Das tödliche Corona-Paradox in der Medien­industrie

Unser Newskonsum war nie grösser als jetzt. Corona treibt die Klickzahlen in die Höhe – und führt die Schweizer Medien­konzerne an den Abgrund. Wie passt das zusammen?

Von Philipp Albrecht, Elia Blülle und Bettina Hamilton-Irvine, 03.04.2020

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Beim «Blick» haben sie vergangene Woche kurz gelacht. Das passiert auf Schweizer Redaktionen derzeit selten. Die Angestellten erfuhren, dass die sonst konstant sinkenden Verkaufs­zahlen des gedruckten «Blicks» an den Kiosken im März wieder gestiegen sind: Viele Menschen haben mehr Zeit zum Lesen und wollen sich über die rasanten Entwicklungen zur Pandemie informieren. Sie kaufen Zeitungen.

Eigentlich eine gute Entwicklung für die Verlage. Doch obwohl die Nachfrage auf dem Leser­markt steigt, droht den Zeitungs­häusern ein Debakel. Um den Konkurs zu vermeiden, melden sie Kurzarbeit an und bitten den Staat um finanzielle Sofort­hilfe. Christoph Tonini, der Chef des grössten Schweizer Medien­hauses TX Group, beschrieb die wirtschaftliche Situation seines Unter­nehmens vor der Belegschaft vor kurzem als «katastrophal».

Überall im Land bleibt das Pendlerblatt «20 Minuten» in den Boxen liegen, weil der Berufs­verkehr eingebrochen ist. Als Konsequenz schaltet niemand mehr Werbung in der Gratis­zeitung. Der Seiten­umfang wurde nahezu halbiert. Aber nicht nur darum wurden bis zu 80 Prozent der Inserate storniert, wie der Verband Schweizer Medien ausgerechnet hat. Es gibt in der Werbe­wirtschaft auch eine Art ungeschriebenes Gesetz: Wer in Krisen­zeiten Werbung schaltet, kann sein Geld auch gleich zum Fenster hinauswerfen.

Deshalb trifft die Corona-Pandemie jene Medien­unternehmen besonders hart, die ihr Geschäfts­modell auf Werbe­finanzierung aufgebaut haben. Allen voran die grossen vier: NZZ, Ringier, TX Group und CH Media.

Sie generieren die höchste Wert­schöpfung, beschäftigen am meisten Menschen und erreichen mit den bekanntesten Titeln im Land die grösste Reichweite. Sie betreiben Zeitungen, Magazine, News­portale, Radios und TV-Sender. Seit ein paar Jahren verkaufen sie auch Job- und Wohnungs­inserate im Internet, veranstalten Konzerte und Film­festivals, vermarkten Fussball­klubs oder programmieren angesagte Apps. In fast allen Bereichen sind die Einnahmen wegen Corona dramatisch eingebrochen.

Seit die TX Group vor zwei Wochen Kurzarbeit angekündigt hat, überschlugen sich die Ereignisse: Innert weniger Tage folgte fast die gesamte Konkurrenz. Allerdings bekämpft man sich in Krisen­zeiten nicht ganz so stark wie sonst. Die Chefs der Verlage sprachen sich ab und entschieden sich im Grundsatz für die gleichen Massnahmen. Sie zeigen, wie die Schweizer Medien­verlage die wohl grösste Krise ihrer Geschichte bewältigen wollen.

1. Wie die Notbremse gezogen wird

Der Entschluss, die Hilfe des Staates in Anspruch zu nehmen, fällt bei der TX Group in der dritten Märzwoche. Das grösste Schweizer Zeitungs­haus, das bis Ende 2019 noch Tamedia hiess, ist als einziges der vier an der Börse kotiert. Das zwingt den Konzern zu Transparenz.

Am 20. März informiert Arthur Rutishauser die Deutsch­schweizer Redaktionen. Er ist eine Art Super-Chefredaktor der Zeitungen von Tamedia, wie der Bereich der Bezahl­medien innerhalb der Verlags­gruppe noch immer heisst. Dazu gehören neben dem «Tages-Anzeiger» und der «Sonntags­Zeitung» auch der «Bund», die «Berner Zeitung», die «Basler Zeitung» oder «24 Heures».

Per Videokonferenz gibt Rutishauser die Hiobs­botschaft seinen Leuten weiter: Kurzarbeit bis Ende September; alle Mitarbeitenden müssen ihr Arbeits­pensum um mindestens 10 Prozent reduzieren; ausbezahlt werden sollen nur noch 90 Prozent des Lohns; in jenen Ressorts, in denen wegen der Pandemie nicht mehr viel läuft – etwa Kultur und Sport –, wird das Pensum auf bis zu 40 Prozent runtergeschraubt.

In den Redaktionen kommt die Botschaft schlecht an. Obwohl betont wird, dass auch alle anderen Unternehmens­einheiten der TX Group von den Massnahmen betroffen seien, missfällt vielen, dass sich keiner der Verantwortlichen zu Wort meldet. Nicht einmal die Co-Chefs von Tamedia, Marco Boselli und Andreas Schaffner. Keine aufbauenden Worte, kein Boni-Verzicht der Chefs. Auch die Personal­kommission ist in Rage, weil sie nicht in den Entscheid miteinbezogen wurde. Man hatte sie lediglich eine Stunde vorher informiert.

Unbeantwortet bleibt vor allem die Frage, warum Journalistinnen ausgerechnet jetzt ihr Arbeits­pensum reduzieren müssen, wo doch die Nachfrage nach ihrer Arbeit so gross ist wie nie zuvor. Im Vergleich zum Vormonat erreichte etwa Tagesanzeiger.ch im März an Spitzen­tagen doppelt so hohe Klickraten.

Dieser Widerspruch beschäftigt das Unternehmen während Tagen. Die Personal­kommission stellt in einem offenen Brief mehrere Forderungen. Die wichtigste: Auch die Geschäfts­leitung und die Aktionäre müssten ihren Beitrag leisten – sie sollen auf Boni und Dividenden verzichten. Rücken­deckung gibts von Prominenten wie Alt-Bundes­rätin Ruth Dreifuss, Schrift­steller Franz Hohler und Ex-Tagi-Chefredaktor Peter Studer, die sich in einer Onlinepetition an TX-Präsident Pietro Supino wenden. Statt Pensen zu reduzieren, müsse in den Redaktionen jetzt Personal aufgebaut werden, fordern sie.

Nun melden sich die Konkurrenten beim TX-Management. Sie wollen wissen, wie der Konzern in Sachen Kurzarbeit vorgegangen ist. Schliesslich beantragen NZZ und CH Media ebenfalls für das ganze Unter­nehmen Kurzarbeit, Ringier bloss für einzelne Bereiche. 80 Prozent des Lohn­ausfalls werden vom Staat abgedeckt, die Unternehmen runden auf 100 Prozent auf. Zumindest bis Ende Juni. Was danach kommt, weiss kein Mensch.

Am 27. März informiert die TX-Gruppe, dass sie ihren Angestellten statt nur 90 nun doch 100 Prozent ihres Lohns auszahlen werde. Und: Das Management verzichtet auf seine Boni. Allerdings sind nur Gewinn­beteiligungen für das Geschäfts­jahr 2020 betroffen. Die Boni aus dem letzten Geschäfts­jahr, die in diesen Tagen ausbezahlt werden, fallen nicht darunter. CEO Tonini allein erhält 850’000 Franken Bonus in Cash und Aktien.

Das hilft nicht gerade dabei, die Angestellten zu besänftigen. Der Unmut ist gross und historisch bedingt: «In der Vergangenheit hat die Tamedia-Führung das Vertrauen der Leute wiederholt missbraucht», sagt ein Journalist, der seit mehreren Jahren für das Unter­nehmen arbeitet. «Es wird nicht gelebt, was gesagt wird. Aber in einer solchen Krise wie jetzt willst du dich einfach auf deinen Arbeit­geber verlassen können.»

Das Management wird mit Fragen eingedeckt. Bis die Tamedia-Chefs Boselli und Schaffner nicht mehr darum herumkommen, Stellung zu nehmen. Boselli spricht von bis zu 50 Millionen Franken, die dem Unternehmen für das Jahr 2020 verloren gehen. Das sind rund 10 Prozent des Umsatzes, den TX im vergangenen Jahr aus dem Werbemarkt holte.

Die Grossaktionäre, allen voran die Familie Coninx, haben sich bislang nicht zur Frage geäussert, ob sie auf ihre Dividende verzichten würden.

Das zweitgrösste Schweizer Medienhaus Ringier fährt eine andere Strategie. Das Familien­unternehmen teilt am 30. März intern mit, dass für Jobcloud, Ticketcorner und die Vermarktungs­tochter Ringier Sports Kurzarbeit beantragt worden sei. In den Redaktionen hingegen gebe es derzeit viel zu tun, darum wolle man dort keine Kurzarbeit beantragen.

Zwei Tage später erklärt eine Sprecherin, dass nun auch in der Administration der Ringier AG bis zu 30 Prozent weniger gearbeitet werde: «Die aktuelle Situation ist äusserst dynamisch und komplex, sodass sie kontinuierlich neu bewertet werden muss.» Der Verlust für dieses Jahr erreiche möglicherweise einen dreistelligen Millionenbetrag.

Die Massnahmen sind subtiler als bei der Konkurrenz, wie Ringier-Leute gegenüber der Republik berichten. So müssen die Angestellten bis Ende April sämtliche im laufenden Jahr anfallenden Ferien eingegeben haben. Die Hälfte davon muss bis September bezogen werden. Damit soll verhindert werden, dass sich nach dem Lockdown alle aufs Mal in den Urlaub verabschieden. Neben einem Einstellungs­stopp hat das Unternehmen zudem verfügt, dass keine Überstunden mehr geleistet werden dürfen. Eine heikle Massnahme in diesen Zeiten: «Viele Journalisten arbeiten seit Anfang März bis zu zwölf Stunden pro Tag, das lässt sich nicht vermeiden», sagt ein Angestellter und warnt: «Man muss aufpassen, dass man die Leute mit den Massnahmen nicht verheizt.»

Am 31. März folgt CH Media: Das Zeitungshaus, das je zur Hälfte der NZZ und den Aargauer AZ Medien gehört, führt flächen­deckend Kurzarbeit ein, 2000 Angestellte sind betroffen. «Die Situation ist sehr gravierend, die Werbe­einnahmen sind komplett zusammen­gebrochen», sagt CEO Axel Wüstmann dem Branchenportal «Persönlich.com». «Wir spüren die Auswirkungen in allen Bereichen, beispielsweise auch im Druck- oder im Eventgeschäft.»

CH Media hat nach der Fusion im Herbst 2018 gerade das erste vollständige Geschäfts­jahr mit einem knappen Gewinn von 18 Millionen Franken beendet. Nun hätte man sich eigentlich ein wenig entspannen wollen. Doch der Corona-Schock schüttelt das Unter­nehmen komplett durch: Mit seinen Zeitungen, Anzeigern, Radio­stationen, TV-Sendern, Zeitschriften, Online­plattformen und einem Filmverleih erzielt CH Media sonst knapp die Hälfte seiner Erlöse im Werbemarkt.

Jetzt rechnet man im April allein mit 50 Prozent weniger Umsatz im Werbemarkt. Bis Mitte des Jahres wird voraussichtlich ein mittlerer zweistelliger Millionen­betrag in der Kasse fehlen. In den Zeitungen werden die Seiten­umfänge reduziert: einerseits, weil die Werbung fehlt, andererseits, weil Ressorts wie Sport und Kultur weniger zu berichten haben. Die Veranstaltungs­beilage «Apéro» hat das Unter­nehmen temporär eingestellt, einzelne Anzeiger werden ausgesetzt.

Als Letzte der «Big Four» folgt am 1. April die NZZ. Dass es bei der «alten Tante» etwas länger dauerte, hat wohl auch mit der überforderten Personal­abteilung zu tun. CEO Felix Graf hatte bereits in der Woche zuvor mitgeteilt, dass «Massnahmen geprüft» würden. Doch bis zur Umsetzung verstrichen unnötig viele Tage, in denen das Personal im Ungewissen blieb, wie ein NZZ-Journalist erzählt: «Das HR wusste schlichtweg nicht, wie das geht: Kurzarbeit.»

Bei der NZZ schrumpfen die Einnahmen seit Jahren. In der Regel geht der Umsatz um 3 bis 4 Prozent pro Jahr zurück. Nun droht der Total­schaden. Wegen der Pandemie haben viele Kunden ihre Werbe­kampagnen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben oder gleich ganz abgebrochen. Der Verlag rechnet mit Einbussen von 10 bis 20 Millionen Franken. Zum Vergleich: 2019 nahm die NZZ-Gruppe mit Werbung 70 Millionen ein.

Dass die wirtschafts­liberale NZZ sich nun mit Staats­geldern aus der Bredouille winden will, zeigt die Dramatik. Üblicherweise kommentiert die Zeitung jegliche Form von Staats­interventionen stets mit kritischer Feder.

Aber selbst Kurzarbeit dürfte nicht reichen, um die NZZ-Gruppe vor dem Kollaps zu bewahren. Es drohen weitere Spar­massnahmen. Kurzfristig stellt die NZZ keine neuen Mitarbeitenden ein, die Angestellten müssen Spesen vermeiden, und die Print­ausgaben werden ausgedünnt: Die «NZZ am Sonntag» soll 20 Prozent weniger Seiten produzieren, der Umfang des «NZZ am Sonntag Magazin» wird halbiert, und die monatliche Magazin­beilage «NZZ Folio» erscheint erst im September wieder. Im Fokus all dieser Einsparungen stehe der Erhalt von Arbeits­plätzen, heisst es von offizieller Seite. Doch selbst diese sind angesichts der Krise nicht mehr sicher.

Langfristig müsse man zur Existenz­sicherung ein Kosten­senkungs­programm aufsetzen, schreibt die Medien­stelle. Dies habe im Grundsatz aber nichts mit der Coronakrise zu tun. Das Unternehmen müsse seine Angebote auf die sich laufend verändernden Markt­verhältnisse ausrichten. «Vor diesem Hintergrund wird es wohl auch zu personellen Veränderungen kommen.»

Per Videobotschaft hat der auffallend nervöse NZZ-CEO Felix Graf seinen Mitarbeitern unlängst mitgeteilt, was das konkret heisst: Es wird Entlassungen geben.

2. Was mit der Werbung passiert

Derweil schiessen die Nutzer­zahlen der Newsportale in die Höhe. Viele neue Digitalabos werden abgeschlossen. Die NZZ etwa hat im März elfmal mehr Abos verkauft als im Vorjahres­monat, die Online-Zugriffs-Zahlen stiegen gleichzeitig um das Dreifache. Der «Tages-Anzeiger» hat bis zu dreimal mehr digitale Tagespässe verkauft als in einem durchschnittlichen Monat. Nur ist das noch immer viel zu wenig, wie ein TX-Sprecher erklärt: «Der derzeitige mehrheitlich digitale Zuwachs auf der Nutzermarkt­seite vermag den enormen Einbruch bei den Werbe­einnahmen nicht mal annähernd zu kompensieren.» Ein Satz, den die anderen Verlage im selben Wortlaut verwenden.

Für reine Digitalabos können nicht die gleichen Preise wie für Zeitungsabos verlangt werden. So kostet ein Printabo des «Bund» 579 Franken pro Jahr; ein Digitalabo für Derbund.ch ist mit 228 Franken weniger als halb so teuer. Bei der NZZ ist der Graben zwischen den 814 Franken für Print und den 220 Franken für Online noch deutlich tiefer.

Der Corona-bedingte Wegfall der Werbung wiegt allerdings deutlich schwerer als der Abo-Graben. Die Werbe­einnahmen aus dem Print machen heute noch ein Drittel des Umsatzes aus. Früher war der Anteil höher. Aber mit dem Rückgang der Werbe­tätigkeit in den Zeitungen erhöhten die Verlage ihre Abopreise.

Doch die Abhängigkeit von der Werbe­branche besteht noch immer – und sie trifft die Zeitungen jetzt mit voller Härte.

Die allermeisten Unternehmen, die in einem gewöhnlichen Frühling Werbung für ihre Produkte schalten würden, haben ihre Kampagnen gestoppt. Sie gehen davon aus, dass die Werbung ihren Zweck nicht erfüllen würde: «Die Konsumenten­stimmung ist am Boden, weil alles geschlossen hat», sagt David Schärer von der Werbe­agentur Rod. «Für viele Werbetreibende ist es jetzt nicht angezeigt zu werben, weil nur beschränkt konsumiert werden kann.»

Feiernde junge Menschen, die sich in den Armen liegen und sich zuprosten? Geht gerade nicht.

Ein glücklicher Rentner, der sich in der Business­class einer asiatischen Airline das Champagner­glas auffüllen lässt? Geht ebenso wenig.

Selbst Werbespots für attraktive Hypotheken wurden von Banken gestoppt. In unsicheren Zeiten verschieben wir den Kauf des Traum­hauses lieber auf später.

Auch wenn die Verlage jetzt versuchen würden, den Werbekunden die Newsportale schmackhaft zu machen, weil sich dort jetzt gerade die Klickzahlen vervielfachen – es würde wenig bringen. Denn für ein Digitalinserat können sie nur einen Bruchteil dessen verlangen, was sie für ein Printinserat bezahlt bekommen. Das hat mit der Reichweite zu tun: Eine Zeitung geht in der Regel durch mehrere Hände und erreicht damit mehr Menschen als ein einzelner Zugriff auf eine Website.

«Print steht für Präsenz, und Digital steht für Präzision», sagt Thomas Wildberger, CEO des Werbe­dienstleisters Publicis Groupe. Das heisst: Zeitungs­inserate erreichen die Masse, während man mit digitalen Inseraten versucht, klar definierte Zielgruppen zu erreichen. Je besser Letzteres gelingt, desto mehr wird man künftig für Digital­werbung verlangen können. «Darum bieten Medienhäuser seit einiger Zeit die Möglichkeit an, ihre Nutzer mit individualisierten Werbebotschaften anzusteuern», sagt Wildberger.

Doch Google und Facebook haben die Disziplin längst perfektioniert. Weltweit dominieren sie die Digital­werbung. 2016 startete Ringier-CEO Marc Walder mit der Vermarktungs­firma Admeira einen Angriff auf die Tech-Giganten. Zusammen mit SRG und Swisscom wollte er die Wertschöpfung der personalisierten Werbung zurück in die Schweiz holen. Doch das Vorhaben scheiterte am Datenschutz und an der heftigen Opposition der anderen Zeitungs­häuser. Die zwei Partner sind schliesslich ausgestiegen, und Ringier nutzt Admeira nur noch für die TV-Werbung.

Inzwischen haben sich die Medien­konzerne versöhnt: Sie wollen die digitale Werbung nun mit vereinten Kräften stärken. Vergangenes Jahr gründeten sie zu diesem Zweck die Login-Allianz. Sie hat zum Ziel, dass sich alle Leserinnen auf Newsportalen einloggen, auch auf Gratis­seiten wie Blick.ch oder 20min.ch. Damit lässt sich das Klick­verhalten analysieren, Daten sammeln und letztlich gezielter Werbung schalten.

Doch die Corona-Krise stört nun auch den Zeitplan der Login-Allianz. Eigentlich wollten die Beteiligten in den nächsten Monaten das Einloggen auf allen grossen News­portalen der Schweiz obligatorisch machen. Das verschiebt sich nun auf unbestimmte Zeit.

3. Wie das Geld verloren ging

Die Medienhäuser hatten genug Zeit, sich auf die drohende Katastrophe vorzubereiten: Sie wissen nicht erst seit gestern, dass die Einnahmen unangenehm schnell wegbrechen. Vor zehn Jahren nahmen die Printmedien mit Werbung 1,6 Milliarden Franken ein. Letztes Jahr waren es noch 655 Millionen. Konkret brechen jedes Jahr rund 10 Prozent Volumen weg.

Kritische Beobachter sagen, man hätte viel früher auf die Einnahmen aus der Leserschaft setzen müssen. Nicht auf teure Abos, sondern auf flexible Abo-Modelle.

«Die gesamte Wirtschaft ist in einer Ausnahme­situation, die niemand hat voraussehen können», sagt Nick Lüthi, Leiter der «Medienwoche». «Aber vor allem bei den Medien hat sie den Effekt, dass man nun umso deutlicher die grosse Schwäche sieht: die Werbe­abhängigkeit.» Das wisse man natürlich nicht erst seit Corona, aber es falle nun umso stärker auf, weil man in diesen Zeiten realisiere, wie hoch die Qualität der Bericht­erstattung sei. Lüthi: «Die Medien­häuser werden jetzt sozusagen dafür abgestraft, dass sie die Nutzer­finanzierung vernachlässigt haben.»

Die Zeitungshäuser haben bekanntlich einen anderen Weg gewählt: Sie gaben viel Geld aus, um die Kleininserate zurückzuholen, die ins Internet abgewandert waren. So schluckte etwa Tamedia das Immoportal Homegate und das Online-Auktionshaus Ricardo und kaufte sich zusammen mit Ringier Jobs.ch, das grösste Jobportal der Schweiz. Auch Ringier setzt unter anderem mit Scout24 und DeinDeal auf Online-Marktplätze.

Hier stehen sie wieder in direkter Konkurrenz zu Google und Facebook, die ihre Plattformen ständig ausbauen. Gegen die Tech-Riesen anzukämpfen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. In einem Interview räumte TX-Chef Tonini unlängst ein, «dass wir technologisch nie ganz Schritt halten können mit diesen grossen Internet-Playern».

4. Was als Nächstes geschieht

Erst mal suchen die Zeitungs­häuser einen Ausweg aus der Corona-Krise. Die Sache ist doppelt vertrackt: Keiner weiss, wie lange sie anhält und ob die Welt danach noch dieselbe sein wird.

«Von früheren Krisen wissen wir, dass der Verlust nach jedem starken Rückgang nie mehr ganz aufgeholt werden kann», sagt Andreas Häuptli, der Geschäfts­führer des Verbands Schweizer Medien.

Vieles hängt vom Verhalten der Konsumentinnen ab. Werden sie wieder im grossen Stil einkaufen gehen? «Ich bin im Moment skeptisch, dass die ganz grosse Konsumlust zurückkommt», sagt Werber Thomas Wildberger. «Je länger die Krise dauert, desto vorsichtiger werden die Leute ihr Geld ausgeben. Mit einer Ausnahme: Sobald die Beschränkungen aufgehoben sind, werden Ferien im grossen Stil gebucht.»

Dass unterdessen weiter abgebaut wird, steht ausser Frage. TX hat kürzlich angekündigt, bei der Mantel­redaktion die Ressorts Kultur, Gesellschaft und Wissen zum neuen Ressort Leben zu verschmelzen. Parallel dazu steht eine grosse Reorganisation im Verlag an. Ihr werden Stellen zum Opfer fallen. Ähnliches plant die NZZ. Bei Ringier könnte es auch im Ausland einen Kahlschlag geben. Die Krise werde «gewisse Bereiche und Tochter­gesellschaften in der Schweiz und in den 18 anderen Ländern, in denen Ringier tätig ist, schwer treffen», teilt das Medienhaus mit.

Werber David Schärer sieht die Sache darum sehr pessimistisch: «Print­medien sind schon seit einiger Zeit auf Talfahrt. Möglicher­weise ist Corona für viele Tages­zeitungen der Todesstoss.»

Zur Transparenz: David Schärer hat die Republik in der Aufbauphase mit Tat und Rat unterstützt und dafür Aktien der Republik AG erhalten.

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