Salon der Republik

Wir sind salonfähig! Kommen Sie vorbei

Weltweit entlädt sich auf den Strassen die Wut über Rassismus und Polizeigewalt. Zum ersten literarischen «Salon» besprechen wir drei Neuerscheinungen, die damit umso dringlicher sind. Gast ist die Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni.

Von Daniel Graf, 11.06.2020, Update 09.07.2020

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Eigentlich hätte der erste «Salon der Republik» schon im März stattfinden sollen, den Einladungstext an Sie hatten wir bereits publiziert. Dann kam die Pandemie, mit ihr geschlossene Säle und verbotene Versammlungen – und aus der Premiere wurde vorerst nichts.

Was aber immer klar war: Die Liste der zu diskutierenden Bücher sollte auch beim Nachholtermin dieselbe bleiben. Denn gute Literatur ist keine Saison­ware. Manchmal erhält sie durch neue Ereignisse sogar umso grössere Dringlichkeit.

Das gilt auch für die Bücher, die wir für das erste Salon-Gespräch ausgewählt haben:

  • «Der Wassertänzer», der erste Roman von Ta-Nehisi Coates, dessen Sachbücher zum Rassismus in den USA längst auch international Standard­werke sind;

  • «1000 Serpentinen Angst» von Olivia Wenzel, ein Roman­debüt, das vom Leben als Person of Colour in deutsch-deutschen Gefilden erzählt;

  • der Gedichtband «Nachthimmel mit Austrittswunden», für den Ocean Vuong international als neue literarische Sensation gefeiert wird

Alle drei Bücher handeln vom Fortbestehen rassistischer Gewalt, diesseits und jenseits des Atlantiks. Alle drei beschreiben sie auf je eigene Weise Ausgrenzung und Menschen­feindlichkeit. Und sie thematisieren Überlegenheits-Ideologien wie die white supremacy, deren äusserste Konsequenzen nicht erst deutlich sind, seit George Floyd durch brutale Polizeigewalt getötet wurde.

Dass die Bücher von Ta-Nehisi Coates, Olivia Wenzel und Ocean Vuong thematische Schnitt­mengen haben, sollte allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass es sich um drei höchst unterschiedliche Formen handelt, Erfahrungen in Literatur zu transponieren.

Diesen wollen wir am 7. Juli ab 20 Uhr im Zürcher Cabaret Voltaire nachgehen. Und zwar im Gespräch mit der Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni, von der Sie kürzlich in der Republik auch einen Brief aus der Quarantäne lesen konnten.

Sie diskutiert mit Barbara Villiger Heilig, Daniel Binswanger, Daniel Graf – und mit Ihnen, falls Sie mögen. Wort­meldungen aus dem Publikum sind nicht nur möglich, sondern ausdrücklich willkommen. Einfach zuhören ist selbstverständlich ebenfalls erlaubt.

Unbedingt notwendig für alle Gäste, die ins Cabaret Voltaire kommen: die Einhaltung der Corona-Sicherheits­bestimmungen. Wir werden genügend Abstand zwischen den Plätzen einhalten. Anmeldungen sind ab jetzt leider nicht mehr möglich, der Anlass ist ausgebucht.

Aber für alle, die nicht kommen können, zeichnen wir die Veranstaltung als Audio-Podcast zum Nachhören auf. Und wie schon beim Republik-Buchclub, dem Vorgänger-Format, gilt auch für den «Salon der Republik»: Sie können Ihre Fragen, Kommentare und Lese­eindrücke gern schon im Vorfeld posten.

Hier eine Kurzvorstellung der drei Bücher. Unter den Links gelangen Sie jeweils auch zu Leseproben.

Ta-Nehisi Coates, «Der Wassertänzer»: Virginia im 19. Jahr­hundert, die Jahre vor dem Amerikanischen Bürger­krieg. Hiram hat bisher kein anderes Leben gekannt als das in der Sklaverei. Sohn eines weissen Plantagen­besitzers und einer schwarzen Sklavin, musste er als kleiner Junge erleben, wie seine Mutter verkauft und von ihm getrennt wurde.

Mit seinem fotografischen Gedächtnis kann Hiram alle Bilder wieder hervorholen, die er jemals gesehen hat – nur das seiner Mutter nicht. Doch Ta-Nehisi Coates hat seinem Helden in diesem vom magischen Realismus inspirierten Epos noch eine weitere Fähigkeit mitgegeben, eine mit dem rätsel­haften Namen «Konduktion». Und so beginnt Hiram, «wie ein Konduktor, wie ein Schaffner», die Menschen von der Knechtschaft in die Freiheit zu führen.

Ta-Nehisi Coates, weit über die USA hinaus eine der wichtigsten Stimmen des Antirassismus, hat seine Lebens­themen nun erstmals in einen Roman überführt. Und doch hat auch dieser Text einen ganz realen Hinter­grund: die Lebens- und Familien­geschichte des Abolitionisten William Still, dem Chronisten der «Underground Railroad».

Olivia Wenzel, «1000 Serpentinen Angst»: Als die junge Thüringerin ein Theater­stück über die Wende besucht, ist sie die einzige black person im Raum. So geht es ihr meistens – bedeutend höher hingegen ist der Anteil an Neonazis in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Ihr Familienstatus: kompliziert. Die Mutter, zu DDR-Zeiten mit einem angolanischen Mann liiert, hatte blaue Haare, aber keine Ausreise­genehmigung. Weil jedoch er zurückmusste, blieb sie mit den neugeborenen Zwillingen allein, zog sie auf, «als wären wir schuld an ihrem Leben, schuld daran, dass sie nie wegkommt aus dem verfluchten Scheiss­staat» – womit sie früher die DDR meinte und später die BRD. Der Vater, mittlerweile erfolgreicher Investor, «schreibt zweimal im Jahr eine E-Mail aus Angola». Ihr Zwillings­bruder: früh verstorben. Die Grossmutter: unter Honecker linientreu, nun drauf und dran, Rechtsaussen zu wählen.

Und wer ist eigentlich diese Person, die der jungen Frau all die bohrenden Fragen stellt, zu ihrem Leben zwischen Thüringer Wald, Berlin und New York, in diesem Roman, der zu zwei Dritteln aus Dialog­sequenzen besteht?

Ocean Vuong, «Nachthimmel mit Austrittswunden»: Dass einem diese Gedichte unter die Haut fahren, dafür braucht es keine Informationen zur Autoren­biografie. Aber liest man solche Verse nicht noch einmal anders, wenn man weiss, dass Ocean Vuong in diesem Band auch die eigene Familien­geschichte heraufbeschwört? «zurück / -zischen zu 68, Halong-Bucht: der Himmel ein Meer / aus Flammen, ein Himmel, zu dem nur die Toten // aufsehen, möge es den Grossvater erreichen, der das schwangere / Bauernmädchen in seinem Armeejeep fickt, / Haare blond flatternd im napalmglühenden Wind, lass es ihn in den Staub / niederdrücken, aus dem sich seine künftigen Töchter erheben // mit Blasen an den Fingern von Salz & Agent Orange.»

Der Vietnamkrieg als Ausgangs­punkt einer Familien­geschichte; seiner Geschichte. «Nachthimmel mit Austritts­wunden» ist aber auch ein sublimiertes Dokument der homophoben und rassistischen Gewalt, die Vuong in Amerika erfahren hat. Und nicht zuletzt fasst dieser Band die Tradition der Liebes­lyrik neu.

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