Covid-19-Uhr-Newsletter

An Tagen wie diesem

10.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Wer eine bahnbrechende technische Erfindung macht, sollte schnellstmöglich ein Patent darauf anmelden. Schliesslich schützt dieses die Erfindung und damit das geistige Eigentum der Erfinderin.

Patente gibt es in allen möglichen Branchen und Bereichen – so auch in der Pharmabranche für entwickelte Medikamente. Wenn ein Originalhersteller ein Medikament oder eine Impfung entwickelt und das Patent darauf hat, darf keine andere Firma dieses herstellen, solange sie nicht eine Lizenz erworben hat. Oder das Patent freigegeben wird.

Nun: Ein Vorschlag von Indien und Südafrika sieht vor, beim TRIPS-Abkommen (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) einige Bestimmungen ausser Kraft zu setzen. Das TRIPS ist ein Abkommen zwischen den Staaten der Welthandelsorganisation WTO, das Minimalstandards und Abmachungen bezüglich allem regelt, was geistiges Eigentum und Handel betrifft.

Warum? Das soll den Zugang zu einem Impfstoff auf der ganzen Welt erleichtern.

Die beiden Länder argumentieren, dass gewisse strenge Patente während der Pandemie Menschen den Zugang zu lebensrettenden Technologien und Behandlungen verhindern. So hatte der Maskenhersteller 3M das Patent auf seine N95-Schutzmasken nicht freigegeben – obwohl diese gerade für medizinisches Personal viel mehr Schutz bieten würden.

Nehmen wir an, die Pharmafirmen, die einen gut funktionierenden Impfstoff entwickelt haben, würden ihr Patent auf Anordnung der WTO freigeben (müssen): So könnten in allen Ländern die lokalen Hersteller diesen Impfstoff quasi als Generikum nachmachen – und er wäre global schneller für mehr Menschen erhältlich. Das Problem der Lieferschwierigkeiten wäre gelöst.

Mehr als 100 Länder unterstützen diesen Vorschlag. Doch eine Handvoll mehrheitlich reicher WTO-Mitglieder stellt sich quer. Darunter sind Australien, Brasilien, Kanada, die EU, Japan, Norwegen, Grossbritannien, die USA – und die Schweiz. Diese Mitglieder blockieren das Anliegen. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten auch in der Vergangenheit die Interessen ihrer eigenen Pharmariesen vertreten.

Nun sind Patentforderungen vonseiten der entwickelnden Pharmafirmen durchaus verständlich. Für den Originalhersteller ist das Patent die Garantie, die finanziellen Früchte dessen zu ernten, was in die Forschung und Entwicklung investiert wurde, und natürlich längerfristig für die eigenen Investoren attraktiv zu sein. Andererseits sieht die Weltgesundheitsorganisation WHO (bei der die Schweiz auch Mitglied ist) den Zugang zu Gesundheitsversorgung gemäss ihrer Verfassung als Menschenrecht.

Heute ist der Internationale Tag der Menschenrechte. Es scheint legitim, angesichts von Covid-19 die Balance zwischen globaler Pandemie-Bekämpfung und privaten Profiten genauer anzuschauen.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Mitglieder des Nationalrats können ab nächster Woche nun auch von Zuhause aus abstimmen. Voraussetzung: Sie sind wegen Corona in Isolation oder Quarantäne. Das beschloss heute auch der Ständerat, nachdem der Nationalrat dem bereits am Montag zugestimmt hatte. So soll der Parlamentsbetrieb gewährleistet werden, auch wenn nicht immer die physische Präsenz möglich ist. Die Regelung ist auf maximal ein Jahr beschränkt.

Beide Räte im Parlament sind einverstanden mit der Geldaufstockung für die Härtefallhilfe. Details des angepassten Covid-19-Gesetzes sind aber noch umstritten. Die Ständeratskommission verschob die Diskussion auf kommende Woche. Morgen Freitag wird der Bundesrat voraussichtlich weitere mögliche Einschränkungen beschliessen. Der Ständerat will auf diese Entscheidungen warten.

Gemäss Komitee kommt das Referendum gegen das Covid-19-Gesetz zustande. Laut dem Verein «Freunde der Verfassung» wurden die nötigen 50’000 Unterschriften gesammelt. Das Komitee will das Covid-19-Gesetz rückgängig machen, das bereits in Kraft ist und beispielsweise die Härtefallhilfe regelt. Die Abstimmung dürfte erst im Juni kommenden Jahres stattfinden.

Schweizer Kulturschaffende fordern einen Richtungswechsel in der Corona-Politik. Rund zwei Dutzend Erstunterzeichnende haben einen offenen Brief an den Bundesrat und die Regierungsratspersonen der Kantone publiziert, darunter die Schriftstellerinnen Melinda Nadj Abonji, Adolf Muschg und Filmemacher Samir. Die aktuelle Corona-Politik sei mit den Schweizer Grundwerten nicht vereinbar, schreiben sie.

In Deutschland verschlechtert sich die Lage. Dies teilten Expertinnen des Robert-Koch-Instituts (RKI) mit. Nachdem die Fallzahlen auf hohem Niveau stagniert hätten, seien sie jetzt wieder am Steigen, so RKI-Präsident Lothar Wieler. Berlins Bürgermeister Michael Müller kündigte für die Hauptstadt einen strengeren Shutdown bis am 10. Januar an. Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach sich für generelle schärfere Massnahmen noch vor Weihachten aus – und appellierte mit einer emotionalen Rede an die Vernunft der Bürger. Deutschland verlängert die coronabedingten Einschränkungen bis am 10. Januar 2021.

Und zum Schluss: Alles Liebe – deine Depression

«Geh nicht unter Menschen, am besten gar nicht aus dem Haus. Bleib im Bett, dort ist es sicher. Alleine, vielleicht. Sind wir ehrlich: Du hast doch keine Kraft mehr, um dich zu wehren.

Ach so: Du darfst gerade eh nicht raus, nicht unter Menschen? Du hast Corona erwischt, bist in Quarantäne oder sorgst dich um deine Liebsten? Wundervoll! Dann kann ich mich ja ausruhen. Die Betonplatte, die ich so gern auf deine Brust presse, übernimmt jetzt ein anderer für mich.

Die Pandemie lähmt deine Glieder? Wunderbar, dann kann ich meine Kraft sammeln. Sobald diesem Virus die Puste ausgeht, springe ich wieder ein. Du weisst doch, wie gut ich das kann: Dich in dem Moment, wo du es nicht erwartest, von hinten wieder anspringen. Ich habe dir schon viel zu lange keine ordentliche Panikattacke geschenkt – doch zusammen mit dem Virus schaffe ich das, wetten? In Isolation, alleine, kommt die Panikattacke ja schon fast ohne mein Zutun.

Du hattest es dir so fest vorgenommen, für dieses wundervolle Jahr: Du wolltest mich loswerden. Vergiss es – danke, Corona.

Alles Liebe
deine Depression»

Dieser imaginäre Briefwechsel ist der Versuch eines Republik-Redaktionsmitglieds, das Gefühl der Scham zu durchbrechen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die verfassende Person anonym bleibt – weil es eine private Sache ist. Aber auch, weil der Text für viele Menschen steht, die mit einer Depression oder einem anderen psychischen Leiden leben – ob sie es benennen können oder nicht.

Manche Menschen können die Erfahrungen aus psychischen Erkrankungen nutzen, um besser mit der Krise umzugehen. Anderen fällt es nun – mit den verschiedenen Belastungen durch die Pandemie – doppelt schwer.

Heute ist der schweizweite Aktionstag zu mentaler Gesundheit. Das wollen wir zum Anlass nehmen, darüber zu sprechen.

Es ist völlig okay, sagen zu dürfen: Mir geht es nicht gut.

Sprechen wir mit einem guten Freund. Mit der eigenen Ärztin. Mit einer geistlichen Vertrauensperson. Einem Familienmitglied. Oder mit anonymen Angeboten wie der «Dargebotenen Hand» oder «Pro Juventute».

In diesem Sinne:

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und sprechen Sie miteinander.

Marguerite Meyer und ein weiteres Crew-Mitglied der Republik

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Autor und Satiriker Gabriel Vetter hatte gestern Abend eine «kleine, doofe Idee gegen den Corona-Massnahmenblues». Und stellte sie auf Twitter: «Man twittert ein Bild von etwas und dazu das Wort, wie eure Kinder das nennen, was zu sehen ist. Dazu den Hashtag. Okay? Go!» Wir finden, die Fundstücke unter #WhatMyKidsCallThis sind von herzig bis erschreckend, aber auf jeden Fall lösen sie ein Kichern aus. Heploplopter und Fudimusig!

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