Aus der Arena

Nieder, niederer, Mario Fehr

In Zürich klettern zwei Geflüchtete aus einem Fenster und stürzen aus ungeklärten Gründen ab. Und wie reagiert SP-Regierungsrat und Sicherheitsdirektor Mario Fehr? Beschimpft die Asyl­suchenden als Kriminelle.

Von Carlos Hanimann, 08.10.2020

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Am Mittwochmittag hat die Sicherheits­direktion des Kantons Zürich eine bemerkenswerte Medienmitteilung verschickt. Vorsteher der Direktion ist Mario Fehr, ein Sozial­demokrat. Seine Direktion beklagt, dass die Kantons­polizei in den Erlenhof hatte ausrücken müssen, eine Quarantäne­station in Zürich, wo derzeit 36 Asylsuchende einquartiert sind. Sie sind dort isoliert, nachdem es im unterirdischen Asylbunker Urdorf zu einem Corona-Ausbruch gekommen war und 16 Personen positiv getestet worden waren.

Die Polizei musste laut der Medien­mitteilung sicherstellen, dass im Erlenhof die Schutz­massnahmen eingehalten werden. Oder wie es Fehrs Direktion ausdrückt: «Damit sich straffällige Asylbewerber an Schutz­massnahmen halten.» Worum es tatsächlich ging, ist unklar. Was den Geflüchteten vorgeworfen wird, ebenfalls. Sehr deutlich allerdings wird: Die Menschen, um die es geht, müssen üble Gestalten sein.

Über ziemlich genau neun Zehntel der Medien­mitteilung äussert die Zürcher Sicherheits­direktion ihre Abscheu und Empörung: Es handle sich um «abgewiesene, straffällige Asylbewerber», sie hätten lange Haftstrafen verbüsst, sie hielten sich «an keine Regeln». Abgesehen davon, dass die pauschale Verunglimpfung von Asylsuchenden in Urdorf als Kriminelle sachlich falsch ist (dort leben nachweislich auch Asyl­suchende ohne strafrechtliche Vorgeschichte; viele haben hingegen Vorstrafen wegen illegalen Aufenthalts), bleibt nebulös, was die Geflüchteten falsch machten.

Offenbar, immerhin so viel lässt sich dem wütenden Schreiben der Sicherheits­direktion entnehmen, hätten sich diese Menschen auch im Erlenhof «um grund­legende Regeln und Schutz­vorgaben» foutiert.

Was zur Hölle ist da bloss vorgefallen, fragt man sich beim Lesen.

In einer Nebenbemerkung fast zum Schluss kommt die Direktion von Mario Fehr auf den eigentlichen Anlass für die Medien­mitteilung zu sprechen. Sie verwendet dafür 197 von 1927 Zeichen. «Zudem kam es heute Vormittag, nachdem zwei abgewiesene Asyl­bewerber offenbar aus einem Fenster geklettert und sich beim Sprung verletzt hatten, zu einem Rettungs­einsatz durch Sanität und Polizei.»

Keine Straftat, keine Schlägerei, kein Aufruhr. Sondern ein tragischer Vorfall, über dessen Hergang zum Zeitpunkt der Mitteilung sehr wenig bekannt ist, ausser dass zwei Menschen verletzt in ein Spital gebracht werden mussten.

Die Kantonspolizei sagte am Mittwoch­nachmittag auf Anfrage, man wisse noch nicht, was geschehen sei. «Gesprungen?», fragte der Medien­sprecher. «Das wäre spekulativ. Es ist tragisch, dass sich zwei Menschen verletzt haben. Den Rest werden wir jetzt untersuchen.»

Er sagte es sachlich, bedauernd, zurückhaltend.

Nicht so die Sicherheitsdirektion. Die trat stattdessen auf zwei verletzte und am Boden liegende Geflüchtete ein, die aller Wahrscheinlichkeit nach nur deshalb in der Quarantäne­station landeten, weil die Sicherheits­direktion seit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr sämtliche Warnrufe und Forderungen in den Wind schlug, den unter­irdischen Bunker als Asyl­unterkunft zu schliessen, und den jüngsten Corona-Ausbruch in Urdorf unterschätzte.

Nach Informationen der Republik war vor knapp zwei Wochen eine Person im Bunker positiv auf Covid-19 getestet worden. (Sie wurde am Dienstag aus der Isolation im Erlenhof entlassen.) Die drei Zimmer­genossen in Urdorf wurden erst drei Tage später zur Isolation in eine andere Unter­kunft gebracht. In der Zwischen­zeit muss sich das Virus ungehindert in der unter­irdischen Anlage verbreitet haben. Ein Szenario, vor dem Ärzte und Anwältinnen seit langem warnen. Letzten Donnerstag wurden dann alle 36 Bewohner des Bunkers getestet. Bei 16 Menschen fiel das Testresultat positiv aus. Am nächsten Tag wurden alle zur Quarantäne und zur Isolation in den Erlenhof nach Zürich verlegt. Gestern kletterten nun zwei Bewohner aus dem Fenster. Zu «20 Minuten» sagte ein Asylsuchender, die beiden hätten fliehen wollen, um nicht in den Urdorfer Bunker zurück­kehren zu müssen.

Sie sprangen. Oder stürzten. Jedenfalls lagen sie verletzt am Boden, als Polizei und Sanität eintrafen. Niemand tritt auf Leute ein, die verletzt am Boden liegen.

Ausser Feiglinge.

Und Mario Fehr.

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