Wenn das Leben im Traumberuf aus den Fugen gerät: Sabine Stillhart.

«Ich versuchte nur noch zu überleben an der Pflegefront»

Pflegefachfrauen werden häufiger arbeitsinvalid als Bauarbeiter – oft wegen psychischer Krankheiten. Der Weg zurück in den Job gelingt vielen nicht. Das verstärkt den Personalmangel. Woran liegt das? Die Pflegefachfrau Sabine Stillhart erzählt, wie es ihr den Boden unter den Füssen wegzog.

Von Andrea Arežina, Bettina Hamilton-Irvine (Text) und Flavio Leone (Bilder), 31.03.2020

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Sabine Stillhart liegt im Bett und weint. Es ist ein Dienstag­morgen, und die Pflege­fachfrau kann nicht mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist. Darum sagt sie sich: Das geht vorbei.

Doch dieses Mal geht es nicht vorbei. Sabine Stillhart steht an diesem Tag nicht auf, und sie steht auch am nächsten Tag nicht auf. Sie steigt nicht ins Spitex-Auto und fährt nicht zu ihren Patienten. Sie hilft ihnen nicht beim Aufstehen, sie wäscht ihre Haare nicht, sie rasiert sie nicht, sie kontrolliert ihren Puls nicht, sie gibt ihnen keine Medikamente, hilft ihnen nicht beim Mittag­essen, behandelt ihre Wunden nicht und zieht ihre Betten nicht frisch an. Sie bleibt zu Hause und liegt wochen­lang im Bett. Der Stress, der Zeit­druck, die Verantwortung, die Überlastung im Job: Sabine Stillhart kann das alles nicht mehr tragen.

An diesem Dienstag­morgen weiss sie noch nicht, dass der Arzt bei ihr ein Burn-out diagnostizieren wird. Und sie weiss auch noch nicht, dass danach ein noch grösserer Schock folgen wird.

Das Pflege­personal klagt nicht

Die Belastung des Gesundheits­personals ist in diesen Tagen allgegen­wärtig. Wegen der Corona­krise stehen Pfleger plötzlich im Fokus. Vielen Menschen wird jetzt bewusst, wie sehr die Gesellschaft auf das Pflege­personal in den Spitälern und Alters­heimen angewiesen ist, wie lebens­wichtig ihre Arbeit ist. Und was alles auf ihren Schultern lastet. So haben Spitäler mittlerweile angesichts des drohenden Personal­notstands bereits die Möglichkeit, Corona-infizierte Pflegerinnen im Dienst zu belassen. Wie das Nationale Zentrum für Infektions­prävention entschieden hat, sollen Pflege­fachleute, die möglicherweise infiziert sind und bereits einzelne Symptome haben, weiterarbeiten, bis das Testresultat vorliegt – solange sie eine chirurgische Maske tragen.

In diesen Tagen interessiert sich die Öffentlichkeit plötzlich für das Pflege­personal, und die Gewerkschaft des öffentlichen Personals VPOD wird gefragt: Wie geht es den Menschen, die die Covid-19-Patienten betreuen? Welche Klagen hören Sie von ihnen?

Aber die Sache ist: Das Gesundheits­personal war auch vor der Corona-Krise permanent überlastet. Und: Es klagt in der Regel nicht. Die Frauen und Männer sind es gewohnt, schwierige Situationen zu meistern, und haben eine über­durchschnittlich hohe Berufsethik. Sie würden niemals Patientinnen im Stich lassen, schreibt der VPOD in einer Medienmitteilung. «Stattdessen krampfen sie bis zum Umfallen und vergessen dabei oft ihre eigenen Rechte und Bedürfnisse.»

Besonders burn-out-gefährdet

Auch Sabine Stillhart krampfte bis zum Umfallen. Und ist damit eine typische Vertreterin ihrer Branche. Denn die körperliche und psychische Belastung in der Pflege hat derart zugenommen, dass Pflege­fachpersonen heute öfter arbeits­invalid sind als Bauarbeiter. Oft leiden sie nicht nur an Rücken-, Nacken- und Schulter­problemen, sondern auch an psychischen Erkrankungen wie Burn-outs.

Zahlen dazu gibt es nicht, da die Schweiz keine Burn-out-Statistik kennt. Was man aber weiss, ist, dass die Zahl der Arbeits­ausfälle aufgrund von psychischen Erkrankungen ganz generell zugenommen hat. Gemäss einer Auswertung der Versicherung PK Rück sind die Arbeitsausfälle aus psychischen Gründen seit 2012 um 70 Prozent gestiegen. In 6 von 10 Fällen lautet die Diagnose Burn-out oder Depression. Pflege­personal ist besonders gefährdet.

Dabei ist die Pflege für Sabine Stillhart zu Beginn ein Traum­beruf. 2005 kommt sie aus Deutschland in die Schweiz, arbeitet in einer Klinik und ist glücklich. Ihre Arbeits­situation ist für sie «der Himmel auf Erden». Sie kann sich Zeit nehmen für ihre Patienten, hat das Gefühl, am richtigen Ort zu sein und das Richtige zu tun. «Das habe ich total genossen», sagt sie.

Doch diese Zeit sollte nicht ewig dauern. Irgendwann beginnt Sabine Stillhart, in einem Spital im Kanton Aargau zu arbeiten. Schon am ersten Arbeitstag fangen die Schwierigkeiten an: Statt wie geplant auf der Geburten­station eingearbeitet zu werden, muss sie auf einer anderen Station aushelfen, weil dort ein Notstand herrscht. Sie ist enttäuscht, fügt sich aber. So geht es weiter: Eingearbeitet wird sie nie. Alles ist chaotisch. Immer wieder spricht sie mit Vorgesetzten, aber nichts ändert sich. Sabine Stillhart ist überlastet, nach ein paar Monaten bekommt sie Schwindel­anfälle, der Blutdruck steigt, man empfiehlt ihr, Tabletten zu nehmen. Sie lehnt ab, geht zum Arzt, der ihr erstes Burn-out diagnostiziert. Sabine Stillhart ist 25 Jahre alt. Auf der Geburten­station, wo sie hätte anfangen sollen, wird sie nie arbeiten.

Sabine Stillhart holt immer wieder tief Luft, wenn sie erzählt. Sie entschuldigt sich für die Pausen, die sie während des Gesprächs regelmässig macht. Das Wasserglas auf dem Holztisch umklammert sie mit beiden Händen. Sie trägt eine schwarze Faserpelz­jacke, schwarzes Haar, in der Ecke steht ihr schwarzer Regen­schirm. Es fällt ihr nicht leicht, über diese Zeit zu reden. Aber sie findet, sie habe lange genug geschwiegen.

Die Arbeit in Alters- und Pflege­heimen sei oft mit «grossen körperlichen und psychischen Belastungen für das Pflege- und Betreuungs­personal verbunden», heisst es in einer Studie der Universität Basel von 2013 – eine umfassende und die aktuellste Befragung von Pflege­personal in der Schweiz. Demnach fühlt sich mehr als ein Drittel regelmässig am Ende eines Arbeits­tages ausgelaugt, knapp ein Viertel emotional erschöpft. Die Studie weist darauf hin, dass emotionale Erschöpfung ein bekanntes Phänomen beim Pflege­personal ist. Sie gilt als Zeichen für ein hohes Burn-out-Risiko. Stress­faktoren im Pflege­bereich sind zudem Zeitdruck, Personal­mangel, geringes Ansehen des Berufs sowie Überzeit und geringer Lohn.

Eine Hand in der Wunde, die andere am Telefon

Nach ihrem ersten Burn-out ruht sich Sabine Stillhart 3 Monate aus und kündigt dann. Die Vorgesetzten entschuldigen sich zwar bei ihr, aber sie will nicht mehr zurück, nicht in dieses Spital und nicht in ein anderes. Weil sie aber ihren Beruf liebt, sucht sie eine Stelle bei einer Spitex. Sie will Menschen helfen; ihre Verbände wickeln, ihnen Medikamente geben, ihnen zuhören.

Zu Beginn klappt das auch. Sie arbeitet bei einer kleineren Spitex-Organisation im Aargau und schätzt das persönliche Umfeld: Sie kennt ihre Patientinnen, ihre Geschichten und hat neben der Pflege auch Zeit zuzuhören. Aber irgendwann wechselt sie zu einer grösseren Spitex-Organisation. Und irgendwann sagen ihre Vorgesetzten, Pflege­fachleute seien zu teuer, um nur die Tages­tour zu machen. Sabine Stillhart muss zusätzliche Aufgaben übernehmen.

«Ich habe mich nicht gesperrt, machte alles mit», erzählt sie. «Zuerst kamen kleine Jöblein dazu, später grössere administrative Aufgaben.» Bald betreut sie 15 Patienten pro Tag, arbeitet statt 8 Stunden 10 oder 12 und muss nach Feier­abend noch administrative Arbeiten erledigen. Als sie auch noch zur Tages­leiterin gemacht wird, obwohl sie nur in einem 20-Prozent-Pensum arbeitet, kümmert sie sich nicht mehr nur um ihre Patientinnen, sondern auch noch um ihre Arbeits­kolleginnen. Sie rufen Sabine Stillhart an, wenn sie eine Frage haben, wenn sie unsicher sind, wie eine Wunde behandelt werden soll, oder wenn sie die Planung ändern soll.

«Ich sag das jetzt überspitzt: Während ich meine Hand in einer Wunde hatte, war ich gleichzeitig am Telefonieren», sagt Sabine Stillhart. «Ständig war ich hin- und hergerissen. Kann ich meinen Patienten kurz warten lassen? Ist das vertretbar, meine eigene Arbeit zur Seite zu legen, um meinen Pflege­helfer auf seiner Tour telefonisch zu unterstützen?»

Aus der Kirche ist sie ausgetreten, doch der Glaube an Gott hat Sabine Stillhart Halt gegeben.

Der Stress beginnt nun schon am Morgen. Erscheint jemand nicht zur Arbeit, muss sie innerhalb von Minuten umplanen: Um 7 Uhr treffen sich alle im Spitex-Büro, um 7.30 Uhr müssen die Pflege­fachfrauen schon bei den ersten Patienten sein. Alles muss sehr schnell gehen, Sabine Stillhart ist ständig im Multitasking-Modus. Sie fühlt sich zerrissen. Aber sie hält durch. «Ich habe meine Kolleginnen gesehen und dachte mir: Mach einfach weiter. Die anderen können es auch. Als Mutter von 3 Kindern war ich es schliesslich gewohnt, keine ruhige Minute zu haben.»

Irgendwann wird sie bereits am Vorabend nervös, kann nicht mehr schlafen, weil die Gedanken keine Ruhe geben: Was erwartet mich morgen? Kommen alle zum Dienst? Werde ich es schaffen, schnell genug umzuplanen? Sie fährt früher als nötig zur Arbeit, um mehr Zeit für die Vorbereitung zu haben. Aufschreiben kann sie diese Arbeitszeit nicht.

6 Tage pro Woche betreut Sabine Stillhart ihre Kinder, einen Tag pro Woche managt sie ihr Spitex-Team. Aber der Stress aus ihrem Job beginnt sich auch in ihrem Privat­leben auszubreiten. «Ich hab die Tage irgendwie über die Bühne gebracht. Nach 11 oder 12 Stunden war ich wieder zu Hause, aber ich konnte nicht runterfahren. Und dann begann wieder das Gedanken­karussell im Kopf: Ist wirklich alles erledigt? Hab ich alles aufgeschrieben? Und was, wenn ich etwas vergessen habe?»

Sabine Stillhart fühlt sich zunehmend alleingelassen. Besonders schlimm wird es zwischen Weihnachten und Neujahr 2017. «Die Feiertage sind immer eine schwierige Zeit: Es läuft extrem viel, und die Situation kann schnell eskalieren. Auch weil die Hausärzte der Patienten jeweils über die Feiertage abwesend sind», sagt sie. «Ich versuchte nur noch zu überleben an der Pflege­front. Aber irgendwann hatte ich kaum mehr Luft zum Atmen.»

Sabine Stillhart merkt, dass alles zu viel ist, weiss aber nicht, was sie ändern könnte. Bis ihr eines Morgens ihr Körper die Entscheidung abnimmt. Es ist der Morgen, an dem sie nicht mehr aufstehen kann und wochen­lang liegen bleibt. Sabine Stillhart ist 37 Jahre alt, als sie ihr zweites Burn-out erleidet.

«Betriebswirtschaftliches Risiko»

«Ich weiss nicht, wie es meinen Kindern da ging», sagt sie heute. «Mein Mann übernahm alles, ich war nicht mehr in der Lage zu funktionieren. Ich konnte nichts mehr, ausser auf die Toilette gehen und die Decke anstarren. Ich war völlig abgestumpft, liess nichts mehr an mich heran.» Schliesslich geht Sabine Stillhart freiwillig in eine Burn-out-Klinik: um allein zu sein und um dem schlechten Gewissen zu entkommen, das sie zu Hause ständig hat, weil sie nichts für die Kinder tun kann.

Nach ein paar Wochen kann sie die Klinik verlassen. Bald darauf trifft sie ihren Chef und sagt ihm, dass sie gern zurück­kommen würde, aber nicht mehr so arbeiten könne wie zuvor. Schlägt vor, sie könnte am Anfang leichte Arbeiten übernehmen wie das Richten von Medikamenten oder eine kürzere Patientinnen-Tour.

Dann kommt der grosse Schock. «Der Moment, der mir den Boden unter den Füssen wegzog», sagt Sabine Stillhart. Wenn sie die Arbeiten nicht erledigen könne, für die sie angestellt sei, solle sie kündigen, sagt ihr Chef. «Ich sei mit meiner Krankheit ein betriebs­wirtschaftliches Risiko, und er sei nicht bereit, dieses zu tragen. Ein betriebs­wirtschaftliches Risiko … ich erinnere mich noch heute an diesen Wortlaut.»

Für Sabine Stillhart bricht eine Welt zusammen. Sie fährt nach Hause, grübelt, macht sich Vorwürfe, fragt sich, was sie falsch gemacht hat. Von diesem Punkt an sei es so richtig abwärts­gegangen mit ihr. «Ich bekam Angst­zustände. Jede neue Aufgabe löste Panik aus. Ich konnte nicht einmal mehr mit dem Zug nach Zürich reisen. Das überforderte mich total.»

Schliesslich kündigt sie von sich aus. Als sie sich von ihrem Chef verabschiedet, verabschiedet sie sich auch von der Pflege. Sie ist erleichtert.

Keine anerkannte Berufskrankheit

Sabine Stillhart ist bei weitem nicht die Einzige, die der Pflege den Rücken kehrt: In keiner anderen Branche gibt es aktuell so viele Aussteiger. Rund 46 Prozent verlassen den Beruf, ein Drittel vor dem 35. Lebens­jahr. Schuld ist bei vielen die Überlastung wegen Personal­mangels – ein Teufels­kreis. Sabine Stillhart weist darauf hin, dass vor allem die 2012 eingeführten Fall­pauschalen zu mehr Hektik im Berufs­alltag der Pflegenden geführt haben: Der Druck sei enorm gestiegen, seit Spitäler pro Behandlung nur noch pauschal abrechnen könnten und ein längerer Aufenthalt nicht bezahlt werde. Dazu kommen Schicht­arbeit, schlechte Bezahlung, Stress.

Und: Wer die Pflege­branche wegen Burn-out oder Depression verlässt, findet oft den Weg zurück nicht mehr. Es gibt kaum Schon­arbeits­plätze, bei denen die Belastung tiefer ist. Nach einer psychischen Erkrankung wieder in den Beruf einzusteigen, ist aber in allen Branchen schwierig: Nach 6 Monaten Pause schafft es jede Zweite zurück in den Job. Nach einem Jahr nur noch jede Fünfte.

Als Masseurin hat Sabine Stillhart ihr Glück wieder gefunden und kann auch das Zuhause geniessen.

Dazu kommt, dass Burn-out in der Schweiz nach wie vor nicht als Berufs­krankheit anerkannt ist. Zwar hat die Welt­gesundheits­organisation Burn-out kürzlich in den Katalog der anerkannten Krankheiten aufgenommen. Doch während Länder wie Frankreich, die Niederlande und Schweden von einer Berufs­krankheit ausgehen, hat sich in der Schweiz der Bundesrat dagegen ausgesprochen. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass nicht nur die Arbeit verantwortlich sei, sondern dass auch «arbeitsfremde Faktoren wie familiäre, finanzielle und kulturelle Umstände mitspielen».

Das Parlament sieht das ähnlich: Es lehnte im vergangenen Sommer eine parlamentarische Initiative von SP-Nationalrat Mathias Reynard ab, die forderte, dass Burn-out als Berufs­krankheit anerkannt wird. Für Betroffene bedeutet das, dass Behandlungen und Therapien über die Kranken­versicherung laufen und die Unfall­versicherung sich auch nicht an der beruflichen Reintegration beteiligt.

Für CVP-Nationalrätin Ruth Humbel war der Entscheid richtig, wie sie der Republik sagt. Denn: «Zwar würden die Kranken­versicherungs­kosten massiv reduziert, doch die Unfall­versicherungs­kosten würden steigen», so die Präsidentin der Gesundheits­kommission. Doch sei es nicht zielführend, wenn Kosten zwischen den Sozial­versicherungen verschoben würden. Ausserdem seien «die Symptome des Burn-outs weder in der Forschung noch in der Praxis klar definiert». Und: «Ein kausaler Zusammen­hang zwischen Arbeit und Burn-out-Erkrankung ist schwierig.»

Betroffenen, die diese Begründung nicht akzeptieren wollen, bleibt heute nur noch der Gang vor Gericht. Im Januar entschied das Bundes­verwaltungs­gericht in einem wegweisenden Urteil, dass ein Arbeit­geber für das Burn-out seiner Angestellten haftet und Schadenersatz zahlen muss. Der Frau war gekündigt worden, nachdem sie wiederholt auf ihre berufliche Überlastung hingewiesen hatte.

Über 6000 Pflege­fachpersonen fehlen

Sabine Stillhart kann ihrem Burn-out heute auch etwas Positives abgewinnen. «Ich habe eine andere Sicht auf die Welt und mich bekommen», sagt sie. Sie sei gelassener geworden und habe daran gearbeitet, ihre hohen Ansprüche herunter­zuschrauben. «Wichtig ist, nicht ständig an sich herum­zunörgeln. Es sind oft Perfektionistinnen, die ein Burn-out bekommen. Menschen, die alles besonders gut machen wollen.»

Doch in der Pflege bleibt das Problem der Überlastung und des Personal­mangels bestehen. Und dieser wird sich noch verschärfen: Bereits Ende 2017 fehlten in der Schweiz mehr als 6000 diplomierte Pflege­fachpersonen. Gemäss Prognosen des Schweizer Berufs­verbands der Pflege­fachfrauen und Pflege­fachmänner werden in 10 Jahren 65’000 Fachkräfte fehlen – wegen der Alterung der Gesellschaft, wegen der vielen Aussteigerinnen aus dem Beruf und weil zu wenig Nachwuchs ausgebildet wird. Abhilfe schaffen soll die Pflegeinitiative, die eine Aufwertung der Pflege­berufe verlangt – unter anderem mit einem Gesamt­arbeits­vertrag, mehr staatlichen Geldern für Ausbildung und besseren Löhnen. Der Nationalrat hat sie im Dezember abgelehnt und sich für einen weniger umfassenden Gegen­vorschlag ausgesprochen.

Sabine Stillhart begann nach ihrem letzten Burn-out als Putzfrau bei einer Firma zu arbeiten – weil sie einen Job wollte, der sie nicht überfordert. «Am Anfang arbeitete ich nur am Abend, um den Leuten aus dem Weg zu gehen», sagt sie. «Ich hatte Angst, dass die Menschen auf mich herab­schauen würden, weil ich nur Putzfrau bin.»

Mittlerweile ist sie diplomierte Masseurin. Sie arbeitet unter anderem in einem Alters­heim, wo sie das Pflege­personal massiert, das dort arbeitet. Sie ist glücklich in ihrem Job. Aber sie höre immer wieder von den gleichen Problemen im Gesundheits­wesen, die sie schon vor zwei Jahren beschäftigt hätten, erzählt sie. Sie ist sicher: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Pflege­fachfrauen aus dem Beruf aussteigen.»

Für sie selber ist klar: Sie würde zwar in der Pflege aushelfen, sollte der Kanton sie in der aktuellen Corona-Krise aufbieten. Aber länger­fristig wird sie nicht mehr zurückkehren.

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