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Nationalrats­entscheid zur Medien­förderung: «Nicht ohne Online!»

Der Nationalrat fährt seiner Kommission in die Parade: Er weist das zerlegte Massnahmen­paket zugunsten der Medien zurück. Und erteilt ihr so den Auftrag, nicht bloss Print-, sondern auch Onlinemedien zu fördern. Vier Gründe gaben den Ausschlag.

Von Dennis Bühler, 10.09.2020

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Mit 109 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung hat der Nationalrat am Donnerstag­vormittag entschieden: Das Massnahmen­paket zugunsten der Medien geht zurück an die Kommission. Hauchdünn hatte die zuständige Kommission für Verkehr und Fernmelde­wesen Ende August den aufsehen­erregenden Entscheid getroffen, die Subventionen für die gedruckte Presse auszubauen, die Onlineförderung aber auf die lange Bank zu schieben.

Warum hat der Nationalrat den Entscheid der eigenen Kommission nun gekippt? Ausschlag­gebend sind vier Gründe.

1. Das Powerplay von SP, Grünen und Grünliberalen

In den vergangenen Wochen zogen die Fraktionen von SP, Grünen und Grünliberalen ein regelrechtes Powerplay auf: Sie liessen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Unter­stützung der Medien für sie nur dann infrage kommt, wenn auch Online­medien davon profitieren. Ihre Drohung, mit der SVP eine unheilige Allianz einzugehen und so die gesamte Vorlage zum Absturz zu bringen, erschien glaubwürdig. Dieses Risiko wollten weder die CVP noch die Verleger eingehen.

Tatsächlich hielt die Koalition bis zum Schluss: SP und Grüne stimmten geschlossen für den Rückweisungsantrag, bei der GLP machten mit Ausnahme von Nationalrat Thomas Brunner, der sich der Stimme enthielt, alle Parlamentarier mit. Die Basis für den Sieg war damit gelegt.

2. CVP-Nationalrat Martin Candinas

Entscheidend war aufgrund der arithmetischen Konstellation jedoch wie so oft in dieser Legislatur die Mitte­fraktion. In der Kommission hatten 3 ihrer 4 Vertreter für die Aufsplittung der Vorlage gestimmt. Anders im Plenum: Dem in der Kommission unterlegenen Bündner Martin Candinas gelang es bei der Fraktions­sitzung am Dienstag­nachmittag, 21 Kolleginnen und somit drei Viertel der Fraktion auf seine Seite zu ziehen. Die anderen drei Kommissions­mitglieder Philipp Matthias Bregy, Philipp Kutter und Marco Romano standen auf verlorenem Posten: Nur gerade 4 Parteikollegen stimmten mit ihnen – darunter Präsident Gerhard Pfister.

Dies verdeutlicht einerseits das Gewicht, das Candinas in der CVP seit seiner Wahl in den Nationalrat vor neun Jahren erlangt hat – der erst 40-Jährige könnte dereinst als Nachfolger von Bundes­rätin Viola Amherd infrage kommen. Andererseits zeigt das Stimm­verhalten, dass die Partei nun offenbar doch gewillt ist, in der Medien­politik eine kohärente Rolle einzunehmen: Im Ständerat hatte Stefan Engler – auch er Bündner – die Förderung von Onlinemedien mit Verve unterstützt. Welchen Eindruck hätte es hinterlassen, wenn nun ausgerechnet die CVP die Unter­stützung digitaler Medien womöglich auf Jahre hinaus verhindert hätte?

Die Bündner Connection spielte im Übrigen über die Partei­grenzen hinweg: Anna Giacometti war eine von nur 4 Freisinnigen, die den Rückweisungs­antrag guthiessen (die anderen 3 kommen aus Zürich: Doris Fiala, Hans-Peter Portmann und Andri Silberschmidt).

3. Das Covid-19-Gesetz schmälert den Handlungsdruck

Am Dienstag beriet der Nationalrat das Covid-19-Gesetz, welches das bundes­rätliche Notrechts­regime in ordentliches Recht überführt. Mit grosser Mehrheit stimmte der Nationalrat dabei den vom Bundesrat vorgeschlagenen Finanzhilfen für die Medien­branche zu, die wegen der Pandemie unter einem Einbruch der Anzeigenerlöse leidet: Die Post­zustellung der abonnierten Tages- und Wochen­zeitungen der Regional- und Lokalpresse wird bis Ende 2021 vollständig vom Bund bezahlt, bei den überregionalen Titeln steuert die Staats­kasse 27 Rappen pro Exemplar bei.

Zuvor hatten einige Politiker davor gewarnt, das Medien­förderungs­paket nochmals zurück an die Kommission zu schicken: Etliche Print­zeitungen seien derart akut in ihrer Existenz gefährdet, dass ihnen umgehend geholfen werden müsse, argumentierten sie. Die Annahme des Covid-19-Gesetzes nahm ihnen den Wind aus den Segeln. Die Mehrheit im Rat stellte sich auf den Standpunkt, es sei vertretbar, dass man ein paar Monate verliere, weil die Print- und die Online­förderung wieder zusammen­gefügt würden. Schliesslich erhielten die Verlage dank des Covid-19-Gesetzes nun ja Nothilfe.

4. Lobbying

Seit dem Kommissionsentscheid wurde kräftig lobbyiert: Medienverbände wandten sich mit einem gemeinsamen Brief an alle Nationalrätinnen, regionale Verleger nahmen die politischen Vertreter ihrer Region ins Gebet, CH-Media-Verleger Peter Wanner stellte klar, dass er für die Online­förderung ist, Project R wehrte sich gegen eine falsche Vereinnahmung der Republik. Zudem zeigte eine repräsentative GFS-Studie, dass eine klare Mehrheit der Bevölkerung Print- und Onlinemedien gleichermassen fördern würde.

Und auch wenn der einfluss­reiche Verband Schweizer Medien in den letzten Wochen einen widersprüchlichen Eindruck hinterliess, setzte auch er sich am Ende dezidiert für den Rückweisungsantrag ein. «Wir alle haben in den letzten Tagen mit Telefonen und E-Mails die Sorgen der Verlage zu spüren bekommen», kommentierte CVP-Politiker Philipp Kutter das Lobbying am Rednerpult des Nationalratssaals.

Ausblick

Der Entscheid des Nationalrats zwingt die Kommission nun, bei ihrer über­nächsten Sitzung im November die Detail­beratung der Online­förderung an die Hand zu nehmen. Anhören wird sie dann unter anderem drei Rechts­professoren, die sich zur Frage äussern sollen, ob für die Unter­stützung digitaler Medien überhaupt eine Verfassungs­grundlage besteht.

Schafft es die Kommission, ihre Beratungen im November abzuschliessen, wird der Nationalrat im Dezember über das Gesamt­paket befinden. Danach geht das Geschäft zur Differenz­bereinigung zurück in den Ständerat, der die Vorlage schon einmal gutgeheissen hat.

Bleibt die Frage, ob der hauchdünne 13:12-Kommissions­entscheid von Ende August Folgen zeitigt, auch wenn ihn der Nationalrat nun gekippt hat. Klar scheint, dass das gesamte Massnahmen­paket am Donnerstag wohl angenommen worden wäre, wäre dies zur Debatte gestanden – SP und Grüne sowie fallweise die Grünliberalen oder die CVP hätten den drei Teilen des Pakets zum Durchbruch verholfen. Für diese These spricht auch die gegenwärtige, von der Corona-Krise geprägte Stimmungs­lage im Parlament, das Geld eher mit zwei Händen als bloss mit einer Hand auszugeben.

Ob das Portemonnaie bei den Parlamentariern auch bei den nächsten Beratungen noch so locker sitzt, wird sich weisen. Wenn ja, hat CH-Media-Verleger Peter Wanner noch einmal Glück gehabt – schliesslich war er es, der mit seinem unmittelbar vor der entscheidenden Sitzung in seinen eigenen Zeitungen publizierten Meinungs­beitrag den Kommissions­entscheid überhaupt herbei­führte; wenn nicht, handelt es sich bei seinem Kommentar um den wohl kostspieligsten Artikel der Schweizer Presse­geschichte – sowohl für Wanner persönlich wie für die gesamte Medienbranche.

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