Am Gericht

3400 Franken, dann klappt die Adoption

Ein Vermittler wollte ein adoptionswilliges Ehepaar anstiften, die Behörden in Sri Lanka zu bestechen. Der Fall am Luzerner Kriminalgericht ermöglicht einen seltenen Einblick in das fragwürdige Geschäft mit Adoptionen in der Schweiz.

Von Kilian Küttel, 20.05.2020

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In der Schweiz wurden von 1979 bis 1997 881 Kinder aus Sri Lanka adoptiert. Viele von ihnen kamen auf höchst fragwürdigen Wegen ins Land. Zur Vermittlung von Kindern an Adoptiv­eltern hatte sich in Sri Lanka eine Industrie entwickelt. Die Rede war von Adoptions­markt, Kinder­handel und Baby­farmen. 2017 rollte die nieder­ländische Investigativ-Produktion Zembla den Skandal auf. Über die Zustände in Sri Lanka berichteten im Frühling 2018 mehrere Medien in der Schweiz, darunter die «Rundschau».

Im Nachgang dazu untersuchte die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die umstrittenen Adoptionen. Ihre Studie im Auftrag des Bundes kommt zum Schluss: In Sri Lanka kam es systematisch zu Miss­brauch, «wenn es darum ging, die unerfüllten Kinder­wünsche von Ehe­paaren aus reichen westlichen Industrie­ländern wie (…) der Schweiz zu erfüllen». In der historischen Betrachtung sei gravierend, dass die Schweizer Behörden früh von den Missständen wussten: «Trotzdem konnten Kinder aus Sri Lanka ohne Erklärung der Zustimmung zur Adoption ihrer leiblichen Eltern einreisen.» Ein konkreter Fall, bei dem es um mögliche Bestechung ging, wurde kürzlich am Kriminal­gericht Luzern verhandelt.

Ort: Kriminal­gericht des Kantons Luzern, Luzern
Zeit: 24. April 2020, 8.15 Uhr
Fall-Nr.: 2Q6 19 24
Thema: versuchte Anstiftung zur Bestechung fremder Amtsträger

Da sitzt er. Schütteres Haar, schmale Figur; ein Körperbau wie das kleine t. Sein Gegenüber, Einzel­richter Gilbert Hunkeler, verschränkt die Arme und beugt sich über die Tisch­platte: «Bestechung per se ist keine Bagatelle. Wenn aber Bestechung in einem so sensiblen Bereich angewendet wird, ist das umso verwerflicher. Korruption im Adoptions­wesen erhöht die Gefahr, dass Kinder auf den absolut verabscheuens­würdigen Weg des Kinder­handels gelangen.»

«Verwerflich», «verabscheuens­würdig». Der Beschuldigte hört die Worte, sitzt da. Und macht keinen Wank.

Richter Hunkeler verurteilt den 61-jährigen Schweizer zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tages­sätzen à 130 Franken und zu 2000 Franken Busse, ausserdem muss er die Verfahrens­kosten von 4415 Franken übernehmen. Das Delikt: «versuchte Anstiftung zur Bestechung fremder Amtsträger». Die juristische Fach­sprache, elegant wie ein Altglas­container, wird der emotionalen Tragweite dieses Falls nicht gerecht.

Mit dem Urteil des Luzerner Kriminal­gerichts findet die Geschichte eines Waadt­länder Ehepaars ein Ende. An deren Anfang steht der Wunsch nach Familien­glück. Die Eheleute wollen ein Kind aus dem Geburts­land der Frau adoptieren, aus Sri Lanka. Doch wie vorgehen? Adoptions­willige können sich an Vermittler wenden, die unter der Aufsicht des Bundes­amts für Justiz stehen. Aktuell listet der Bund neun Organisationen für Adoptionen aus dem Ausland; darunter fallen Länder wie Moldau, Russland, die Philippinen oder Thailand.

Im März 2016 trifft sich das Ehepaar mit dem Vermittler für Sri Lanka – dem heute 61-jährigen Mann aus einer Luzerner Agglomerations­gemeinde. Per Vertrag wird vereinbart, er soll ein Mädchen aus dem Norden des Landes suchen – nicht älter als 3 Jahre. Der Luzerner stellt dem Paar in Aussicht, ihr Gesuch könnte schneller behandelt werden. Weil die Frau aus Sri Lanka kommt, habe sie einen Vorteil gegenüber Adoptiv­eltern ohne Verbindung zum Land.

Dann passiert: nichts. Bis zum 18. Januar 2017. An diesem Mittwoch ruft der Vermittler die Eheleute an und teilt mit, ihr Adoptions­gesuch werde gutgeheissen. Allerdings müssten sie 3000 bis 6000 Franken überweisen, damit die Beamten das Dossier schneller bearbeiten. Das kommt der Frau komisch vor. Sie wittert Korruption. Der Vermittler entgegnet, das sei in Sri Lanka halt so. Am gleichen Abend schreibt er über Whatsapp, er brauche für vier Behörden­mitglieder je 850 Franken. Also 3400 Franken. Mehrmals ermahnt er die Frau, ihr Gespräch geheim zu halten. Zehn Minuten später antwortet sie, das komme für sie und ihren Mann nicht infrage. Adoptieren ja, kaufen nein: «Adopt is not buy.»

Nachdem das Paar den Vermittler beim Bundes­amt für Justiz gemeldet hat, reicht dieses Straf­anzeige ein. Gegen den Straf­befehl erhebt der 61-Jährige Einsprache. Deshalb kommt es am 24. April zur Verhandlung am Kriminal­gericht Luzern.

Einzelrichter Gilbert Hunkeler schüttelt den Kopf: «Sie haben geschrieben, vier Komitee­mitglieder brauchten je 850 Franken. Was haben Sie damit gemeint?»

«Das war ein Missverständnis», entgegnet der Beschuldigte: «Am Telefon dachte sie wohl, ich wollte sie zu dieser Zahlung motivieren. Davon hätte ich aber deutlich abgeraten.» Er habe lediglich gesagt, in anderen Ländern gäbe es solche Absprachen. Selber arbeite er nicht so. Das wollte er per WhatsApp klarstellen.

Während der gut dreistündigen Verhandlung spricht der Beschuldigte immer wieder von Missverständnissen, Sprach­schwierigkeiten und mühsamer Kommunikation. Das Verhältnis mit dem Ehepaar sei nicht einfach gewesen, besonders nicht mit der Frau: «Sie hat mich gedrängt, schneller zu arbeiten. Auch wenn sie wegen ihrer Herkunft einen Vorteil hatte, braucht so ein Verfahren aber Geduld. Das hat sie nicht verstanden.»

Der Vermittler, der in den Achtziger­jahren selbst aus Sri Lanka in die Schweiz geflüchtet ist, weiss, wovon er spricht. Von 2004 bis 2018 fand er für 29 Kinder aus seiner Heimat eine Familie in der Schweiz. Laut Aussage vor Gericht brachten sie dem Beschuldigten jeweils um die 2300 Franken ein.

So wird niemand reich. Das betont auch Verteidigerin Katrin Humbel in ihrem Plädoyer: «Meinem Mandanten ging es nie um Geld, sondern um das Wohl der Kinder.» Mit den Vermittlungen habe er angefangen, nachdem er seine beiden Töchter aus Sri Lanka adoptiert hatte: «Er hat am eigenen Leib erfahren, wie kompliziert eine internationale Adoption ist. Und er hat gesehen, unter welchen Umständen Kinder in Sri Lanka teilweise leben. Dagegen wollte er etwas unternehmen.» Humbel fordert vom Gericht einen Freispruch. Die Aussagen der Frau seien unglaub­würdig und falsch, sie habe ihren Mandanten unter Druck gesetzt und gar mit einer Straf­anzeige gedroht. Das könne man als Nötigung auslegen. Immerhin ein Offizial­delikt. Zusammen­gefasst sagt Humbel: Der Frau ist nicht zu trauen.

Auf der anderen Seite sagt Staats­anwältin Carmen Schneider im Kern Folgendes:

Vor Gericht steht kein schmieriger Gauner, sondern ein Mann mit hehren Absichten.

Vor Gericht steht aber auch ein Mann, der für eine erfolgreiche Vermittlung nicht davor zurück­schreckt, das Gesetz zu brechen: «Der Beschuldigte wollte den Kindern in Sri Lanka so sehr helfen, dass er illegale Wege beschritt.»

Schliesslich: Vor Gericht steht ein Mann, der sich mit einer Ausrede aus der Verantwortung stehlen will, nachdem seine Praktiken aufgeflogen sind: «Die Aussagen des Beschuldigten sind sprunghaft, und die Erklärung mit dem Missverständnis ist fadenscheinig.»

Am Ende glaubt auch Einzel­richter Hunkeler dem Beschuldigten nicht: «Hätten Sie die Frau auf die Korruption in anderen Ländern aufmerksam machen wollen, hätten Sie das so geschrieben. Sie hätten keine genaue Zahl genannt. Und Sie hätten sie nicht zur Geheim­haltung ermahnt.»

Er unterstelle ihm nicht, sich persönlich bereichert zu haben oder mit der organisierten Kriminalität verbandelt zu sein. Aber: «Sie haben einem System Vorschub geleistet, das Kinder­handel fördern kann. Als Schweizer Behörden müssen wir dagegen vorgehen, wo es nur möglich ist.»

Auch in der Justiz dürfte der Skandal aus den Siebziger-, Achtziger- und Neunziger­jahren nachhallen. In Sri Lanka hatte sich eine mafiöse Adoptions­industrie entwickelt: Papiere wurden gefälscht, Kinder zur Adoption freigegeben, ohne dass die leiblichen Eltern einverstanden waren. Zum Teil kam es zu systematischen Zeugungen auf sogenannten «Babyfarmen».

Europäische Paare haben in diesem Zeitraum bis zu 11’000 Kinder aus Sri Lanka adoptiert. 881 von ihnen kamen in die Schweiz. Pro Kind zahlten Schweizer Eltern zwischen 5000 und 15’000 Franken – die leiblichen Eltern sahen davon praktisch nichts. Von diesen Vorgängen wusste der Bund mindestens seit 1981, wie aus der Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hervorgeht.

Gemäss den Autorinnen Nadja Ramsauer, Annika Bangerter und Sabine Bitter zeigt die Recherche erst einen kleinen Ausschnitt der problematischen Praxis. Eine umfassende historische Aufarbeitung sei dringend notwendig.

Die Studie ist Teil einer Antwort auf ein Postulat der Waadtländer SP-National­rätin Rebecca Ruiz. Am 16. März 2018 hat es der Nationalrat angenommen. Der Bundesrat wurde beauftragt, gemeinsam mit den Kantonen die Praxis der Behörden und der privaten Vermittlungs­stellen zu unter­suchen. Laut dem Bundes­amt für Justiz will die Landes­regierung ihre umfassende Antwort Ende Jahr vorlegen.

Das alles interessierte den Luzerner Vermittler wohl nur noch am Rande. Der Bund hat ihm seine Bewilligung im März 2018 entzogen. Gegen den Entscheid hat er zwar Beschwerde beim Bundes­verwaltungs­gericht erhoben, diese mittler­weile aber wieder zurück­gezogen. Ebenso akzeptiert er das Urteil des Luzerner Kriminal­gerichts und verzichtet auf eine Berufung, wie Anwältin Katrin Humbel auf Anfrage sagt. Zum Ende der Verhandlung sagt er: «Schade, dass es so weit gekommen ist. Vor allem tut es mir für die Kinder leid.»

Illustration: Till Lauer

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