Aufpasser aus Amerika in der Schweizer Armee

Navigationssysteme, die nur mit «Yankee-Code» funktionieren: Ist die Schweiz sicherheits­politisch überhaupt ein souveräner Staat? Recherchen zeigen: In Dübendorf sind zwei US-Offiziere stationiert. Ihr Auftrag: sicherzustellen, dass Kampfjets und andere US-Rüstungs­güter den Interessen ihres Landes dienen.

Eine Recherche von Eva Novak, 21.09.2020

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Kyle Wilson ist kein hohes Tier in der US-Luft­waffe. Nur gerade Master Sergeant des «56th Equipment Maintenance Squadron», also Haupt­feldweibel in einem für den Unter­halt der Ausrüstung zuständigen Geschwader. Ungeachtet dessen haben die USA dem Unter­offizier kürzlich einen Orden verliehen, den «2018 Air Force International Affairs Excellence Award». Zum Dank für seinen Einsatz im Konflikt zwischen Indien und Pakistan, als die pakistanische Luft­waffe am 27. Februar 2019 mit ihren aus den Vereinigten Staaten stammenden F-16-Kampf­jets zwei indische Kampf­flugzeuge über dem indischen Teil Kashmirs abschoss.

Die Auszeichnung belohnte nicht etwa Bemühungen zur Befriedung der beiden seit Jahr­zehnten verfeindeten Staaten. Wilson hat sich vielmehr um sein Heimat­land verdient gemacht, indem er als Security Cooperation Officer (militärisch kurz SCO) die in den F-16 eingebaute US-Technologie vor fremdem Zugriff schützte. Wie genau, wurde nicht bekannt gegeben.

Ebenso wenig bekannt ist, dass auch in der Schweiz «Sicherheits-Zusammenarbeits-Offiziere» aus den USA am Werk sind. Zwei an der Zahl, wie das Verteidigungs­departement VBS Informationen der Republik bestätigt. Nur heissen sie armee­intern nicht SCOs wie in den USA, sondern Custodians, auf Deutsch: Wächter beziehungs­weise Hüter. Ihr Name ist Programm. Denn von ihren Schweizer Partnern wird das, was sie tun, nicht als «Zusammen­arbeit» wahrgenommen, sondern als Kontrolle.

Nur mit Code aus den USA

Wenn Schweizer Kampfjet­piloten mit den F/A-18 testweise eine Sidewinder, also eine infrarot­gesteuerte Kurzstrecken­lenkwaffe, abschiessen wollen, «müssen sie zuerst um Erlaubnis fragen», sagt eine Quelle aus der Schweizer Luft­waffe. Das gehe so weit, dass bei Übungen von Schweizer F/A-18-Piloten über der Nordsee zusammen mit Luftwaffen­angehörigen anderer Staaten angegeben werden müsse, welche Lenk­waffe mit welcher Serien­nummer man abzuschiessen gedenke.

Um den US-Kontrolleuren nicht mehr als nötig zu verraten, wenden die Schweizer schon mal abenteuerliche Methoden an. Der «Tages-Anzeiger» beschrieb kürzlich eine Inspektion der Boden-Luft-Abwehr­geschosse Stinger: Zum Depot seien die Amerikaner in einem VW-Bus der Schweizer Armee gefahren worden, dessen «Seiten und Heck­fenster (…) mit blick­dichter schwarzer Folie verklebt» gewesen seien, damit die ungeladenen Gäste aus Übersee nicht nachvollziehen konnten, wohin die Reise geht.

Über die technische Abhängigkeit der Schweizer Armee von den USA wird seit vielen Jahren spekuliert. Schon länger bekannt ist, dass einzig der amerikanische Hersteller Boeing über den vollen Zugang zu den Quell­codes der Software seiner Kampf­jets F/A-18 verfügt. Updates an der Avionik werden jeweils durch die Techniker des Lieferanten vorgenommen, die Schweizer Techniker dürfen nicht einmal zuschauen. Auch dass das militärische Navigations­system nur mit einem vom US-Geheimdienst gelieferten Code funktioniert, ist kein Geheimnis mehr.

In den Medien tauchen Berichte über solche Abhängigkeiten jeweils auf, wenn wieder mal ein milliarden­schweres Rüstungs­geschäft ansteht. Wie jetzt der 6 Milliarden Franken teure Kampfjet­deal, um den sich auch die beiden US-Flugzeug­hersteller Lockheed Martin mit dem F-35 und Boeing mit dem F/A-18 Super Hornet bewerben. Gestreut werden die durchaus fundierten Gerüchte meist von den Konkurrenten, die so versuchen, die amerikanische Konkurrenz zu diskreditieren.

Diesmal jedoch, so wird in der Szene spekuliert, halten sich die beiden europäischen Mitbewerber zurück, weil das Volk nicht über einen bestimmten Kampfjet­typ, sondern über den Grund­satz der Beschaffung entscheidet. Also haben Eurofighter-Hersteller Airbus und Rafale-Hersteller Dassault grösstes Interesse, den Ball bis zum Typen­entscheid möglichst flach zu halten, um sich am Ende nicht selber zu schaden.

«Dann ist die Neutralität hinfällig»

Zumal auch ihre Produkte nicht frei sind von US-Technologie – und man sich somit fragen kann, ob sie nicht auch von den USA kontrolliert werden. Jedenfalls benutzen sowohl Eurofighter als auch Rafale ebenfalls den digitalen Daten­dienst des militärischen Funk­systems Link 16, das Freund-Feind-Erkennungs­system IFF und den zweiten militärischen GPS-Kanal. Damit sind auch sie von amerikanischen Schlüsseln abhängig. Ohne den «Yankee-Code» für das GPS-System etwa sind die Kampf­jets bei schlechtem Wetter oder in der Nacht nur noch bedingt einsetzbar.

Wobei zu ergänzen ist, dass die Schweiz in einer Konflikt­situation ohnehin kaum autonom vorgehen, sondern den Schulter­schluss mit Staaten suchen würde, deren Interessen ähnlich gelagert sind.

«Wenn wir bedroht werden, ist die Neutralität hinfällig», formulierte es kürzlich der scheidende Luftwaffenchef Bernhard Müller. Kooperations­fähigkeit übt die Schweiz jedenfalls schon mal im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden, der sie seit 1996 angehört. Diese ist ein Instrument für die Zusammen­arbeit zwischen der Nato und ihren Partnerländern.

Die Legende vom ominösen On-off-Schalter – den «Uncle Sam» nur umlegen müsse und schon könne der Schweizer Pilot seinen Jet nicht starten beziehungs­weise die Lenk­waffe nicht abfeuern – beschäftigt die Politik in der Schweiz seit zwei Jahrzehnten. Die ersten besorgten Vorstösse in diese Richtung kamen von der SVP. Während des Irakkriegs 2003 wollte der Thurgauer Nationalrat Alexander Baumann wissen, ob es stimme, dass die Schweizer Luft­waffe aus technischen Gründen «gar nicht gegen allfällige Luftraum­verletzungen durch Flugzeuge der US Air Force» vorgehen könne.

In jüngster Zeit stammt die Kritik eher von links: «Die USA können unsere Jets auf Knopf­druck vom Himmel holen. Oder uns nicht starten lassen, wenn sie es nicht wollen», sagte kürzlich SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf.

Aus dem VBS kommt dazu jeweils ein mehr oder weniger ausgeprägtes Dementi. «Die Luft­waffe kann die Wahrung der Luft­hoheit gewähr­leisten, unabhängig von der Herkunft der Flugzeuge, welche versuchen, den Schweizer Luft­raum unerlaubt zu benutzen», verneinte 2003 der damalige Verteidigungsminister Samuel Schmid die Frage von Alexander Baumann.

Seine Nachfolgerin Viola Amherd erklärte kürzlich, sie habe noch nirgends verbrieft gesehen, dass die Abhängigkeit bei den beiden US-Kampf­jets grösser wäre als bei den beiden Anbietern aus Europa. Eine «Fernsteuerung aus dem Ausland ist ausgeschlossen, schon bei den heutigen F/A-18 und auch beim neuen Kampf­flugzeug», sagte sie.

USA wahren ihre Interessen

Auf Anfrage der Republik zu den US-Custodians in der Schweiz bestätigt VBS-Kommunikations­chef Renato Kalbermatten immerhin, es gebe zwei solche «Dienst­leister», wie er die beiden Amerikaner nennt. Diese seien in Dübendorf stationiert, der erste schon seit 2006. Allerdings hätten sie «keinen Einfluss und keine Kompetenzen oder Einblicke bezüglich der Operationen der Schweizer Luftwaffe».

Ihre Aufgabe sei «die Unter­stützung der Schweizer Armee in technischen und logistischen Bereichen der sicheren Sprach- und Daten­kommunikation, welche die Zusammen­arbeit mit anderen Streit­kräften unter besonderer Beachtung der Cyber­security ermöglicht». Weitere Aufgaben der Custodians stellt Kalbermatten in Abrede. Insbesondere sei es nicht so, dass sie das Vorhanden­sein der Lenk­waffen oder der Radar­geräte kontrollierten.

Die USA sind da deutlich auskunfts­freudiger. Insbesondere Lieutenant General Charles Hooper. Der freundliche, beleibte Herr, bis vor kurzem Chef der amerikanischen Defense Security Cooperation Agency (DSCA), erklärt in Youtube-Videos offenherzig und für die ganze Welt einsehbar, was seine Agentur so tut. Aufschlussreich ist insbesondere das «Golden Sentry Program». Dieses dient laut Hooper dem Schutz der nationalen Sicherheit und ist gesetzlich für den gesamten Lebens­zyklus sämtlicher aus den USA stammenden Rüstungs­güter und Dienst­leistungen vorgeschrieben, vom einfachen Gewehr bis zum Kampfjet. Security Cooperation Officers oder SCOs sorgen weltweit dafür, dass die Vorgaben eingehalten werden. Nicht nur aus Gründen der Sicherheit, wie Hooper in einem anderen Video erklärt. Sondern auch, um die aussen­politischen Interessen der USA zu wahren.

Bei gewissen Rüstungs­gütern führten die Custodians alias SCOs im jeweiligen Partner­land regelmässig Inspektionen und Inventuren der Serien­nummern durch. Sie prüfen also, ob alle noch vorhanden sind und wirklich für den Zweck eingesetzt werden, für den sie von den USA ins Ausland verkauft worden sind, was laut dem Lieutenant General jeweils in einem letter of offer and acceptance vertraglich festgehalten ist. Als Beispiele in diesem Zusammen­hang nennt Hooper unter anderem die Schulter-Lenkwaffe Stinger sowie die beiden Luft-Luft-Lenkwaffen AIM-9X Sidewinder und Amraam. Allesamt Rüstungs­güter, über welche auch die Schweizer Armee verfügt.

Und wer bezahlt? Die Schweizer

Dass die USA auf Kontrolle erpicht sind, stösst auch bei US-Skeptikerinnen bis zu einem gewissen Grad auf Verständnis. Schliesslich kontrollieren auch andere Staaten – in der Schweiz ist das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) dafür zuständig –, ob sich ihr exportiertes Kriegs­material noch immer beim deklarierten Endempfänger befindet. Ausserdem feuerten die Taliban nach 2001 Stinger-Raketen, welche die CIA einst afghanischen Rebellen zum Kampf gegen die Sowjets geliefert hatte, auf US-Flugzeuge ab. Das Ausmass der Kontrolle hingegen wird weniger gut verstanden. Ebenso, dass die Custodians mögliche Vertrags­verletzungen nicht nur dem Verteidigungs­ministerium in Washington melden, sondern auch dem Aussen­ministerium. Und dies aus 146 Ländern.

All das ist nicht gratis, wie auch Lieutenant General Charles Hooper weiss. Für die amerikanischen Steuer­zahlerinnen hat er jedoch eine gute Nachricht: Sie koste das keinen Cent, der Kunde komme für sämtliche Kosten auf. Dies bestätigt das VBS zumindest indirekt. Auf die Frage, wer den Lohn der Custodians zahle, antwortet Kalbermatten, die beiden Zivilisten würden im Auftrags­verhältnis für den amerikanischen Staat arbeiten. Und dass «die entsprechenden Leistungen zwischen der Schweiz und den USA vertraglich vereinbart» seien.

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