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Wie man am Zweifel nicht verzweifelt

07.05.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Mit der Corona-Krise ist auch eine Diskussion um die Wissenschaft und ihre Rolle für Politik und Gesellschaft entbrannt. Was kann Wissenschaft leisten, wo liegen ihre Grenzen? Was können wir mit Sicherheit sagen und was nicht? Wie kann man dort, wo gesicherte Erkenntnisse noch nicht möglich sind, trotzdem seriöse Beurteilungen von verschwörungstheoretischem Geraune unterscheiden?

Hinter all dem steht letztlich die Frage: Was ist Wissenschaft? Oder konkreter: Was bedeutet Skepsis in der Forschung? Denn Zweifel und Skepsis sind geradezu eine Grundbedingung wissenschaftlichen Arbeitens und ein zentraler Motor für die fortlaufende Präzisierung und Verbesserung der Erkenntnisse – bis hin zur Möglichkeit, bisher als richtig Erachtetes korrigieren zu müssen.

Wissenschaftlich seriös und konstruktiv zu zweifeln, ist allerdings anspruchsvoll: Es setzt bereits gesichertes Wissen und methodisches Problembewusstsein voraus.

Nun ist der Zweifel aber nicht nur eine akademische Tugend. Sondern auch ein sehr alltägliches Phänomen, das sich – wie derzeit wieder zu beobachten ist – auf unterschiedliche Weise äussern kann: als legitime Verunsicherung von Bürgerinnen, auf die Politik und Medien reagieren müssen. Als konstruktiv-kritische Teilnahme am demokratischen Diskurs. Aber eben auch als pauschaler, teilweise aggressiver Protest gegen die politischen Corona-Schutzmassnahmen.

Die Frage, wie belastbar wissenschaftliche Erkenntnis ist, ist deswegen nicht zuletzt eine Frage danach, wie wir mit Unsicherheit umgehen: Wie viel Vorläufigkeit halten wir aus? Welches Mass an Ungewissheit? Wie viel Abweichung von dem – angesichts eines neuartigen Virus leider unerfüllbaren – Wunsch nach hundertprozentiger Gewissheit?

Wo Menschen nach absoluter Wahrheit streben, liegt auch ein Einfallstor für Verschwörungstheoretiker: Sie bieten, gewissermassen als Ersatz, eine Illusion von Gewissheit feil: in Form von Komplexitätsabwehr und Sündenbock-Narrativen.

Was also tun?

Dieser Frage ist unser Autor Nils Markwardt nachgegangen, und er hat festgestellt: Wer den neuen verschwörungstheoretischen Allianzen entgegenwirken will, darf es sich nicht zu einfach machen. Denn es gibt gleich mehrere Gründe, warum der Hinweis, man möge sich doch an «die Wissenschaft» halten, nicht reichen wird. Erst wenn diese Gründe richtig verstanden sind, lässt sich zielführend über Gegenstrategien nachdenken.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Die neuesten Fallzahlen: Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit zählten die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein heute Morgen 30’126 positiv auf Covid-19 getestete Personen. Im Vergleich zu gestern sind das 66 Fälle mehr. Bis Mitte April kamen täglich neue Fälle in einem hohen dreistelligen Bereich dazu.

  • Weniger Unterschriften sollen genügen: Ab dem 1. Juni dürfen wieder Unterschriften gesammelt werden. Weil dies aber derzeit erschwert wird, fordern Politiker und Initiativkomitees, dass die benötigte Anzahl Unterschriften für Initiativen vorläufig auf 50’000 halbiert wird, jene für Referenden auf 25’000. Zudem soll die Sammelfrist für alle laufenden Volksbegehren um sechs Monate verlängert werden.

  • Russland mit rekordhoher Infektionszahl: Kurz bevor am Dienstag die strengen Corona-Massnahmen gelockert werden sollen, verzeichnet Russland mit mehr als 11’000 Neuinfektionen einen Rekord. Insgesamt sind gemäss offiziellen Angaben 177’000 Personen infiziert. Er übergebe die Verantwortung für die Rückkehr zur Normalität den Regionen, sagt Präsident Wladimir Putin.

  • Uno braucht 90 Milliarden für Pandemie-Hilfe: Die Vereinten Nationen brauchen dreimal mehr Geld als ursprünglich erwartet, um den von der Corona-Krise betroffenen ärmsten Menschen der Welt zu helfen. Gemäss neuesten Berechnungen sind 90 Milliarden Dollar nötig, um Millionen Menschen vor Hungerkatastrophen und anderen schwerwiegenden Folgen der Pandemie zu schützen.

Die besten Online-Gesellschaftsspiele – und ein paar Leseempfehlungen

Haben Sie langsam genug von Netflix? Würden Sie lieber wieder einmal einen Spielabend mit Ihren Freunden veranstalten? Wir haben fünf Tipps für Online-Gesellschaftsspiele zusammengetragen, die Sie in der Gruppe spielen können – ohne dass Sie physisch zusammen sein müssen:

  • Old, but gold: Montagsmaler, Online-Edition. Der Klassiker unter den Gesellschaftsspielen wird zusätzlich dadurch erschwert, dass alle Mitspielerinnen ihre Begriffe per Maus zeichnen müssen.

  • Gelacht ist halb gewonnen: Im virtuellen Spielraum Kosmi kann man mit seinen Freunden «Cards Against Humanity» spielen (nur auf Englisch). Schwarzer Humor hat in Corona-Zeiten therapeutische Qualitäten.

  • Weltherrschaft an einem Abend: Wer Lust auf epische Duelle hat, ist mit der Online-Version des legendären Brettspiels «Siedler von Catan» bestens aufgehoben.

  • De letscht isch no miine: Für all jene, die lieber einen Jass klopfen als eine Krise schieben. Auch das geht online. Und wer lieber Tichu spielt: et voilà!

Ausserdem. Zwei Lesetipps:

  • Das 100. «Briefing aus Bern»: Jede Woche trägt die Republik-Inlandredaktion alles zusammen, was Sie wissen müssen aus dem Bundeshaus. Das Sonderbriefing zur Corona-Sondersession kommt ausnahmsweise aus der Berner Messehalle.

Zum Schluss ein Blick nach Amsterdam, wo ein Restaurant mit «Quarantäne-Gewächshäusern» experimentiert

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat Unternehmen dazu aufgefordert, sich zu überlegen, wie sie die Social-Distancing-Regeln in ihren Geschäftsbetrieb integrieren können. Er sagte, man müsse sich jetzt vorerst einmal an die «Eineinhalb-Meter-Gesellschaft» gewöhnen. Für Gastronomiebetriebe ist das besonders schwierig. Deshalb hat sich ein Restaurant in Amsterdam etwas Besonderes ausgedacht: Es will nun seine Gäste in kleinen Gewächshäusern unterbringen. Bis zu drei Gäste finden Platz in einem der kleinen Glaskästen, die vor dem Restaurant aufgestellt sind. Das Servicepersonal trägt Latexhandschuhe und transparente Visiere vor dem Gesicht, wie sie auch in Spitälern zum Einsatz kommen. Serviert werden die Speisen auf überlangen Holztabletts, damit es zu keinem Kontakt zwischen dem Personal und den Gästen kommt. Das Ganze klingt furchtbar, sieht aber überraschend hübsch aus.

Bleiben Sie umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.

Bis morgen.

Elia Blülle, Daniel Graf und Bettina Hamilton-Irvine

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Premiere für die US-Bevölkerung: Gestern Mittwoch konnte sie erstmals in Echtzeit einer Supreme-Court-Verhandlung beiwohnen, die über eine Telefonkonferenz abgehalten wurde. Blöd nur, dass jemand vergass, sein Mikrofon abzustellen, als er zwischendurch ein anderes Geschäft erledigen musste. Womit das Land dann live die WC-Spülung mit anhören durfte. Auch das bestimmt eine Premiere.

PPPPS: Haben Sie das Homeoffice langsam satt, oder treiben die Kinder Sie in den Wahnsinn? Dann legen wir Ihnen den charmanten Tipp ans Herz, den uns eine Leserin mit schwedischer Abstammung geschickt hat: Schauen Sie im Livestream des schwedischen Fernsehens der alljährlichen Elchwanderung zu – Naturgeräusche, Wälder und ab und zu eine Gruppe Elche beim Schwimmen. Das ist mindestens so entspannend wie Zoom-Yoga, und Sie müssen dafür nicht einmal vom Schreibtisch aufstehen.

PPPPPS: Wie geht Homeoffice, wenn man ein Künstler ist, der sonst heimlich Graffiti auf Fassaden sprayt? Nun, Banksy hat für einmal, ganz klassisch, ein gerahmtes Bild geschaffen, das jetzt in einem Spital hängt. Das dürfte nicht nur die Pflegenden dort freuen, sondern auch Banksys Frau, die zuletzt weniger Freude hatte an der Heimarbeit ihres Mannes.

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