Der Report zur Konzern-Initiative – Teil 3

Ist der Gegenvorschlag nicht doch besser?

Auf Schweizer Unternehmen komme mit der Initiative eine Klagewelle zu, sagen Wirtschaftsverbände – und empfehlen ein Nein. Ist da wirklich etwas dran? Der grosse Report zur Konzern-Initiative, Teil 3.

Von Ariane Lüthi (Text) und Daniel Stolle (Illustrationen/Animationen), 23.10.2020

Ich sitze in einem Zürcher Café und lasse mir von Nina Burri erklären, was ein Kläger tun müsste, um eine angebliche Menschen­rechts­verletzung eines Schweizer Unter­nehmens im Ausland vor ein Gericht in der Schweiz zu bringen.

Burri ist Rechtsanwältin, ehemalige Assistenz-Staats­anwältin beim Inter­nationalen Strafgerichts­hof in Den Haag und aktuell beim kirchlichen Hilfswerk «Brot für alle» für den Bereich Wirtschaft und Menschen­rechte zuständig – also bei einer jener Organisationen, die bei einer Annahme der Konzern­verantwortungs­initiative Geschädigte dabei unter­stützen könnten, einen Prozess in der Schweiz zu führen.

Ich versuche zu verstehen, wie hoch die Hürden für Kläger tatsächlich sind und was das für die mögliche «Klagewelle» bedeutet, die oft als Argument gegen die Initiative angeführt wird. Ist das alles nur Angst­macherei – oder sind die Befürchtungen der Wirtschafts­verbände gut begründet?

Zur Serie

Die Menschenrechts­spezialistin Ariane Lüthi nimmt die Konzern-Initiative unter die Lupe: Wie gut verhalten sich Schweizer Firmen? Welche Verbesserungen verspricht die Initiative? Gibt es Nebenwirkungen? In drei Etappen bildet sich Lüthi ein Urteil – und entscheidet sich zum Schluss, wie sie abstimmen will.

Am Anfang steht die Klageschrift

Als Beispiel dient uns die Zinkmine Cerro de Pasco in Peru, die beschuldigt wird, Mensch und Umwelt mit Blei und anderen Metallen so stark belastet zu haben, dass die Gegend unbewohnbar geworden ist. Glencore, die Schweizer Rohstoff­händlerin mit Sitz in Baar, wurde dort 2017 Mehrheits­aktionärin.

Was müssten also die Anwohnerinnen dieser peruanischen Mine genau tun, um von Glencore in der Schweiz Schaden­ersatz einzufordern? Das Verfahren würde nach der geltenden Schweizerischen Zivilprozess­ordnung ablaufen, erklärt Burri. Mit folgenden Rahmen­bedingungen:

  • Zuerst müssten die Anwohner wissen, dass sie in der Schweiz klagen können. Dann müssten sie eine Übersetzerin engagieren, die eine Klageschrift in der Amtssprache schreibt – in diesem Fall auf Deutsch.

  • Der Gerichtsstand richtet sich nach dem Firmensitz und der geforderten Schaden­summe. Hier wäre das Kantons­gericht Zug zuständig, und die Klage würde zunächst an die entsprechende Schlichtungs­stelle gelangen.

  • Massenklagen sind in der Schweiz nicht möglich, und auch ein Verband (etwa eine Anwohner­vereinigung) kann normaler­weise nicht klagen. Jede Klage müsste also von einer Einzel­person vorgebracht werden.

In der Klageschrift müssten die Anwohnerinnen ihren Schaden dokumentieren und beziffern. Das ist laut Burri die komplizierteste Aufgabe:

  • Wird eine Krankheit geltend gemacht, müsste der Kläger die individuellen Arztkosten nennen und später auch belegen – etwa mit Rechnungen.

  • Daraus ergibt sich der Streitwert des Falles. Der sollte so hoch sein, dass die Klägerin den Fall durch alle Instanzen ziehen kann, also notfalls bis zum Bundes­gericht. Je höher der Streitwert, desto höher fallen aber auch die Prozess­kosten aus und damit die Anzahlung, die der Kläger leisten muss.

  • In Cerro de Pasco hat eine Nicht­regierungs­organisation (NGO) schon Proben entnommen und gemäss eigenen Angaben in den Haaren von Kindern erhöhte Bleiwerte nachgewiesen. Dass diese Dokumentation bereits vorliegt, ist die Ausnahme. In der Klageschrift müssten die Anwohner solche Beweise noch nicht erbringen, aber summarisch nennen.

Nebst dem Schaden muss die Klageschrift aufzeigen, dass dieser widerrechtlich und wegen der geschäftlichen Tätigkeit eines von der Schweizer Firma kontrollierten Unter­nehmens entstand.

Im Fall von Cerro de Pasco würde sich eine zusätzliche Schwierigkeit stellen: Ende 2019 kündigte Glencore an, die Aktien­mehrheit an der Mine wieder zu verkaufen. Möchten die Anwohner nun einen Schaden geltend machen, der über diese Zeit hinausgeht, müsste die Klägerin beweisen, dass die Mine immer noch unter tatsächlicher Kontrolle von Glencore steht – etwa mit dem Argument, dass der Abnahmevertrag ihr das alleinige Kaufrecht zusichert.

Verhandlung und Vergleich

Findet die Schlichtungs­stelle keine Lösung, verweist sie den Kläger ans Gericht. Dann geht es im Drehbuch folgender­massen weiter:

  • Das Gericht schickt einen Einzahlungs­schein nach Cerro de Pasco respektive an den Anwalt des Klägers in der Schweiz. Die Anwohner müssen eine Anzahlung an die Prozess­kosten leisten, ausser sie können beweisen, dass sie mittellos sind. Nur wenn eine Aussicht auf Erfolg besteht, übernimmt der Staat vorerst die Kosten.

  • Erst an diesem Punkt kommt Glencore ins Spiel – wenn der Kläger «für das Gericht überzeugend aufgezeigt hat, dass die Firma für einen Schaden verantwortlich ist», wie Burri erklärt. Nun geht es um die Sorgfalts­prüfung und den damit verbundenen Entlastungs­beweis: Kann die Firma beweisen, dass sie die Risiken in Cerro de Pasco geprüft und entsprechend reagiert hat, ist sie nicht für den Schaden haftbar.

  • Das Unternehmen könnte alle Beweis­mittel anzweifeln und zusätzliche Gutachten einfordern – zum Beispiel unabhängige Boden­messungen. Das geht laut Burri schnell ins Geld und vergrössert das finanzielle Risiko für die Kläger: «Alle diese Kosten gehen in den Pott der Prozess­kosten. Dazu gehört auch das Honorar der von der Schweizer Firma beauftragten Anwalts­kanzlei.» Verliert der Kläger, muss er am Schluss bezahlen – die Kosten der Gegen­partei auch dann, wenn eine unentgeltliche Prozess­führung gewährt wurde.

Burri erklärt, dass in der Schweiz die meisten Haftpflicht­fälle in Vergleichen enden, also nicht mit einem richterlichen Entscheid. Dies erspart Arbeit und vermeidet hohe Prozess­kosten. Ausser­gerichtlich können sich die Parteien auch auf jene Konditionen einigen, die sie wollen – zum Beispiel auf Entwicklungs­projekte oder eine Entschuldigung. Wird der Prozess jedoch zu Ende geführt, kann die Richterin lediglich über das entscheiden, was die Parteien gefordert haben – also normalerweise über den Schadenersatz.

Mittlerweile sind zwei Stunden vergangen, und unsere Cappuccino sind längst ausgetrunken. Burri ist noch immer voll in ihrem Element. Auf die These einer drohenden Klageflut angesprochen, winkt sie ab: «In zivil­rechtlichen Prozessen ist das Risiko für den Kläger sehr hoch. Auch NGOs, die die Kläger unterstützen würden, machen eine Risiko­abwägung. Alle nötigen Beweise zu erbringen, ist extrem schwierig. Man braucht einen Schweizer Anwalt, der auf Zivil­recht spezialisiert ist. Und man würde nur Fälle vorbringen, in denen die Beweislage sehr klar ist. Andernfalls wäre das Risiko zu hoch. Und ein negativer Präzedenz­fall wäre sicherlich nicht in unserem Interesse.»

Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass das angebliche Geschäfts­modell der «inter­nationalen Klageindustrie» in der Schweiz nicht so lukrativ ist. Zumal das hiesige Zivilrecht keine Straf­zahlungen vorsieht – gewinnen die Anwohner aus Cerro de Pasco, werden die Kosten bezahlt, die sie eingefordert haben, mehr nicht. In der Schweiz gibt es zudem ein explizites Bereicherungs­verbot: Ein Schaden darf nur geltend gemacht werden, wenn er noch nicht gedeckt wurde. Hätte es also in Peru schon einen Gerichts­prozess gegeben und hätte der Betreiber der Mine eine Arzt­rechnung bezahlt, könnte dieses Geld nicht noch zusätzlich von Glencore eingefordert werden.

Mich interessiert, was die Initiativ­gegner von diesem Befund halten.

Die ominöse Beweislast

Ein anderes Café in Zürich, Denise Laufer stellt sich meinen Fragen. Auch sie beschäftigt sich seit Jahren mit Wirtschaft und Menschen­rechten. Laufer ist in der Geschäfts­leitung bei Swissholdings, dem Verband der grossen Konzerne mit Sitz in der Schweiz, und artikulierte Gegnerin der Initiative.

Wir haben einen ruhigen Ecktisch gefunden und trinken wieder Kaffee. Ein Anwalt von Economiesuisse ist ebenfalls dabei. Das Aufnahmegerät läuft, und Laufer stellt als Erstes klar, dass sich die Mitglieder von Swissholdings nicht davor fürchten, tatsächlich haftbar gemacht zu werden. «Das Ergebnis eines Gerichts­prozesses ist nicht das Problem», sagt sie. «Der Punkt ist, dass die Initiative neue Klage­möglichkeiten schafft, auch bei Verstössen von rechtlich unabhängigen Geschäfts­partnern. Sobald die Gefahr dazu besteht, gehen die Firmen in den Abwehr­modus und treffen Sicherungs­massnahmen.»

Da sind wir also wieder bei den kontra­produktiven Sicherungs­massnahmen, auf denen schon die Nachhaltigkeitsleute der Unternehmen herumgeritten sind. Die Firmen würden sich aus schwierigen Gebieten und Bereichen zurückziehen oder sich mit umfassenden Compliance-Aktivitäten zu schützen versuchen, sagt Laufer.

Und weshalb sollte eine Firma das alles tun, wenn ohnehin nur mit wenigen Klagen zu rechnen ist und sie sich mit einer Sorgfalts­prüfung schützen kann?

«Weil die Firma schon aufgrund der Klageschrift ihr Nicht­verschulden beweisen müsste», erklärt sie. «Dieser erste Stopp steht im Fokus der Risikoabteilungen.» Man müsse damit rechnen, dass ein Gerichtsfall von einer Kampagne begleitet würde – medienwirksam und emotionalisiert – und damit eine Abfindung «erpresst» werden könnte. «Weil sonst ein Reputations­schaden entsteht und ein Prozess enorme Ressourcen bindet.»

Offensichtlich befürchten die Swissholdings-Mitglieder also, dass der Abstimmungs­kampf mit kritischen Berichten über Glencore, Nestlé oder Lafarge Holcim nur der Anfang war – und die Initiantinnen bei einem Ja erst recht so richtig mit Aktionen gegen Schweizer Firmen loslegen würden.

Und offensichtlich stören sie sich an einem anderen Aspekt: an der sogenannten «Beweislast­umkehr». Gemeint ist damit der Entlastungs­beweis, den eine Firma erbringen könnte, nachdem ein Kläger einen Schaden geltend gemacht hat. Der springende Punkt dabei ist, wer beweisen muss, ob die Sorgfalts­prüfung der Firma angemessen war oder nicht: Glencore oder die Anwohner von Cerro de Pasco.

Swissholdings habe während der parlamentarischen Debatte Vorschläge eingebracht, um die Beweislast auch hier beim Kläger zu lassen, sagt Laufer. Dass zum Beispiel ein externes Audit als Gütesiegel gelten würde und die Klägerin aufzeigen müsste, dass das nicht ausreicht. Diskutiert wurde sogar, dass ein Gericht von Fall zu Fall entscheiden könnte, ob der Kläger oder die beklagte Firma den Beweis über die Sorgfaltsprüfung erbringen müsste.

Doch all dies ist für den Moment vom Tisch. Es geht jetzt um den Initiativtext – gemäss dem die Firma beweisen muss, dass sie «alle gebotene Sorgfalt» angewendet hat. Und es geht um den indirekten Gegen­vorschlag – der in Kraft tritt, wenn die Initiative vom Volk abgelehnt wird.

Was der Gegenvorschlag will

Dieser geht vom Prinzip her weniger weit als die Initiative:

  • Er sieht eine obligatorische Bericht­erstattung vor, die die Bereiche Menschen­rechte und Umwelt abdecken muss – ähnlich wie die Initiative, bei der Firmen als Teil der Sorgfalts­pflicht Bericht erstatten müssten.

  • Er verlangt wie die Initiative auch eine obligatorische Sorgfaltsprüfung, allerdings lediglich in den Bereichen Konflikt­mineralien und Kinderarbeit.

  • Er führt anders als die Initiative keine neuen Haftungsregeln ein.

  • Die Durchsetzung wäre mit einer strafrechtlichen Komponente geregelt: Firmen könnten gebüsst werden, wenn ihre Bericht­erstattung offensichtlich falsch ist und Risiken unterschlagen würde.

Laufer sieht im Gegen­vorschlag «eine bessere Alternative, weil Firmen nur für ihr eigenes Handeln haftbar bleiben». Die Initiantinnen meinen dagegen, damit müssten Firmen «bloss einmal im Jahr eine Hochglanz­broschüre veröffentlichen».

Ich frage mich meinerseits, ob die Bericht­erstattung ein genügend starker Hebel ist, um Schweizer Firmen im grossen Stil dazu zu bewegen, sich auf eine Sorgfalts­prüfung gemäss Uno-Leitlinien einzulassen.

Meine Gesprächs­partnerin von Swissholdings sagt: Ja. «Man kann nur Bericht erstatten, wenn man auch Substanz dahinter hat, das heisst, wenn die Sorgfalts­prozesse tatsächlich weltweit umgesetzt werden.» Ein Bericht sei eine öffentliche Exposition. Und das wiederum ein Anreiz, proaktiv zu handeln.

Als ich das Café verlasse, überlege ich mir, wie ich die Bericht­erstattung jeweils erlebt hatte – seriös sicher, und geeignet, um Menschen­rechte und Umwelt­belange in der Firma ins Zentrum zu rücken. Ich verstand auch nie, weshalb der Augen­zeugen­bericht einer NGO per se glaubwürdiger sein sollte als die methodisch soliden Berichte vieler Firmen.

Dennoch glaube ich nicht, dass mit einer Bericht­erstattung, wie sie der Gegen­vorschlag vorsieht, die Sorgfalts­prüfung implizit bereits erledigt ist. Meiner Erfahrung nach reicht eine Risiko­analyse, die im Hauptsitz einer Firma erstellt wird, dafür nicht aus. Man muss schon vor Ort nachschauen, um Menschenrechts- und Umwelt­risiken systematisch zu erkennen.

Ausserdem ist die Bericht­erstattungs­pflicht des Gegen­vorschlags in der EU schon länger in Kraft und hat nicht zum gewünschten Resultat geführt.

Ein letzter Check

Nach den zwei Gesprächen bin ich beinahe sicher, wie ich abstimmen werde. Doch ich will noch letzte Zweifel ausräumen – zur Rechtssicherheit.

Ich rufe Walter Stoffel an, Rechts­professor an der Universität Freiburg. Er ist spezialisiert auf Wirtschafts­recht und inter­nationales Privatrecht und hatte sich in der parlamentarischen Beratung bereits eingebracht, als es im Nationalrat darum ging, einen Kompromiss auszuarbeiten – der schliesslich zugunsten des Gegen­vorschlags des Ständerats abgelehnt wurde.

Während einer Examens­pause beantwortet der Jurist meine Fragen:

Herr Stoffel, führt die Konzern-Initiative zu Rechtsunsicherheit?
Nein. Die Konzernhaftung gibt es bereits heute. Wenn die Initiative so umgesetzt wird, wie es der nationalrätliche Gegen­vorschlag vorsah und es die Initianten in ihrem Modellgesetz für die Ausführung präsentiert haben, würde die Haftung mit den neuen Regeln sogar besser vorhersehbar.

Wenn Gerichtsprozesse schon jetzt möglich sind: Was für Neuerungen würde die Initiative überhaupt bringen?
Die Initiative schafft einerseits eine neue Aufsichts­pflicht. Sie verlangt, dass Firmen die inter­nationalen Menschenrechts- und Umweltschutz­standards auch dann beachten, wenn die Rechts­ordnung des Gastlandes das nicht vorschreibt. Andererseits ändert sich die Haftung. Der Kläger muss in einem ersten Schritt die Verletzung dieser Standards durch die Tochter­gesellschaft einer Schweizer Firma sowie den Schaden beweisen – aber nicht die Verletzung der Aufsichts­pflicht durch die Mutter­gesellschaft. Dieser steht dann in einem zweiten Schritt der Entlastungs­beweis offen.

Erwarten Sie bei einer Annahme eine Klagewelle?
Nein, das gehört ins Reich der Fabeln. Das finanzielle Risiko bei Klagen ist hoch. Und die Gerichts­praxis zum Schadens­nachweis ausgesprochen streng.

Werden auch gewöhnliche KMU vor Gericht kommen – wegen Verfehlungen von Geschäfts­partnern, die sie gar nicht kontrollieren?
Nein. Man wird den Anwendungs­bereich der Initiative angemessen regeln müssen. Wenn das geschieht, ist eine uferlose Haftung ausgeschlossen.

Stoffels letzter Hinweis ist wichtig. Im Initiativ­text wird nicht jedes Detail geregelt – das Parlament muss die Initiative umsetzen, in Gesetze giessen.

Die Verhandlungen über einen Kompromiss­vorschlag im Nationalrat haben gezeigt, dass dies durchaus mit Augenmass möglich ist. Wird die Initiative angenommen, würde man wahrscheinlich dort wieder ansetzen.

Drittes Fazit: Rechtsmissbrauch ist unwahrscheinlich

Schon zu Beginn dieser Recherche wusste ich: Es geht bei der Konzern-Initiative nicht um «Gut» gegen «Böse» – und es ist irreführend, «die Wirtschaft» und «die Menschen­rechte» gegeneinander auszuspielen.

Nach der Auseinander­setzung sind mir drei weitere Dinge klar geworden:

  • Es gibt Handlungsbedarf. Viele Schweizer Firmen sind offensichtlich immer noch im menschen­rechtlichen Blindflug. Das Argument, dass mit einer umfassenden Bericht­erstattung die Sorgfalts­pflicht schon erfüllt sei, überzeugt mich nicht.

  • Es ist angebracht, eine Sorgfalts­prüfung gesetzlich zu verlangen. Und zwar umfassend, gemäss den Uno-Leitprinzipien. Hier ist die Initiative überzeugender als der indirekte Gegen­vorschlag, der die Bereiche Kinder­arbeit und Konflikt­mineralien herauspickt. Auch der Haftungs­mechanismus, den die Initiative vorschlägt, um die Sorgfalts­pflicht durchzusetzen, ist unbürokratisch.

  • Unternehmen würden nicht in die Ecke gedrängt. Das grosse Risiko der Initiative – dass Firmen Sicherungs­massnahmen treffen, die für Mensch und Umwelt kontraproduktiv sind – ist nur relevant, wenn mit Rechts­unsicherheit und missbräuchlichen Klagen zu rechnen ist. Doch dies scheint praktisch ausgeschlossen. Firmen könnten also auch in schwierigen Ländern gut mit lokalen Partnern zusammenarbeiten.

Dann gibt es da noch einen persönlichen Aspekt: Ich wünsche mir, dass die Schweiz sich zusammenrauft und eine richtige Lösung umsetzt. Ich verstehe nicht, warum sie damit warten sollte, bis die EU ein Sorgfaltsprüfungsgesetz erarbeitet hat, um dieses dann irgendwann autonom nachzuvollziehen.

Darum stimme ich am 29. November Ja.

Zur Autorin

Ariane Lüthi ist spezialisiert auf Menschen­rechte und unter­nehmerische Verantwortung. Sie hat internationale Beziehungen in Genf studiert. Danach hat sie ein Corporate-Social-Responsibility-Projekt in Bolivien durchgeführt, am Uno-Sitz in Genf das Team des Sonder­gesandten für Wirtschaft und Menschen­rechte unterstützt und in Dänemark als Stipendiatin des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben über unter­nehmerische Sorgfalts­pflichten geforscht. Von 2010 bis 2015 arbeitete Lüthi als Menschen­rechts­spezialistin bei Holcim. Für die Zementfirma führte sie Untersuchungen in Asien, Afrika und Lateinamerika durch. Danach trat sie in den diplomatischen Dienst der Schweiz ein und verfolgte im Iran das Thema der Unternehmens­verantwortung weiter. Zurzeit ist Lüthi als Journalistin tätig und studiert Persisch an der Universität Zürich.

Der Report zur Konzern-Initiative

Teil 2

Was bewirkt die Initiative: Verändert sich vor Ort wirklich etwas zum Besseren?

Sie lesen: Teil 3

Schiesst die Initiative übers Ziel hinaus? Ist der Ge­gen­vor­schlag nicht doch besser?

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