Covid-19-Uhr-Newsletter

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20.10.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Genau vier Monate liegen zwischen der letzten Frühlingsausgabe dieses Newsletters und der Neuauflage von gestern Montag. Ein kurzer Überblick, was seither geschah – und der grobe Stand an diesem kühlen Oktobertag.

(Wir halten es dabei mit Erich Kästner, der einst riet: «Ich will nicht reden, wie die Dinge liegen. Ich will dir zeigen, wie die Sache steht.»)

Seit Beginn trägt die amerikanische Johns-Hopkins-Universität die Positivdiagnosen rund um die Welt zusammen. Die Fussnoten zu dieser Zahl wären so lang wie der ganze Newsletter. Trotzdem lässt sich daran ganz passabel ablesen, ob sich die Pandemie gerade beschleunigt oder verlangsamt. Gestern Montag zählte die Universität den 40-millionsten Fall. Von 0 auf 10 Millionen Fälle dauerte es ein halbes Jahr. Für die letzten 10 Millionen Fälle dauerte es einen Monat.

Heisst: Um die Sache steht es immer schneller immer schlechter.

In Europa stecken sich jetzt wieder viele Menschen mit dem Virus an. Anders als im Frühjahr sind nun in vielen Staaten nicht einzelne Regionen schwer betroffen, sondern mehrere gleichzeitig. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schweiz.

Am Genfersee, in der Innerschweiz, in Zürich, in der Ostschweiz und im Wallis mussten in den letzten Tagen deutlich mehr Menschen mit Covid-19 ins Spital als in den Wochen davor. Heute Mittag waren gemäss einem Mitglied der Taskforce des Bundes 100 Intensivplätze von Covid-Patienten belegt. Das seien mehr als doppelt so viele wie noch vor fünf Tagen. Die gute Nachricht: Für die nächste Zeit gibt es genug Platz in den Spitälern. Es seien 300 Intensivbetten frei und darüber hinaus könne man nochmal um etwa 500 bis 800 Plätze aufstocken. Die nachdenklich machende Nachricht: Gemessen daran, wie schnell sich die täglich gemeldeten Positivtests verdoppeln, sieht es auf dem Kontinent derzeit nirgends sonst so schlecht aus wie in der Schweiz.

Es folgt ein Kürzest-Überblick im Uhrzeigersinn zu unseren Nachbarländern. Dazu jeweils ein Fluch in der Landessprache, den Sie bei Bedarf nach der Lektüre gen Himmel schicken können.

Österreich: In Wien, Salzburg und Innsbruck steigen die Positivbefunde stark. Darum werden ab Freitag schärfere Einschränkungen gelten. Drinnen dürfen sich dann privat nur noch sechs Personen treffen. Und im Freien noch zwölf. Eine Maskenpflicht gilt vielerorts bereits seit dem Sommer. Und aus der Schweiz kommend, können Sie derzeit frei einreisen.

Unsere östlichen Nachbarn sind derart passionierte Flucher, dass sich Schimpfworkshops für Ausländer offenbar zum Geschäftszweig gemacht haben. Wir empfehlen: «Des interessiert mi so vü wia a Schas im Woid!»

Liechtenstein: Kennt wie die Schweiz ebenfalls seit gestern strengere Regeln – sie gehen aber insgesamt etwas weniger weit. Bei privaten Veranstaltungen mit mehr als 30 Menschen müssen alle eine Maske tragen. Dafür wird in Restaurants die Zahl der Gäste am selben Tisch beschränkt.

Im Fürstentum riskierten Flucherinnen bis 1806 «vor den Amtleuten oder vor einem gesessenen Gericht mit einer Ruthe in Grösse einer Henkersruthe gezüchtigt und gestraft [zu] werden, andern zu einem Exempel». Wir raten zu «Himmeltruuriga Saukog!»

Italien: Im Frühling war unser südlicher Nachbar eines der am schwersten getroffenen Länder, die Bilder aus dem norditalienischen Bergamo gingen um die Welt. Entsprechend umsichtig verhalten sich hier viele, und Masken sind weitverbreitet. Nun aber verschlechtert sich das Bild, auch hier nicht nur in einer Region. Die Regierung hat zum dritten Mal in zwei Wochen die Regeln verschärft – Feiern und Veranstaltungen sind verboten. Mit Ausnahme von Hochzeiten und Beerdigungen. Im südlichen Kampanien und in der nördlichen Lombardei treten bald nächtliche Ausgangssperren in Kraft.

Italien flucht wenig überraschend gerne auf katholisch. Dabei wird Gott, die Jungfrau Maria oder Jesus mit einem anstössigen Wort kombiniert. Hier eine Variante, die Ihr Seelenheil intakt hält: «Porca vacca!»

Frankreich: Hatte im Frühjahr einen sehr strengen Lockdown. Seit vergangener Woche herrscht in und um neun Städte wieder eine Ausgangssperre. Sie dauert von 21 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Das Land kämpft bereits seit Wochen mit Engpässen bei den Tests und steigenden Patientenzahlen in den Spitälern.

Klarer Favorit in Frankreich ist «merde». Allerdings wird das Wort auch verwendet, um jemandem Glück zu wünschen. Darum hier eine Alternative: «J’en ai ras le bol!»

Deutschland: Ist wie die Schweiz («Das ist Sache der Kantone!») sehr föderal organisiert. Im Frühjahr war es bei den schnellen Diagnosen und beim Unterbrechen von Infektions­ketten ein Musterbeispiel. Nun aber steigen auch hier die Zahlen, und die Bundeskanzlerin drängt die Bundesländer auf strengere Massnahmen. Vergangene Woche wurde die Maskenpflicht ausgeweitet, und es dürfen sich wieder weniger Menschen treffen. Das Land verhängt lokale Lockdowns, wenn die Positivbefunde zu stark steigen – seit heute Nachmittag gilt so einer im Berchtesgadener Land in Bayern.

Interessant ist die deutsche Vorliebe für Fäkalsprache, während sich viele andere Europäer eher am sexuellen Bereich orientieren: so das Fazit des Autors von «Das Feuchte & das Schmutzige. Kleine Linguistik der vulgären Sprache». Hier eine schöne Variante aus dem Norden: «Corona, klei mi a ’n Mors!»

Wir fassen zusammen: In allen Nachbarländern verdüstert sich der Herbst gerade – ähnlich wie in der Schweiz. Alle Regierungen versuchen jetzt, mit neuen Regeln die Ansteckungen zu drücken. Überall wird sich in ein bis zwei Wochen zeigen, ob das ausreicht.

Und allen wünschen wir: Merde alors!

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Diesmal sind die Vorratslager voll. Im Frühjahr wurden in der Schweiz verschiedene medizinische Güter knapp, zum Beispiel Atemmasken, gewisse Medikamente und Desinfektions­mittel. Heute sagte Andreas Stettbacher von der Taskforce des Bundes an einer Medien­konferenz: Bund und Kantone hätten sich über den Sommer gut eingedeckt. Schweizweit sei man für 80 bis 100 Tage gut versorgt – nur an unsterilen Untersuchungs­handschuhen fehle es noch.

Schnelltests sind in der Schweiz bald verfügbar. Der Bund prüft derzeit Tests, die innert Minuten oder nur wenigen Stunden anzeigen, ob jemand das Coronavirus in sich trägt. «Die Resultate sind sehr erfreulich», sagte heute Stefan Kuster vom Bundesamt für Gesundheit. «Der Bund validiert diese Resultate in den nächsten Tagen.» Solche Tests könnten zum Beispiel helfen, Treffen von vielen Menschen möglich zu machen, ohne dass die Ansteckungs­gefahr allzu gross ist.

Eine neue Prognose zum Impfstart. Die Weltgesundheits­organisation ist tendenziell vorsichtig mit Prognosen dazu, wann Impfungen ein wirksames Werkzeug gegen die Pandemie sein könnten. Nun rechnet sie damit, dass im kommenden Sommer breit geimpft werden könnte. Die bisherigen Studien­ergebnisse seien durchaus ermutigend – zum Beispiel deuten sie darauf hin, dass ältere Menschen damit geschützt werden könnten. In der Schweiz ist vergangene Woche das zweite Zulassungsgesuch für einen Impfstoff eingereicht worden.

Zum Schluss: Eine neue Faustregel

Gestern haben wir Ihnen empfohlen, jetzt, da die Lage grade ziemlich angespannt ist, doch die Maske einfach immer dann zu tragen, «wenn sie nicht an der frischen Luft oder zu Hause sind». Heute fasste Thomas Steffen, Kantonsarzt Basel-Stadt, an einer Medienkonferenz in Bern in einem Satz zusammen, wann Sie grundsätzlich vorsichtig sein sollten. Hier ist er: «Es wird immer da heikel, wo es heimelig wird.»

Bleiben Sie also umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Morgen befassen wir uns mit der Frage, wie überraschend die schlechten Nachrichten aus der letzten Woche eigentlich sind. Bis dann.

Oliver Fuchs

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Wir haben uns für diesen Newsletter Unterstützung geholt. Marguerite Meyer kommt ab November für drei Monate Teilzeit an Bord. Sie ist derzeit Chefin vom Dienst bei «Bajour» in Basel, davor war sie bei «Swissinfo» und «Joiz». Sie ist super – wir freuen uns.

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