Im Gespräch

«Krisen sind normal geworden – die heutige Normalität erzeugt Krisen»

Über die Klimastreik-Bewegung wird viel gesprochen – Roger de Weck spricht mit ihr: Die 19-jährige Aktivistin Milena Hess über globale Erwärmung, Demokratie und zivilen Ungehorsam in der vierten Folge des Podcasts.

Von Roger de Weck, 28.08.2020

«Krisen sind normal geworden – die heutige Normalität erzeugt Krisen»
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Wenn am 4. September wieder ein nationaler Klima­streik stattfindet, wird auch die Luzernerin Milena Hess mitwirken. Die 19-Jährige analysiert kühl und handelt entschlossen. Denn sie sieht die globale Erwärmung als Bedrohung: für sich und eines Tages für ihre Kinder. Die Politik – auch die Grüne Partei – ist ihr zu langsam.

Mit Ideologien kann die angehende Studentin nichts anfangen: Sie will Ergebnisse. Und baut auf die Demokratie, auch wenn diese sie vorderhand enttäuscht: viele schöne Worte für die «Klima­jugend», wenig Fortschritt. Deshalb ist die Bewegung bereit, sich in gewalt­freiem Ungehorsam zu üben. Die Pandemie hat in den Medien die Klima­frage verdrängt, in den Köpfen aber das Bewusstsein für diese «Corona-Krise in Zeitlupe» geschärft.

Was Sie im Podcast erwartet:

  • Was sind die Auswirkungen der Klima­krise – auf die Menschen weltweit, auf die Gesellschaft in der Schweiz, aber auch auf ihr persönliches Leben? Diese Gedanken bewogen Milena Hess dazu, sich der Klima­bewegung anzuschliessen. (01:05)

  • Die Forderung Netto-Null bis 2030 – bis zu diesem Jahr nur so viel Treibhaus­gas ausstossen, wie man wieder aufnehmen kann – hält sie nicht für extrem, sondern für notwendig. Die Schweiz als reiches Land müsse da vorausgehen. So wie es Kipp­punkte in der Natur gebe, nach denen die globale Erwärmung nicht mehr aufzuhalten sei, gebe es auch Kipp­punkte in der Gesellschaft, die eine tatkräftige Bewegung auslösen. Doch manchmal sei es schwierig, die Hoffnung zu bewahren. (12:09)

  • Warum Wissenschaft wichtig ist für die Demokratie und was sie besser machen könnte. Und weshalb die Schweizer Demokratie nicht so demokratisch ist, wie sie sein könnte. (16:18)

  • Systemwandel bedeutet auch wirtschaftlicher Wandel. Die Wirtschaft kann nicht immer weiter wachsen. Der Arbeits­begriff muss neu definiert, Struktur­wandel und Mentalitäts­wandel müssen zusammen gedacht werden. Dabei gilt es, konkrete Änderungen zu formulieren, die Ideologie-Debatte führt nicht weit. (20:34)

  • Über die drei Forderungen der Klima­bewegung: Klima­notstand, Netto-Null bis 2030 und Klima­gerechtigkeit. Wenn die Ärmsten unter dem System­wandel leiden, ist er nicht nachhaltig. Und warum die Schweiz eine grosse Verantwortung trägt, wenn es darum geht, den Klima­wandel zu stoppen. (26:32)

  • Was die Corona-Krise und die Klima­krise verbindet – und was wir daraus lernen können. Warum wir unsere Gesellschaft als Krisen­welt verstehen sollten. (32:08)

  • Über Greta Thunberg, die Auslöserin und das Gesicht des Klima­streiks, und warum die Schweizer Klima­bewegung auf Galions­figuren verzichtet. Über die Philosophie von Aktivisten­gruppe wie Extinction Rebellion und über zivilen Ungehorsam als Protest­mittel. (36:06)

  • Milena Hess erwartet mehr Mut von Politikerinnen. Von den Linken ist sie enttäuscht, ihr Vertrauen in die Realpolitik ist gesunken. Wenn ihre Zukunft in diesem System nicht möglich sei, liege der Fehler am System, nicht an ihrer Zukunft. Ausserdem: die Treffen, Demos und die Aktions­woche der Schweizer Klima­bewegung im September. (43:09)

  • Ihre Maturaarbeit hat Hess über das Buch «Die Welt in 100 Jahren» geschrieben, das 1910 erschien. Damals waren die Menschen zuversichtlicher, heute haben wir kaum noch Utopien. (49:11)

Zur Person

Milena Hess (Jahrgang 2000) ist Klima­aktivistin aus der Zentral­schweiz. Die Maturandin der Kantons­schule Alpenquai in Luzern beginnt im Herbst ihr Studium «Internationale Beziehungen» an der Universität Genf.

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