Salon der Republik

Eier, Hexen, Milch und Schmerz

Wir laden wieder zu Literatur und Debatte. Am 15. September heissen die Stichworte «Machtfragen, Genderfragen». Zu Gast ist die Soziologin und Geschlechter­forscherin Franziska Schutzbach.

Von Daniel Graf, 18.08.2020, Update: 17.09.2020

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Es spätsommert schon – und der erste Salon der Republik liegt bereits Wochen zurück. Höchste Zeit also, die nächste Runde einzuläuten. Und Ihnen zwei besondere Bücher der aktuellen Saison näher vorzustellen.

Am 15. September laden wir ab 20 Uhr wieder zum literarischen Gespräch ins Zürcher Cabaret Voltaire, wo sich dieses Mal alles um das Spannungs­feld der Geschlechter­verhältnisse dreht. Besser gesagt: fast alles. Denn gute Literatur greift immer über ein einzelnes Sujet hinaus.

So wie diese beiden Bücher, die im Zentrum des kommenden Salons stehen:

  • Um weibliche Sexualität und das Verhältnis zum eigenen Körper geht es im soeben auf Deutsch erschienenen Debüt­roman «Brüste und Eier» von Mieko Kawakami, die als literarische Sensation aus Japan gefeiert wird.

  • In ihrem grandiosen Roman «Milchmann» erzählt Anna Burns von Sexismus, Stalking und Gewalt und zeichnet zugleich das Psycho­­gramm einer Gesellschaft im bürgerkriegs­ähnlichen Zustand.

Wir stellen Ihnen aber auch noch zwei weitere Neuerscheinungen vor – nähere Infos zu den Büchern weiter unten.

Zu Gast sein wird die Gender­forscherin, Buch­autorin und Aktivistin Franziska Schutzbach, die Sie auch aus der Republik bereits kennen: etwa von diesem Interview oder ihrem Gastbeitrag kürzlich zum Thema «Cancel-Culture». Sie diskutiert mit Barbara Villiger Heilig, Daniel Binswanger und Daniel Graf. Und natürlich mit Ihnen, falls Sie mögen. Denn wie immer gilt: Wort­meldungen aus dem Publikum sind ausdrücklich willkommen – einfach zuhören selbst­verständlich ebenso.

Wichtig: Natürlich gelten auch weiterhin die Corona-Sicherheits­bestimmungen. Für genügend Abstand zwischen den Plätzen wird gesorgt sein. Und wir haben uns für eine Masken­pflicht entschieden – im Publikum wie auf der Bühne. Bringen Sie also bitte Ihre Maske mit; andernfalls haben wir auch für alle Gäste welche vorrätig.

Der Eintritt im Cabaret Voltaire beträgt 10 Franken, für Republik-Verlegerinnen und -Verleger gilt der ermässigte Tarif von 5 Franken.

Die Veranstaltung ist ausgebucht und wird als Audio-Podcast zum Nachhören aufgezeichnet.

Nun aber zu den Büchern.

Just am heutigen Tag erscheint der Roman auf Deutsch, von dem kein Geringerer als Haruki Murakami sagt: «So grossartig, dass es mir den Atem raubt.» Verantwortlich für Murakamis Schnapp­atmung sind seine Landsfrau Mieko Kawakami und ihr Werk «Brüste und Eier». Darin geht es, nun ja, um Körperliches, und wer jetzt misstrauisch wird, sollte wissen: Kawakami hat in Japan die höchsten Literatur­preise abgeräumt und wird für diesen Debüt­roman weltweit frenetisch gefeiert. Zu Recht? Auch darüber werden wir im Salon diskutieren.

Kawakami erzählt von drei Frauen (Männer sind in diesem Roman allenfalls mitgemeint). Von der Ich-Erzählerin Natsu, wie Kawakami eine Bloggerin, die später zur Schrift­stellerin wird, um die eigene (Familien-)Geschichte aufzuschreiben. Von Makiko, Natsus älterer Schwester, die sich allein­erziehend von Job zu Job gehangelt hat und nun fünf Tage die Woche in einer Bar steht, also, wie die Erzählerin meint, «das Leben unserer Mutter» lebt, «die sich als Alleinerziehende zu Tode geschuftet hatte». Und schliesslich von Midoriko, Makikos «fast zwölf­jähriger Tochter», deren Verhältnis zum eigenen Körper mindestens so sehr in Aufruhr ist wie das ihrer Mutter, die kurz davor ist, sich die Brust vergrössern zu lassen.

Ein Roman über weibliche Identität und Entfremdung, über gesellschaftliche Rollen­bilder und individuelle Sehnsüchte. Und vor allem ein Text über die Erfahrung des eigenen Körpers, so direkt und explizit, wie der Titel vermuten lässt.

Ganz anders der Ton in «Milchmann» der nordirischen Autorin Anna Burns. Hier sprechen die Menschen stets mit doppeltem Boden, in Andeutungen und Suggestionen. Es dominiert die Logik des Gerüchts, und diese entfaltet eine zerstörerische Wirkung.

Mit den Anzüglichkeiten ihres Schwagers hat die junge Frau, die hier erzählt, umzugehen gelernt. Aber dann tritt «aus dem Nichts genauso unerwünscht, allerdings viel bedrohlicher, viel gefährlicher, der Milch­mann auf den Plan». Er steigt ihr nach, observiert sie, stalkt sie öffentlich; und weil sich hinter dem Code­namen «Milch­mann» ein mächtiger Militär verbirgt, in einer vom Bürger­krieg geprägten Gesellschaft, wird jeder Kontakt zu ihm, auch der ungewollte, hochpolitisch. Bald geht das Gerücht, sie habe etwas mit dem Milchmann. Und dass sie es zunächst vorzieht, von ihm zu schweigen, und dann, als das nicht mehr möglich ist, dem Gerücht widerspricht – all das macht selbst die eigene Familie nur umso misstrauischer. Ohnehin ist der Verdacht der Grund­impuls an diesem von Paranoia und Freund-Feind-Denken verheerten Ort, in dem man das Belfast der Siebziger­jahre erkennen könnte, würde dieser Roman nicht sehr viel universeller von einer Gesellschaft der Angst und vom «grossen Hass» erzählen.

Zwei weitere Bücher sollen am 15. September zur Sprache kommen:

  • «Der Defekt» von Leona Stahlmann, ein Roman, der das Thema Macht und Sexualität noch einmal ganz anders betrachtet: aus der Perspektive von BDSM und von der Lust am Schmerz.

  • Und das Sachbuch «Hexen» der Westschweizer Autorin Mona Chollet, die ihre Kultur­geschichte der Hexe als Geschichte der Misogynie erzählt, aber auch mit Blick auf ein feministisches Reclaiming.

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