Mit Bildern die Sprache wiederfinden
Sexuelle Gewalt lässt die Opfer oft stumm zurück. Mit ihren Arbeiten zwischen Dokumentation und subjektiver Erfahrung will die Künstlerin Laia Abril solche Erfahrungen erzählbar machen.
Von Nadine Wietlisbach (Text) und Laia Abril (Bilder), 07.11.2020
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Laia Abril arbeitet seit Jahren an einem Werkzyklus mit dem Titel «A History of Misogyny». Dafür nähert sie sich im Gespräch mit zahlreichen Menschen der Frage, wie Frauen und ihre Körper in patriarchal geprägten Systemen leben und überleben. Und wie sie ihre Geschichten erzählen.
Das zweite Kapitel ihrer Arbeit steht unter der Überschrift «On Rape». Hier beschäftigt sich die in Barcelona lebende Künstlerin mit der Instrumentalisierung von Vergewaltigung und sexueller Gewalt, die in einem institutionellen Rahmen stattfinden und als Druckmittel und zum Ausbau der eigenen Macht eingesetzt werden. Ausgelöst wurden Abrils Recherchen zu diesem Thema von einem Ereignis in Spanien, das 2018 landesweite Proteste auslöste. Fünf Männer hatten eine 18-Jährige vergewaltigt und wurden wegen Missbrauchs (statt des schwerwiegenderen Delikts der Vergewaltigung) angeklagt, dann aber freigesprochen.
In einer Zusammenführung von autobiografischen Erzählungen in Form von Textelementen und Audiobeiträgen, aber auch von persönlichen Gegenständen wie Kleidern zeichnet Abril individuelle Schicksale nach.
Weitere Bilder und Dokumente fand sie in Archiven und Datenbanken. Sie suchte eigene Bilder zum Thema und fand manches auch zufällig. Durch dieses ganze Material erhalten Einzelschicksale einen gesellschaftlichen und juristischen Kontext. So lässt sich etwa nachverfolgen, wie sich die Gesetzgebung im Laufe der Zeit verändert hat und in welchen kulturellen Kontexten sexuelle Gewalt an Frauen als Kriegswaffe eingesetzt wird.
Die abgebildete Uniform gehörte einer Soldatin der US-Armee. Der ihr zugeteilte Kommandant hatte sie als junge Armeeangehörige manipuliert und unter Druck gesetzt. Über ein Jahr war sie massiven sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Der die Uniform begleitende Kurztext lässt erahnen, wie schmerzhaft es für sie war, aus dem schamvollen Schweigen heraus eine Sprache zu finden für die Gewalt, die ihr widerfahren ist. Viel zu lange hatte sie ihre Geschichte mit sich herumgetragen. Erst Jahre später, an einem Treffen für Kriegsveteraninnen, sprach sie erstmals über das Erlebte.
Mit «On Rape» widmet sich Abril anspruchsvollen Fragen um sexuelle Gewalt. Im Interpretationsraum zwischen dokumentarischer Herangehensweise und persönlich geprägter Sicht wird der Ernst des Themas sichtbar. Ihre Erzählungen sind gründlich recherchiert, bilden Brücken zwischen den Erfahrungen von Überlebenden und den Betrachtenden und entfalten dabei eine soghafte Wirkung. Damit hat Laia Abril eine künstlerische Ausdrucksform entwickelt, die aktivistisch gegen das immer noch weitverbreitete Schweigen über sexuelle Gewalt angeht.
Die Bilder wurden uns freundlicherweise von der Galerie Les filles du Calvaire zur Verfügung gestellt, wir bedanken uns!