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«Früher habe ich solche Männer aus Bars geworfen»

Die demokratische Kongress­abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wurde von einem Republikaner massiv beschimpft. Doch erst seine Entschuldigung brachte das Fass zum Überlaufen. Ihr fulminanter Konter im Wortlaut.

28.07.2020

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«Verdammte Schlampe» – mit diesen Worten soll der republikanische Kongressabgeordnete vergangenen Montag vor Journalisten die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez bezeichnet haben. Dies, nachdem er ihr zuvor ins Gesicht gesagt hatte, sie sei «verrückt», «wahnsinnig», «gefährlich». Am Donnerstag entschuldigte sich Ted Yoho laut US-Medien für die «kurz angebundene Art und Weise des Gesprächs», bestritt jedoch, sie sexistisch beleidigt zu haben. Erst nach dieser «Entschuldigung» meldete sich die Demokratin zu Wort. Sie prangerte Yohos Versuch an, sich damit rausreden zu wollen, selbst Ehemann und Vater von zwei Töchtern zu sein. Ihre Rede gegen die Akzeptanz von verbaler Gewalt gegen Frauen und gegen die Macht­strukturen, die diese stützen, im Wortlaut.


Vielen Dank, Frau Vorsitzende! Auch vielen meiner Kollegen möchte ich danken, nicht nur für die Gelegenheit, heute sprechen zu können, sondern auch für die Unterstützung, die sie mir nach einem Vorfall diese Woche zukommen liessen. Vor ungefähr zwei Tagen stieg ich die Stufen des Kapitols hinauf, als der Abgeordnete Yoho in Begleitung des Abgeordneten Roger Williams plötzlich um eine Ecke bog und mich ansprach, eben da auf den Stufen unseres nationalen Kapitols. Ich war in meine eigenen Gedanken versunken und stieg die Stufen hoch, als der Abgeordnete Yoho mir unvermittelt seinen Zeige­finger ins Gesicht streckte und sagte, ich sei ekelhaft, ich sei verrückt, ich sei wahnsinnig und ich sei gefährlich. Er ging ein paar Schritte weiter, und als ich seine Kommentare als unhöflich bezeichnete, sagte er im Davongehen: «Ich bin unhöflich? Sie nennen mich unhöflich?» Ich überholte ihn und betrat das Gebäude, um meine Stimme abzugeben. Weil meine Wähler mich jeden Tag hierherschicken, um für sie zu kämpfen. Um sicherzustellen, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, dass sie ihre Familien ernähren können, dass sie ihr Leben in Würde führen können.

Als ich wieder nach draussen kam, standen Reporter vor dem Kapitol, und vor diesen Reportern bezeichnete mich der Abgeordnete Yoho als – ich zitiere –: «a fucking bitch» («verdammte Schlampe»). Dies waren die Worte, die der Kongress­abgeordnete Yoho gegen eine Kongress­abgeordnete verwendete. Eine Kongress­abgeordnete, die nicht nur den 14. Kongress­bezirk von New York vertritt, sondern jede Kongress­abgeordnete und jede Frau in diesem Land. Ganz einfach weil wir alle uns schon irgendwann in unserem Leben in irgendeiner Form mit so einer Situation haben auseinander­setzen müssen. Ich möchte auch klarstellen, dass mich die Kommentare des Abgeordneten Yoho weder besonders geschmerzt noch besonders verletzt haben, weil ich früher Workingclass-Jobs gemacht habe. Ich habe in Restaurants gekellnert. Ich bin mit der U-Bahn gefahren. Ich bin durch New Yorks Strassen gegangen. Diese Art von Sprache ist mir nicht neu. Ich musste mir solche Worte anhören von Herrn Yoho, aber auch von Männern, die dieselben Worte wie Herr Yoho benutzten, etwa wenn ich als Kellnerin im Restaurant belästigt wurde. Ich habe Männer, die dieselbe Sprache verwendet haben wie Herr Yoho, aus Bars geworfen, und ich habe diese Art von Belästigung in der U-Bahn in New York City erfahren.

Das alles ist nicht neu, und das ist das Problem. Herr Yoho war nicht allein. Er stand Schulter an Schulter mit dem Abgeordneten Roger Williams, und das zeigt, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Es ist ein kulturelles Phänomen. Es geht um eine Kultur der Straflosigkeit, der Akzeptanz von Gewalt und von gewalttätiger Sprache gegen Frauen. Es ist eine geschlossene Macht­struktur, die dies unterstützt. Denn nicht nur hier bin ich respektlos angesprochen worden – insbesondere von Mitgliedern der Republikanischen Partei und gewählten Verantwortungs­trägern der Republikanischen Partei. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat mich letztes Jahr aufgefordert, ich solle in ein anderes Land nach Hause gehen – er hat damit implizit gesagt, dass ich nicht nach Amerika gehöre. Der Gouverneur von Florida, Gouverneur DeSantis, nannte mich, bevor ich überhaupt vereidigt wurde, eine «was auch immer das ist». Entmenschlichende Sprache ist nichts Neues, und wir können erkennen, dass solche Vorfälle nach einem Muster geschehen. Es ist das Muster einer bestimmten Haltung gegenüber Frauen und der Entmenschlichung von anderen.

Deshalb war ich nicht zutiefst verletzt oder beleidigt durch diese nichtigen Kommentare, und ich hatte ganz ehrlich vor, einfach meinen Kram zusammenzupacken und nach Hause zu gehen. Es war ja nur ein Tag wie jeder andere, nicht wahr? Doch dann hat der Abgeordnete Yoho gestern beschlossen, im Saal des Repräsentanten­hauses aufzutreten und Entschuldigungen für sein Verhalten vorzubringen. Und das konnte ich nicht durchgehen lassen. Ich konnte es nicht zulassen, dass meine Nichten, dass die kleinen Mädchen, zu denen ich nach Hause gehe, dass die Opfer von verbalem Missbrauch oder Schlimmerem, das sehen müssen, dass sie diese Entschuldigung sehen und dass sie sehen, wie unser Kongress sie als legitim akzeptiert und als Entschuldigung annimmt. Wie Schweigen zu einer Form der Akzeptanz wird. Das konnte ich nicht zulassen, und deshalb stehe ich heute hier und ergreife das Wort.

Ich bin nicht darauf angewiesen, dass der Abgeordnete Yoho sich bei mir entschuldigt. Offensichtlich will er es nicht. Offensichtlich wird er es nicht tun, auch wenn er die Gelegenheit dazu hat; und ich werde nicht bis spät nachts aufbleiben und auf eine Entschuldigung von einem Mann warten, der keine Gewissens­bisse hat, missbräuchliche Sprache gegenüber Frauen zu verwenden. Aber ich habe ein Problem damit, wenn jemand Frauen, unsere Ehefrauen und Töchter, als Schutz­schild und Entschuldigung für schlechtes Benehmen benutzt. Herr Yoho erwähnte, dass er eine Frau und zwei Töchter hat. Ich bin zwei Jahre jünger als Herr Yohos jüngste Tochter. Auch ich bin jemandes Tochter. Mein Vater ist zum Glück nicht mehr am Leben, um zu sehen, wie Herr Yoho seine Tochter behandelt hat. Meine Mutter hat Herrn Yohos Respektlosigkeit mir gegenüber in der TV-Übertragung aus diesem Saal gesehen; und ich bin hier, weil ich meinen Eltern zeigen muss, dass ich ihre Tochter bin und dass sie mich nicht grossgezogen haben, damit ich Beleidigungen von Männern akzeptiere.

Dies ist ein Youtube-Video. Wenn Sie das Video abspielen, kann Youtube Sie tracken.
Alexandria Ocasio-Cortez Responds to Ted Yoho’s Apology on the House Floor

Was ich sagen will: Der Schaden, den Herr Yoho mir zufügte oder mir zuzufügen versuchte, ist nicht nur ein Vorfall, der sich gegen mich richtet. Wer sich einer Frau gegenüber so verhält, wie Herr Yoho das tat, gibt anderen Männern die Erlaubnis, sich so gegenüber seinen Töchtern zu verhalten. Als er diese Sprache vor der Presse benutzte, gab er die Erlaubnis, diese Sprache gegen seine Frau, seine Töchter und die Frauen in seinem Umfeld zu verwenden. Und ich bin hier, um aufzustehen und zu sagen, dass dies nicht akzeptabel ist. Es ist mir egal, was Ihre Ansichten sind. Es spielt keine Rolle, wie sehr ich nicht einverstanden bin oder wie sehr es mich empört oder wie sehr ich das Gefühl habe, dass hier Menschen andere entmenschlichen. Aber ich selber spiele nicht mit. Ich werde nicht erlauben, dass diese Menschen uns verändern und Hass in unsere Herzen tragen.

Ich bin der Meinung, es macht einen Mann nicht anständig, dass er eine Tochter hat. Auch eine Frau zu haben, macht einen Mann nicht anständig. Menschen mit Würde und Respekt zu behandeln, das macht einen anständigen Mann aus. Und wenn ein anständiger Mann etwas Schlechtes anrichtet, wie wir es alle erleben, versucht er es wiedergutzumachen und entschuldigt sich. Nicht um sein Gesicht zu retten, nicht um Wählerstimmen zu gewinnen. Er entschuldigt sich aufrichtig, um den angerichteten Schaden anzuerkennen und zu reparieren, sodass wir alle die Sache hinter uns lassen können.

Schliesslich möchte ich Herrn Yoho meine Dankbarkeit bekunden. Ich möchte ihm dafür danken, der Welt gezeigt zu haben, dass man ein mächtiger Mann sein und Frauen anpöbeln kann. Dass man Töchter haben und Frauen anpöbeln kann – ohne Reue. Dass man verheiratet sein und Frauen anpöbeln kann. Man kann auch Fotos machen, das Bild eines Familien­vaters in der Welt verbreiten und Frauen anpöbeln – ohne Reue und mit einem Gefühl der Straf­freiheit. Es passiert jeden Tag in diesem Land. Es geschah hier auf den Stufen des Kapitols unseres Landes. Es passiert, wenn die Personen, die das höchste Amt in unserem Land innehaben, offen zugeben, dass sie Frauen verletzen und eine pöbelnde Sprache gegen uns alle verwenden. Nochmals danke ich meinen Kollegen, dass sie sich heute hinter uns stellen.

Übersetzt von Katrin Moser und redigiert von Daniel Binswanger.

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