Ist der Frühling noch wie früher?
Im März und April hat es kaum geregnet. Ist das Zufall – oder gehört Frühlingstrockenheit zum Klimawandel? Daten zu Niederschlag, Vegetation und Bodenfeuchte geben Aufschluss.
Von Arian Bastani, 11.05.2020
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Der eigene Garten war in den Wochen des Lockdown nicht nur ein Glück. Wer versuchte, den Boden umzugraben, war froh, wenn dies ohne Krampf in den Händen und Staub im Gesicht gelang. Denn der Boden war so trocken, dass man mit der Schaufel kaum mehr als an der Oberfläche kratzen konnte.
Die Trockenheit hatte einen offensichtlichen Grund. Zumindest auf den ersten Blick: Während die Frühlingssonne kräftig schien, regnete es im März und April über weite Strecken kaum. Und es war ungewöhnlich warm.
Die Vermutung liegt nahe, dass der Klimawandel für diese Veränderungen verantwortlich ist. Doch die meteorologischen Daten und die Literatur zeigen auf: Der Zusammenhang ist komplizierter, als man zunächst denkt.
Der Frühling wird nicht trockener …
Betrachten wir zunächst den Niederschlag. Der wird in der Schweiz seit Mitte des 19. Jahrhunderts flächendeckend gemessen. Es existieren also lange Messreihen, mit denen man die aktuellen Daten vergleichen kann.
Schweizweit gemittelt, fielen im März und April dieses Jahres insgesamt etwa 125 Millimeter Regen. Dieser Wert liegt 59 Millimeter unter dem langjährigen Mittel, das 184 Millimeter beträgt. Ist das ein grosses Defizit?
Um das zu beurteilen, schauen wir uns die jährlichen Überschüsse und Defizite über die letzten gut 150 Jahre in der folgenden Grafik an. Sofort wird ersichtlich: Das diesjährige Defizit, also der Balken ganz rechts, fällt nicht wirklich aus der Reihe. Immer wieder gab es weit grössere Ausschläge. Der Negativrekord datiert aus dem Jahr 1893: Damals lagen die März- und Aprilniederschläge rund 134 Millimeter im Minus.
Ein langfristiger Trend ist also nicht auszumachen. Das gilt auch, wenn man den Mai dazunimmt und so den ganzen Frühling betrachtet.
Dass im Frühling immer noch gleich viel Regen fällt wie früher, liegt unter anderem daran, dass sich die Grosswetterlagen, die Frühlingsniederschlag mit sich bringen, über Mitteleuropa trotz Klimawandel kaum verändern.
… aber er kommt früher
Trockener wird der hiesige Frühling also nicht. Allerdings scheint sich der Anbruch der blütenreichen Jahreszeit allmählich nach vorne zu verschieben.
Deutlich wird das etwa durch den sogenannten Frühlingsindex. Dieser ist ein Mass für die zeitliche Vegetationsentwicklung verschiedener Pflanzen. Darin enthalten sind unter anderem die Zeitpunkte, zu denen Kirschbaum und Buschwindröschen zu blühen beginnen und die Buche ihre Blätter entfaltet.
Diese Zeitpunkte sind abhängig vom Klima – etwa von der Temperatur. Je milder sie ist, desto rascher erwachen die Pflanzen aus der Winterruhe.
Verglichen mit dem langjährigen Mittel ist der diesjährige Frühling früh dran. Und damit ist er nicht allein, wie man auf der folgenden Grafik sieht, die bis 1951 zurückreicht. Auf ihr zeigt sich: Seit gut drei Jahrzehnten beginnt die Vegetationsentwicklung tendenziell früher als üblich. Die Werte liegen seit 1990 viel häufiger im Minus als zuvor.
Anders als beim Niederschlag scheint sich hier ein Trend abzuzeichnen. Das könnte Folgen für den weiteren Jahresverlauf haben.
Die Böden werden trockener
Um zu gedeihen, brauchen Pflanzen Wasser. Dieses holen sie sich vor allem aus dem Boden. Setzt die Vegetationsentwicklung früher ein, entziehen Kirschbaum, Buche und Co. dem Grund entsprechend früher Feuchtigkeit.
Und sie hören damit auch nicht auf, bis sie im Herbst ihre Blätter abwerfen, um sich auf den Winter vorzubereiten. Mit der längeren Vegetationsphase steigt somit auch der Wasserverbrauch. Studien zufolge könnte diese vermehrte Feuchtigkeitsaufnahme der Pflanzen – zusammen mit dem generellen Temperaturanstieg – dazu führen, dass die Böden austrocknen.
Evidenz für diese Austrocknung ist bereits vorhanden. Satellitenmessdaten der letzten 40 Jahre zeigen zum Beispiel für die oberste Bodenschicht in Nordeuropa eine Tendenz zu trockeneren Bedingungen. Seit 1979 hat die Bodenfeuchte in den ersten 7 Zentimetern des Erdreichs kontinuierlich abgenommen.
Wenn die Luft wärmer wird und die Böden austrocknen, verstärkt sich dies über die Zeit sogar gegenseitig: Die höheren Temperaturen entziehen dem Boden zunächst die Flüssigkeit – der Boden wird trockener. Das wiederum bedeutet, dass mit der Zeit immer weniger Wasser verdunsten kann. Somit entfällt auch die kühlende Wirkung der Verdunstung zunehmend – und die Böden werden zusätzlich wärmer. Ein Teufelskreis.
Der Trend hin zu trockeneren Böden ist auch bis in tiefere Bodenschichten erkennbar. Und über längere Zeiträume: Basierend auf Temperatur- und Niederschlagsrekonstruktionen über Nordeuropa haben Wissenschaftler die Bodenfeuchtigkeit der letzten zwei Jahrhunderte modelliert. Die Werte wurden standardisiert, um verschiedene Klimaregionen wie das trockene Spanien und die niederschlagsreichen Alpen vergleichen zu können.
Auch hier erkennt man einen Trend: Seit etwa 1950 liegt die Bodenfeuchte in tieferen Schichten, wo Bäume ihre Wurzeln haben, unter dem Schnitt.
Hauptursache dafür ist die Temperatur, die seit etwa hundert Jahren steigt. Während anfänglich auch natürliche Ursachen für diesen Temperaturanstieg verantwortlich waren, ist je länger, desto deutlicher der menschlich verursachte Klimawandel die treibende Kraft dahinter.
Die Landwirtschaft steht damit zunehmend vor Herausforderungen. Denn Modellberechnungen zufolge wird es gerade im Sommer seltener regnen. Dabei könnte lokal nicht zuletzt die abnehmende Bodenfeuchte eine Rolle spielen: Ist weniger verdunstetes Wasser verfügbar, bilden sich weniger Wolken, und damit gibt es auch weniger Niederschlag.
Zwar dürfte es im Gegenzug während des Winters etwas häufiger regnen. Doch dieser Niederschlag wird aufgrund der Erwärmung seltener als Schnee fallen. Das heisst: Auch die Schneeschmelze kann den fehlenden Sommerregen immer weniger kompensieren. Je heftiger der Klimawandel ausfällt, desto stärker werden sich all diese Tendenzen ausprägen.
Schluss
Wir sehen also ein ambivalenteres Bild: Eindeutige Veränderungen beim Frühlingsniederschlag sind bisher nicht ersichtlich. Der fehlende März- und Aprilregen war also wahrscheinlich kein Ausdruck des Klimawandels.
Doch das bedeutet nicht, dass der Frühling noch der ist, der er einmal war.
Kirsche, Buche und weitere Pflanzen spriessen immer früher. Das könnte den Trend zu trockeneren Böden verstärken – was wiederum dazu führen könnte, dass die sommerliche Hitze in den nächsten Jahren noch zunimmt.
Auch wenn sich der Frühling in den kommenden Jahren wieder regenreicher präsentieren sollte, kommen auf Gärtnerinnen und Landwirte also schwierige Zeiten zu.