Das Internet erinnert sich
Viktoria Binschtok kombiniert eigene Bilder aus dem Material, das Suchmaschinen für sie finden. Ein Spiel mit der Macht von Algorithmen.
Von Nadine Wietlisbach (Text) und Viktoria Binschtok (Bilder), 14.11.2020
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Egal, wie eingehend man die Bilder von Viktoria Binschtok betrachtet, der dahinterliegende Prozess bleibt schwierig zu ergründen. Die satten Farben und die Formen ähneln sich, Texturen erscheinen als sich wiederholende Muster. Die Sujets sind oft eher profan: Teigwaren oder weisse Wolkenformationen vor blauem Himmel, in älteren Arbeiten auch Strassenzüge oder Elemente aus der Architektur.
Für ihre Arbeit «Networked Images» veröffentlichte Binschtok eigene Fotografien online. Dann liess sie einen Algorithmus für die Bildersuche ans Werk. Dieser Algorithmus, auch bekannt als Copyright-Tool, wertet ausschliesslich Informationen aus, die im Bild selber stecken, und sucht so nach ähnlichen Bildern. Aus dieser algorithmisch generierten Auswahl wählt Binschtok Bilder aus und nimmt diese als Ausgangslage für fotografische Collagen.
Das gefundene Bildmaterial dient als Inspiration; welches Bild das von der Künstlerin als «Eingangsbild» beschriebene Element ist und welches diesem später zur Seite gestellt wurde, bleibt Binschtoks Geheimnis. Die beiden Bilder – das eigene sowie das vom Algorithmus gefundene Geschwister-Bild – entfalten in ihrer Gegenüberstellung eine fast geisterhafte Wirkung.
«Not until Tomorrow», ihre aktuelle Ausstellung in Berlin, spielt mit der Ambivalenz der Sichtbarkeit digitaler Bilder. Deren scheinbar flüchtige Form beruht auf dem Zusammenspiel von Dateninformationen, die nur für begrenzte Zeit auf den Bildschirmen unserer Computer und Smartphones aufscheinen. Der Titel lehnt sich an einen Instagram-Trend an, bei dem Userinnen unter dem Hashtag #untiltomorrow Bilder mit dem Hinweis teilen, dass sie diese am nächsten Tag wieder aus ihrem Feed entfernen werden.
Für Binschtok klingt das nur vordergründig nach einem Akt der Selbstbestimmung. Mit Blick auf die Gesetzmässigkeiten der Datenspeicherung findet sie die Vorstellung, es gäbe für einmal geteilte Daten ein Verfallsdatum, naiv.
Bis zur Digitalisierung waren fotografische Bilder eng verbunden mit Printformaten: als analoger Papierabzug, als reproduziertes Bild in Zeitungen oder Büchern. Ihre Verbreitung war beschränkt.
Heute zirkulieren Bilder online: Sie werden oft mit einem Mobiltelefon erstellt, digital verschickt und auf verschiedene Plattformen geladen. Das vernetzte Bild erzählt die Geschichte der Zusammenführung von Kamera und Internet und die damit einhergehende Beschleunigung der Verteilung.
Viktoria Binschtok weist mittels präziser Überlagerungen subtil darauf hin, dass die Bilder, die wir zu sehen bekommen, genauso von Algorithmen gesteuert werden wie die Texte, die als Resultat unserer Wortsuche in einer Suchmaschine erscheinen. Ihr Arbeitsprozess ist dabei emotional, analytisch und verspielt zugleich. In ihrer ganz eigenen visuellen Sprache gibt sie vernetzten Bildern ein Nachleben.
Die Bilder wurden uns freundlicherweise von der Galerie Klemm’s zur Verfügung gestellt, wir bedanken uns!