Der vielleicht doch nicht so langweilige Herr Kutter

Selbst in seiner Partei gilt er als Politiker ohne Profil. Doch dann gelingt ihm der Coup, Kinderabzüge in der Höhe von 370 Millionen Franken zur Abstimmung zu bringen. Wer ist CVP-Nationalrat Philipp Kutter, der neue Schreck der Linken?

Ein Porträt von Cinzia Venafro (Text) und Marvin Zilm (Bilder), 18.09.2020

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«Unterschätzt zu werden, hat auch Vorteile»: Philipp Kutter.

Plötzlich wacht man auf. In den vergangenen dreissig Minuten, die sich wie drei Stunden anfühlten, war einem das Gesicht immer wieder aufs Neue eingeschlafen. Dreissig Minuten Philipp Kutter, dreissig Minuten CVP-Positionen. In der Mitte, von der Mitte, für die Mitte. Und dann fällt der Satz wie ein Geschenk des Himmels. «Ja, ich weiss, ich bin langweilig.» Gefolgt von: «Ja, voll das CVP-Klischee.» Der mittel­grosse Mann mit dem mittel­langen Bart sagt es selbst, wofür man ihm sehr dankbar ist, und drückt den Cappuccino-Knopf am Kaffee­automaten des Stadt­hauses Wädenswil. «Normal zu sein, ist der Sound meines Lebens.»

Philipp Kutter, 45 Jahre alt, CVP-National­rat und Wädenswiler Stadt­präsident, ist so etwas wie Ghackets mit Hörnli, einfach in der Politik.

Doch jetzt, kurz vor dem «Super Sunday» vom 27. September, ist Kutter unübersehbar präsent. Ihm verdanken wir die fünfte Abstimmungs­vorlage. Wenn auch die unauffälligste. Die anderen vier sind politische Kracher: Begrenzungs­initiative, Vaterschafts­urlaub, Kampf­jets, Jagd­gesetz zum Wolf. Während der steuerliche Kinder­abzug leise mitsummt. CVP-Kollege Martin Candinas nennt ihn ein Husaren­stück, die SP eine Mogel­packung. Und Kutter sagt: Kompromiss­vorschlag.

Links und Grünliberal warnen vor Etiketten­schwindel: Statt Kindern werden Reiche gefördert. Kutter sagt: Mittelstand.

Wer ist der Mann, dessen Durchschnittlich­keit so augen­fällig ist? Und bei dem es irgendwie stolz klingt, wenn er sagt: «Unterschätzt zu werden, hat auch Vorteile»?

Wobei er in der eigenen Partei nicht unbestritten ist. Ghackets mit Hörnli: Geht immer. Aber wehe, jemand wie Kutter macht daraus so neumodisches Zeugs. Etwa Ghackets aus Soja­proteinen. Dann rebelliert das konservative Stück Seele in einem.

In den katholischen, ländlichen CVP-Stamm­landen, weit weg von Kutters Zürich, sind die konservativen Seelen noch intakt. Also denkt man dort: Der Kutter vom Zürisee kann tun, was er will. Solange er weiss, wo Gott hockt. Er soll also der CVP ihr C nicht wegnehmen. Und gleich­geschlechtlichen Paaren nicht das Recht auf Adoption zusprechen.

Wie halten Sie es denn mit Gott, Herr Kutter? Er sei nun wirklich nicht fromm, sagt er. Der Sohn einer Flight-Attendant und eines Abteilungs­leiters einer Firma für Präzisions­messgeräte glaubt aber an Gott. Und an ein Leben nach dem Tod. «Die Vorstellung, dass mit 85 nicht alles zu Ende ist, tröstet mich.» Nicht zuletzt sei er auch deshalb bei der CVP gelandet, weil er dort ein christliches Menschen­bild und christliche Werte angetroffen habe.

Der Stachel

In den Schicksals­fragen der CVP ist Kutter für Aufbruch. Er gehört bei gesellschaftlichen Themen zum links­liberalen, progressiven Flügel der Partei. Er wolle der gesellschafts­politische «Stachel im Fleisch der CVP sein», sagt er, und man könnte sich vorstellen, dass er sich den Satz übers Bett gehängt hat. Und unterm Kissen liegt ein Lehrbuch für Kommunikationsprofis.

Das Problem: Die Ehe für alle und das damit verbundene Adoptions­recht für Schwule und Lesben sei ein «Scheiss­thema für die CVP», sagt eine Partei­grösse gegenüber der Republik. Damit lasse sich nun wirklich nichts gewinnen. Doch ausgerechnet hier hat die CVP-Nachwuchs­hoffnung Philipp Kutter eine starke Meinung. Er ist entschieden dafür. Er will sogar das Zölibat abschaffen.

Und so, nach etwas gemeinsamer Zeit, der Cappuccino ist unterdessen ausgetrunken, schläft einem nicht mehr ständig das Gesicht ein. Wenn Kutter sein Kreuz mit dem C erklärt, wird aus dem Langweiler ein Mann mit Haltung:

«Alles, was in der Kirche schiefläuft, färbt auf die CVP ab. Es ist uns 50 Jahre nicht gelungen, den katholischen Schatten loszuwerden. Darum muss das C dringend weg», sagt er. Klar, in gewissen Regionen sei das C «kein Nachteil», wie er es ausdrückt. «Aber im Zürcher Umfeld laufe ich damit gegen Wände. Obschon die Leute mir sagen, programmatisch seid ihr nicht so übel, können sie mich wegen des C nicht wählen. Wir CVPler müssen darum jetzt dringend aufbrechen und einen sichtbaren Schnitt machen. Dazu gehört ein neuer Name.»

Zur Debatte standen allerlei Namens­variationen: «Solidarität und Freiheit», «Bürgerlich-soziale Volks­partei» oder «Solidarisches Zentrum». Mit dem Namens­vorschlag «Die Volks­partei» hätte man der SVP gehörig eins ans Bein getreten.

Im Oktober werden die rund 100’000 Partei­mitglieder in einer Urabstimmung über ihr Etikett entscheiden. Und damit auch darüber, wie viel oder wenig Christlichkeit die Partei künftig vertreten soll. Die Vorgabe des Partei­präsidiums ist ganz in Kutters Sinn: «Die Mitte» soll es richten. Und in ferner Zukunft sogar für zwei Bundesrats­sitze sorgen.

Mann ohne Eigenschaften

Kutter begann früh mit der Ochsen­tour vom Lokal­politiker zum National­rat. Er, der Nicht-Skater, setzt sich für einen Skate­park ein, 22-jährig präsidiert er 1997 die städtische Jugend­kommission, 2002 wird er ins Stadt­parlament gewählt, 2006 in die Stadt­regierung, 2007 in den Kantons­rat. Seit gut 10 Jahren ist er der Stapi von Wädenswil. Im Kanton Zürich wurde er zuletzt gar Panachier­könig. Ihn wollte man, die CVP-Liste «lieber nöd».

Man kennt ihn und schätzt ihn an der Zürcher Pfnüsel­küste. «Ciao Philipp, sali Philipp. Gell, auch du musst eine Maske tragen», ermahnt ihn freund­schaftlich die Verkäuferin in der Bäckerei.

Hier ist man stolz, dass «unser Kutter» jetzt in Bern sitzt. Weil Partei­kollegin Barbara Schmid-Federer 2018 vorzeitig aus dem National­rat zurücktrat, konnte Nachrücker Philipp Kutter ein Jahr vor den Parlaments­wahlen 2019 unter der Bundeshaus­kuppel die nationale Bühne betreten.

Doch dort sorgt er seither für Ratlosigkeit. Selbst in den eigenen Reihen. Kutter sei ein Mann ohne Eigenschaften, beschreiben ihn mehrere Kollegen aus der CVP.

Herr Kutter, sind Sie wirklich ein Mann ohne Eigenschaften?
Hm. Ich verstehe die Frage nicht.

Fühlen Sie sich von dieser Charakterisierung beleidigt?
Nein. Welche Eigenschaften soll ich denn noch haben? Nur weil meine Positionen einen nicht grad anspringen, ist das ja nichts Schlimmes.

Kutter ist seit gut zehn Jahren Stadtpräsident von Wädenswil.
In Kutters Büro hängen nicht nur Arbeitsunterlagen an der Wand.
Der Stapi bei der Arbeit.

Der Coup

Eigenschaftslos vielleicht, wirkungslos nicht. Immerhin hat sich am angeblich langweiligsten Menschen unter der Bundeshaus­kuppel der Zorn der gesamten SP entzündet. Kurz vor dem Abstimmungs­sonntag vom 27. September toben die Sozial­demokraten ob Philipp Kutter.

Denn Kutter schaffte es mit einem politischen Coup, eine Steuer­vorlage für den Bund 38-mal teurer zu machen. Auf seinen Antrag hin erhöhte der National­rat nicht nur die Steuer­abzüge für die Kinder­fremdbetreuung, sondern auch den allgemeinen Steuer­abzug für Kinder.

Eigentlich wollte der Bundes­rat nur, dass Eltern mehr Geld bei den Steuern abziehen können, wenn sie ihre Kinder in die Kita schicken. Kutter erreichte aber dank Stimmen aus FDP und SVP, dass auch der allgemeine Steuer­abzug pro Kind um 3500 Franken erhöht wird. Das kostet den Bund nun 380 statt 10 Millionen. Pro Jahr.

Kutters Version wurde in der grossen Kammer angenommen, und die Linke dachte: Easy, das ist nur ein Tages­sieg. Doch Kutter lobbyierte erfolgreich bei bürgerlichen und rechten Stände­räten. «Die SP wollte die ganze Vorlage versenken, da merkte ich, ich muss auf der anderen Seite die Stimmen holen. Und hierfür brauchte es auch die Erhöhung der allgemeinen Abzüge», erinnert er sich.

Politisches Kalkül, Gespür für Mehrheiten: Kutter bewies es.

Der Aufschrei

«Kutters Vorgehen war komplett unüblich. Wir sind alle fast vom Stühlchen gefallen», erinnert sich SP-National­rätin Jacqueline Badran. Und auch Finanz­minister Ueli Maurer enervierte sich im September 2019 im Parlament: «Das geht so nicht!» Maurer ermahnte das Parlament: «Einen Betrag von 350 Millionen Franken können Sie heute so nicht beschliessen, ohne dass wir ihn in der Vernehmlassung gehabt und mit den Kantonen gesprochen haben.»

Die NZZ, immer dort zu Hause, wo es Steuern zu sparen gibt, bejubelte Philipp Kutter schliesslich als «370-Millionen-Mann», dem ein «Steuer-Coup» gelungen sei. SP-Noch-Präsident Christian Levrat sagte: «Wir werden sie plattmachen», als er das Referendum gegen Kutters Vorlage ankündigte.

Doch der Kampf­begriff «Steuer­abzugs-Bschiss», wie die SP es nennt, scheint auch bei der SP-Wählerschaft nicht zu greifen. In der Tamedia-Umfrage von Ende August sagten SP- und Grünen-Anhänger trotzdem Ja.

Zuletzt konnte die Linke bei sich für ein Nein mobilisieren, jedoch sind die SVP- sowie die GLP-Basis auffallend gespalten. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Kinder­abzüge ab: 51 Prozent aller Befragten sind laut letzter Tamedia-Umfrage dafür, 46 Prozent dagegen.

Und so redet sich SP-National­rätin Jacqueline Badran in Rage. Kutters Kinder­abzüge seien «blöd­sinnige Giess­kannen-Steuer­subventionen», von denen gerade mal «6 Prozent aller Haushalte profitieren». Nach der Erhöhung der allgemeinen Kinder­abzüge zahle eine Doppel­verdiener-Familie des oberen Mittel­stands am Ende grad mal 260 Franken weniger Bundes­steuern pro Jahr. «Das ist der Wert eines einzigen Krippen­tags für zwei Kinder! Und die super­reiche Expat-Lady erhält 960 Franken. Sie kann sich eine halbe Gucci-Tasche davon kaufen!», so Badran.

Zudem zementiere Kutter das alte Geschlechter­bild, die Erhöhung der allgemeinen Kinder­abzüge käme einer Herd­prämie gleich, regt sie sich auf. Und wird, wenns ums Persönliche geht, dann in badranschem Temperament versöhnlich: «Privat ist Kutter sehr nett, wir haben es immer sehr lustig. Aber nach diesem Kinder­abzugs-Bschiss bin ich echt hässig. So etwas gehört sich einfach nicht!»

Badrans «6 Prozent» oder eben der «Kinder­abzugs-Bschiss», bei dem «nur die Reichen» profitieren, sind das Haupt­argument der Referendums­führer. Diesen 6 Prozent stellt Kutter eine 60 entgegen: 60 Prozent aller Familien mit Kindern profitieren vom Steuer­abzug, weil sie über 100’000 Franken Einkommen generieren und somit bundes­steuer­pflichtig sind.

Was stimmt nun? Verblüffender­weise beide Zahlen. Der Kniff der SP: Sie spricht von «Topverdiener-Familien» und kommt so auf 6 Prozent der Haushalte, die vor allem profitieren. Sie rechnet also auch alle ohne Kinder, Singles oder jene, bei denen die Kinder längst ausgeflogen sind, dazu. Und natürlich jene, die keine Bundes­steuer bezahlen müssen. Kutter wiederum redet von Familien mit Kindern, die noch in der Ausbildung stecken.

«Die SP hat noch immer nicht bemerkt, wie sich Familien­einkommen heute zusammen­setzen», sagt Kutter. «In deren Köpfen sitzt der Einverdiener-Haushalt fest, aber das sind noch 15 bis 20 Prozent der Familien.» Und überlegt, ob er den folgenden Vergleich wirklich aussprechen soll. Kaum hörbar meint er dann: «Eineinhalb Pädagogen­löhne. Genau diese SPler profitieren von meinen Kinder­abzügen. Die SP muss echt in Mathe nachsitzen.»

Kutter selbst verdient nach eigenen Angaben 100’000 Franken als Stadt­präsident, mit dem Lohn als National­rat und dem, was das eigene PR-Büro einbringe, habe die Familie jährlich 150’000 bis 180’000 Franken zur Verfügung. «Wir haben kein Boot, kein Ferien­haus. Wir gehören zum Mittel­stand, der alles selbst bezahlt. Jetzt können wir für einmal diese Familien entlasten.»

Am meisten wundert sich Kutter über die Grün­liberalen, die seine Vorlage neben der SP am lautesten bekämpfen. «Ich will mal eine grün­liberale Familie sehen, die weniger als 120’000 brutto hat.»

Punkt für Kutter. Den muss man ihm lassen.

Im Orchestergraben

Kutter, der zweifache Vater, hat mit dem CVP-Lieblings­thema Familie eine breite öffentliche Debatte ausgelöst – das müsste ihm in der CVP haufen­weise Punkte einbringen, denkt man. Doch so richtig warm ist man in Bern in der eigenen Fraktion trotzdem noch nicht mit ihm geworden.

«Er hätte jetzt alles auf dem Silber­tablett: eine Vorlage, hinter der alle stehen und die unser Kern­thema in den Vorder­grund stellt», sagt eine Partei­grösse. «Aber Kutter hockt mit angezogener Hand­bremse da.» Er politisiere viel zu verhalten, und wenn es darauf ankomme, versage er rhetorisch. «Er verkauft sich nicht. Bern ist eine Bühne, und Kutter hockt im Orchestergraben.»

Das Bild vom Orchester­graben geht einem nicht aus dem Kopf, als man Philipp Kutter an einem Mittwoch­abend zur Delegierten­versammlung der CVP Zürich begleitet. Ausgerechnet im reformierten Kirch­gemeinde­haus hinter dem Bahnhof Enge trifft sich die Katholiken­partei. Wegen Corona gibt es nicht mal einen Weisswein-Apéro. Die Abstinenz passe zur protestantischen Location, witzeln einige.

Philipp Kutter will die Delegierten von den zwei familien­politischen Vorlagen überzeugen, dem Steuer­abzug und dem Vaterschafts­urlaub. Es ist schon nach 21 Uhr, und noch immer ist er nicht an der Reihe. Kutter, mit bunten Ringel­socken unter dem dunkel­blauen Anzug und dem einzigen Poschettli des Saals im Jackett, kämpft mit den Zähnen gegen die Häutchen neben seinem Daumen­nagel. Seine Augen werden schwer. Am Vortag war es spät geworden an der Delegierten­versammlung der CVP Schwyz, heute früh ging es schon um 7 Uhr wieder los nach Bern. Und jetzt sitzt er, der einzige National­rat, den sie in Zürich noch haben, und wartet.

Die CVP wird einfach nicht warm mit Philipp Kutter.
Weder griffig noch greifbar: Kutter auf dem Heimweg.

«Selbst die Mehrheit der SP-Wähler ist auf meiner Seite», sagt Kutter den rund 60 Delegierten schliesslich. «Die können einfach besser rechnen als die SP selbst.» Damit erntet er einen Lacher zwischen zwei Powerpoint-Folien. Den zweiten schafft Kutter auch noch. Nein, als Vater der acht­jährigen Lisa und der sechs­jährigen Julia werde er sicher nicht mehr vom Vaterschafts­urlaub profitieren. «Diese schlaflosen Nächte haben wir hinter uns.» Am Schluss nicken die Delegierten mit einer Handvoll Gegen­stimmen Kutters Vorlagen ab.

Beflissen, engagiert – aber weder griffig noch greifbar. Trotz Ringel­socken farblos. Ist seine Durch­schnittlichkeit ein Nachteil für Philipp Kutter? Oder macht gerade diese ihn zur Zukunfts­hoffnung der CVP? Immerhin ist sein Saubermann-Profil fast schon ein Allein­stellungs­merkmal unter den CVP-Männern.

Deren Doppelmoral schadet der Partei immer wieder. Zuletzt musste CVP-Mann Yannick Buttet aus dem National­rat zurücktreten. 2018 wurde er wegen Nötigung verurteilt. Der konservative Familien­vater hatte seiner Ex-Geliebten im Garten aufgelauert und ihr bis zu 50 SMS am Tag geschickt. Die CVP Schweiz legte ihm nahe, als Vize­präsident und National­rat zurück­zutreten. Was er auch tat. Die CVP Wallis hielt an ihm fest, bis er vor gut einem Monat erneut wegen Belästigung Schlagzeilen machte. Jetzt fehlt Buttet auf der Liste für die Gemeinde­wahlen seiner Walliser Heimat.

Herr Kutter, sind Sie der richtige Sauber­mann für die CVP?
(leise) Saubermann? Das hält ja niemand durch. Ich bin einfach ich. (spricht noch leiser) Aber Sauber­mann? Da gibt es schlimmere Bezeichnungen.

Was denken Sie über CVP-Kollegen wie Yannick Buttet, die gern als Familien­politiker auftreten und dann als Doppel­moralisten auffliegen?
Das Ganze ist grundsätzlich sehr bedauerlich. Man hört ja von ihm, dass er eigentlich ein guter Politiker wäre. Ich wünsche ihm, dass er es in den Griff bekommt. Wichtig war, dass unsere Partei konsequent gehandelt hat. Da hat die FDP mit einem Pierre Maudet mehr Probleme. (lacht)

Einen Vorwurf runter­temperieren, eine empathische Antwort geben und dann den schwarzen Peter weiter­reichen. Philipp Kutter, der PR-Berater, agiert im Interview exakt wie ein solcher: bloss keine Angriffs­fläche bieten.

Geübt hat er es einst als Lokal­journalist. Zuletzt war Philipp Kutter beim damaligen «Thalwiler Anzeiger» Redaktions­leiter. Jahrelang Journalist und Politiker gleichzeitig. «Die Doppel­rolle war gar kein Problem, solange ich nur im Lokalen politisierte», ist Kutter noch heute überzeugt. Dass er ein Jahr lang Zürcher Kantons­rat war und gleichzeitig als Projekt­leiter den Übergang des «Thalwiler Anzeigers» zur «Zürichsee-Zeitung» verantwortete, sei halt nicht anders gegangen. «Als Kantons­politiker ist man als Vertreter einer Partei im Parlament. Als Journalist darf man keine Parteilichkeit ausstrahlen. Da wurde mir dann schon klar, dass diese Doppel­rolle nicht mehr geht.»

Zu viel gleichzeitig zu wollen, sei genau sein Problem, konstatieren seine Kritikerinnen. Alt-National­rätin Kathy Riklin, die ein Jahr lang gemeinsam mit Kutter für die CVP im Nationalrat sass, lässt sich wie folgt zitieren: «Ich rate Philipp Kutter, sich auf ein Mandat zu konzentrieren. Man kann nicht alles gleichzeitig tun, es gibt zu viele Überschneidungen und Präsenz­probleme.» Das mache ihn unabhängiger und gebe ihm die Möglichkeit, «sich auf einige thematische Bereiche zu konzentrieren».

Riklins Kritik entspringt einer alten Fehde: Weil die National­rätin nach Jahr­zehnten im Parlament nicht vorzeitig zurück­treten wollte, konnte Kutter, der auf dem obersten Listen­platz wartete, lange Zeit nicht nachrücken. Bei den Nationalrats­wahlen 2015 hatte Kutter noch versucht, Kathy Riklin den Sitz streitig zu machen. Der «Sonntags­Blick» bezeichnete ihn damals als möglichen «Lady­killer».

Der Linkenschreck

Die Sonne steht hoch über Wädenswil, der glitzernde See lockt zum Mittags­schwumm. Philipp Kutter schlendert gegen 11 Uhr aus dem Stadthaus. Hinter sich eine Sitzung, in der eine Daten­sammel­firma versuchte, seinem Städtchen eine neue App für Kehricht, Konzerte und Hunde­marken anzudrehen.

Vorbei an einem Mammut­baum und einem rostigen Hochzeits­pavillon, für den Stapi Kutter an der Fasnacht sein Fett abbekommen hatte, schlendert er in den Super­markt. Fertig-Tomaten­sauce, ein Peperone und ein Kilo Spaghetti landen im Körbli. Heute hat er «Zmittag-Dienst». Der Stapi und National­rat ist halt auch Papi. Und das will er zeigen.

Vorbei an der Schule seiner Töchter, die er selbst einst besuchte. Arbeiter­siedlungen aus den Siebzigern stehen neben herrschaftlichen Einfamilien­häusern. In einer Eigentums-Haushälfte aus Holz mit Garten, den Philipp Kutter explizit «nicht als gross» beschrieben haben möchte, wohnt die Familie Kutter. Auf der Terrasse geht es zu wie in einem Migros-Werbe­spot zu Ostern. Die Tochter hat noch zwei Schul­freundinnen mitgebracht.

Inszenieren Sie das hier gerade, Herr Kutter?
«Das ist Zufall! Ich habe heute wirklich Zmittag-Dienst. Und dass plötzlich mehr als zwei Kinder bei uns am Tisch sitzen, ist normal. Das kommt immer wieder vor.»

Später bemerkt er, verschämt, dass im Vorrats­fach noch vier Gläser Fertig-Tomaten­sauce liegen.

Es will nicht ganz klappen, das mit dem modernen Papi, Stapi und National­rat. Philipp Kutter will alles sein. «Ich wäre gern mehr zu Hause», sagt er entschuldigend. Und fast noch entschuldigender: «Ja, den Grossteil der Haus­arbeit und Kinder­betreuung übernimmt meine Frau.»

Quasi nebenbei führt die ehemalige Journalistin das familien­eigene PR-Büro. Als sie sich kennen­lernten, sass sie mit Kutter in der gleichen Redaktion.

«Ja, den Grossteil der Haus­arbeit und Kinder­betreuung …
… übernimmt meine Frau.»
Der Blick von Wädenswil aus über den Zürichsee.

Nein, nur Politik im Kopf will Kutter nicht haben. Und wohl auch deshalb ist Partei­präsident Gerhard Pfister nicht ganz glücklich mit dem National­rat vom Zürich­see. Kutter habe sich zwar «als Familien­politiker gut positioniert», sagt der Zuger. «Er könnte sich für meinen Geschmack aber stärker in der Fraktion und in der Partei einbringen.» Übersetzt heisst das so viel wie: Schön, dass du so viel willst, Philipp. Deine Gspänli mögen dich, Philipp. Ganz ernst nehmen sie dich aber noch nicht, Philipp.

Und so feilt Kutter weiter an seinem Profil. Geht seine CVP bald tatsächlich die Ehe mit der sterbenden BDP ein, könnte Kutter plötzlich mehr Rückhalt finden. Schliesslich warb die Kleinst­partei 2019 mit dem Slogan: «Langweilig. Aber gut.»

Doch vielleicht hat Kutter nun seine Nische gefunden: als Linken­schreck. Denn langsam entwickle er sich zum regelrechten «Linken­hasser», heisst es aus der SP. In der Herbst­session engagiert er sich beim neuen Medien­gesetz vergebens dafür, dass Onlinemedien nicht gefördert werden. Ganz im bürgerlich-liberalen Kanon, der Markt solle alles regulieren – auch die Medien. Dazu passt auch sein neuestes Mandat: Kutter sitzt mit SVP-Medien­politiker Gregor Rutz neu im Vorstand der «Aktion Medien­freiheit». Er ist so etwas wie die neue Natalie Rickli. Die SVP-Frau war vor ihrer Wahl in die Zürcher Regierung Präsidentin der Vereinigung, die sich für eine «liberale Medienwelt» einsetzt.

Und so zeigt sich die Tragik so vieler Mitte­politiker: Profil erhält, wer sich zur Seite dreht. Im Fall des Mitte­politikers Kutter: nach rechts.

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