Was diese Woche wichtig war

Einsicht bei Trump, Aussicht auf Bidens Kabinett und ein Nachruf auf Maradona

Woche 48/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Christian Andiel, Reto Aschwanden, Ronja Beck, Elia Blülle und Oliver Fuchs, 27.11.2020

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USA I: Donald Trump leitet Amtsübergabe ein

Darum geht es: Donald Trump zeigt Zeichen der Einsicht, dass er bald nicht mehr Präsident sein wird. Am vergangenen Montag hat Emily W. Murphy, Leiterin der US-Bundes­verwaltungs­behörde, den Prozess zur Amtsübergabe vom aktuellen zum designierten Präsidenten Joe Biden eingeleitet. Dies, nachdem das Verfassungs­gericht von Pennsylvania eine weitere Klage der Trump-Kampagne abgeschmettert hatte und der Druck auf den amtierenden Präsidenten auch innerhalb der Republikanischen Partei deutlich zugenommen hatte. In einem Brief forderten am Montag über hundert hochrangige republikanische Sicherheits­experten Trump zu einer raschen Amts­übergabe auf, weil er mit seiner Politik die nationale Sicherheit gefährde.

Warum das wichtig ist: Donald Trump weigert sich seit bald drei Wochen, den Sieg von Joe Biden anzuerkennen. Mit Dutzenden von Klagen versuchen seine Anwälte, das Resultat noch zu drehen. Problematisch ist das vor allem, weil dadurch die geordnete Amts­übergabe blockiert ist. Im Lauf der nächsten zweieinhalb Monate wird der neue Präsident nicht nur Ober­befehlshaber von über 1,3 Millionen Soldatinnen, sondern muss auch einen neuen Personal­stab zusammen­stellen (mehr dazu weiter unten bei «USA II»). Bereits unter normalen Umständen ist das Zeit­budget für die Übergabe knapp, doch mit Trump im Weissen Haus und der grassierenden Pandemie droht ein Chaos, das die bereits stark angeschlagene US-Wirtschaft und die instabile politische Lage im Land weiter beeinträchtigen könnte.

Was als Nächstes geschieht: Mit der Entscheidung vom Montag erhält Joe Biden Zugriff auf 6,3 Millionen Dollar, die es ihm ermöglichen, die für die Übergabe nötigen Massnahmen zu finanzieren. Gleichzeitig kann sein Team erstmals offiziell mit Regierungs­beamten kommunizieren, um die Übergabe zu koordinieren. Die Amts­einführung von Joe Biden ist für den 20. Januar angesetzt.

USA II: Biden-Regierung wird wohl aufregend langweilig

Darum geht es: Diese Woche hat der gewählte Präsident Joe Biden seine ersten Ministerinnen und Topbeamten vorgestellt. Alle haben langjährige Erfahrung – und es sind auffallend viele Frauen und Nichtweisse dabei. Bidens Auswahl signalisiert einen moderaten Kurs, ohne aber die Partei­linke vor den Kopf zu stossen.

Avril Haines wird unter der Regierung von Joe Biden als erste Frau den nationalen Nachrichten­diensten der USA vorstehen. Carolyn Kaster/AP/Keystone

Warum das wichtig: Eine «solide Wahl» sei das, meinte der Kampagnen­manager von Bernie Sanders über den künftigen Aussen­minister: Antony Blinken. Und falls Janet Yellen tatsächlich Finanz­ministerin werden sollte, wäre das «outstanding», findet die linke Senatorin Elizabeth Warren. Nach der Präsidenten­wahl ist ein Konflikt zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Demokraten über den zukünftigen Kurs der Partei ausgebrochen. Joe Biden positioniert sich geschickt dazwischen: Er besetzt sein Kabinett divers, aber mit lauter Vertretern des Establishments. Mit Alejandro Mayorkas wird etwa erstmals ein eingebürgerter Latino Vorsteher des Department of Homeland Security. Und Avril Haines wird die erste Frau, die dem Zusammen­schluss der Geheim­dienste vorsteht. Alle vier, Blinken, Yellen, Mayorkas und Haines, hatten bereits wichtige Posten in den Regierungen von Obama und Clinton inne. Interessant ist die Wahl von Ex-Aussenminister John Kerry zum Abgesandten für Klima. Sie deutet darauf hin, dass dieses Dossier weit oben auf der Agenda der neuen Regierung steht.

Was als Nächstes geschieht: Noch sind wichtige Posten unbesetzt, zum Beispiel jene der Verteidigungs­ministerin und des Justiz­ministers. Viele der Kandidatinnen müssen vom Senat bestätigt werden – es ist offen, wann dieser mit formellen Anhörungen beginnen wird. Bisher hat es Biden geschafft, dass niemand mit seiner Auswahl todunglücklich ist. Allerdings fühlen sich in seinem Kampagnen­team viele übergangen zugunsten von «Neuankömmlingen», die sich während des Wahlkampfs vornehm zurückgehalten hätten.

Hongkong: Peking macht Freiheits­kämpfern den Prozess

Darum geht es: Der Demokratie­aktivist Joshua Wong hat sich vor Gericht schuldig bekannt, unerlaubten Protest organisiert zu haben. Daraufhin wurden er und zwei Mitstreiter noch vor dem Ende des Prozesses in Haft genommen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Im Juni 2019 war Joshua Wong noch ein freier Mann, nun steht der mittlerweile inhaftierte Regierungs­kritiker in Hongkong vor Gericht. Paula Bronstein/Getty Images

Warum das wichtig ist: Mit dem Schuld­bekenntnis und den Konsequenzen daraus will Wong der Welt vor Augen führen, wie die Justiz in Hongkong von Peking manipuliert wird. Im Juni hat China ein Sicherheits­gesetz verabschiedet, das es erlaubt, in Hongkong drastisch gegen Umtriebe vorzugehen, die angeblich die nationale Sicherheit gefährden. Nun überarbeitet China die autonome Verfassung von Hongkong. Ein chinesischer Regierungs­vertreter sagte dazu: «Wir müssen die Verfassung als etwas Lebendiges betrachten, damit wir sie bei Bedarf interpretieren können.» Das dürfte den Autonomie­status von Hongkong weiter untergraben. Hongkongs Regierungs­chefin Carrie Lam, für Kritikerinnen eine Marionette Pekings, erklärte diese Woche in ihrer jährlichen Grundsatz­rede, die chinesische Regierung sei gezwungen gewesen, nach den Protesten letztes Jahr einzugreifen. Das Sicherheits­gesetz bezeichnete sie als «ausser­gewöhnlich wirksam», behauptete aber auch, die Unabhängigkeit der Justiz sowie Menschen- und Freiheits­rechte blieben gewahrt.

Was als Nächstes geschieht: Ein mildes Urteil ist im Prozess gegen Joshua Wong und seine Mitstreiter nicht zu erwarten. Die laufende Überarbeitung der Verfassung von Hongkong soll «falsche Aktivitäten» korrigieren. Das dürfte zu einem weiteren Abbau von Demokratie und Freiheits­rechten führen mit dem Ziel, die Verhältnisse in Hongkong an jene auf dem chinesischen Festland anzugleichen.

Äthiopien: In der Region Tigray droht neues Blutvergiessen

Darum geht es: Am Mittwoch­abend ist ein Ultimatum des Minister­präsidenten Abiy Ahmed an die Volks­befreiungs­front TPLF abgelaufen. Diese sollte kapitulieren, was sie aber nicht tat. Daraufhin kündigte Abiy an, das Militär werde nun die Endphase der Militär­offensive in der Region einleiten. Ziel ist Mek’ele, die Hauptstadt der Region Tigray. Da die Kommunikation unter­brochen ist und der Zugang zum Gebiet streng kontrolliert wird, ist nicht bekannt, wie der aktuelle Stand der Kämpfe ist.

Warum das wichtig ist: Äthiopien besteht aus über 80 verschiedenen Volks­gruppen. Die zehn Regionen des Landes verfügen über weitreichende Autonomie – zumindest offiziell. In der Realität aber dominierten die Tigray, die nur 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen, das Land über drei Jahrzehnte lang. Vor zwei Jahren übernahm dann eine neu gegründete Einheits­partei die Macht und machte Abiy Ahmed zum Minister­präsidenten. Die Tigray unter ihrem Anführer Debretsion Gebremichael zogen sich daraufhin in ihr Kerngebiet zurück und bekämpfen seither die Regierung. Das gefährdet die Einheit des Landes, Beobachter ziehen Vergleiche zum ehemaligen Jugoslawien. Zudem droht auch das benachbarte Eritrea in den bewaffneten Konflikt hinein­gezogen zu werden.

Viele Äthiopier aus der umkämpften Region Tigray haben im Nachbarstaat Sudan Zuflucht gefunden. Nariman El-Mofty/AP/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Tigray-Chef Debretsion Gebremichael hat verkündet, die Menschen in der abtrünnigen Region seien «bereit zu sterben». Aus dem Ausland kommt zunehmend Kritik am Vorgehen von Abiy Ahmed, doch der Minister­präsident verbittet sich jede «Einmischung». Bereits jetzt sind Zehntausende auf der Flucht, viele von ihnen suchen Schutz im Nachbar­land Sudan.

Zum Schluss: Die Hand Gottes klopft an die Himmelstür

Das hat 2020 noch gefehlt. Diego Maradona, der grösste Fussballer aller Zeiten, ist mit 60 Jahren an einem Herz­infarkt gestorben. Die Diskussion, ob nicht doch Pelé oder Messi oder Cruyff … die nehmen wir dann nach einer angemessenen Trauer­zeit wieder auf (in Argentinien wurden drei Tage Staats­trauer angeordnet). Jetzt und hier halten wir fest: Maradona liess Träume wahr werden. Die Träume eines Buben aus ärmlichen Verhältnissen, der es mit seinem Talent am Ball zum Heiligen von Neapel schafft, der 1986 mit Argentinien Welt­meister wird. Und auf dem Weg zu seinem grössten Triumph im Viertelfinal ein Traum­spiel abliefert: Gegen England gelingt ihm das Tor des Jahrhunderts, er dribbelt das gesamte englische Team aus und schiebt den Ball ins Tor. Freilich hatte Maradona vier Minuten zuvor mit dem Betrug des Jahrhunderts das 1:0 erzielt. Mit der Folge, dass der Genie­streich im Schatten der irregulären «Hand Gottes» steht. Ein Menetekel späterer Zeiten, an sein Leben neben dem Fussball? Da ging es dann um Doping, Drogen, Mafia, bizarr-peinliche Auftritte mit dicken Zigarren, gescheiterte Versuche als Trainer, die Nähe zu Autokraten und Diktatoren. Es ist das Schicksal grosser Sportler, dass sie – anders als grosse Musikerinnen, Maler – nicht ewig das tun können, was sie können. Und oft zeigt das Leben nach der Karriere, dass sie sonst nichts wirklich können. Oder können dürfen. Der Fan erwartet immer den Genie­streich, immer die «Hand Gottes». 60 Jahre sind vergleichs­weise wenig. Maradona hat in seinen 60 Jahren sehr viel mehr gepackt als andere. Wir werden noch lange die Tore gegen England anschauen, und auch den schönen, bedrückenden Dokumentarfilm «Diego Maradona» von Asif Kapadia. Darin sagt er: «Ich will doch nur Maradona sein.» Er war es.

Was sonst noch wichtig war

  • Lugano: Am Dienstag verletzte eine 28-Jährige in einem Kaufhaus in Lugano zwei Frauen mit einem Messer. Die Schweizerin, die zum Islam konvertiert sein soll, wurde verhaftet. Sie ist dem Bundesamt für Polizei bekannt. 2017 versuchte sie vergeblich, zu einem jihadistischen Kämpfer nach Syrien zu reisen. Zurück in der Schweiz wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

  • Schottland: Als erstes Land der Welt stellt Schottland künftig Tampons und Binden gratis zur Verfügung. Das hat das Parlament einstimmig entschieden. Damit sollen auch Armuts­betroffene, die sich oft mit Toiletten­papier oder Socken behelfen müssen, Zugang zu Menstruations­produkten erhalten.

  • USA: Donald Trump begnadigt seinen ehemaligen Sicherheits­berater Michael Flynn. Dieser hatte gegenüber dem FBI über seine Kontakte zu Russland gelogen. US-Präsidenten sprechen gegen Ende ihrer Amtszeit gern Begnadigungen aus, so wie 2001 Bill Clinton im Fall des Finanz­investors Marc Rich, der vor den Straf­verfolgungs­behörden in die Schweiz geflüchtet war.

  • Guatemala: Letzten Samstag zündeten Demonstranten Teile des Parlaments­gebäudes in Guatemala-Stadt an. Sie protestierten damit gegen einen rekord­hohen Haushalts­entwurf, der dem Land hohe Schulden beschert hätte. Das meiste Geld sollte in Infrastrukturen fliessen, die von Privat­unternehmen verwaltet werden, während bei Gesundheit und Bildung Kürzungen geplant waren. Am Montag beschloss das Parlament, noch einmal über die Bücher zu gehen.

  • Burkina Faso: Trotz Drohungen von Islamisten sind die Parlaments- und Präsidenten­wahlen friedlich verlaufen. In den letzten fünf Jahren hat sich die Sicherheits­lage im einst stabilen Land massiv verschlechtert. Verantwortlich gemacht wird dafür der amtierende Präsident Roch Kaboré, der ersten Resultaten zufolge in Führung liegt. Die Opposition spricht von Wahlbetrug.

  • G-20: Das virtuelle Gipfel­treffen der 20 grössten Wirtschafts­mächte am letzten Wochenende brachte bescheidene Resultate. Es gab ein Abschluss-Communiqué, wonach bezahlbare Corona-Impfstoffe gerecht auf der ganzen Welt verteilt werden sollen. Doch das ist nur eine Absichts­erklärung – genau wie die angekündigten Massnahmen zur Stimulierung der Welt­wirtschaft sowie die Schulden­erleichterungen für arme Länder.

Die Top-Storys

Das Geschäft mit der Pflege Deutschland hat einen Pflege­notstand (die Schweiz, gemäss entsprechenden Fachverbänden, übrigens auch). Damit die Spitäler nicht unterbesetzt sind, müssen Pflege­kräfte vermehrt im Ausland rekrutiert werden. Häufig kommen dabei zwielichtige Vermittlungs­agenturen ins Spiel. Das deutsche Recherche­netzwerk Correctiv zeigt in einer grenz­übergreifenden Zusammen­arbeit auf, wie diese Menschen nach Deutschland geholt werden und unter welch fragwürdigen Bedingungen sie dort arbeiten.

Gegen die Gewalt Femizide und Misshandlungen von Frauen treiben weltweit immer mehr Menschen auf die Strasse, so auch in der Türkei. Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am letzten Mittwoch hat Arte eine Dokumentation online gestellt, die zeigt, wie türkische Frauen für ihre Rechte einstehen. Und sich damit die Regierung zum Feind machen.

Die «Zerstörung» der Wirrköpfe Mit seinem 2019 veröffentlichten Video «Die Zerstörung der CDU», in dem er die Fehl­leistungen der deutschen Parteien detailliert aufzeigte, wurde der deutsche Youtuber Rezo über alle Alters­klassen hinweg bekannt. In einem neuen Video beschreibt er nun im gleichen Stil, wie die deutsche Politik versagt – dieses Mal im Zusammen­hang mit den sogenannten «Querdenken»-Demos.

Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

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