, unter anderem stets angeführt von Finanzminister Ueli Maurer, sei dutzendfach von Politikern, Verbänden und Medien wiederholt worden.

Im Artikel geht Dittli – nebst dem Hantieren mit vielen Zahlen – auf das Verhältnis der Schweiz zu ihren Staatsschulden ein, das stark mit der vor 18 Jahren eingeführten Schuldenbremse zu tun habe. Staatsschulden – in einem vernünftigen Rahmen – seien nicht unbedingt etwas Schlechtes, erklärt der Wirtschaftsjournalist: «Genau so, wie kein Hauseigentümer denkt, seine Hypothekarschulden seien schlecht per se, sind auch Schulden der öffentlichen Hand nicht schlecht per se. Es kommt immer auf die Tragbarkeit, die Grössenverhältnisse und die Frage an, wozu die Schulden dienen.» Wir finden, der Artikel lohnt sich zu lesen.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Dennis Bühler und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Vermissen Sie die Weihnachtsmärkte? Die Autorin dieses Newsletters auch. Um draussen auf dem Balkon, beim Feierabendspaziergang im Park oder beim Treffen im Garten (Sie wissen schon: frische Luft, Abstand, yada yada yada) auch etwas in Stimmung zu kommen (Wärme, rote Bäcklein, Grinsen im Gesicht), empfiehlt sich ein selbst gemachter Glühwein in der Thermoskanne.

PPPPS: Das ist gar nicht mal so schwer. Sie brauchen dazu einen grossen Topf. Da kommen rein (für 4 Personen): 2 Flaschen günstiger und kräftiger Rotwein, 3 grosse Handvoll Zucker, eine halbe Orange in Scheiben, etwas Muskatnuss, eine Handfläche Gewürznelken, eine Handfläche ganzer Kardamom, 2–3 Sternanis, 2–3 Stangen Zimt (wenn Sie das Gewürz nicht ganz finden, können Sie auch die Pulvervarianten verwenden, wir sind da nicht so puristisch – nach einer Tasse merken Sie das sowieso nicht mehr). Mit der Menge der Zutaten können Sie bei mehrmaligem Ausprobieren etwas experimentieren. Die alkoholfreie Variante machen Sie mit Traubensaft. Das Ganze aufkochen und auf mittlerer bis hoher Flamme rund 20 Minuten köcheln. Das Zeug absieben, den Glühwein in den Thermos füllen, raus an die frische Luft. Wohl bekomms!

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