Lookbook Adidas, 2015. The Sartists

Ansichten aus Afrika

«Wenn ich gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar»

Andile Buka fotografiert für internationale Modekonzerne, sein Hauptthema ist jedoch die junge Subkultur in Südafrika, die sich aus dem Thriften entwickelt hat. Woraus? Lesen Sie selbst. Teil 1.

Von Flurina Rothenberger (Text), Andile Buka (Bilder) und Sarah Fuhrmann (Übersetzung), 07.03.2020

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Andile Bukas Erfahrung in der Mode- und Auftrags­fotografie, die in diesem Beitrag im Fokus steht, spiegelt eine komplexe aktuelle Wechselbeziehung: zwischen internationalen Modemarken einerseits, die ihr Augenmerk auf Afrika als nächste Absatzquelle richten. Und den lokalen kreativen Köpfen auf der anderen Seite, die den Brands dabei helfen sollen, ein vielfältiges Spektrum an Konsumentinnen zu erreichen. Die Marken setzen alle das Ethos der lokalen Selbstdarstellung ins Zentrum ihrer Marketing­strategie. Wie diese dann aber doch meistens kollidiert mit den Befindlichkeiten einer gelebten Wirklichkeit vor Ort, davon erzählt der junge Fotograf Andile Buka.

Er spricht mit ruhiger Stimme und klaren Worten über seine Arbeit, stellt sich viele Fragen, als Mensch und auch als Fotograf. Die erste Kamera, in die Andile einen Film einlegt, gehörte seinem Vater. Ein Hochzeits­geschenk, das unangetastet über Jahre in der Kiste lag, in der die Familie das gute Geschirr, die Fotoalben und die schöne Bettwäsche für Gäste aufbewahrt. «Als ich die Abzüge meiner ersten Filmrolle abholte, war ich so glücklich», sagt Andile. «Einige Bilder waren verschwommen oder falsch belichtet. Aber auf allen war etwas zu sehen. Das reichte, um zu wissen, dass ich das machen will. Immer und immer wieder.»

Neben seinem Studium in Tourismus und Management jobbt Andile in einem Lomografie-Shop. «Ich kam an vergünstigte Filme und Kameras und lernte viel im Austausch mit Kunden. Irgendwann nahm ich einen Kredit auf, um eine Digitalkamera zu kaufen, aber das Fotografieren auf Film war immer das Richtige für mich. Als ich anfing, als Fotograf zu arbeiten, sagten alle, dass kein Kunde eine Arbeit auf Film abwarten würde. Ich wechselte deshalb von analog zu digital, um zu überleben, aber für meine eigenen Projekte arbeite ich nur auf Film.»

Andile Buka blickt für sein junges Alter bereits auf eine erstaunlich vielfältige fotografische Karriere zurück. Gemeinsam mit dem Kollektiv The Sartists hat er eine Bildsprache entwickelt, welche die Jugendkultur in Johannesburg seit einigen Jahren mitprägt. Durch Auftragsarbeiten finanziert Andile sich seine eigenen Projekte, behutsame fotografische Untersuchungen, die wir kommende Woche im zweiten Teil zu Andile betrachten werden.

The Sartists: Kabelo Kungwane, Wanda Lephoto und Xzavier Zulu (hintere Reihe von links) mit der Modedesignerin Zoliswa Mbadu (vorne rechts) und einem Freund. Es fehlt: Andile Buka (er ist hinter der Kamera). The Sartists
Levi’s, 2017. The Sartists
Levi’s, 2017. The Sartists

Wie viele andere kreative Köpfe in Johannesburg fand auch Andiles Karriere ihre Anfänge in der Kultur des Thriftens. Wörtlich übersetzt bedeutet thriften den sparsamen Umgang mit Geld. Umgangssprachlich umschreibt es die Suche nach guten Secondhand-Stücken. In Johannesburg bedeutet das, wie auch anderswo in Afrika: Man wühlt sich durch gewaltige Kleiderballen.

Schaut man sich in der pulsierenden kreativen Szene vor Ort um, wird schnell klar, welche komplexe Subkultur junge Menschen aus dem Thriften entwickelt haben. Die vielfältigen Formen der Aneignung und Umwertung haben zu innovativen Bildsprachen und neuen visuellen Identitäten geführt. Diese Kreationen locken nun ihrerseits genau die Marken an, deren ausrangierte Ware ursprünglich umgewertet wurde.

Andile, was macht das Thriften, das Kaufen von Secondhand-Sachen, unter jungen Leuten so beliebt?
Für viele junge schwarze Menschen spielt Kleidung eine grosse Rolle für ihr Selbstbewusstsein. Das gilt auch für mich selbst. Sogar wenn ich gar nichts besitzen würde – wenn ich gepflegt und gut aussehe, fühle ich mich unbesiegbar und bereit, meine Probleme direkt anzugehen. Als wir aufwuchsen, hatten bei den meisten von uns die Eltern nicht das Privileg, uns die Dinge zu kaufen, die wir wollten. Wer kann schon 1000 Rand für ein T-Shirt bezahlen? Aber man kann es thriften und für 50 Rand bekommen. Es ist secondhand, aber immer noch anständig. Dafür muss man früh am Morgen kommen, wenn die Kleiderballen geöffnet werden und die guten Sachen noch da sind. Junge und Ältere suchen zusammen, viele kommen vor der Arbeit, wie meine Mutter es gemacht hat. Thriften ist kein Trend, es ergibt sich aus der Notwendigkeit. Ich glaube, was bestimmte Marken beim Secondhand-Kauf beliebt macht, hat damit zu tun, welche Kleidung wir als Kontinent bekommen. Von einem riesigen Ballen Jeans sind zum Beispiel 80 Prozent Levi’s oder Lee, deshalb prägen uns diese Marken. Heute gibt es schöne Sachen von coolen südafrikanischen Designerinnen und Marken. Als ich jünger war, war das anders. Aber wir wussten immer, wie wir unseren Stil regional anpassen konnten.

Deine Bildsprache und Deine Karriere als Fotograf sind eng verbunden mit den Sartists. Was macht ihr genau?
Die Sartists sind ein modernes, interdisziplinäres Kollektiv, das in Johannesburg ansässig ist und aus Kabelo Kungwane, Wanda Lephoto, Xzavier Zulu und mir besteht. Wir erforschen und untersuchen globale Bezüge und Marken in der Mode und im Street Style. Wir setzen sie neu zusammen und übersetzen sie in eine Ästhetik und eine Geschichte, die für die schwarze Erfahrung und Südafrikas Jugend nachvollziehbar ist. Am Anfang präsentierten Gruppen wie The Sartists den Stil, den sie gebraucht kauften und wiederverkauften, indem sie sich in Schale warfen und bestimmte Veranstaltungen besuchten. Zu der Zeit waren Blogs beliebt und ermöglichten es uns nicht nur, die Street-Etikette in New York oder London zu verfolgen, sondern unsere eigene aktive Bloggerszene sagte uns auch, was hier in Johannesburg und Südafrika auf Interesse stiess. Blogs wie «Skattie, what are you wearing?» oder «The Sartists» boten eine neue Art von Kreativität und den Ausdruck von Stil, Identität und Geschichte. Fotografie spielte eine grosse Rolle dabei, all das zu präsentieren.

Die Begeisterung, die eure Arbeit als The Sartists in den sozialen Medien auslöste, machte euch international bekannt, und Marken wie TBC, Stüssy, Adidas oder Levi’s meldeten sich. Sie wollten Erzählungen, die eine südafrikanische Kundschaft ansprechen. Was wurde daraus?
Die meisten dieser Marken schickten uns Kleidung, die wir fotografieren sollten. Wir wurden nicht dafür bezahlt, aber hatten in kreativer Hinsicht freie Hand. Meistens war ihnen das Ergebnis zu künstlerisch. Irgendwie landeten all diese Lookbooks, die wir machten, in Galerien und Museen auf der ganzen Welt, was seltsam für uns ist, denn eigentlich waren sie für die Modewelt gedacht. Der erste bezahlte Auftrag, den wir als Kollektiv erhielten, kam von Adidas Originals im Jahr 2015 für Supershell, eine Zusammenarbeit mit Pharrell Williams. Adidas hatte gesehen, dass wir Kleidungs­stücke umfunktionierten, und sie wollten, dass wir eine südafrikanische Version der Modegeschichte erzählen. Wir machten eine ganze Kollektion und ein Video, fühlten uns aber ein wenig der Erfahrung beraubt. Aus heutiger Sicht war unser Preis viel zu niedrig!

Lookbook Adidas, 2015. The Sartists
Lookbook Adidas, 2015. The Sartists
Lookbook Adidas, 2015. The Sartists
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«Stüssy, Our Tribe», Lookbook, 2015. The Sartists

Eines eurer ersten Lookbooks enthielt eine ganze Kollektion von wiederverwendeten Sammlerstücken von Levi’s. Es führte zu einer Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, die genau die Hürden zeigt, auf die man stösst, wenn man den Wert von Mode aus der Subkultur in den Hyper­kapitalismus überträgt.
Das war 2015, wir hatten bereits jede Menge gebrauchter Levi’s-Sachen gekauft und eine unglaubliche Sammlung beisammen. Wir funktionierten die Sachen um, machten Sandalen, Tragtaschen, Fischerhüte, Gürtel und Jacken daraus, schnitten sie auf jeden Stil zu, der uns gefiel. Es waren alles Einzelstücke, aus Sammlerstücken gefertigt. Es war sehr kreativ. Wir fotografierten ein Lookbook, und man hätte die Bilder für Auftragsarbeiten halten können, sie hatten so eine kommerzielle Atmosphäre. Es waren Geschichten mit starken visuellen Referenzen. Wir wollten unsere Gesellschaft und die Leute darstellen und unsere Kultur präsentieren, aber auch Bezug nehmen auf Levi’s als Marke, bei der eine Jeans mit der Zeit an Wert gewinnt. Wir brachten das Lookbook raus, und es schlug voll ein. In der südafrikanischen Szene war es auf jedem Blog präsent.

«50S», Levi’s Lookbook, 2015. The Sartists
«50S», Levi’s Lookbook, 2015. The Sartists
«50S», Levi’s Lookbook, 2015. The Sartists

Levi’s gefiel, wie ihr ihre Klassiker in einen Stil übersetzt hattet, der ein südafrikanisches Publikum ansprach. Sie wollten in die Massen­produktion gehen …
… 
meine Güte! Es lief nicht so, wie wir wollten. Eine ganze Reihe Prototypen, von Jacken bis Baskenmützen, war bereit für die Massen­produktion. Aber die Kosten passten nicht zum Budget, das Levi’s anbot. Also entschieden wir uns nur für Aufnäher. Sie hatten Labels, die von der Welt um uns inspiriert wurden, von Studenten­bewegungen wie #FeesMustFall. Die Aufnäher wurden im Laden verkauft, und die Leute konnten sie an ihre eigenen Jeanssachen heften. Sie waren innert zwei Wochen ausverkauft. Vor kurzem interessierte sich Levi’s wieder für eine Kampagne und für die Massen­produktion von unseren umfunktionierten Stücken. Aber über die Wochen, während wir stark mit der Produktion beschäftigt waren, schwächte Levi’s die ursprüngliche Abmachung ab. Am Ende fotografierten wir die massgeschneiderte Kollektion auf eigene Kosten und drehten den Spiess um, indem wir dem Lifestyle-Festival Sole DXB die Stücke anboten. Aber es war einfach eine weitere gescheiterte Zusammenarbeit mit einem Unternehmen. Levi’s propagiert die Haltung «young, free and unapologetic», aber wenn man mit ihnen arbeitet, sind sie genau das Gegenteil.

«As it seems x Levi’s», 2019. The Sartists
«As it seems x Levi’s», 2019. The Sartists

Wenn Du auf Deine Erfahrungen zurückschaust: Ist es möglich, sich auf das auszurichten, was globale Marken antreibt – und trotzdem für eine differenzierte Geschichte zu stehen, die einen Bezug zur schwarzen Erfahrung hat, eine, mit der du einverstanden bist?
Ich habe gelernt, dass meine persönlichen Projekte viel stärker und nachhaltiger sind als das, was wir in der Zusammenarbeit mit diesen schnelllebigen Modemarken suchen. Wir heben diese Firmen auf ein Podest als etwas, das sie nicht sind. Viele junge kreative Menschen aus Südafrika melden sich bei mir und fragen, ob ich den Kontakt zu dieser oder jener Marke herstellen kann. Und wenn ich mir ihre Präsentation anschaue, antworte ich meistens: Dein Konzept ist zu gut, um es einer Marke zu geben. Setz es selber um!

Zum Fotografen

Andile Buka, geboren 1990 in Soweto, wuchs in Orange Farm, Johannesburg, auf. Der Autodidakt schloss sich früh dem legendären südafrikanischen Kreativkollektiv The Sartists an. Buka fotografiert für internationale Magazine, unter anderem die «New York Times», den «Guardian» und «Wire». Für internationale Modekonzerne wie Superga und Adidas hat er Kampagnen betreut und fotografiert. Seine Arbeiten werden international ausgestellt, zum Beispiel im Moma in New York und aktuell bei Foam in Amsterdam. Andile Buka besucht derzeit die Künstler-Residency von Pro Helvetia in Basel. Folgen Sie ihm auf Instagram.

Zu dieser Bildkolumne

Warum sollen wir gerade jetzt nach Afrika blicken? Falsche Frage, sagt Flurina Rothenberger. Die richtige laute: Warum erst jetzt? In ihrer wöchentlichen Kolumne «Ansichten aus Afrika» stellt Flurina Rothenberger junge Fotografie aus Afrika vor. Hier finden Sie den Podcast «Aus der Redaktion» zu dieser Kolumne.

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