Auf lange Sicht

Die Corona-Krisenhilfe nützt der Wirtschaft und schadet dem Klima

In der Krise pumpen Regierungen Milliarden in die Konjunktur. Ein Teil des Geldes fliesst in die Energie­wende. Doch viele Programme sind alles andere als grün. Eine globale Übersicht.

Von Simon Schmid, 12.10.2020

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Die Corona-Krise hält zwei Nachrichten fürs Klima bereit.

Die gute: Das Klima erhält eine Verschnauf­pause. Dieses Jahr dürften die welt­weiten Treibhaus­gas­emissionen zurück­gehen – und zwar um 5 bis 9 Prozent, wie das Forschungskonsortium Climate Action Tracker schätzt.

Die schlechte: Langfristig ändert sich allein deswegen wenig. Die Welt bleibt auf demselben Temperatur­kurs wie zuvor. Bis Ende des Jahr­hunderts dürfte sie sich um geschätzte 2,9 Grad Celsius aufheizen. Dies, weil die Klima­politik noch nicht fundamental weiter ist als vor einem Jahr. Mit den Massnahmen, die damals in Kraft waren, wurde ein Anstieg von 3,0 Grad veranschlagt.

Emissionspfade und Klimaziele

Was das für Konsequenzen hat, veranschaulicht die folgende Grafik. Sie zeigt, wie sich die globalen Treibhaus­gas­emissionen entwickelt haben und künftig entwickeln werden. Man sieht einen kleinen Knick – beim Jahr 2020. Und man sieht, wie die Emissionen je nach Szenario danach wieder zunehmen.

Die Krise ist nur ein Knick

Globale Treibhausgas­emissionen

Jetzige Politik (~2,9°)
Versprechen (~2,6°)
Klimaziel light (~1,7°)
Klimaziel (~1,3°)
1990202020502100−100204060 Gigatonnen CO₂-Äquivalente

Die beiden Klimaziel­pfade starten im Original im Jahr 2016. Zur besseren Lesbarkeit wurden sie an den Ausgangs­wert für 2020 angepasst. Quelle: Climate Action Tracker.

Die beiden blauen Szenarien sind aus Klima­sicht ziemlich ernüchternd.

  • Bleibt die Klimapolitik, wie sie ist, steigen die Emissionen in fünf Jahren wieder über den Vorkrisen­wert hinaus. Erst 2040 erreichen sie ihren Zenit. Das wäre viel zu spät, um eine Klima­katastrophe noch abzuwenden.

  • Setzen die Staaten die Versprechen um, die sie seit der Pariser Konferenz abgegeben haben, steigen die Emissionen nicht mehr über das Niveau von vor der Krise. Doch sie fallen zu langsam: Bis Ende Jahr­hundert wird sich die Erde auch in diesem Szenario um 2,6 Grad Celsius erwärmt haben.

In beiden Fällen gelangt die Zivilisation an ihre Grenzen. Viele Ökosysteme werden zerstört, irreversible Schäden an der Natur werden angerichtet.

Wie sich die Emissionen entwickeln müssten, zeigen die zwei grünen Pfade:

  • Erwärmung von 2 Grad oder weniger: Für dieses Ziel, das dem Pariser Abkommen zugrunde liegt, müssten die Emissionen rasch fallen – bereits bis Mitte Jahr­hundert um mehr als die Hälfte. Im Schnitt aller Modelle, die dieses Ziel erfüllen, stiege die Temperatur bis 2100 um 1,7 Grad Celsius an.

  • Erwärmung von 1,5 Grad oder weniger: Für dieses Ziel, das in Paris ebenfalls als Ambition formuliert wurde und in der Wissenschaft etabliert ist, müssten die Emissionen bis Mitte Jahr­hundert um mehr als 80 Prozent fallen. Die Erd­temperatur im Jahr 2100 ist dann um 1,3 Grad Celsius angestiegen.

Beide Ziele erfordern im Gegensatz zur aktuellen Politik, dass die Emissionen bereits in sehr naher Zukunft rapide abnehmen. Aus Sicht des Klima­schutzes darf es nach der Corona-Krise nicht zu einem Wieder­anstieg kommen.

Um auf einen Paris-kompatiblen Pfad zu schwenken, reicht eine Pandemie also nicht. Dazu braucht es einen Richtungs­wechsel: Die Wirtschaft muss nicht nur wieder­aufgebaut, sondern von Grund auf umgebaut werden.

Regulierungen und Investitionen

Worauf das hinausläuft, ist bekannt: Fossile Treib- und Brenn­stoffe müssen verschwinden. Das heisst:

  • Autos dürfen kein Benzin oder Diesel mehr tanken,

  • Flugzeuge dürfen nicht mehr mit fossilem Kerosin fliegen,

  • Häuser werden nicht mehr mit Öl oder Erdgas beheizt,

  • Strom wird nicht mehr mit Kohle oder Gas produziert.

Die grosse Frage ist, wie man dahin kommt.

Ein möglicher Weg: Regulierungen. Man schreibt Grenz­werte fest (zum Beispiel für den CO2-Ausstoss von Autos oder Heizungen), erlässt Verbote (zum Beispiel für Kohle­kraftwerke) oder setzt einen Preis für jedes Kilo­gramm emittiertes CO2 fest (zum Beispiel beim Benzin, so wird Elektro­mobilität attraktiver).

Ein anderes Mittel, das stets auch damit verbunden ist, sind Investitionen. Wer die Wirtschaft umbauen will, muss ganz konkrete Dinge herstellen und Anlagen montieren. Etwa Solar­zellen und Wind­turbinen, Wärme­pumpen und Isolationen an Haus­fassaden, Auto­batterien und Elektrotankstellen.

Wie viel dieser Investitionen bräuchte es?

Eine im Fachmagazin «Nature Climate Change» erschienene Studie nannte im August eine Zahl: 1,2 Prozent des globalen Brutto­inland­produkts. Dieser Anteil an der weltweiten Wirtschafts­leistung müsste demnach Jahr für Jahr aufgewendet werden, um das Klima auf einen 1,5-Grad-Kurs zu bringen. Aktuell entspricht das nach Angaben von Piers Forster, einem der beteiligten Autoren von der Universität Leeds, Investitionen von 800 Milliarden Dollar.

Das klingt nach viel Geld. Aber im Vergleich zu den Efforts, die Staaten momentan leisten, um die Krise abzufedern, relativiert sich dieser Betrag.

Die Programme der grossen drei

Denn in den vergangenen Monaten wurden massive Konjunktur­programme angeschoben. Allein die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und China kommen zusammen auf 6700 Milliarden Dollar – also auf achtmal so viel, wie fürs Klima gefordert wäre. Auf diese Zahl kommt Climate Action Tracker in einer aktuellen Studie über die Corona-Wirtschaftsprogramme.

Vivid Economics, ein Forschungs­büro, kommt für die G-20-Länder sogar auf eine Summe von über 12’000 Milliarden Dollar an Konjunkturstimuli.

Sehr viel Geld wird in der Corona-Krise also ausgegeben. Doch nur ein kleiner Teil davon hilft effektiv der Umwelt und dem Klima. Das zeigt etwa die Studie von Climate Action Tracker auf: Während in der EU und in China immerhin je rund ein Drittel der Ausgaben ganz oder teilweise als «grün» klassifiziert werden kann, strengen sich die USA in dieser Hinsicht überhaupt nicht an.

Durchzogene Ökobilanz

Konjunkturprogramme, in Prozent des BIP

klimaschädlich
neutral
klimafreundlich
China 7% 5%EU 2% 4%USA 2%−10 0 10 %

Im Original sind gewisse Posten als teils klima­schädlich und teils klima­freundlich klassifiziert. In dieser Grafik wurden sie je hälftig den beiden Typen zugerechnet. Quelle: Climate Action Tracker

Auch in China taxieren die Forscherinnen rund die Hälfte der Ausgaben als unklar bis klima­schädlich. Das heisst, sie gehen etwa in die Produktion von fossilen Energien oder kommen bedingungslos der Luftfahrt zugute.

Immerhin hat sich China vor kurzem verpflichtet, bis 2060 netto null CO2 auszustossen. Das ist ein Fortschritt: Der Pfad der «Versprechen» würde damit um 0,2 bis 0,3 Grad Celsius gesenkt, schätzt Climate Action Tracker. Die Erde würde sich so statt um 2,7 Grad nur noch um 2,4 bis 2,5 Grad erwärmen.

Das zeigt, dass Schwer­gewichte wie China einen Unterschied machen können. Doch es zeigt auch, wie weit weg man noch vom Ziel ist. Um das Klima zu retten, muss die ganze Welt ambitionierter zu Werke gehen.

Die Bilanz in einzelnen Ländern

Während der Corona-Krise scheinen viele Länder allerdings eher Rück- als Fortschritte gemacht zu haben. Das deutet eine Statistik an, die Vivid Economics entwickelt hat. Sie nennt sie «Greenness of Stimulus Index».

Dieser Grünheitsindex der Konjunktur­programme schlägt in praktisch allen Ländern ausserhalb von Europa nach unten aus. Das bedeutet: Die Länder haben weitgehend darauf verzichtet, Rettungs­gelder für Unter­nehmen an ökologische Bedingungen zu knüpfen oder klima­freundliche Energien und Technologien in ihren Konjunktur­programmen gezielt zu berücksichtigen.

Zementierung des Status quo

Grünheitsindex der Konjunkturprogramme

Türkei−78 0China−65 0Russland−59 0Indien−56 0USA−53 0Brasilien−32 0Kanada−22 0Japan−15 0Italien−12 0Südkorea−8 0Deutschland010 Grossbritannien020 Frankreich021 EU-Kommission042 0

Quelle: Vivid Economics

Die schlechten Rankings vieler aufstrebender Volks­wirtschaften – wie etwa der Türkei, China oder Russland – sind dadurch bedingt, dass die Industrie in diesen Ländern generell eine eher schlechte Öko­bilanz aufweist. Wird diese Industrie unterstützt, ohne dass explizit Umwelt­verbesserungen verlangt werden, zementiert dies den Status quo, was wiederum der Umwelt schadet.

Daneben wurde der fossile Sektor aber auch konkret unterstützt:

Aber auch in entwickelten Volks­wirtschaften sind die Massnahmen vielfach ambivalent. Etwa in Südkorea: Einerseits hat die Regierung einen Green New Deal beschlossen. Dieser sieht Investitionen in erneuerbare Energien vor, unter anderem werden auf 225’000 Verwaltungsgebäuden Solarpanels installiert. Andererseits gibt die Regierung 2 Milliarden Dollar aus, um eine Herstellerin von Kohlekraftwerken, Doosan Heavy Industries, zu retten.

Fazit

Es gibt zwei Möglichkeiten, all diese Informationen zu bewerten.

Die optimistische: Regierungen sind zunehmend bereit, Geld auszugeben. Die Zeit, in der sie Wirtschafts­politik generell mit grösster Zurück­haltung betrieben, ist vorbei – Interventionismus ist wieder en vogue, seit ein paar Jahren explizit auch unter grüner Fahne. Die Corona-Krise hat Regierungen erlaubt, grüne Konjunktur­pakete in einem zuvor undenkbaren Umfang zu schnüren – etwa in der EU. Wird US-Präsident Donald Trump im November abgewählt, so dürfte die neue Administration auch in den USA ein Netto-null-Ziel bis 2050 formulieren und ein grün angehauchtes Ausgaben­programm starten.

Die pessimistische Sicht: Diese Efforts kommen zu spät – und sie sind zu wenig konsequent. Um die Klima­erwärmung zu stoppen, braucht es noch viel mehr Entschlossenheit, vor allem im Umgang mit dem fossilen Sektor und mit veralteten Technologien. Doch die Corona-Krise hat gezeigt, wie schwer sich Regierungen tun, diesen Industrien inmitten einer Situation, in der die Wirtschaft ohnehin schon angeschlagen ist, den Geldhahn zuzudrehen.

Klar ist – egal, zu welcher Lesart man neigt: Die Klima­krise muss angegangen werden. Mindestens so dringend wie die Corona- und die Wirtschaftskrise.

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