Serie «Corona-Cooking» – Folge 4

Mörsern gegen den angestauten Frust

Fehlt Ihnen in der Isolation die Exotik? Ein eigenwilliger Ausflug in eine der Küchen Malaysias, der helfen kann, Aggressionen abzubauen. In der vierten und letzten Folge der kleinen Corona-Kochserie: Schweine-Curry (Tofu geht auch).

Von Michael Rüegg (Text) und Lukas Lienhard (Bilder), 17.04.2020

Es muss so um die zwölf, dreizehn Jahre her sein, als ich mein gebrochenes Herz in Singapur zurückliess und mit dem Bus nach Kuala Lumpur fuhr. Das war mein erster Besuch in Malaysia und bis dato auch mein letzter. Ich wusste nicht sonderlich viel über das Land. Ausser dass es sehr muslimisch geprägt war. Und dass die Leute einen recht eigenen Akzent haben, wenn sie Englisch sprechen. Denn eine Mitschülerin am Gymnasium verbrachte irgendwo in Penang ein Austauschjahr. Als sie zurück war, klang sie beim Sprechen wie eine Rassistin, die Asiaten veräppelt.

Jedenfalls war ich in Malaysia nicht allein, die Strassen waren gesäumt von Busladungen saudischer Familien, die bei 36 Grad am Schatten den für ihre Verhältnisse kühlen Sommer genossen.

Serie «Corona-Cooking»

Gerade in Krisen­zeiten gilt es, die schönen Seiten im Leben nicht völlig auszublenden. Nun denn: Die Vorräte sind gehamstert – Zeit, etwas damit anzufangen. Hier ist die kleine, aber feine Corona-Serie für Heim­gastronomen.

Folge 3

Ve­ge­ta­ri­sche Bouil­la­baisse

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Ma­lay­si­sches Schweine-Curry

Einen Kontrast zu den saudischen Frauen im Nikab bildeten imposante europäische Kirchen, denen ich auf meinen ausgedehnten Spaziergängen durch die Stadt begegnete. Neben einer Kathedrale lag eine katholische Schule, auf der Strasse standen Nonnen, um sie herum schwirrten uniformierte Kinder.

Einige Wochen später war ich zurück in der Schweiz. Der Minarettstreit war in vollem Gang, die Abstimmung über die Initiative der SVP noch weit weg. Eine Leserbrief­schreiberin hatte ihre Gedanken in einer Tageszeitung veröffentlicht. Das las sich in etwa so: «Wir dürfen in islamischen Ländern schliesslich auch keine Kirchen bauen!»

Muezzin und Glockengebimmel

Ich fragte mich, wer «wir» waren und warum «wir» überhaupt in islamischen Ländern Kirchen bauen sollten. Mich jedenfalls hat noch nie das dringende Bedürfnis ereilt, in einem Land, in dem ich nicht lebte, eine Kirche zu bauen. Selbst hierzulande ist meine Kirchenbau­lust sehr gering. Dann erinnerte ich mich an die prächtigen Kirchen in Malaysia. Und auch im Land mit der grössten muslimischen Bevölkerung der Welt, in Indonesien, hatte ich mal eine Weile zwischen Moschee und Kirche gewohnt. Entweder der Muezzin schrie, oder die Glocken läuteten. Irgendwas tat immer.

Ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Religionen ist nicht garantiert, wenn die Mehrheit der Minderheit vorschreibt, dass diese Dinge nicht darf, die sie für sich in Anspruch nimmt. Was für die Gesellschaft im öffentlichen Raum gilt, hat auch in der Küche eine Bedeutung.

Zumindest, wenn wir uns mit der asiatischen beschäftigen. Denn Malaysia war insofern ein Erfolg, als die vielen Gerichte der Strassen­küchen mein geschundenes Ego wieder aufpolierten. Ich ass muslimisch, ich ass kantonesisch, ich ass indisch, und ich ass Dinge, die irgendwo zwischen all diesen Küchen und Kulturen liegen.

Wie das, womit wir uns in dieser Ausgabe befassen wollen: ein malaysisches Schweine-Curry.

Es waren Chinesen. Und es war Liebe

Wie jedes südostasiatische Land hat auch Malaysia einen nicht zu unterschätzenden Anteil chinesisch­stämmiger Bewohnerinnen. Sie geniessen zwar nicht dieselben Rechte wie die muslimischen Malaien, was nicht in Ordnung ist. Aber im öffentlichen Leben haben sie ihre Spuren hinterlassen.

Und dann gibts da noch die Peranakan, eine Bevölkerungs­gruppe sinomalaiischer Kultur, die schon seit Jahrhunderten existiert, als hokkien-chinesische Einwanderer den Reizen lokaler malaiischer Damen erlegen waren. Acht Millionen Asiatinnen und Asiaten sollen dazu zählen. Prominenter als die Menschen selber ist jedoch ihre deliziöse Küche, die Baba-Nyonya genannt wird, was wiederum ein Synonym für Peranakan ist und nichts anderes als «Mann-Frau» heisst.

Funfact: «Baba» ist im Dialekt der Peranakan eine ehrenvolle Bezeichnung für «Mann». «Babi» bedeutet auf Malaysisch «Schwein». Nicht verwechseln!

Diese etwas länglich geratene Einleitung verfolgt zwei Ziele:

  1. Da derzeit niemand von Ihnen in exotische Länder reist, zwingen wir die Exotik halt hierher. Darum die Einstimmung mit dem Reise­kurzbericht.

  2. Ich muss irgendwie eine Erklärung dafür liefern, wieso ein an sich muslimisches Gericht Schweine­fleisch enthält. Schuld daran sind eben jene Baba-Nyonya und ihr unverkrampftes Verhältnis zur Sau.

Dieses Gericht also ist toll, weil es wunderbar schmeckt, man nicht viel falsch machen kann und man es im Gegensatz zu den omnipräsenten Thai-Currys praktisch nirgendwo bestellen kann. Doch sein eigentlicher Wert liegt im Abbau von Aggressionen. Denn um ein wirklich befriedigendes Resultat zu erzielen, müssen Sie ganz viel mörsern. Um einen grossen Stein­mörser kommen Sie also nicht herum, aber so ein Ding hat man einfach im Haushalt.

Mörsern Sie also all Ihren Frust über die vergangenen Wochen einfach in dieses Curry. Sie werden begeistert sein. Das Rezept habe ich mir übrigens selber zusammen­gestiefelt. Die Formel fürs Pulver hatte ich irgendwann so weit verfeinert, dass ich sehr glücklich damit war. Dann verlegte ich den Zettel, auf den ich die Mengen notiert hatte, was mir etwas peinlich ist. In etwa ging das so:

Fürs Pulver: 4 TL Koriander­samen, 1,5 TL Kreuz­kümmel, 1 TL Fenchel­samen, 0,5 TL Kardamom­samen, 1 TL schwarzer Pfeffer, 0,5 TL Nelken, 1 kleine Stange Zimt, 2 TL Kurkuma, 0,5 TL Chilipulver.

Alle noch ungemahlenen Zutaten in den Steinmörser und drauf rumhauen, bis alles pulverisiert ist und Sie nicht mehr das Bedürfnis haben, Ihren Mitbewohnenden wehzutun. Dann mit den bereits gemahlenen Zutaten mischen (im Idealfall sind das nur Kurkuma und Chili).

Für die Paste: 3 bis 4 Knoblauch­zehen, 2 Schalotten oder kleine Zwiebeln, 1 Stück Ingwer in der Grösse des Daumens eines kräftigen Bauern, 2 bis 3 Stängel Zitronen­gras, frische, kleine rote Chilis oder eingeweichte getrocknete (etwas grössere) Chilis, je nach Mut, die Kerne und Fasern, an denen sie haften, besser entfernen.

Alles erst von Hand einigermassen klein schneiden und in den Mörser geben, den Sie gerade vergeblich von den Pulver­rückständen gereinigt haben. Mit aller Kraft zu einer Paste mörsern.

Restliche Zutaten: gut 600 g Schweins­geschnetzeltes oder von Hand etwas gröber geschnittenes mageres Schweine­fleisch, was immer der Supermarkt hergibt. Etwa ein halbes Kilo Kartoffeln. 2 bis 3 Zwiebeln, in Streifen geschnitten. 1 grosses Tetrapak Kokos­milch (oder zwei bis drei kleine). 0,5 Limetten. Etwas Schweine­bouillon (gibts von Knorr im Asien-Laden) oder sonst eine Bouillon. Alternativ geht auch etwas helle Sojasauce.

In einer Bratpfanne mit hohem Rand oder einem Topf erster Güte nun mit etwas Öl das Pulver leicht anrösten. Dann die Paste dazugeben und anbraten. Zwiebeln dazu. Wenn alles schön verteilt ist, Fleisch hinein, anbraten. Dann in Würfel geschnittene Kartoffeln beigeben. Alles schön umrühren, dann die Kokosmilch hinein. Bei geringer bis mittlerer Hitze und gelegentlichem Rühren die ganze Schweinerei etwas einkochen lassen. Falls Sie unbedingt kosten müssen: Es schmeckt erst mit der Zeit vernünftig. Mit etwas stark konzentrierter Schweine­bouillon (oder was auch immer) würzen. Nach einer knappen halben Stunde sollte das Curry etwas eingedickt sein. Nun nach Geschmack Limetten­saft dazugeben und so lange nachsalzen, bis Sie ein gutes Gefühl bei der Sache haben. Allenfalls ein paar Prisen Zucker dazu, kann Wunder wirken.

Wäre das ein Rendang Daging, eine Art malaysisches National­gericht mit Rind, würden wir länger kochen und hätten am Ende ein eher trockeneres Curry. Diese Variante sollte aber ruhig so cremig wie ein Zürcher Geschnetzeltes sein, definitiv weniger suppen­artig als ein durchschnittliches Thai-Curry.

In diesem Curry stecken nicht nur all Ihre Aggressionen, sondern so viele verschiedene Aromen, dass es nicht so wichtig ist, ob Sie vom einen zu viel oder zu wenig drin haben. Probieren Sie einfach aus, und lassen Sie sich von Ihren (positiven) Gefühlen leiten.

Dazu servieren wir – na, was wohl? – den im Reiskocher zubereiteten Jasminreis, den Sie seit Mitte März gebunkert haben. Wenn Sie im Kühlschrank eine noch nicht kompostierte Gurke finden, schneiden Sie sie in Scheiben und servieren Sie sie dazu. Aus ominösen Gründen schmeckt Gurke ganz herrlich zu diesem Curry, vor allem dann, wenn es auf der scharfen Seite gelandet ist. Wenn Ihnen das noch nicht grün genug ist, geben Sie in Gottes Namen halt noch etwas frischen Koriander drüber.

Übrigens kann man das Schweine­fleisch problemlos durch festen Tofu ersetzen. Gibt ein sehr ähnliches Resultat, das obendrein für evangelikale Vegetarier, schiitische Musliminnen, Hindu­priesterinnen, buddhistische Mönche und modern-orthodoxe Jüdinnen geeignet ist. Falls Sie nach Corona mal wieder das Bedürfnis nach einer gemischten Tafel haben. Vielleicht hat der zarathustrische Kollege aus der IT-Abteilung ja auch Zeit und Lust.

Was den Wein betrifft

Versuchen Sie Ihr Glück mit einem Gewürz­traminer Grand Cru aus dem Elsass, die haben in der Regel etwas Restsüsse. Oder mit einem gehaltvollen Marsanne aus dem Wallis, der dort Ermitage heisst und häufig ebenfalls mit Restsüsse ausgebaut wird. Bier ist auch nicht verkehrt. Und der Schiitin schenken Sie Tee aus.

Zum Fotografen und zur Foodstylistin

Lukas Lienhard, 38, lebt in Zürich. Er ist spezialisiert auf die Fotografie von Essen und Kulinarik, von der Reportage über einen Landwirt bis zum Porträt einer Spitzenköchin. Dschin Halbheer ist als Foodstylistin an der Serie beteiligt, sie ist Sous-Chefin in der Krone Altstetten.

Serie «Corona-Cooking»

Folge 3

Ve­ge­ta­ri­sche Bouil­la­baisse

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