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Legaler CBD-Hanf: Viele Produzenten erhofften sich davon das grosse Geschäft. Doch der Boom ging längst nicht für alle gut aus.
Von Yvonne Kunz, 10.06.2020
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Newsflash aus der Cannabis-Politik: Am 2. Juni 2020 gab der Nationalrat grünes Licht für den «Experimentierartikel». Also für die Rechtsgrundlage für Pilotversuche zur Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken – anders gesagt: für legales Kiffen. So sollen in den nächsten Jahren die Auswirkungen des kontrollierten Zugangs zu Drogenhanf auf Konsum, Kaufverhalten und Gesundheit der Versuchspersonen erprobt werden.
Ein Schritt in Richtung Cannabis-Freigabe? Nein, sagt der Bundesrat. Und man fragt sich: Was denn sonst? Gerade setzt sich doch von Uruguay bis Kanada, von Tschechien bis Südafrika die Erkenntnis durch, dass ein legaler, aber regulierter Cannabis-Markt gegenüber der Repression nur Vorteile hat. Entlastung der Behörden. Eindämmung des Schwarzmarkts. Sicherer Konsum einer wenig schädlichen, als Arznei gar nützlichen Substanz. Und Steuereinnahmen aus einem sich anbahnenden Milliardengeschäft: Rund 345 Millionen US-Dollar spülte die Cannabis-Branche dem US-Bundesstaat Kalifornien 2018 in die Kassen.
15 Millionen Franken waren es im selben Jahr laut der Eidgenössischen Zollverwaltung aus dem Verkauf des in der Schweiz 2016 freigegebenen CBD-Hanfs. Hinter der Zahl steht ein Boom: Innert kürzester Zeit entstand ein Markt mit einem Volumen von 60 Millionen Franken. Das ging längst nicht für alle gut. Für einige endete das Geschäft mit legalem Cannabis gar in der Illegalität.
Ort: Bezirksgericht Bülach
Zeit: 26. Mai 2020, 14.45 Uhr
Fall-Nr.: GG200004
Thema: Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz
Kaum eine Stunde nach Beginn der Verhandlung ist sie auch schon fast durch. Die Schuld ist eingestanden und bedauert, die Tatumstände sind besprochen, das Motiv ist geklärt. Der Beschuldigte steht dazu, illegalen Drogenhanf angebaut zu haben. Aber er habe sich nicht bereichern wollen, sondern den Konkurs seines Geschäfts mit legalem CBD-Hanf abwenden.
Es geht noch um den Einzug und die Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände. Die zuständige Einzelrichterin Regula Hürlimann und der Beschuldigte gehen die Liste von Staatsanwalt Matthias Hugelshofer durch. Nebst Pflanzen sind dies Gartenscheren, Scheren, Spachtel, zwei Papierstücke, Bier- und PET-Flaschen, eine Dose Coca-Cola. «Kann man das Cola vernichten?», fragt die Richterin, sich ein Grinsen kaum verkneifend. Der 55-Jährige nickt, nicht minder amüsiert über diesen kostbaren Moment bürokratischer Komik.
Auch die gesicherten Spuren, Wattetupfer und Pflanzen-DNA, können weg. Nur bei den Polizeifotos seiner ausgehobenen Plantage fragt der Mann wehmütig, ob er die haben könne. Beweise für seine Tat, aber auch für seine Anbaukunst. Geht nicht, antwortet die Richterin, aber er könne sie gerne noch einmal sehen. Sie kommt hinter dem Richterpult hervor und legt ihm ein paar Papierausdrucke auf den Tisch. Er blättert sie schweigend durch.
Als Gärtner, schreibt der US-Autor Michael Pollan in «The Botany of Desire» über Cannabis, könne man diese Gewächse nur bewundern: Nie habe er enthusiastischer wachsende Pflanzen gesehen. Selbst wenn sie in Indoor-Anlagen in geradezu pervertierter Weise dazu gezwungen würden: überzüchtet, überernährt, überreizt und gehetzt.
So euphorisch wie die Pflanzen war auch die Stimmung, als 2016 CBD-Hanf in der Schweiz freigegeben wurde. Anders als Drogenhanf wirkt CBD, das weniger als ein Prozent des psychotropen THC enthält, nicht berauschend, sondern beruhigend. Es lindert Krämpfe, Schmerzen, Entzündungen, Angstzustände und Übelkeit. Als Tropfen, geraucht, auf schmerzende Glieder geschmiert. Die Substanz soll bei Reizblase, Depressionen, Epilepsie, Parkinson, MS und Krebs helfen. Eigentlich gegen alles.
Mit dessen Legalisierung hofften nicht nur viele Leidende auf Linderung, sondern auch geschäftstüchtige Unternehmer auf satte Gewinne. Wie bei den medizinischen Anwendungen waren auch den Vermarktungsmöglichkeiten kaum Grenzen gesetzt: Berghof-Bio-Hanfkäse, Hanf-Bratwurst, Hanf-Bier, Hanf-Limo – ein Wunder, gibt es kein Hanf-Rivella.
Scharfes angebaut
Innert eines Jahres liessen sich 2017 fast 500 Produzentinnen beim Bund registrieren. Darunter auch der Beschuldigte, der in der heutigen Verhandlung resümiert: «Zu viele setzten auf dasselbe Ross.» Die Folgen: ein übersättigter Markt, ein dramatischer Preiszerfall.
Als er vor vier Jahren seine Cannabis-Firma gründete und eine mittelgrosse Indoor-Anlage aufbaute, erzählt der frühere CBD-Produzent der Richterin, da habe er noch 2500 Franken pro Kilo bekommen. Ende 2018 sei dann der Kilopreis teilweise bis auf 800 Franken gesunken. Bei Anbaukosten von durchschnittlich 1400 Franken je Kilo. Seine Firma geriet zusehends in Schieflage – da habe er letztes Jahr halt «Scharfes angebaut».
Das ist naheliegend: Mit dem weiterhin verbotenen Drogenhanf lässt sich auf dem Schwarzmarkt noch immer zuverlässig gutes Geld verdienen. Mindestens eine halbe Million Joints werden in der Schweiz pro Tag geraucht, so die Hochrechnung einer im Januar dieses Jahres veröffentlichten Studie der Stiftung Sucht Schweiz, der Universität Lausanne und von Unisanté. Damit sei Cannabis volumenmässig der grösste Markt verbotener Drogen, umsatzmässig mit jährlich 340 bis 500 Millionen Franken nach Kokain der zweitgrösste.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte von den 1536 Pflanzen, die in seiner Anlage sichergestellt wurden, rund 48 Kilo hätte ernten können. Was ihm bei einem durchschnittlichen Grosshandelspreis von 5000 Franken einen Umsatz von rund einer Viertelmillion beschert hätte.
Der Produzent sinniert in der Pause vor der Urteilseröffnung über die drei Gründe, weshalb illegale grows auffliegen: Wasserschäden, der verräterische Geruch – oder man wird verpfiffen. In seinem Fall hegt er den Verdacht, sein früherer CBD-Stecklingslieferant habe der Polizei den Tipp gegeben. Es könne kein Zufall sein, meint er, dass seine Anlage just vor der Ernte ausgehoben wurde. Auch im legalen Markt herrschen inzwischen raue Sitten.
Wirtschaftsgetriebene Legalität
Einzelrichterin Hürlimann spricht den Mann im Sinne der Anklage schuldig. Zehn Monate bedingt, drei Jahre Probezeit, 1200 Franken Gerichtsgebühr. Sie hält ihm zugute, dass er die Untersuchung leicht gemacht habe. Aber mahnt, es hätte doch legale Mittel gegeben, um die Firma zu sanieren.
Damit endet der Strafprozess bei der Grundsatzfrage: Warum noch mal ist ein harmloses Kraut wie Cannabis so verboten wie Crack? Eine seit der Steinzeit genutzte Heil- und Nutzpflanze? Bei dessen Eintrag in die Liste der global verbotenen Substanzen an der Opiumkonferenz 1925 gesagt wurde, es sei eine Lösung ohne Problem? Der aber trotzdem dazu führte, dass 1961 der Cannabis-Anbau mit der Uno-Konvention gegen narkotische Drogen weltweit verboten wurde? Und was macht den Weg zurück in die Legalität so umständlich?
Wenn der nun beschlossene «Experimentierartikel» kein Schritt in Richtung Legalisierung sein soll, dann ein Schritt tiefer in die Cannabis-politische Beliebigkeit. Unfähig, sich auf eine Linie festzulegen, zerlegt man die Sache in zig wenig ausgereifte Einzelvorlagen.
Als «verwirrend» kritisieren Patientenorganisationen die derzeitige Gesetzeslage bezüglich Medizinalhanf – an der losgelöst von der Drogenfrage herumgedoktert wird. Selbst der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter bezeichnet Cannabis als «politisches Sorgenkind» und fordert klare Regeln, weil die jetzigen nicht praxistauglich sind. Und die höchsten Gerichte korrigieren in neueren Urteilen so einige Bestimmungen: Nein, für eine Besteuerung von CBD wie Tabak fehlt die Rechtsgrundlage. Doch, die 2012 eingeführte nationale Straffreiheit bei Mengen bis 10 Gramm gilt auch für Jugendliche unter achtzehn.
Eines ist sicher: Wie schon beim Verbot werden auch bei der Legalisierung von Cannabis gesundheitliche Überlegungen nicht im Zentrum stehen. Sondern wirtschaftliche Interessen. Als es verboten wurde, war Hanf noch ein wichtiger Rohstoff für Papier, Seile und Textilien. Doch insbesondere in der westlichen Welt kamen gerade Holz und Chemiefasern auf. In diesem Sinne wird auch in der Schweiz Cannabis wohl dann zügig freigegeben, wenn ein Verbot zu einem ernsthaften Standortnachteil wird.
Illustration: Till Lauer