Corona-Korrespondenz – Folge 5

Liebe Fatima, es ist interessant, wie viele aufblühen in dieser, wie heissts, Solidaridität

Der Rapper und Spoken-Word-Poet Laurin Buser steht regelmässig mit Fatima Moumouni auf der Bühne. Nun schickt er ihr einen Brief durch den corona­verseuchten Äther – über die kleinen Ekstasen und grossen Fragen der Quarantäne-Tage.

Von Laurin Buser (Text) und Elisabeth Moch (Illustrationen), 30.04.2020

Synthetische Stimme
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Liebe Fatima,

ich stinke nach Rauch. Wir waren gestern grillen. Mit Friends! Das war die erste gemeinschaftliche Aktion seit Beginn der Mass­nahmen. Es war Ekstase. Echte Menschen, ruckel­freie Gespräche, Lach­krämpfe: Mein Herz ist fucking explodiert!

Wir haben dabei natürlich auf die gängigen Vorsichts­massnahmen geachtet. Zu fünft waren wir, allesamt nicht Risiko­gruppe, im Wald, sassen mit Abstand ums Feuer. Also «Wald» ist übertrieben. Der Allschwiler Wald ist eher ein Park, hat mit Wildnis so viel zu tun wie Zoogehege, überall ausgetrampelte Wege, Grill­stationen, Vita­parcours, sogar die Äste zum Feuer­machen sehen aus, als würden sie von der Stadt­gärtnerei bereit­gestellt. Und überall Horden von Joggenden, Kindern, Seniorinnen und Senioren. Alle flüchten sich in die «Natur», dabei ist es in der Innen­stadt mittlerweile viel leerer.

Auch haben alle ihr eigenes Zeug mitgebracht. In Pre-Corona-Zeiten konnte ich das ja nie ausstehen, wenn Leute bei Grills säuberlich abgezählt nur ihren eigenen Proviant mitbrachten; diese Leute, die Schnapp­atmung kriegen, wenn man in ihre überteuerte Chips­packung greift. Und nun sollen wir alle so sein? Grosszügig verteilte ich also zuerst das Desinfektions­mittel und teilte dann das Brot. Es gibt immer Wege, nicht komplett asozial zu sein.

Finds auch traurig, wie viele so was sagen wie: «Das ist für mich die beste Zeit seit langem. Keine sozialen Verpflichtungen mehr!»

Meine Augen mussten sich erst wieder an 3-D gewöhnen. Und wenn jemand was sagte, wusste ich nicht sofort, wer sprach, da ich die grüne Umrandung von Zoom vermisste.

Eine Grillstelle weiter sassen ein paar Teenies, die zuerst Shindy, dann AC/DC und dann Dabu Fantastic hörten. Also wie Radio. Beim Eindunkeln zogen sie ab. Zeitgleich ertönte eine Durchsage, die durch die Bäume hallte: «Kantons­polizei Basel­land, ruume Si bitte schnäll de Platz, suschd giz e Buess und e Aazeig!» Unser Feuer hatte da gerade erst so richtig zu brennen begonnen. Wir hatten uns doch informiert. Sogar double­gecheckt, ob wegen der Dürre ein komplettes oder nur ein bedingtes Grillverbot herrscht. Und nun drohten die mit einer Anzeige?

Für einige hier bedeutet Corona ja zum ersten Mal Kontakt mit der Staats­gewalt. Wenn sie sich dazu entschlossen haben, sich auf ein Feierabend­bier am Rhein zu treffen, und dann die Streife kommt und auf den fehlenden Abstand unter­einander hinweist, dann ticken so manche gut gesittete Steuer­zahler aus, reden von Polizei­staat und Diktatur, und alles nur wegen dieses Corona. Denken sie dabei auch eine Sekunde daran, dass diese «nie da gewesene Polizei­präsenz» für viele in diesem Land ziemlich normal ist? Aufgrund Hautfarbe und sonstiger Äusserlichkeiten? Und dass das durch Corona auch sicher nicht plötzlich ausgeglichener wird?

Die Durchsage wiederholte sich: «… suschd giz e Buess und e Aazeig!» Die Teenies kicherten. Sie haben uns eiskalt verarscht. Was wir da hörten, war eine Aufnahme, die sie über ihre Boxen abspielten. Leichte Enttäuschung. Vielleicht hoffte ich insgeheim, dass einer kommt und sich in Rage redet und flucht, bis ein kleiner Speichel­tropfen – wie in einem alten Text von dir! – auf meiner Lippe landet. Richtig Bock hätt ich auf die dann folgende Diskussion über gesunden Menschenverstand.

Manchmal macht mich das echt kirre alles. Ich meine, da sind sicher Leute, die mich für wahnsinnig und asozial halten, weil wir einmal grillen gehen. Und dann begegne ich wiederum Leuten, die offenbar in erster Linie darauf bedacht sind, klarzustellen, wie locker sie das alles nehmen. Letzthin war ich dabei, wie sich zwei zur Begrüssung die Hände gaben, eine dritte Person daneben hat laut aufgeschrien! – «Naaai!» Die beiden versicherten dann, dass sie es locker nehmen. «Aso ich nimms locker.» – «Ich au!»

Wenn ich die Tage hässig bin, sehe ich nur noch zwei Arten Menschen: Eso-Hippies und halbe Nazis. Und wenn ich mich dann beruhige, sehe ich, dass es tatsächlich eine gefährliche Menge Eso-Hippies gibt und natürlich auch echte Nazis, also solche, die Feuer legen. Schlechte Laune macht unfokussiert.

Es ist schwierig, eine Rolle zu finden in diesem Theater. So habe ich sogar jemanden gerügt. Ehe ich mich versehen habe, ists mir einfach so rausgerutscht.

Ich war hier ums Eck paar Snacks kaufen. An der Kasse feuchtete der Verkäufer dann seinen Finger an, nahm ein Plastik­seckli und begann dran rumzuzupfen. Da er das Seckli nicht aufbekam, begann er es zwischen seinen Hand­flächen zu reiben. Es half immer noch nicht. Also dritte Eskalations­stufe: Reinpusten. Aus voller Kehle blies er jetzt in mein Plastik­säckli. Und da ists dann passiert: «Aso Mösiö, si mien schone bizeli ufpasse!», hab ich gerufen. Und als er mich fragend anguckte – der Trick hatte ja funktioniert! –, zeigte ich mit einer dramatischen Geste auf die Luft um mich, nein, Fatima, ich zeigte gen Himmel.

Leicht kopfschüttelnd packte er dann meinen Einkauf ein und reichte mir die Tüte. Ich griff mutig nach dem vielleicht kontaminierten Säckli und hielt dabei die Luft an. Ich fand mich unausstehlich. Und warum habe ich ihn überhaupt Mösiö genannt? Woher kam das denn? Das ist etwas Unheimliches, Urbaslerisches, was da aus mir herausbrach.

Nun was Organisatorisches: Wir mussten doch Mitte Februar einen Auftritt absagen, weil du krank warst. Das ist uns in den fünf Jahren Zusammen­arbeit noch nie passiert, nie war jemand sick. (Also wir sind immer sick af, aber du weisst, was ich mein.) Ich hatte mich dort ein wenig genervt, weil die Veranstalter selbst­verständlich keine Gage zahlen in so einem Fall. Stattdessen hättest du laut Vertrag sogar ein Arzt­zeugnis vorlegen sollen. Sind wir unprofessionell, dass wir für krankheits­bedingte Ausfälle keine Versicherung haben? Hat Hazel Brugger so was? Ich hätte mich damals auch beinahe informiert, aber dann kam halt der Umzug, und an jenem Tag, als ich mit dem prall gefüllten Transporter in Basel einfuhr, wurde die Fasnacht abgesagt. Und kurz darauf alle unsere Shows. Und nun eben die Frage: Denkst du, wir können den Behörden irgendwie verticken, dass das im Februar ein Corona­bedingter Ausfall war?

Joooke! Is’ klar, wir hatten ja freiwillig aufs Arbeiten verzichtet. Ausserdem bräuchtest du ja ein Arzt­zeugnis. Und zur Ärztin soll man ja nicht, ausser es ist Notfall. Und auch Nothilfe kommt nicht in Frage. Zu gross die Sorge, dass die dann gucken, was ich so veröffentlicht habe in letzter Zeit. «Herr Buser, noch im Januar singen Sie in Ihrem neuen Song: ‹Gestern habe ich das Geld wieder einfach so verbrannt, aber wozu brauch ich Geld auf der Bank?› Sind Sie sich sicher, dass Sie an Corona pleite­gegangen sind? Oder vielleicht doch eher mit Corona? Oder haben Sie am Ende einfach generell schlecht gewirtschaftet?»

Auch Crowdfundings überlassen wir schön jungen Medien­unternehmen, oder? Denn was fragt der Mafioso Tony Soprano seinen Capo Silvio Dante? «Sil, erklärs ihnen. Welche zwei Businesses sind traditionell seit jeher rezessions­sicher?» Sil: «Bestimmte Teile des Show­business – und unsere Sache.» Dass das organisierte Verbrechen auch in Krisen überlebt, ist ja offensichtlich – siehe Mittel­meer – aber das mit dem Show­business wusste ich nicht. Glaubst du, die meinen so Kunst, wie wir sie machen? Fingers crossed!

Es ist interessant, wie manche regelrecht aufblühen in dieser neuen, Dings, wie heissts, Solidaridität. Einkaufen für ne gute Sache. Zusammen­halt im engsten, nachbar­schaftlichen Kreis. Wie engagiert die alle plötzlich werden, wenns zur Abwechslung mal um den eigenen Arsch geht.

Ok, jetzt bin ich wieder nur unkonstruktiv. Besser müsste man doch versuchen, genau diese Menschen, die jetzt im Namen der Solidarität «Stay the fuck home» vom Balkon rufen, für eine noch grössere Sache einzuspannen? Vielleicht haben die jetzt ja Blut geleckt? Corona als Solidaritäts-Einstiegs­droge – was meinst du?

Ich wünsch dir Ramadan Kareem und bis gly

Laurin
Basel, 25. April

Zur Adressatin

Fatima Moumouni ist Spoken-Word-Poetin und hat mehrere Poetry-Slam-Wett­bewerbe gewonnen. Daneben studiert sie Sozial­anthropologie an der Universität Bern. Moumouni gibt Anti-Rassismus-Work­shops an Schulen zu Sprach­betrachtung und Diskurssensibilisierung.

Zum Autor

Laurin Buser ist Rapper und Spoken Word-Poet. Mit Fatima Moumouni bildet er das Team «Zum Goldenen Schmied», gemeinsam sind sie amtierende deutsch­sprachige Poetry-Slam-Champions und touren mit ihrem Abend­programm «Gold». Busers letzte EP «Schmuck» erschien bei Samy Deluxes Label «Kunst­werkstadt». Diese Woche erscheint seine neueste Single «Wo warst du».

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