Wirkt ausgeglichen, fast möchte man sagen: wohltemperiert: Bestsellerautor Leif Randt.

«Das irrsinnige Privileg, im eigenen Kokon leben zu können»

Literatur als Zeitdiagnose: Leif Randt hat mit seinem Roman «Allegro Pastell» ein verstörendes Generationen­porträt der Millennials gezeichnet. Unsere Autorin hat erst sich, dann ihn gefragt: Sind wir wirklich so hoffnungslos selbstbezogen?

Ein Interview von Tuğba Ayaz und Ella Mettler (Bilder), 16.07.2020

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Leif Randt erzählt in «Allegro Pastell» von der Gegenwart. Eine Gegenwart, die leicht ist – allegro – und hell, eben pastell­farben. Mit einem wenig spektakulären Plot durchdringt er die Welt der Millennials, und diese ist auf unheimliche Weise wohl­temperiert. Was die Figuren erleben, wie sie sich mitteilen, passiert weder erregt noch unter­kühlt. Alles wird austariert. Tanja Arnheim, erfolgreiche Autorin, wird gerade dreissig, lebt in Berlin. Sie führt eine Fern­beziehung mit Jerome Daimler, sechsund­dreissig, der in Maintal bei Frankfurt am Main lebt, wo er auch aufgewachsen ist. Das Leben der beiden ist geprägt von Befindlich­keiten und Dauer­reflexion: beim Arbeiten, beim Sport, beim Sex, beim Feiern, beim Drogen­konsum, und das alles stets in der Balance. Die Gegen­wart, findet Jerome, sei «ziemlich in Ordnung», Freude will er «als eine stetige Option begreifen».

Im Gespräch mit dem Autor via Video­chat fühlt man sich in die Stimmung des Romans versetzt. Leif Randt, Jahr­gang 1983, sitzt in einem Theater­probe­raum bei Bekannten, ein freundlicher Mensch, der seine Antworten durch lautes Denken formt; er wirkt ausgeglichen, fast möchte man sagen: wohltemperiert.

Herr Randt, zu Ihrem Buch textete mir kürzlich eine Freundin: «Es ist mir peinlich, dass ich mich selbst in vielem wieder­erkenne.» Mir ging es ähnlich. Es hat mich verstört.
Okay, danke.

Sind wir, die Generation der Millennials, wirklich so selbst­bezogen, kontrolliert, gefangen in der Selbst­reflexion? Oder sind Ihre Figuren überzeichnet?
Ich mag Jerome und Tanja gerne. Aber sie sind in ihren Zügen extremer als reale Vorbilder. Ich wollte keine Unentschiedenheit konstruieren, das ist mein Welt­zugriff. Und vielleicht auch durch die Halb­distanz entstanden, aus der ich dieses Buch geschrieben habe. Es führt an Orte, die ich am besten kenne: Maintal, wo ich aufgewachsen bin und meine Familie lebt. Und Berlin, wo ich die letzten zehn Jahre am meisten Zeit verbracht habe. Ich wollte ein gut gelauntes Buch schreiben, eine Pastell­färbung der Gegenwart, aus einem merk­würdigen Glücks­zustand heraus. Ich kann nachvoll­ziehen, dass man die Gedanken der Figuren skurril findet. Aber sie sind nicht unrealistisch.

Sie bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Überzeichnung.
Dass man bei «Allegro Pastell» schwer zwischen Über­zeichnung und Realität unterscheiden kann, höre ich oft, übrigens auch schon mein Leben lang privat: «Leif, meinst du das ernst oder als Witz?» Diese Unterscheidung ist mir nicht wichtig.

Die Ästhetik der Ausgewogen­heit in Ihrem Roman wirkt fast schon gespenstisch: Ist das tatsächlich Leif Randts Blick auf die Welt?
Für mich stellt die Ausgewogen­heit einen Wunsch­raum dar. Im Schreiben will ich besonnener, ausgewogener sein als im richtigen Leben, mir sozusagen einen besseren Ort erschreiben. Viele schreiben bigger than life, ich schreib lieber smaller than life. Mich reizte die Behauptung einer Normalität, ein Gefühl des Unspektakulären.

Zum Buch

Leif Randt: «Allegro Pastell». Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 288 Seiten, ca. 34 Franken. Der Verlag bietet eine Leseprobe.

So plätschern auch die Sätze: ganz leicht, in einem wohl­temperierten Ton. Haben Sie die Geschichte aus dieser Sprache heraus entwickelt?
Ja, ich entwickle immer erst den Ton, alles andere kommt später. Der Roman entstand über einen längeren Zeit­raum. Schon 2016 hatte ich die Figur Jerome Daimler – das Buch sollte erst so heissen. Ich schrieb ein erstes Kapitel, liess es aber wieder liegen. Etwas fehlte. Die Figur Tanja Arnheim war mir präsent, weil sie schon im Buch «Planet Magnon» vorkam, aber rausflog. Irgendwann wusste ich: Diese zweite Figur braucht es. Als klar war, ich will die Love­story von Tanja und Jerome schreiben, war vom Ton schon viel da. Ich fühlte mich in dieser Sprache zu Hause, sodass es dann relativ leicht fiel, den Text zu schreiben. Die Kapitel verfasste ich fast parallel zu der Zeit, in der sie spielen. So dauerte das eigentliche Schreiben ein gutes Jahr.

«Allegro Pastell» beginnt im Frühling 2018 und endet im Sommer 2019. Wie haben Sie privat diese Zeit erlebt?
Overall war es eine schöne Zeit. Ein privilegiertes, luxuriöses, schönes Leben. Hätte mir jemand mit einundzwanzig gesagt, dass ich mit vierunddreissig viel reisen, viel ausgehen, viele neue Freundinnen und Freunde finden würde, hätte ich das für unwahrscheinlich gehalten. Aber genauso kam es. Klar, es gab auch Herz­schmerz, was ich gut auf die Figuren auslagern konnte. Ich wollte über eine Beziehung schreiben, weil ich selbst 2017 seit langem wieder in einer festen Beziehung war. Als ich das Buch dann schrieb, war diese Beziehung beendet. Aber ich kam gut darüber hinweg, war in der Zeit mehrmals verliebt. Ich spürte, dass ich eine ungeahnt schöne Zeit erlebte, an die ich mich einmal wehmütig erinnern würde.

Vorauseilende Wehmut, wie es im Buch heisst, ergreift Jerome bei der Tee­zeremonie mit Tanja. Andererseits versuchen die beiden, total im Moment zu sein. Ein Wider­spruch, oder?
Mich interessiert, wie Menschen sich über einen Zustand innerhalb der eigenen Gegenwart wundern. Im Moment des Erlebens reflektiert man schon die Aussen­perspektive dieser Erfahrung. Aus spiritueller Sicht könnte man sagen: So verfehlt man das Leben. Am Anfang des Buches steht ja unter anderem ein Zitat von Eckhart Tolle, der für das Leben im Moment eintritt. Jerome und Tanja wissen um diese Theorie, aber die Begeisterung dafür, Dinge zu kontextualisieren, sie zu benennen, sich zu reflektieren, ist zu gross, als dass ihnen das Leben im Moment gelingt.

Jerome zufolge lässt sich Wehmut politisch links, Nostalgie politisch rechts zuordnen. Worin unter­scheiden sich die beiden Gefühle?
Jerome kann den Gedanken nur halb­wegs begründen, deshalb teilt er ihn nie. Nostalgie glorifiziert die Vergangen­heit. Man glaubt, Vergangenes war besser als die Gegenwart. Es ist ein glühendes, eher hartes Gefühl. Wehmut bedauert auf eine weiche Art, dass eine Zeit, ein Moment vorüber ist, ohne Wertung. Das lässt Schwäche zu. Linke Politik gibt den Schwachen Raum und unter­stützt sie, rechte Politik hingegen geht von einem stärksten Glied aus, das die Schwachen führt.

Aber Wehmut kann, ebenso wie Nostalgie, auch Sehnsucht nach Vergangenem wecken.
So gesehen, ist Wehmut vielleicht doch nicht links. Wenn Wehmut Sentimentalität bedeutet, ist sie wohl kein linkes Gefühl. Sentimental lässt sich die Welt ja nicht verbessern. (lacht)

Im Mikrokosmos Ihrer beiden Haupt­figuren bleiben wichtige gesell­schaftliche Themen unerwähnt: Sexismus, Rassismus, soziale Ungleich­heit, Klima­wandel, Populismus. Darauf richtet sich ja auch die Kritik an dem Buch. Wie stehen Sie dazu?
Die Themen treiben die Figuren nicht um, weil sie ihren Alltag nicht tangieren. Es geht ihnen viel zu gut. Sie bewegen sich in safe spaces. Sie hätten sich schon mal über Trump oder Putin ärgern können, aber es wäre unehrlich gewesen, hätte ich die beiden sich über die Welt­politik echauffieren lassen, um zu zeigen, dass sie auf der richtigen Seite stehen. Zudem sind die Figuren zu narzisstisch, als dass sie sich ideologisch positionieren wollen. Die beiden würden aber auf jeden Fall wählen gehen und haben politische Meinungen.

An einer Stelle sagt Tanja, sie sei viel zu träge, um Alternativen zu denken. Sie werde wohl einfach weiter mitmachen. Wie steht es um Ihren politischen Habitus: Wollen Sie die Welt zu einem besseren Ort machen?
Ich hab total Lust. Meine Geschichten vor «Allegro Pastell» waren Utopien, spielten in besseren Welten. Das Nach­denken darüber, wie wir die Gesell­schaft neu organisieren können, wird ein Element meiner Arbeit bleiben. Als Autor sehe ich mich als Beobachter und finde alles immer sehr interessant und sehr uninteressant zugleich. Mein Beitrag könnte darin bestehen, Dinge zu benennen, die Gegen­wart zu begleiten, zu politischen Themen meine Gedanken zu teilen – sofern sie dem Diskurs etwas Neues hinzufügen.

«Sich nicht trauen, ein Commitment einzugehen, kennt unsere Generation tatsächlich gut.»

Jerome entdeckt die Qualität des Moments in seiner täglichen, kurzen Meditation, weiter gehen die Figuren spirituell aber nicht. Lieber reflektieren beide bis zum Exzess. Wann wird das ungesund?
Wenn es Leid verursacht. Unter ihrer Nachdenklichkeit leiden die Figuren nicht. Im Zwischen­menschlichen sind sie hingegen unter-aware, weil sie ihr Gegenüber kaum reflektieren, sie sind so selbstbezogen.

Das zeigt sich auch in ihrer Liebes­beziehung. Kontrollierte Nähe ja, leiden­schaftliche Hingabe nein. Tanja hat Angst, wirkliche Nähe zuzulassen. Das kenne ich von einigen Gleich­altrigen. Ist unsere Generation zu selbst­bezogen für enge Verbundenheit?
Sich nicht trauen, ein Commitment einzugehen, kennt unsere Generation tatsächlich gut. Lebt man in einer Stadt wie Zürich oder Berlin, gibt es eben genug Menschen, mit denen man potenziell das Leben verbringen kann. Beendet man eine Sache, wenn die akute Verliebt­heit verfliegt oder alles zu verbindlich wird, gibt es einfach genug andere Leute im ähnlichen Alter, mit ähnlichen Interessen, die sich auch nicht fest­legen wollen.

Auf dem Klappen­text steht, Sie erzählen vom Glück. Die Liebe aber ist es kaum. Was also ist das Glück der beiden?
Das irrsinnige Privileg, in ihrem Kokon leben zu können. Sie stammen aus der oberen Mittel­schicht, können beruflich ihren Leidenschaften nach­gehen, und es läuft gut. Natürlich haben sie auch Probleme, aber keine gefährlichen. Was natürlich ein streitbarer Glücks­begriff ist. Viele Menschen in Mittel­europa definieren Glück mit Sicherheit, Erfolg und einer stabilen Kernfamilie.

Im März sagten Sie in einer Fernseh­sendung, im Juli hätten wir hoffentlich wieder Allegro-Pastell-Gefühle. Und?
Die Unsicherheit über die Zukunft ist noch sehr präsent. Allegro-Pastell-Gefühle beschränken sich wohl ohnehin auf die späten Zehner­jahre. Die Zwanziger sind was wirklich Neues. Aber ich finde die Gegen­wart gerade viel zu interessant, um sie schlimm zu finden.

Zur Autorin

Tuğba Ayaz (34) lebt als freie Reporterin und Übersetzerin in Zürich.

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