Mark Henley

Die letzte Bastion

Die Schweizerische Nationalbank ist die mächtigste Finanz­institution des Landes, fest in Männerhand – und sie hat ein schwerwiegendes Problem: Über ein Dutzend Frauen berichten von Lohndiskriminierung, Mobbing und Sexismus.

Eine Recherche von Patrizia Laeri und Fabio Canetg, 24.09.2020

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Am deutlichsten fällt das Urteil einer Ökonomin aus, die jahrelang bei der Schweizerischen National­bank (SNB) im Dienst war. «Im Prinzip müsste man die ganze Führungs­etage austauschen», sagt die frühere Mitarbeiterin, die wir hier Angela Cuomo nennen. So gross ist mittler­weile ihr Frust über die kaputte Kultur in der mächtigsten Finanz­institution des Landes.

Damit ist Cuomo nicht allein. Unabhängig von ihr berichten zahlreiche weitere aktuelle und frühere Mitarbeiterinnen, teilweise gestützt von E-Mails, Gesprächs­protokollen und Lohn­abrechnungen: Die Schweizerische National­bank hat ein gravierendes Problem mit ihrer Unternehmenskultur.

Die Zeuginnen benutzen Wörter wie «steinzeitlich» und «autoritär». Eine Informantin betitelt den Direktions­präsidenten Thomas Jordan als «Mr. Konservativ»: Er herrsche mit praktisch uneingeschränkter Macht, befördert würden «gezielt» Leute mit einer «gewissen» politischen Grundhaltung.

Und durch alles hindurch zieht sich ein manchmal leiser, öfter offenkundiger Sexismus. Der sich auch daran zeigt, dass bei der Nationalbank auf 8 von 10 Führungs­posten Männer sitzen – in einem Departement gar 91 Prozent.

Ein Problem von nationaler Bedeutung

Diese Zahlen machten «SWI Swissinfo.ch» und der «Blick» Anfang September in einer Doppel­recherche unter dem Titel «Hat die Nationalbank ein Männerproblem?» öffentlich. Bei der SNB werden ausserdem fast nur Männer in die Führungs­etage befördert, an der wichtigen jährlichen Forschungs­konferenz kommen Frauen praktisch nicht zu Wort. Daran ändert auch nichts, dass mit Andréa M. Maechler mittlerweile eine einsame Frau in der obersten Führungs­etage sitzt. Fazit der Recherche: «Es riecht nach Geschlechter­diskriminierung.»

Auf diesen Bericht hin haben sich zahlreiche Frauen bei den Autorinnen gemeldet. Mit über einem Dutzend Personen haben wir gesprochen. Einige davon arbeiten aktuell bei der Notenbank, andere haben sie inzwischen verlassen oder nie eine Stelle angetreten. Ihre Aussagen zeigen: Nicht nur das Geschlechter­verhältnis ist jämmerlich. Es ist alles noch viel schlimmer.

Und das ist von öffentlichem Interesse.

Die Schweizerische National­bank ist eine der mächtigsten staatlichen Institutionen. Ihre Entscheide jagen Börsen­kurse in Höhen oder Tiefen; sie prägen die Entwicklung der gesamten Schweizer Volks­wirtschaft. Die SNB verwaltet ausserdem rund 950 Milliarden Franken an Volks­vermögen, die sie nach eigenem Gut­dünken anlegt. Ein Betrag, der die jährliche Wirtschaftsleistung der Schweiz übersteigt.

Kurz: Die Schweiz kann sich eine von politischer Voreingenommenheit, Gruppen­denken und Chauvinismus geprägte National­bank nicht leisten. Mangelnde Diversität und ausgeprägtes Gruppen­denken sind grundsätzlich ein grosses Risiko – vielfältige Teams fällen in der Regel besser abgestützte Entscheide, wie zahlreiche Studien zeigen. Ausserdem ist es essenziell, dass die klügsten Köpfe, unabhängig von Geschlecht und Herkunft, gerne bei der SNB arbeiten. Sie steht auf dem Arbeits­markt in direkter Konkurrenz zur Verwaltung, zu Gross­banken, internationalen Konzernen und Spitzen­universitäten – Arbeitgeberinnen, die sich aus reinem Eigen­interesse teilweise seit längerem um weniger diskriminierende Strukturen bemühen.

Aus all diesen Gründen geben wir hier wieder, was uns von den Auskunfts­personen übereinstimmend berichtet wurde.

Zur Transparenz: Warum arbeiten wir mit anonymisierten Quellen?

Die Autoren haben für diese Recherche mit über einem Dutzend aktueller und früherer Mitarbeiterinnen sowie mit Bewerberinnen gesprochen. Sie kennen alle Quellen mit Namen und haben ihre Identität und ihre Aussagen überprüft. Sie haben mit den Informantinnen nicht nur gesprochen, sondern hatten auch Einblick in Lohn­abrechnungen, E-Mail-Verkehr und persönliche Notizen. Um die Privat­sphäre unserer Quellen zu wahren und sie vor beruflichen oder gesellschaftlichen Repressionen zu schützen, werden ihre Aussagen anonymisiert wieder­gegeben. Drei Frauen werden unter geänderten Namen vorgestellt.

«Diese Frage war ganz klar unzulässig»

Welche Kultur in einem Unternehmen herrscht, zeigt sich unter anderem daran, wer überhaupt eingestellt wird – und welche Fragen man Bewerberinnen stellt. Darüber gesprochen haben wir mit drei voneinander unabhängigen Quellen. Ihre Aussagen zeigen: Die Rekrutierungs­praxis der SNB zeugt von jener politischen Einseitigkeit, jenem Konservativismus und jener mangelnden Sensibilität, von der viele Informantinnen berichten.

Eine Informantin erzählt, dass sie an ihrem Bewerbungs­gespräch ohne jeglichen Zusammen­hang mit der ausgeschriebenen Stelle nach ihrer politischen Meinung zur SNB-Anlage­politik befragt worden sei. Im Wissen darum, dass die Frage heikel ist, habe sie sich zurück­haltend geäussert. Man könne die SNB-Anlage­politik «überdenken». Einige Tage später teilt die National­bank der Bewerberin mit, dass sie nicht eingestellt werde. Selbst­verständlich lässt sich nicht belegen, dass ihre Aussage der Grund dafür war. Schon die Frage an sich aber ist problematisch – nicht nur bei einer Institution, die sich massgeblich über ihre politische Unabhängigkeit definiert.

Wir haben Martin Farner, Fachanwalt für Arbeits­recht, nach seiner Einschätzung gefragt. Für ihn ist der Sach­verhalt eindeutig: «Die Frage nach der politischen Haltung der Bewerberin war in diesem Fall ganz klar unzulässig.»

Auch Ökonomin Angela Cuomo erinnert sich noch gut an ihr Jobinterview. Dort wurde sie zu ihrem aktuellen Lohn befragt. Das ist unzulässig. Die verantwortliche Person habe sich auf eine Notiz bezogen, die aus einem früheren Bewerbungs­gespräch stammte. Doch diese Notiz hätte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr existieren dürfen: Die SNB verspricht Bewerbern, alle Unterlagen nach sechs Monaten zu vernichten.

Eine dritte frühere Bewerberin berichtet davon, dass sie während des Bewerbungs­prozesses mit «mehreren» Fragen zu ihrer familiären Situation konfrontiert worden sei. Eine Person habe sich bei ihr erkundigt, wie viele Kinder sie habe und wie alt diese wären. Während des Gesprächs sei sie gefragt worden, wie sie das ausgeschriebene Teilzeit­pensum mit ihren familiären Verpflichtungen vereinbaren wolle. Diese Frage sei ihr gestellt worden, nachdem sie auf eine allgemeiner formulierte Frage zugesichert habe, dass sie das Teilzeit­pensum zu leisten vermöge. Das beurteilt Arbeits­rechts­experte Farner als «grenzwertig».

Die SNB foutiert sich gemäss Quellen also um einige gesetzliche Regelungen für den Bewerbungs­prozess. Die Frage nach den familiären Verhältnissen spiegelt zudem eine politische Haltung, von der weitere Zeuginnen unabhängig voneinander berichten: einem konservativen Misstrauen gegenüber Mitarbeitern mit familiärer Verantwortung.

Das traditionelle Familienbild der SNB

Für viele bedeutende Schweizer Arbeit­geber gehören Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute längst dazu. Global tätige Firmen und staatliche Arbeit­geber buhlen mit familien­freundlichen Arbeits­modellen um die Gunst von Arbeit­nehmerinnen. Ganz ähnlich ist das bei anderen Noten­banken. Die US-amerikanische Fed verspricht Job-Interessentinnen offiziell «flexible Arbeitszeitmodelle».

Nicht so die SNB: Auch sie spricht zwar von «Karriere­möglichkeiten – auch in Teilzeit». Doch in der Praxis ist Teilzeit­arbeit verpönt.

Personen – also auch Männer – die aufgrund familiärer Verantwortung eine Teilzeit­karriere anstreben, hätten bei der SNB nur wenig Möglichkeiten, sich zu entfalten. Das sagen mehrere unabhängige Quellen. Führungs­personen würden «nicht mehr viel von einem halten», wenn man das Arbeits­pensum reduziere. Im Speziellen Männer würden sich deshalb nicht trauen, um eine Reduktion ihres Anstellungs­grades zu bitten.

Eine der Gesprächs­partnerinnen unterstreicht die Teilzeit-Aversion der SNB mit einem typischen Beispiel: Während einer Sitzung habe eine Führungs­kraft bekannt gemacht, dass werdende Väter ihr Pensum künftig auf 80 Prozent reduzieren dürften. Männer, die bereits Kinder hätten, wären davon aber ausgenommen. Die Begründung: Die Arbeits­aufteilung in der Familie sei dort bereits organisiert. Das Arbeits­pensum für die Familie reduzieren: Das wird bei der SNB eben doch nicht gerne gesehen.

Das ist offenbar vor allem im I. Departement ein Problem. Dort gibt es gemäss einer Auskunfts­person mehrere ranghohe Führungs­kräfte, die aktiv mit der Losung hausieren, dass Familie und Karriere nicht unter einen Hut zu bringen seien.

Ironischerweise haben sowohl der Vorsteher des I. Departements, Thomas Jordan, als auch sein Stell­vertreter, Martin Schlegel, jeweils eigene Kinder.

Mit diesem Konservativismus verpasst die SNB-Führungs­etage nicht nur eine Chance, die besten Talente für sich zu gewinnen. Sie prägt damit auch eine Kultur, die es schwierig macht, Sexismus im Alltag entschieden entgegenzutreten.

Der ganz normale Alltagssexismus

Übereinstimmend berichten drei weitere unabhängige Quellen von jeweils «mehreren» Fällen, in denen Frauen am Arbeits­platz unter so starken Druck gesetzt wurden, dass sie unter Tränen ihre Büros verliessen. Solche Vorfälle gibt es gemäss den drei Auskunfts­personen in allen drei Departementen der Nationalbank.

Eine dieser vom «ganz normalen Alltags­sexismus» Betroffenen ist Ruth Huber, deren Namen wir auch geändert haben. Die Ökonomin wirkt im Gespräch reflektiert und rational. Sie hat langjährige Erfahrung in männer­dominierten Berufs­feldern und hat für mehrere andere Firmen gearbeitet. Huber sagt von sich, sie sei «sexistische Sprüche eigentlich gewohnt». Nun ist sie seit etwas mehr als zwei Jahren bei der National­bank. Und sagt: Hier sei es schlimmer als bei jeder anderen Arbeit­geberin zuvor.

Sexismus am Arbeitsplatz passiere nicht aus bewusster Frauen­feindlichkeit, meint eine andere Auskunfts­person, sondern weil Führungs­kräfte aufgrund ihres Fach­wissens und nicht anhand ihrer Führungs­qualitäten ausgewählt würden. Das führe zu mangelnder Sensibilität gegenüber der Gender­thematik.

Ruth Huber sieht das weniger gnädig. Für sie hat dieses Verhalten System. Fachlich sehr gut qualifizierte Frauen haben es gemäss Huber bei der National­bank schwieriger als Männer, auf der Karriere­leiter aufzusteigen. Offener und versteckter Sexismus sei allgegenwärtig.

Ein Beispiel gefällig? Eine andere, ehemalige Mitarbeiterin berichtet uns von einem Vorgesetzten, der ihr während der Arbeit erklärt habe, wofür ihre Geschlechts­organe gut wären.

Ruth Huber meldet einen Teil der Missstände irgendwann ihrem Chef. Sie muss feststellen: Während viele privat­wirtschaftliche Firmen ihre Vorgesetzten für solche Fälle schulen, stösst sie bei der SNB auf taube Ohren.

Abfällige Kommentare

Was Huber ihrem Chef berichtet, kennen nach eigenen Aussagen verschiedene Frauen aus allen Departementen der National­bank. Sie nennen es in eigenen Worten «klares Mobbing». Im Fall von Huber enthält ein fachlich schlechter qualifizierter Mitarbeiter ihr Informationen vor, bremst sie in einem gemeinsamen Projekt aus, sabotiert ihre Arbeit. Sie habe von ihrem Vorgesetzten erwartet, dass er die Personal­abteilung einschalte. Doch der Chef organisiert ein Gespräch zu dritt.

Dieses artet laut Huber zur Demütigung aus: Huber fühlt sich nach eigener Aussage nicht ernst genommen. Sie wird als emotional bezeichnet, gar ihr Auftreten und ihre Körper­sprache werden abfällig kommentiert. Huber solle sich «zusammen­reissen», lautet schliesslich die Anweisung. Es ist eine Reaktion, die viele Frauen aus ihrem eigenen Alltag kennen, wenn sie Probleme ansprechen.

Nach dem Gespräch betrachtet der Vorgesetzte die Sache als erledigt. Der Vorfall wird nicht weiter­geleitet oder professionell aufgearbeitet – obwohl das Hubers Wunsch gewesen wäre. Sie weiss nicht, wohin sie sich wenden soll. Ein Jahr später wird der fachlich schlechter qualifizierte Kollege befördert.

Die Nationalbank sagt auf Anfrage, dass es ein anonymisiertes Verfahren gebe, um Mobbing und Sexismus zu melden. In der Praxis scheint das aber nicht zu funktionieren.

Eine von Ruth Huber unabhängige Quelle erzählt uns, dass sie nach einer entsprechenden Meldung vor die Wahl gestellt worden sei, ihr Problem persönlich zur Sprache zu bringen – oder gar nicht. Sie habe damals schon gewusst: «Wenn ich das tue, muss ich bald gehen.» Ganz offensichtlich sind die SNB-Führungs­kräfte nicht fähig, professionell und respektvoll mit Mobbing­fällen umzugehen.

Ziehen wir kurz Zwischenbilanz.

Die Schweizerische National­bank ist nach mehreren voneinander unabhängigen Aussagen geprägt von einer konservativen Unter­nehmens­kultur, die den Wert von politischer und sonstiger Diversität verkennt und Teilzeit­arbeit geringschätzt. Im Arbeits­alltag kommt es immer wieder zu Sexismus, und es fehlen sowohl bei der Rekrutierung als auch im Umgang mit potenziellem Mobbing funktionierende Personal­prozesse, die bei hoch­karätigen Arbeit­gebern heute Standard sein sollten.

Doch das ist leider noch nicht alles. Die SNB hat laut den Aussagen offenbar auch mit dem Klassiker der Ungleichheit zu kämpfen: mutmasslicher Lohndiskriminierung.

Lohndiskriminierung im Staatsbetrieb?

Angela Cuomo, die Ökonomin, stellte noch während ihrer Anstellung bei der SNB nach mehreren Jahren fest, dass sie die ganze Zeit über weniger verdient hatte als ähnlich qualifizierte Kollegen. Das sei ihr klar geworden, nachdem ihr ein neuer Vorgesetzter eine signifikante Lohn­anpassung offeriert habe. Seine Erklärungen: Ihr Lohn sei mehrere Jahre unter dem ihrer Mitarbeiter gelegen. Cuomo berichtet, dass der Einstiegs­lohn ihrer Kollegen – trotz ähnlicher Qualifikationen – bis zu 10’000 Franken höher gewesen sei als ihr damaliger Einstiegslohn.

Die SNB richtet dazu aus, dass es bei ihr keine systematische Lohn­diskriminierung gebe: «Das Prinzip der Lohn­gleichheit gilt uneingeschränkt.»

Dennoch haben wir Kenntnis vom Fall einer zweiten, unabhängigen Quelle, die von einem ähnlichen Sach­verhalt berichtet: Ein ranghoher SNB-Mitarbeiter habe ihr versprochen, mit ihr eine Lohn­verhandlung zu führen, sobald sie eine Weiter­bildung abgeschlossen habe, berichtet diese Informantin. Als es so weit war, passte der ranghohe SNB-Mitarbeiter den Lohn aber nur marginal an – und das, ohne sie vorgängig zu konsultieren. Die in Aussicht gestellte «strukturelle» Lohn­erhöhung wird ihr erst gewährt, als sie einen neuen Vorgesetzten bekommt. Der dadurch entstandene Einkommens­verlust beträgt über 15’000 Franken. Das belegen Dokumente, die uns vorliegen. Heute sagt unsere Informantin: «Ich möchte in den nächsten 30 Jahren nicht mehr bei der SNB arbeiten.»

Auch in Bezug auf Praktikantinnen lassen die Berichte einer Auskunfts­person vermuten, dass Frauen schlechter bezahlt werden. Sie erzählt uns von einem Fall, in dem sich eine Frau um eine Teilzeit-Praktikums­stelle bei der SNB beworben habe. Die Ausbildung der Bewerberin sei «mindestens genauso gut» gewesen wie die des Vorgängers. Zudem habe die Bewerberin – im Gegensatz zum Vorgänger – relevante Arbeits­erfahrung vorweisen können. Trotzdem sei ihr weniger Lohn offeriert worden.

Diskriminierung von oben

Der beharrliche Konservativismus im Innern der Schweizerischen National­bank ist vielen Personen in ihrem Umfeld seit Jahren bekannt. Für die meisten Menschen, die sich an Journalistinnen wenden, ist der Gang an die Öffentlichkeit die letzte Wahl. Oft versuchen sie erst jahrelang auf anderen Wegen, etwas zu ändern.

So ist das auch im Fall der SNB.

Die Informantinnen sind alles andere als Aktivistinnen. Sie sind in ihrem Auftreten zurück­haltend, fast vorsichtig. Sie sind teilweise auch eingeschüchtert. Es kostet sie viel Überwindung zu reden. Doch der Leidens­druck ist zu gross, als dass sie weiter schweigen wollen.

Ruth Huber wandte sich vergeblich an ihre Vorgesetzten. Andere Informantinnen hatten mehr Glück. Insbesondere im mittleren Management gebe es inzwischen Führungs­personen, die Missstände erkennen und dagegen vorgehen: Das betonen mehrere Quellen. Auch Angela Cuomos Lohn wurde schliesslich nach oben korrigiert, weil ein neuer Chef eingriff.

Das Problem liegt allerdings tiefer. Beziehungs­weise höher: bei den wichtigen, oberen Entscheidungs­trägern – und deren Weigerung, auf Kritik einzugehen.

Das zeigt exemplarisch das Beispiel von Ella Jansen. Die junge Makro­ökonomin, die in Wirklichkeit anders heisst, ist hoch qualifiziert und nach Einschätzung des Autors – selber Geld­ökonom – geradezu prädestiniert, um bei der SNB zu arbeiten. Trotzdem werden ihre Bewerbungen mehrmals abgewiesen. Mitunter ohne überzeugende Gründe.

Jansen fällt derweil gleichzeitig das unausgewogene Geschlechter­verhältnis bei der SNB auf. Sie entscheidet sich, einen Brief an die Notenbank­spitze zu schreiben. Darin dokumentiert sie die Gender­ungleichheit und fragt, ob etwas dagegen unternommen werde. Ihr Brief ist noch unbeantwortet, als sich die Informantin erneut um eine Stelle bewirbt.

Darauf kontaktiert sie ein ranghoher SNB-Mitarbeiter direkt. Er gibt vor, sich mit ihr über ihre Bewerbung austauschen zu wollen. Das ist aber nicht seine wahre Absicht: Obwohl der Brief der Bewerberin nicht an den ranghohen SNB-Mitarbeiter gerichtet war, befragt er sie vornehmlich darüber, wie das Schreiben mit ihrer erneuten Bewerbung vereinbar sei. Das ist dokumentiert im E-Mail-Austausch zwischen der National­bank und der Bewerberin.

Sie sagt: «Ich wurde unter Druck gesetzt, meine Bewerbung zurückzuziehen.»

Nach einem rund 30-minütigen Gespräch verschiebt der ranghohe SNB-Mitarbeiter ohne Einverständnis unserer Auskunfts­person das bereits angesetzte Vorstellungs­gespräch – das nur zwei Arbeits­tage später hätte stattfinden sollen – um sechs Wochen. Als Begründung führt er an, dass er am Vorstellungs­gespräch dabei sein müsse.

Wir wissen von zwei unabhängigen Quellen, dass der ranghohe SNB-Mitarbeiter üblicher­weise nicht dabei ist, wenn Bewerber für diese Stellen interviewt werden. Auch als die Gespräche mit den Mitbewerbern unserer Informantin stattfinden – was nur einige Tage nach dem fraglichen Anruf des ranghohen SNB-Mitarbeiters bei unserer Informantin geschieht –, ist der ranghohe SNB-Mitarbeiter nicht dabei.

Davon merkt unsere Ökonomin allerdings nichts. Sie zieht ihre Bewerbung zurück, bevor es zum Interview kommt. Der Druck­versuch ist erfolgreich. Und die Chance vertan, sich mit Jansens Kritik auseinanderzusetzen.

Papier ist geduldig

Die hier beschriebenen Missstände wiegen schwer. Sie sind breiter abgestützt als manche Sexismus-Fälle, die in privat­wirtschaftlichen Firmen interne Konsequenzen hatten.

Für eine Institution von der Bedeutung der National­bank sind gelebte Vielfalt, intellektuelle Offenheit und eine starke Fehler­kultur essenziell für ihren Erfolg. Andere Noten­banken haben dies längst erkannt. Die Europäische Zentral­bank (EZB) beispiels­weise hat sich selber eine Diversity-Politik verpasst und lässt diese seit 2019 unabhängig überprüfen. Vor wenigen Monaten hat sie sich ausserdem selber verordnet, den Anteil Frauen auf verschiedenen Führungs­ebenen bis 2026 auf bis zu 51 Prozent zu erhöhen. Auch die US-amerikanische Fed verfolgt eine Diversity-Strategie. Dazu gehören nicht nur die erwähnten flexiblen Arbeitszeit­modelle – sondern auch Null­toleranz bei Sexismus und Rassismus.

Dahinter steckt keine Nettigkeit, dahinter stecken knallharte ökonomische Überlegungen: Beide Noten­banken argumentieren, eine möglichst grosse Vielfalt liefere schlicht bessere Resultate. Man setze sich darum so sehr für Diversity ein, so die EZB, weil man nur so die «besten Talente» gewinnen und «bestmögliche Entscheide» fällen könne.

Zu Diversität und Chancen­gleichheit bekennt sich offiziell auch die SNB, wie sie uns versichert. Wie das allerdings ohne konkrete Ziele und Förder­programme funktionieren soll, bleibt ihr Geheimnis. Die Institution tut das, was sie häufig tut, wenn es kritisch wird: Sie mauert. Gerne mit vagen Wort­hülsen, wie man sie auch aus ihren geld­politischen Berichten kennt.

Sie schreibt: «Die in Ihrer Anfrage beschriebenen allgemeinen Vorwürfe von Mobbing, Diskriminierung und Sexismus decken sich nicht mit dem Kenntnis­stand der Schweizerischen National­bank (SNB), und wir weisen diese entschieden zurück.» Solche Vorkommnisse wären, so die Notenbank, «inakzeptabel». Sämtliche Meldungen würden sorgfältig geprüft und rigoros aufgearbeitet. Zu den konkreten Vorwürfen nimmt die SNB keine Stellung.

Ausserdem fügt sie an: «Wir haben bereits nach Ihrem letzten Beitrag klargestellt, dass wir Ihre dort gemachten schwer­wiegenden Vorwürfe nicht akzeptieren können.» Dabei vergisst die SNB, dass die Vorwürfe nicht von den Autoren gemacht werden, sondern von unseren Quellen.

Der Bankrat – das offizielle Aufsichts­organ – lässt ausrichten, dass er der Stellung­nahme der SNB-Medien­stelle nichts beizufügen habe.

Und jetzt?

Für die Frauen, die den Mut aufbrachten, mit der Republik zu sprechen, müssen diese Stellung­nahmen wie ein Hohn klingen. Für sie waren die letzten Tage belastend: Sie haben zu allen Tages- und Nacht­zeiten mit uns telefoniert, sich mit Freunden und Familie ausgetauscht und Dokumente und E-Mail-Verkehr ausgegraben, um ihre Fälle zu dokumentieren. Sie waren verunsichert und wollten immer wieder wissen, ob man sie auch sicher nicht identifizieren könne.

Doch ihr Mut zahlt sich möglicher­weise aus.

Denn Politikerinnen aus verschiedenen Parteien sind aufgrund dieser Recherchen auf die Zustände bei der SNB aufmerksam geworden.

Bei der SNB müssten in Sachen Gleich­stellung höchste Massstäbe gelten, sagt etwa CVP-Stände­rat und Finanz­politiker Erich Ettlin. Und SP-National­rätin Céline Widmer sagt zum Geschlechter­verhältnis bei der National­bank: «Die SNB muss sofort aufzeigen, wie sie diese Zahlen verbessert.» Maya Graf, Stände­rätin der Grünen und Präsidentin der Geschäfts­prüfungs­kommission, fordert die SNB auf, aktiv zu werden: «Die dokumentierten Missstände müssen untersucht und behoben werden.» Auch der Bankrat müsse jetzt aktiv werden. Als wichtigste Finanz­institution des Landes müsse die SNB ein Vorbild sein, sagt Graf.

Mehrere Politiker haben ausserdem im Gespräch angekündigt, den Fall SNB im Parlament zur Sprache zu bringen.

Ein Update folgt – garantiert.

Zum Update

Fünf weitere Personen haben sich bei den Autorinnen der Recherche gemeldet. Sie bestätigen die in diesem Beitrag erhobenen Vorwürfe – und legen neue Probleme offen. Eine von ihnen verzichtet auf die Anonymisierung, sie macht heute Karriere bei der Europäischen Zentralbank.

Zur Co-Autorin

Patrizia Laeri war 2019 Wirtschafts­journalistin des Jahres, sie ist Ökonomin und Beirätin des Institute for Digital Business.

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