Aus der Redaktion

Die Republik erkämpft Einsicht in Millionen­verträge im Asylwesen

Das Zürcher Sozialamt wollte Verträge mit Asylfirmen geheim halten. Dagegen ging die Republik juristisch vor – und bekam recht. Die Behauptungen der Behörde waren grob irreführend.

Von Carlos Hanimann, 01.05.2020

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Fast 120 Millionen Franken über fünf Jahre. Es war eine hohe Summe, die der Zürcher Sicherheits­direktor Mario Fehr im November 2018 für Aufträge an externe Dienstleister für die Betreuung von Asyl­bewerbern beantragte. Die Kantons­regierung willigte ein. Die Sicherheits­direktion vergab drei Millionen­aufträge an zwei externe Firmen: die private, gewinn­orientierte ORS Service AG und die öffentlich-rechtliche Asyl-Organisation Zürich (AOZ).

So gross die Aufträge auch waren, so klein war das mediale Echo. Selbst mit dem kantonalen Asyl­wesen vertraute Parlamentarier gaben damals zu Protokoll, nicht über die Ausschreibung der Millionen­aufträge im Bild zu sein.

Vielleicht lag es daran, dass die Vergabe längst zur Routine geworden ist. Der Kanton Zürich macht das schliesslich schon seit zwanzig Jahren so: Nicht der Staat betreut Asyl­suchende und abgewiesene Asyl­bewerber, sondern er beauftragt die externen Asyl­firmen ORS und AOZ mit dieser Aufgabe. Vor allem die gewinn­orientierte ORS, die über verschiedene Holdings im Besitz einer Private-Equity-Firma in London ist, sorgt seit vielen Jahren immer wieder für Kritik. Der Vorwurf lautet im Kern: Sie mache Profit mit dem Elend von Geflüchteten.

Es geht um Beträge im zweistelligen Millionenbereich

Das Geschäft mit Asyl­suchenden ist ein Millionen­geschäft. Die seit Jahrzehnten führende ORS setzt in der Schweiz jährlich rund 100 Millionen Franken um (der 2019 erstmals öffentlich ausgewiesene Gewinn soll 1,3 Millionen Franken betragen haben). In den vergangenen Jahren hat die ORS vermehrt Konkurrenz von der AOZ erhalten, die vom ehemaligen Zürcher SP-Stadtrat Martin Waser präsidiert wird. Sie setzte 2018 rund 250 Millionen Franken um.

Die beiden grossen Player ORS und AOZ teilen sich nicht nur den Betrieb der Asyl­zentren des Bundes (jährliches Auftrags­volumen: maximal je 25 Millionen Franken), sondern auch die Aufträge des Kantons Zürich.

Die AOZ übernimmt bis ins Jahr 2024 den Betrieb der Durchgangs­zentren (28,2 Millionen Franken) und die Betreuung von unbegleiteten minder­jährigen Flüchtlingen (54,9 Millionen Franken). Die ORS erhielt lediglich den Auftrag, die Rückkehrzentren für abgewiesene Asylbewerber zu betreiben (33,6 Millionen Franken).

Obwohl der Kanton Zürich seit zwanzig Jahren auf externe Dienst­leister setzt, sind bis heute kaum Details über die Vereinbarungen mit den Unter­nehmen bekannt. Zwar haben Parlamentarierinnen, Hilfs­organisationen und Anwälte immer wieder versucht, Einblick in die Geschäfte der externen Anbieter zu bekommen. Aber meistens blieben sie erfolglos.

Politische Anfragen, mit denen Genaues über die kantonalen Vorgaben oder das Controlling der externen Dienst­leistungen in Erfahrung gebracht werden sollte, wurden vage beantwortet: Es gebe Leistungs­verträge, es werde Bericht erstattet, es werde kontrolliert. Wie die Zusammen­arbeit genau aussah, wie die Verträge ausgestaltet waren, blieb einiger­massen nebulös. Selbst Forscherinnen im Auftrag des Bundes blieb in der Vergangenheit der Zugang zu Informationen über die Zustände in den kantonalen Unterkünften verwehrt.

Das Sozialamt hatte ganz offensichtlich kein Interesse daran, dass die Öffentlichkeit genau über die Zusammen­arbeit mit privaten Asyl­firmen Bescheid wusste.

Die Republik wollte das ändern.

Kurvenreiche Argumentation, gerade Botschaft

Wenige Wochen nachdem der Kanton die Millionen­verträge an die ORS und die AOZ vergeben hatte, reichte die Republik ein Einsichts­gesuch nach kantonalem Öffentlichkeitsgesetz ein: Das Sozialamt solle alle neu abgeschlossenen sowie die ausgelaufenen Leistungs­verträge mit den externen Dienst­leistern offenlegen.

Ähnliche Einsichts­begehren sind auf Bundes­ebene seit Jahren gang und gäbe. Ein vergleichbares Einsichtsgesuch der Republik bei der Zürcher Justizdirektion ist ebenfalls positiv beantwortet worden.

Doch das Sozialamt lehnte ab.

Über ein Jahr lang hielt Amts­chefin Andrea Lübberstedt die Verträge unter dem Deckel. Zuerst drohte ihr Amt mit hohen Gebühren. Dann behauptete es, die Offen­legung der Verträge würde Geschäfts­geheimnisse verletzen. Und schliesslich stellte es sich auf den Stand­punkt, die Dienst­leister erfüllten gar keine öffentlichen Aufgaben und seien deshalb nicht dem Öffentlichkeits­gesetz unterstellt.

Die Argumentation war kurvenreich, die Botschaft sehr gerade: Steckt eure Nase nicht in unsere Angelegenheiten.

Die Republik ging schliesslich juristisch gegen die Geheimnis­krämerei vor. Und hat nun recht erhalten: Das Sozialamt muss Transparenz herstellen und die Republik für die Umtriebe entschädigen. Das hat das Verwaltungs­gericht Zürich entschieden.

Das Verwaltungs­gericht gibt der Republik in wesentlichen Punkten recht:

  • In die Verträge mit der ORS erhält die Republik «umfassend» Einsicht. Denn das Sozialamt hatte in seinen Stellung­nahmen verschleiert, dass die ORS gar nie auf Geheim­haltung der Verträge gepocht hatte. «Dem Gesuch um Informations­zugang von Carlos Hanimann, Redaktor bei der Republik, steht aus unserer Sicht nichts entgegen», schrieb die ORS in einer Stellung­nahme an das Sozialamt. Bei einer allfälligen «direkten Anfrage» werde man die Antworten mit dem Kanton absprechen.

  • Zu den Verträgen mit der AOZ schreibt das Verwaltungs­gericht, das Sozialamt habe «nur pauschal und nicht genügend substanziiert Geschäfts­geheimnisse vorgebracht». Die AOZ hatte zunächst vergessen, Stellung zu nehmen, und musste vom Sozialamt daran erinnert werden. In der Stellung­nahme schrieb die AOZ dann, sie habe «grund­sätzlich kein Interesse daran, dass für allfällige Mitbewerbende interessante Informationen veröffentlicht werden». Auf konkrete Vertrags­inhalte geht die AOZ aber nicht ein, wie das Verwaltungs­gericht festhält. Die AOZ erhält nun noch einmal Gelegenheit zur Stellung­nahme, ob durch eine Heraus­gabe der Verträge vereinzelt Geheimnisse tangiert seien.

Nachdem selbst die private Aktien­gesellschaft ORS keine Einwände gegen die Transparenz vorgebracht hat, dürfte es für die öffentlich-rechtliche AOZ allerdings schwierig werden, die Verträge geheim zu halten. Schliesslich hat die Sicherheits­direktion im kantonalen Parlament schon mehrmals bestätigt, die Verträge der AOZ und der ORS seien «identisch». Die AOZ forderte in der Stellung­nahme an das Sozialamt zudem, «dass ORS und AOZ hier Gleich­behandlung erfahren» – dass also «je die gleichen Unter­lagen öffentlich zugänglich» gemacht werden.

Das Urteil des Verwaltungs­gerichts ist nicht endgültig. Das Sozialamt kann den Entscheid – wegen des corona­bedingten Fristen­stillstands – bis Mitte Mai ans Bundes­gericht weiterziehen. Erst nachdem das Urteil in Rechts­kraft erwachsen ist, wird die Republik die Verträge einsehen können – und darüber berichten.

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