Aus der Arena

Warnung! Misstrauen Sie Ihrem Misstrauen!

Donald Trump bringt es fertig, eine Niederlage in eine Goldmine zu verwandeln. Das ist die höchste Kunst eines Hochstaplers: Er betrügt die Menschen nicht einfach nur, er schafft es sogar, dass ihn die Betrogenen verteidigen.

Von Constantin Seibt, 23.11.2020

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Für einmal: eine Verbeugung vor Donald Trump. Man kann viel von ihm lernen. Er ist ein Meisterbetrüger.

So zeigt er vorbildlich, wie man misstrauische Leute erst um ihren Verstand, dann um ihr Geld bringt.

Nach seiner Weigerung, den Wahlsieg seines Konkurrenten Joe Biden anzuerkennen, sprach die schockierte Presse wahlweise von einer Verfassungs­krise, einem beleidigten Drei­jährigen, einem Staatsstreich.

Das alles stimmt. Aber auch etwas anderes: die Kasse.

Denn im Kleingedruckten seines Aufrufs, den juristischen Kampf gegen die Wahl­resultate finanziell zu unterstützen, steht: 60 Prozent (bis 5000 Dollar) jeder Spende werden zur Unter­stützung des Trump-eigenen Superpacs «Save America» verwendet. Dann folgen die weiteren 40 Prozent (bis 35’500 Dollar) zur Deckung der Wahlkampf­schulden. Erst wenn diese Limits erreicht sind, folgt die Finanzierung des eigentlichen Zwecks.

Was heisst, dass die eigene Niederlage zur Goldmine wird. Je verzweifelter der Kampf sich in die Länge zieht, desto besser. Weil praktisch alle Spenden in Trumps Tasche fliessen.

So etwas muss man erst mal hinbekommen.

Eine der Fragen ist, wie es Trump geschafft hat, dass Millionen Republikaner ihm glauben. (Oder falls nicht: zumindest glauben, ihm glauben zu müssen, selbst wenn sie ihm nicht glauben.) Denn die meisten seiner Anhänger sehen sich als No-Bullshit-Menschen, gestählt vom Feuer des Lebens: als Männer und Frauen ohne Illusionen.

Doch gerade der Stolz auf ihr Misstrauen lässt sie zu idealen Betrugs­opfern werden. Kein Wunder, startete Trump seine politische Karriere als Propagandist einer maximal misstrauischen Theorie: als birther.

Trump behauptete, dass Barack Obama kein legitimer Präsident sei, weil sein Geburtsort nicht auf amerikanischem Boden liege, sondern in Kenia.

Das bedeutete nicht nur, dass zwei Dokumente gefälscht sein mussten: Obamas Geburts­urkunde und die Geburts­anzeige einer Lokal­zeitung von Hawaii. Sondern auch, dass der komplette Justiz­apparat plus das FBI, das Weisse Haus, der Kongress und beinahe alle Medien die Wahrheit unterdrückten.

Kurz: eine Verschwörung von mindestens hundert­tausend Leuten. Ohne dass ein Einziger unter ihnen aufstand und sagte: Es ist anders.

Damals lachten viele über Trump. Nicht zuletzt Obama, der kurz nach der Publikation seiner Geburts­urkunde sagte: «Ich bin mir sicher, niemand ist über die Erledigung dieser Debatte glücklicher als Donald. Deshalb, weil er sich endlich wieder auf die Fragen konzentrieren kann, die wirklich zählen: Wurde die Mond­landung gefälscht? Was passierte tatsächlich in Roswell

Doch ein Drittel der Amerikanerinnen glaubte Trump. Darunter 72 Prozent der Republikaner – mit der birther-Theorie eroberte Trump den Kern seiner späteren Basis. Lauter Leute, die auf ihr Misstrauen gegenüber offiziellen Darstellungen stolz waren. Oder aus Prinzip an gar nichts glaubten. Weil sie sich nicht betrügen lassen wollten.

Und sich gerade deshalb von einem Serien­bankrotteur um den Finger wickeln liessen.

In der Tat ist die Bestätigung des Misstrauens die effizienteste Waffe wirklich begabter Betrüger.

1925 lud der Hochstapler Victor Lustig die fünf grössten Schrott­händler von Paris in ein Hotel zu einem Treffen ein. Er stellte sich als Regierungs­beamter vor und bot ihnen das Geschäft ihres Lebens an: den Eiffelturm. 7300 Tonnen weltberühmter Stahl.

Lustig bat um Geheim­haltung, weil die Regierung den Beschluss zum Abbruch noch nicht öffentlich machen wollte. Und um eine Offerte innert Tagesfrist.

Der Händler, dessen Angebot er anzunehmen gedachte, war ein unsicherer Aufsteiger: André Poisson. Doch kurz vor Vertrags­abschluss gab es ein Problem: Poisson zögerte. Seine Frau hatte Verdacht geschöpft.

Lustig machte ein weiteres Treffen ab. Und sprach nun über etwas ganz anderes: sein beengtes Leben, den mickrigen Beamten­lohn, seine familiären Sorgen. Poisson begriff: Lustig wollte ein Bestechungs­geld.

Die Korruptheit des Verkäufers überzeugte den Schrott­händler von der Echtheit des Deals. Er zahlte für den Eiffelturm eine Summe von über 50’000 Dollar. (Nach heutigem Wert circa 750’000 Dollar.)

Als Lustig damit abtauchte, schwieg Poisson aus Scham. Und Lustig versuchte den Eiffelturm ein zweites Mal zu verkaufen, diesmal erfolglos. Worauf er sich nach Amerika absetzte.

Dasselbe funktioniert auch in der Schweiz. Anfang der 1990er-Jahre brachte der European Kings Club – viele Jahre vor der SVP – die stolzesten und misstrauischsten Menschen dieses Landes dazu, ihr Geld heraus­zugeben: die Innerschweizer.

Dabei war die Kings-Club-Sprecherin Damara Bertges das Gegenteil von dem, was normaler­weise in dieser Gegend ankam: eine Frau, eine Schwarze, eine Deutsche. Ausserdem hatte sie in Finanz­dingen keinerlei Fach­kenntnisse: Sie war gelernte Hotel­fachfrau. Doch ihre Botschaft überzeugte: Die Banken machten mit dem Geld der einfachen Leute unglaubliche Profite. Doch nun würde der Kings Club das ändern. Und auch ihnen die Chance geben, im Finanz­system reich zu werden. Jede eine Königin.

Sie versprach 70 Prozent Profit. (Weil die Banken locker 100 machten.) Wer einen sogenannten Letter für 1200 Franken erwarb (mit 200 Franken Bearbeitungs­gebühr), bekam ein Jahr lang jeden Monat 200 Franken zurückbezahlt.

In Deutschland, Österreich, der Schweiz rebellierten hundert­tausend Anleger gegen die «Finanz­schinderei» der Banken: Bäuerinnen, Handwerker, sogar Anwälte investierten ihr Vermögen, überzeugten Verwandte und Freunde; viele verschuldeten sich bis unters Dach, um immer mehr Kings-Club-Letters zu kaufen.

In den kurzen drei Jahren seiner Existenz waren in den Kantonen Uri und Glarus 10 Prozent aller Erwachsenen Mitglieder des Kings Club.

Als die Börsenaufsicht den Letter-Verkauf verbot, protestierten ganze Busladungen in den Strassen. Und später – nach der Verhaftung der Kings-Club-Spitze – vor dem Gefängnis. Die Ermittler erhielten Mord­drohungen. Am Prozess überreichten die Geschädigten den Angeklagten Blumen. Einige Begeisterte gründeten sogar eine Kings-Club-Partei.

Es nützte nichts, dass die Staats­anwaltschaft nachwies, dass der Kings Club nie ein Geschäfts­modell für die anvertrauten Gelder hatte. Sondern ein lupenreines Schneeball­system betrieben hatte. Die betrogenen Anleger schoben die 2-Milliarden-Pleite auf die Sabotage der Behörden.

Auch persönliche Tragödien änderten daran nichts. Ein bankrotter Bäckerei­besitzer etwa sah sich als «Opfer des Weltkapitals», seine Frau beschrieb den Kings Club als Vereinigung von Leuten, «die nicht mehr als Schafe in der Herde mitblöken wollen», ein Auto­mechaniker sagte nach dem Verlust seiner Werkstatt: «Auch wenn sie mir das Haus wegnehmen, ich finde mich mit allem ab, wenn ich nur Kings-Club-Mitglied bleibe.»

Der Vorteil von Hochstaplerinnen ist, dass ihr Auffliegen ihnen oft nur bedingt schadet. Weil ihre Opfer verblüffend oft mitarbeiten. Entweder sie schweigen aus Scham. Oder sie suchen nach Recht­fertigungen, warum nicht der Betrüger ein Betrüger ist, sondern andere Leute. Vorzugsweise finstere Mächte – etwa die Behörden, die ihn schnappten.

Dies aus zwei Gründen:

  1. Jede seriöse Quacksalberin verbreitet dieselbe Geschichte, die gleichzeitig dem Verkauf und der Erklärung für das Scheitern dient: Alle anderen verkauften Gift oder Placebos, nur sie allein habe die richtige Medizin für alles. Kein Wunder, intrigierten Pharma­industrie wie Behörden gegen sie: Weil ihr Betrugs­geschäft und ihre Steuer­einnahmen sonst zusammen­brechen würden.

  2. Wird man betrogen, läuft es wie in einer schlechten Ehe oder bei den Spielern im Casino: Menschen hassen es, Verluste zu realisieren. Und verdoppeln bei Enttäuschungen den Einsatz.

Kein Wunder, zahlen die Betrogenen oft noch die Anwälte ihrer Betrüger. Oder werden zu Opfern weiterer Betrügerinnen.

In der Tat ist das Wertvollste, was ein Betrüger einem Kollegen verkaufen kann, seine Adress­kartei. (Nicht selten meldet sich dieser dann als Detektiv, der den vergangenen Betrugs­fall untersucht.)

Was folgt daraus?

  1. Falls ihn nicht die New Yorker Staats­anwälte erledigen, hat Donald Trump glänzende Geschäfts­aussichten: Er hat aus dem Wahlkampf eine umfassende Adress­kartei aller Spenderinnen. Und über 70 Millionen Wähler, die eine Menge Denkarbeit in die Frage stecken werden, warum ihr unbesiegbarer Kandidat ein Opfer betrügerischer Mächte wurde.

  2. Die wirkliche Gefahr beim Betrogen­werden ist, dass es kein Ereignis ist, sondern ein Zustand: weil die Betrüger mit dem Betrügen weitermachen. Und die Betrogenen mit dem Betrogen­werden auch.

  3. Das Einfallstor für die Betrüger ist nicht Vertrauens­seligkeit, sondern Misstrauen. Die meisten Opfer glauben, dass die Welt korrupt ist – die Banken, Behörden, Pferde­rennbahnen, was immer. Und nur der eine Gescheite, der das System durchschaut, nicht.

  4. Dabei entlarvt sich jede Betrügerin am sichersten dadurch, dass sie behauptet, der einzige ehrliche Mensch in einem Sumpf von Betrügerinnen zu sein.

  5. Oder, als Variante für noch illusions­losere Opfer: Der Betrüger behauptet, der einzige Mensch zu sein, der zugibt, mit Tricks zu arbeiten, während alle anderen ebenfalls Trickser sind, aber Heuchler.

  6. (Letzteres ist übrigens eine sehr beliebte Variante in der Politik. Und die Erklärung, warum Politiker, die das System als korrupt anprangern, durch Korruptions­skandale oft nur noch populärer werden: Sie liefern mit dem eigenen Skandal den Beweis für die Richtigkeit ihrer Analyse – und damit für ihre Ehrlichkeit.)

  7. Misstrauen Sie also Ihrem Misstrauen. Sobald Sie merken, dass es sich voll­gefressen hat und bereits ganze Branchen, den Grossteil aller Nachrichten, der Regierung und Ihrer Familie umfasst, sind Sie wahrscheinlich jemandem auf den Leim gekrochen.

  8. Wem? Nun, sehen Sie sich nach den strahlenden Ausnahmen um. Behaupten diese, von Betrügern umzingelt zu sein, haben Sie die Damen und Herren gefunden, über die Sie bei einem langen Spazier­gang nachdenken sollten.

Das jedenfalls rät Ihnen die Republik, die strahlende Ausnahme im Schweizer Mediensystem.

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