Aus der Arena

Wer in der Schweiz die Pressefreiheit bedroht

In vielen Ländern sind autoritäre Regimes eine Gefahr für den freien Journalismus. In der Schweiz sind es Migros und Coop. Einer der Detailhändler schaltet nun noch einen Gang höher.

Von Philipp Albrecht, 19.08.2020

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Jahrelang schrieb ich kritisch über den Schweizer Detailhandel – naturgemäss vor allem über die zwei Grossen: Migros und Coop. Meistens handelte ich mir damit keine Probleme ein. Doch ab und zu intervenierten Vertreter aus den Chefetagen der Grossverteiler. Entweder gelangten sie direkt an den Chef des Medienkonzerns, oder sie drohten am Telefon damit.

Diese Drohkulisse führt auf den Redaktionen zu vorauseilendem Gehorsam. Immerhin: Nicht alle meine Vorgesetzten liessen sich einschüchtern. Die besseren unter ihnen reagierten höchstens mit einem Schulter­zucken auf die Eingriffe in die Pressefreiheit.

Nun schaltet Coop einen Gang höher. Gestern verkündete der Detailhändler, ein Magazin namens «Coopzeitung Weekend» zu lancieren. Ab dieser Woche wird es jeweils freitags der Gratiszeitung «20 Minuten» beigelegt. Das neue Magazin bringe Lifestyle und Trend-Themen an Junge und Junggebliebene, heisst es in der Mitteilung. Mit Rezepten, Lifestyle- und Nachhaltigkeits­tipps, Ideen, Wettbewerben sowie Rätsel sei die Zeitung auf eine junge Zielgruppe ausgerichtet.

Die gute Nachricht: Die Texte werden nicht von «20 Minuten»-Journalistinnen, sondern von Coop-Angestellten geschrieben. Die schlechte Nachricht: Der Detailhändler rammt damit trotzdem einen giftigen Stachel ins Fleisch der unabhängigen Presse.

Zwar ist es kein neues Phänomen, dass sich Unternehmen grosse Flächen in der Gratiszeitung der TX Group kaufen. Eine wöchentliche Werbebeilage aber, die im journalistischen Tarnmantel daherkommt, ist von anderem Kaliber. Konkret präsentiert sich Coop nun Woche für Woche auf 16 Seiten in der Bundmitte der meistgelesenen Tageszeitung des Landes. Anzunehmen, dass diese Omnipräsenz den vorauseilenden Gehorsam der «20 Minuten»-Redaktion verstärkt.

Gut möglich, dass Coop den schon seit Jahren zu verzeichnenden, während der Corona-Krise aber noch einmal markant beschleunigten Inserate-Einbruch der Schweizer Presse gezielt nutzt, um sich eine unkritischere Berichterstattung zu sichern. Seit Jahrzehnten sind Coop und Migros die beiden grössten Werbetreibenden in den Schweizer Medien, ihr Einfluss ist kaum zu überschätzen. Gestützt auf Zahlen von Media Focus, zeigte die Republik Anfang 2019 erstmals auf, in welchem Ausmass die Zeitungen von den Werbegeldern der beiden Grossverteiler abhängen: Je nach Publikation stammten zwischen 20 und 50 Prozent des gesamten Brutto-Werbedrucks von Migros und Coop.

Im Konfliktfall stellen sich die Verleger in der Regel nicht auf die Seite ihrer Redaktionen, sondern auf die der Inserenten. So sagte Markus Somm, damals Verleger und Chefredaktor der «Basler Zeitung», schon vor vier Jahren: «Wenn die Migros bei mir ein Inserat schaltet, muss sie sich nicht blöde heruntermachen lassen.» Der damalige Verlegerpräsident, der Ostschweizer Somedia-Chef Hanspeter Lebrument, unterstützte ihn ohne Umschweife: «Als Verleger kann man nicht den Helden spielen und dabei einen Grosskunden verärgern.»

Inzwischen hat sich die finanzielle Situation der Medienhäuser noch einmal zugespitzt. In vielen Verlagen sind die Angestellten auch Monate nach Beginn der Corona-Krise in Kurzarbeit, die Zeitungen sind spürbar dünner geworden. Wo früher teure Werbung war, finden sich heute unbezahlte Eigeninserate als Platzhalter. Entsprechend regelmässig folgten sich zuletzt Hiobsbotschaften aus der Medienwelt: Letzte Woche kündigte die «Schweizer Illustrierte» einen Stellenabbau an, diese Woche gab «CNN Money Switzerland» auf. Die Medienvielfalt nimmt ab, die Medienkonzentration zu.

In diesen unsicheren Zeiten ergibt es aus Sicht der Grossverteiler Sinn, die Nähe zu den grossen Medienhäusern zu suchen. Schritt für Schritt wurde sie im vergangenen Jahrzehnt ausgebaut. Etwa mit einer Kooperation zwischen Coop und Ringier Axel Springer: Die Redaktion der «Schweizer Illustrierten» produziert wöchentlich eine Promi-Seite in der «Coopzeitung», Coop lieferte im Gegenzug Inhalte für das Magazin «SI Green».

Die Migros suchte die Nähe zu den Medien zuletzt über die Personalebene. Vor kurzem holte sie Christoph Tonini in den Verwaltungsrat. Jenen Mann, der bis Ende Juni Chef der TX Group war. Dem Medienkonzern, den er sieben Jahre lang führte, bleibt er als Mitglied des Verwaltungsrats erhalten. Die Verbindung Migros/TX kommt bei Wirtschafts­journalisten, die für «Tages-Anzeiger», «Bund» oder die «SonntagsZeitung» schreiben, schlecht an. Sie fürchten weitere Interventionen.

Anders als in vielen Weltregionen wird die freie Presse in der Schweiz zum Glück nicht vom Staat bedroht. Dafür aber von der Chefetage der Detailhändler.

Unabhängig wird nur, wer sich von der Abhängigkeit der Werbung löst.

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