Homemade in Germany – Folge 3

Saufen, grillen, Ausländer kloppen

15 Jahre lang war Manuel Bauer Neonazi. Bis er ausstieg. Heute versucht er zu erklären, was in den Köpfen jener vorgeht, die auf Veranden, vor Synagogen und in Shishabars Menschen hinrichten. «Homemade in Germany», Folge 3.

Eine Reportage von Solmaz Khorsand und Anthony Gerace (Illustration), 06.05.2020

An der Zahl ist etwas faul. 24’000 Rechtsextreme soll es in Deutschland geben. Das sagt der deutsche Verfassungs­schutz­bericht. Viel zu niedrig, sagt Manuel Bauer.

Seit der «Flügel» der AfD rund um Björn Höcke Mitte März mit seinen rund 6000 Mitgliedern miteingerechnet wird, sind es knapp 30’000 Menschen, die Deutschlands freiheitlich-demokratischer Grund­ordnung mit ihrem völkischen Weltbild den Kampf erklärt haben. Die einen verbal, die anderen im wahrsten Sinne des Wortes. 12’000 Rechts­extreme gelten als gewalttätig.

Das sind die Zahlen. Offiziell. Inoffiziell? «Vielleicht eine Million», spekuliert Bauer.

Bis vor einiger Zeit war Manuel Bauer selber Teil dieser Statistik. 15 Jahre lang hat Manuel Bauer «Kanaken» und «Assis» verprügelt, Döner­stände angezündet, kurdische Hochzeiten aufgemischt, schwule Geschäfts­männer erpresst.

Heute hält er dazu Vorträge an Schulen. Man kann dann beobachten, wie er vor Jugendlichen in den alten Neonazi-Jargon fällt, um zu zeigen, wie er damals getickt hat. Wie die Szene noch immer tickt. Wegen Corona wurde sein aktueller Auftritt abgesagt. Nun macht er das im Vieraugen­gespräch. Vielleicht kann er erklären, was in den Köpfen seiner einstigen Gesinnungs­brüder so vorgeht, wenn sie einen Politiker auf seiner Veranda ermorden oder wie in einem Video­spiel Menschen vor einer Synagoge oder einer Shishabar erschiessen.

Zu dieser Serie

Walter Lübcke, Halle, Hanau: Immer öfter entlädt sich in Deutschland der rechtsextreme Terror. Zeit für einen Besuch bei unseren verwundeten Nachbarn. Die Übersicht über die dreiteilige Serie «Homemade in Germany».

Es ist Sonntagmittag, Manuel Bauer sitzt in einer Bäckerei. Vor ihm ein Becher Kaffee aus der Maschine. Umgänglich ist er, höflich, mitunter sogar witzig. Die Bäckerei liegt gleich beim Bahnhof, in einer süddeutschen Kleinstadt. Mehr Details sollen nicht verraten werden. Als Aussteiger muss sich der 41-Jährige in Acht nehmen vor den alten «Kameraden». Viele verzeihen einem den Verrat nicht, gehen manchmal auch so weit, die Eltern und Geschwister anzugreifen. Auf einen Kaffee­klatsch würden die sich gerne mit ihrem alten Kumpel treffen, meint Bauer, «da gibt es dann halt mehr Klatsche als Kaffee».

Taten statt Worte

2006 ist er aus der Szene ausgestiegen. Er kennt die Welt der Männer, deren Nachnamen dieser Tage in den Medien nur mit dem Anfangs­buchstaben abgekürzt werden. Er hätte selbst ein Stephan oder ein Tobias sein können. Mit Sicherheit sogar, wenn er an den NSU denkt. Als die Terror­zelle aus Jena im Jahr 2000 zu morden begann, war Bauer noch mittendrin bei den Kameraden. Gewusst hat er damals nicht, dass es «ihre» Leute waren, die hinter den Hinrichtungen von Dönerbuden- und Kiosk­besitzern aus der Türkei und Griechenland steckten. Hätte er es gewusst, hätte er mitmachen wollen. «Zu gerne. Ganz ehrlich», gesteht er. Wie in einem Agenten­thriller hätte sich Bauer dieses Leben ausgemalt, in den Unter­grund gehen, ein Terroristen­leben führen, viel unterwegs sein. Und dann natürlich das Highlight: «Auf Menschen zielen, abknallen!»

Gänsehaut bekommt man, wenn er das mit den leuchtenden Augen seines einstigen Ichs wiedergibt. Abknallen. Das Wort hallt in der Bäckerei ein paar Sekunden nach. An den Neben­tischen sitzen ein paar Jugendliche, die einander ihre Smart­phones entgegen­halten. Einige von ihnen haben dunkle Haut.

Taten statt Worte, das war Bauers Devise damals. Er sei keiner gewesen, der nur mitlaufe, gibt er unumwunden zu. «Mich hat es angekotzt, wenn Kameraden irgendwo auf Feiern immer nur geredet haben», erzählt er. «Die Scheisskanaken, die brennen wir ab!», hätten sie damals grossspurig gepoltert. Passiert ist nichts. Zu Bauers Leidwesen. «Für mich waren das alle nur Pussys. Hätte man den Typen ne Knarre in die Hand gegeben und gesagt: ‹Schiess dem Typen ins Bein›, hätten sie das nicht gemacht. Ich hätte es gemacht.»

Einmal hat er den Hund von einem mit einer Leucht­pistole abgeknallt. Die Gesichter seiner Freunde wird er nie vergessen. Wie entsetzt sie waren, wie sie ihn zur Rede gestellt haben, warum er das tun würde.

Ja, warum, Herr Bauer?

«Um wichtig zu sein, um cool zu sein», sagt er knapp, «zeigen statt sagen.»
Er weiss, wie das wirkt. Wie salopp, wie nebenbei, wie leicht es ihm über die Lippen kommt, darüber zu sprechen, eine Waffe zu nehmen und einfach seinen persönlichen Film laufen zu lassen.

Bauer macht das bewusst. Seine Gesprächs­partner sollen wissen, womit es die Gesellschaft zu tun hat, wenn die Zahlen des Verfassungs­schutz­berichts im Raum herumgeistern. Was dahinter in Wirklichkeit steckt.

Prügel für die Mutter, ein Messerstich für den Vater

Begonnen hat es mit rechter Musik. Der Einstiegs­droge vieler in der Szene. Aufgewachsen im sächsischen Torgau in der DDR, haben ihn ältere Mitschüler mit der Band «Störkraft» angefixt. Der 11-Jährige mochte die Musik, wie Rocker von sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit sangen und von «Asyl­betrügern». Es dauerte nicht lange, bis auch er die Lieder auswendig mitgrölen konnte, bis auch er sich mit 13 die erste Glatze scherte, bis auch er die ersten «Assis» verprügelte.

Willi hiess der eine, den sie im Ort hatten. Eigentlich ein netter «Penner». War Bauer allein, schnorrte er Willi schon einmal eine Zigarette, war er hingegen im Rudel, schlug er ihn grün und blau, weil man das mit «Assis» eben so machte. Auch seine Eltern waren für ihn «Assis», mit ihren «hässlichen kommunistischen Scheiss­ansichten». Es war nach der Wende, 1991. Zu den klassischen Verlierern habe seine Familie gezählt, erzählt Bauer. Die Eltern, die früher noch in der land­wirtschaftlichen Genossenschaft gearbeitet haben, waren mit einem Mal arbeitslos. Der Vater begann zu trinken.

Mit der Faust hat Bauer seiner Mutter ins Gesicht geschlagen. Sie hatte sich geweigert, ihm Geld für Zigaretten zu geben. Er solle doch seine «Nazi­schweine» fragen, hat sie gesagt. Da hat es bei Bauer klick gemacht. Er konnte sich nicht beherrschen. Als sein Vater einschritt, stach er ihm mit einem Butterfly­messer in die Schulter.

Da war Bauer gerade einmal 18 Jahre alt. Monoton ist seine Stimme, als er die Episode erzählt. Ein Jahr darauf gründete er seine Gruppe, den «Bund Arischer Kämpfer». Quatsch sei das eigentlich gewesen, nichts, was man ernst nehmen müsste, eine Gruppe von 20 Rechtsgesinnten aus der Gegend, die gerne viel saufen, grillen und hin und wieder «kloppen» gegangen sind vor der Disco oder dem Jugendklub.

Was man halt gemacht hat im Osten. Was viele Jungs in seinem Alter gemacht haben im Osten.

Bis die ersten Asylheime brannten

Neonazis im Osten? Gibt es nicht. Die Nazis, die waren drüben im Westen, hiess es in der DDR. An dieser Propaganda galt es eisern festzuhalten, erinnert sich Bernd Wagner. Der ehemalige Polizist und Kriminalist ist in Deutschland eine Koryphäe auf dem Gebiet des Rechtsextremismus. Seit den Siebzigern beschäftigt sich der heute 65-Jährige mit dem Thema, zum ersten Mal als Soldat der Nationalen Volks­armee, der Armee der DDR, wo er sich als junger Mann mit Neonazis prügelte. Später als Kriminalistik­student an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo manche Kommilitonen Lobes­hymnen auf den National­sozialismus hielten.

Ab 1981 arbeitete er bei der Kriminal­polizei und beobachtete, wie junge Neonazis im Osten ihr Netzwerk spannten. Von der DDR-Spitze seien sie als verhaltens­auffällige Jugendliche verharmlost worden, eine randalierende Subkultur, die den antifaschistischen Charakter der DDR nicht habe infrage stellen können, erinnert sich Wagner. Die Propaganda wurde übrigens auch von den Kollegen im Westen geglaubt. Nach der Wende traf er sich mit ihnen, und sie legten ihm alte Zeitungs­berichte aus der DDR vor, die Wagner beweisen sollten, dass es «bei ihm drüben» keine Neonazis gebe. Dementsprechend sahen dann auch die Massnahmen aus: Mit beherzter Sozial­arbeit wollte man den Fehl­entwicklungen vorbeugen, und niemand begriff, dass die kahlrasierten Schädel mehr waren als nur ein paar verpeilte Jugendliche.

Anfangs dominierten noch die Auseinander­setzungen zwischen Rechts­extremen und ultra­linken Gruppierungen, «ein Kampf um Raumordnung» nennt es Wagner. Später verlagerte sich der Fokus. Die Ausländer standen zunehmend im Mittel­punkt. Spätestens dann, als nach der Wende der damalige Innen­minister Wolfgang Schäuble Asyl­bewerberinnen auch im Osten unter­bringen wollte. «Die Bevölkerung war auf so einen Akt damals nicht eingestimmt gewesen», erklärt Wagner. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Menschen mit sich selbst zu kämpfen: ein Staat, der nicht mehr war; Unter­nehmen, die privatisiert wurden; Hundert­tausende, die ihre Arbeit verloren; und ein arroganter Westen, der alles besser wissen wollte. «Die Neonazis haben das als Aufforderung betrachtet, sich an die Spitze einer Unmuts­bewegung zu stellen», erzählt Wagner. Zum General­thema haben sie die Asyl­bewerber gemacht, beim Bäcker, im Wirtshaus, in den Jugendklubs.

Die Behörden ignorierten das Problem. Wagner nicht. Als Leiter des Staats­schutzes im Gemeinsamen Landes­kriminal­amt der neuen Bundes­länder warnte er vor einer rechten Gewalt­welle. Seine Kollegen winkten ab. Und zeigten ihm die Zeitungs­schnipsel aus dem Osten. Alles nur Panikmache.

Bis die ersten Asylheime brannten.

In der sächsischen Kleinstadt Hoyerswerda war der Auftakt, als Neonazis im September 1991 knapp eine Woche lang mit ihrem Angriff auf ein Flüchtlings­wohnheim die Stadt in einen «faschistischen Ausnahme­zustand» versetzten. Es blieb nicht dabei. Es folgten Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen. Orte, die zu Synonymen dafür wurden, dass Deutschland ein Problem hat, das die Behörden lieber unter den Teppich kehrten.

Das «multikulturelle Vasallenheer»

Der Ex-Nazi Manuel Bauer hatte damals ein paar Kameraden in den Behörden. Die kamen gerne vorbei zum Grillen. Und sie warnten, wann es wo Kontrollen gebe, welche Gegen­stände man heute besser nicht zur Demo mitnehme und welche Musik, vielleicht an dem Abend, nicht so laut aufgedreht werden sollte.

Ahnungslos seien viele in den Behörden. Heute wie damals. Trotz ihrer guten Bekanntschaften. Oftmals planten Bauers Leute Aktionen, die nur als Ablenkung dienten für die eigentliche, viel grössere Tat. So wie damals, als sie vorgaben, Linke im Jugend­klub zu «kloppen», und in Wirklichkeit mit 20 Mann zu der kurdischen Hochzeit gefahren sind, um dort die Sau so richtig rauszulassen.

Eigentlich wollte Bauer damals nur Soldat werden. Schon als Kind hat er den Onkel bewundert, der Offizier in der Nationalen Volks­armee war. Die Uniform, im Dreck robben, die Gemeinschaft, sein Vater­land verteidigen. Und natürlich das Schiessen.

Später, als er selbst zum Wehr­dienst einberufen wurde, platzte der Traum. Mit dem «multikulturellen Vasallen­heer» konnte er nicht viel anfangen. Wegen unehrenhaften Verhaltens wurde er entlassen. Er hatte mit drei Kameraden auf dem Zimmer den 20. April gefeiert, Hitlers Geburtstag. Als ihn ein Offizier, dessen Familie aus Polen stammt, massregelte, wurde er handgreiflich. Vor Gericht verteidigte er sein Verhalten. «Wenn die Polacken uns jetzt angreifen, glaube ich nicht, dass dieser miese Pole neben mir steht und auf seine Lands­leute schiesst. Der wird hinter mir stehen und mit der Waffe auf meinen Rücken zielen», hat er damals argumentiert.

Seine Entlassung bestätigte sein Weltbild. Bauer wurde noch aktiver. Jetzt, wo er das Schiessen gelernt hatte, brachte er es seinen Kameraden bei. An Wochen­enden fuhr er mit ihnen auf ehemalige Truppen­übungs­plätze des Sowjet­militärs in Tschechien. Europas rechte Szene traf sich dort, man begegnete Gleich­gesinnten aus Polen und Ungarn.

Eine Nazi-Karikatur aus Hollywood

Gearbeitet hat Manuel Bauer damals nie. Hin und wieder gab es Geld vom Arbeits­amt, sofern er sich dort nicht beschwerte, dass er sicher nicht diesem «zionistischen Staat, der antideutsche Subjekte gegen mich und meine Kultur finanziert, meine Muskel­kraft zur Verfügung» stelle.

Bauer prüft kurz den Blick seines Gegenübers. Er möchte sehen, wie seine Sprache ankommt. Wie eine Parodie kommt sie an. Sie erinnert an Hollywood­streifen, in denen Schauspieler als Nazis wie Karikaturen von Rasse, Subjekten und unwertem Leben schwadronieren. Auch Bauer klingt so, wenn er etwa erklärt, wie er aufgrund kruder Stammbaum­theorien, die ihm jahrelang eingebläut wurden, sogar Kinder schlagen konnte. Einen Tritt hat er dem kleinen indischen Mädchen gegeben, das ihm mit seiner Familie zur falschen Zeit am falschen Ort den Weg versperrte.

Wie geht das, Herr Bauer?

In den Schulen erklärt er es immer so: «Wenn der Gärtner auf Urlaub fährt, dann wuchert das Unkraut. Da reicht es nicht, wenn ich nur oben das Unkraut abschneide. Die Wurzel ist das Problem. Mit den Migranten ist es genauso. Der Nachwuchs ist die Wurzel.»

So geht das.

«Glaubst du wirklich, dass das Vierte Reich kommt?»

Mit 21 Jahren landete Bauer im Gefängnis, wegen «räuberischer Erpressung». Dort legte ihm die Leitung nahe, mit Exit, einer Organisation für Aussteiger, in Kontakt zu treten. Er tat es, mehr aus opportunistischen Gründen als einem tatsächlichen Interesse auszusteigen. Kommt sicher gut vor Gericht, dachte er sich.

Er dockte bei Exit an. In Talkshows und Interviews gibt Bauer immer wieder an, dass der Kontakt als solcher schon die Initial­zündung gewesen war für den endgültigen Ausstieg Jahre später. Denn als seine Kameraden im Gefängnis heraus­fanden, dass er sich bei der Organisation gemeldet hatte, setzte es Prügel beim Hofgang. Ausgerechnet zwei türkische Mithäftlinge kamen ihm, dem Neonazi, zu Hilfe.

Heute sagt er, dass viele Faktoren mitgespielt hätten. Es war ein langer Prozess, sich endgültig von der Szene zu lösen. Ausschlag­gebend waren seine beiden Betreuer bei Exit, Georg Simonsky und Bernd Wagner, der das Aussteiger­programm gegründet hatte. Sie waren es, die den Zweifel gesät haben, stetig, sachte und manchmal nur nebenbei. «Manu, bist du wirklich so klug, wenn du glaubst, dass das Vierte Reich kommt? Und sich jeder dafür entscheidet?», hat Simonsky immer wieder neckisch gefragt.

Das gab Bauer zu denken.

Restmoralität in der Szene

750 Menschen hat Exit in den vergangenen 20 Jahren aus der Szene geholt. Es ist Bernd Wagners Lebens­projekt. 2000 hat er den Verein mit dem ehemaligen Neonazi Ingo Hasselbach gegründet. Derzeit arbeiten 5 Personen für den Verein. Langwierig und kräfte­raubend ist die Deradikalisierungs­arbeit. Mit ein paar Projekten, wie es die Ministerien gerne sähen, werde aus einem Neonazi nicht so schnell ein demokratie­liebender Mitbürger, sagt Wagner. Es braucht Zeit und Vertrauen. In der Regel begleitet Exit die Aussteiger zwischen 1 und 3 Jahren, in einigen Fällen sogar 14 Jahre. Manche gehören zu den führenden Persönlichkeiten der Szene, brauchen beim Ausstieg besonderen Schutz, müssen nicht nur den Wohnort wechseln, sondern auch den Namen. Nicht alle schaffen es unversehrt. Es habe schon Todes­fälle gegeben, erzählt Wagner, auch Suizide und Attacken auf Angehörige.

Zwischen 40 und 50 Leute melden sich bei Exit pro Jahr. Nach dem Amok­lauf in Hanau waren es auch wieder einige. «Wenn brutale Ereignisse stattgefunden haben, melden sich im Nachgang vermehrt Personen. Es zeigt, dass auch in dieser Szene eine Rest­moralität herrscht», sagt Wagner. Männer aus dem Militär und der Polizei mussten jedoch abgewiesen werden, weil Exit aus finanziellen Gründen die Verantwortung für ihren Ausstieg nicht übernehmen kann: Es gehe schliesslich auch um eine Frage der Sicherheit der Betroffenen – wenn sie in ein paar Monaten ohne professionelle Unterstützung dastehen, könne das für sie gefährlich sein.

Das Projekt stand Ende 2019 auf wackligen Füssen. Alle paar Jahre bangen Wagner und sein Team um die Fortsetzung ihrer Arbeit. In Zeiten, in denen die Politik gross­mundig erklärt, dem Rechts­extremismus, auch in den eigenen Reihen, den Kampf anzusagen, muss seine Organisation beim Familien­ministerium um Almosen betteln. Für die nächsten 3 Jahre ist die Finanzierung nun wieder gesichert, vorerst.

Konfrontation mit den einstigen Opfern

Manuel Bauer ist vor 14 Jahren ausgestiegen. Er ist nun fast so lange draussen, wie er in der Szene drinnen war. Seither tourt er an deutschen Schulen. Am Ende seiner Vorträge appelliert er jedes Mal an die Jugendlichen, bloss niemanden in der Klasse hängen zu lassen und ihn als Rechten abzustempeln, sondern ihn einzubeziehen und ihm zu zeigen, «wie geil» die Demokratie ist und dass es sich lohnt, für sie zu kämpfen.

Manuel Bauer muss los. Am Vortag hat er lange gearbeitet, als Sicherheits­mann. Er hat seiner Tochter versprochen, den heutigen Nachmittag mit ihr zu verbringen. 4 Jahre alt ist sie. Fast so alt wie das indische Mädchen damals, das er verprügelt hatte. «5 Jahre war die kleine Maus», sagt er. Es klingt weich. Als junge Frau hat sich das indische Mädchen Jahre später bei ihm gemeldet. In Berlin haben sich die beiden getroffen. Freundlich distanziert war das Gespräch. Sie habe versucht die Tränen zu verstecken, erinnert sich Bauer. Die Familie ist nach dem Vorfall weggezogen aus der Kleinstadt. Der Vater hat bis heute Schuld­gefühle, dass er seine Familie nicht besser verteidigen konnte. Das Mädchen hat begonnen Jus zu studieren, um das deutsche Rechts­system zu verstehen, zu begreifen, wie es möglich war, dass der Täter nie gefasst wurde. Sie konnte sich noch an jedes Detail dieses Tages erinnern, den Tritt in ihr Gesicht, den Geschmack der Pflastersteine auf der Strasse.

Wieder ist sie da, Bauers monotone Stimme, die vor wenigen Sekunden noch so weich klang, als er von «der kleinen Maus» sprach. «Ich konnte mit dem Ganzen nichts anfangen, als mir die junge Dame das erzählt hat. Das war mir ziemlich egal», sagt er. «Ich hatte keinen Bezug zu dieser Frau.» Leid tat es ihm schon, sie verletzt zu haben. Aber im Kopf, nicht im Herzen. Da spürte er nichts.

Zum Abschied bleibt eine letzte Frage. Hätte er sich vor 14 Jahren mit jemandem zum Gespräch getroffen, dessen Name nicht Deutsch klingt?

Manuel Bauer mustert wieder sein Gegenüber. «Ich hätte Sie einmal abgeklopft, was Sie zu Israel sagen. Aber natürlich hätte ich gesagt, Sie selbst sind nichts wert», sagt er.

Hätten Sie zugeschlagen, Herr Bauer?

«Das nicht.»

Dann wirft er nach: «Nicht am helllichten Tag.»

Homemade in Germany

Folge 2

Der Ver­fas­sungs­schüt­zer: Nazis jagen

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