Briefing aus Bern

Die Folgen der Cryptoleaks, Barriere für Lobbyisten – und Schnaps ist Schnaps

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (89).

Von Philipp Albrecht, Andrea Arežina, Elia Blülle und Bettina Hamilton-Irvine, 20.02.2020

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Eine Woche ist es nun her, dass Journalistinnen aufgedeckt haben, dass der amerikanische Geheim­dienst CIA in Zusammen­arbeit mit dem deutschen Bundes­nachrichten­dienst über Jahrzehnte die Zuger Firma Crypto AG kontrolliert, deren Chiffrier­geräte manipuliert und sich so Zugriff auf die geheime Kommunikation anderer Staaten verschafft hat.

Hier der aktuelle Stand des Skandals:

Zwei EU-Länder haben diese Woche Untersuchungen dazu aufgenommen, ob sie ausspioniert wurden. In Belgien ermittelt der militärische Geheim­dienst. Und Österreich bemüht sich bei den USA um Antworten, bis jetzt noch auf diplomatischem Weg.

Hierzulande stellt sich nun vor allem die Frage, welche Schweizer Politiker und Staats­angestellten über diese breite Geheimdienst­operation Bescheid wussten, sie toleriert oder sogar unterstützt haben. Bereits im Dezember hat Verteidigungsministerin Viola Amherd den Gesamtbundesrat informiert, dass Dokumente darauf hinweisen, dass Alt-Bundesrat Kaspar Villiger schon seit einem Viertel­jahrhundert davon wusste – was dieser vehement bestreitet. Aus den CIA-Dokumenten geht zudem hervor, dass «hohe Beamte» des schweizerischen militärischen Nachrichten­dienstes darüber informiert waren, welche Rolle Deutschland und die USA spielten.

Eine Mitwisserschaft von Schweizer Behörden­mitgliedern wäre vor allem deshalb problematisch, weil sie den Mythos der schweizerischen Neutralität beschädigen würde. Dieser macht das Land heute nicht nur zum idealen Gastgeber vieler zwischen­staatlicher Organisationen wie der Vereinten Nationen, sondern auch zur wichtigen Vermittlerin auf dem internationalen Parkett. So hat Bern zuletzt massgeblich zu einer Deeskalation im Konflikt zwischen den USA und dem Iran beigetragen.

Diese «Guten Dienste» der Schweiz und ihr Image als Hort von sauberen Technologien stehen nun auf dem Spiel. Der Bundesrat hat deshalb den ehemaligen Bundes­richter Niklaus Oberholzer beauftragt, die Faktenlage zu klären. Ebenfalls eine Untersuchung lanciert hat die Geschäfts­prüfungs­delegation des Parlaments. Dieses wird in der Frühlings­session zudem entscheiden müssen, ob es eine parlamentarische Untersuchungs­kommission einsetzt. Eine solche wurde bisher erst drei Mal veranlasst; sie kommt nur dann infrage, wenn Vorkommnisse von grosser Tragweite zu klären sind.

Die Cryptoleaks haben der Schweiz einen unverhofft schlechten Start ins neue Jahrzehnt beschert. Noch bleiben die Reaktionen aus dem Ausland aus; es ist aber gut möglich, dass sich die Konsequenzen erst im Laufe der nächsten Jahre entfalten werden. Klar ist: Trifft es zu, dass die Schweiz Bescheid wusste, wird sie ihre jüngste Geschichte umschreiben müssen.

Und damit zum Briefing aus Bern.

Agrarreform: Bundesrat will grünere Landwirtschaft

Worum es geht: Die Land­wirtschaft soll ökologischer werden: So fasst der Bundesrat die grosse Agrarreform zusammen, die er Ende vergangener Woche vorgestellt hat. Das Ziel: Umwelt­belastung und Ressourcen­verbrauch sollen reduziert werden.

Warum Sie das wissen müssen: Mit der Reform skizziert der Bundesrat, wohin sich die Agrarpolitik ab 2022 entwickeln soll. Interessant ist, wie sich die Reform, an der schon seit mehreren Jahren gearbeitet wird, während des Prozesses verändert hat: 2017 ging es noch vor allem um die Öffnung des Agrarmarkts und um neue Freihandels­abkommen. Als die Landwirte dagegen auf die Barrikaden gingen, buchstabierte der Bundesrat zurück und setzte vergangenes Jahr nur noch auf sanfte Veränderungen. Jetzt, unter dem Einfluss der grünen Welle, stellt die Regierung eine stark ökologisch geprägte Strategie vor. So werden Direkt­zahlungen in Zukunft noch stärker von Umwelt­aspekten abhängen: weniger Dünger, mehr Fläche für Biodiversität, mehr Tierwohl und mehr Arten­vielfalt. Zudem soll es sich für Bauern auch finanziell lohnen, weniger Pestizide zu spritzen. In diesem Bereich stehen die Landwirte bereits unter Druck der beiden Pestizid­initiativen, die Pflanzenschutz­mittel in der Land­wirtschaft stark einschränken oder sogar ganz verbieten wollen.

Wie es weitergeht: Als Nächstes wird sich das Parlament mit der Agrar­reform befassen. Die beiden Pestizid­initiativen kommen voraussichtlich im Herbst an die Urne.

Schritt zurück: Die 67-Stunden-Woche kommt doch nicht

Worum es geht: Eigentlich hätte der Ständerat im März über eine Liberalisierung des Arbeits­gesetzes befinden müssen, welche unter gewissen Bedingungen Arbeits­wochen von bis zu 67 Stunden ermöglicht hätte. Doch die Wirtschafts­kommission, die das Projekt ausgearbeitet hat, machte am Freitag einen Schritt zurück. Oder in Parlaments­sprache: Sie «setzt die Beratung ihres Entwurfs zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative aus».

Warum Sie das wissen müssen: Der Vorschlag der Wirtschafts­kommission hätte nicht mehr Arbeitszeit bedeutet, sondern flexibler verteilte Jahres- statt Wochen­arbeits­zeiten. Doch die Idee stiess sogar bei bürgerlichen Politikern auf Widerstand: Während der Anhörungen in der Kommission hatte der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf (CVP) daran erinnert, dass bereits heute die Arbeits­belastung viele krank mache. Da nebst Gewerkschaften und Arbeits­medizinern auch der Bundesrat gegen die Reform war, will die Kommission nun nochmals über die Bücher.

Wie es weitergeht: Die Kommission will nun prüfen, ob statt per Gesetz per Verordnung Sonderregelungen für bestimmte Branchen erlassen werden könnten. Ob eine Arbeits­gesetz­revision definitiv begraben wird, soll in den nächsten zwei Monaten entschieden werden.

11 Milliarden: Mehr Geld, um Klimawandel einzudämmen

Worum es geht: Gestern hat der Bundesrat bekannt gegeben, wohin es mit der Entwicklungszusammenarbeit in den nächsten vier Jahren geht. Er will sowohl inhaltlich wie auch geografisch mehr fokussieren. Die thematischen Schwer­punkte beinhalten: menschen­würdige Arbeits­plätze vor Ort schaffen, den Klima­wandel eindämmen, die Ursachen für eine irreguläre Migration mindern sowie die Rechts­staatlichkeit fördern. Die Entwicklungs­zusammenarbeit soll sich statt auf 46 nur noch auf 35 Länder konzentrieren. Das kostet für die nächsten vier Jahre 11,25 Milliarden Franken.

Warum Sie das wissen müssen: Auch dank der Entwicklungs­zusammenarbeit der Schweiz leben heute weltweit weniger Menschen in extremer Armut. Waren es im Jahr 1981 rund 40 Prozent, sind es 2015 gut 30 Prozent­punkte weniger. Doch die Heraus­forderungen der nächsten Jahre, wie beispiels­weise Epidemien, bewaffnete Konflikte oder die Klimakrise, gefährden die bisherige Armutsbekämpfung.

Wie es weitergeht: Bis Ende 2024 sollen für die Eindämmung des Klima­wandels jährlich 100 Millionen Franken mehr ausgegeben werden. Auch wenn der Bundesrat gesamthaft 11,25 Milliarden Franken für die Entwicklungs­zusammenarbeit ausgeben möchte, wird er laut heutiger Prognose sein Ziel nicht erreichen. Das Parlament hatte 2011 beschlossen, 0,5 Prozent des Brutto­inland­produktes in die Entwicklungs­zusammenarbeit zu investieren.

Lobbying: Der Zugang zu Parlamentariern wird erschwert

Worum es geht: Die Wirtschaft wird es künftig schwerer haben, Parlamentarier mit bezahlten Mandaten für ihre Interessen einzuspannen. Das Parlament bereitet ein Gesetz vor, das sogenanntes «Parlamentariershopping» einschränkt.

Warum Sie das wissen müssen: Ein Sitz im Beirat einer Kranken­kasse oder das Präsidium in einem Branchen­verband – die Wirtschaft kauft sich gerne Parlamentarierinnen mit gut bezahlten Ämtli. Politiker haben in den vergangenen Jahren zunehmend die Arbeit der professionellen Lobbyisten übernommen. Doch künftig könnte es für die Unternehmen schwieriger werden, Politikerinnen auf ihre Seite zu ziehen. Am Freitag hat die Staats­politische Kommission des Nationalrats entschieden, dass Parlamentarier keine bezahlten Mandate mehr annehmen dürfen, die thematisch in den Bereich der Kommission fallen, in der sie sitzen. Wer eine Position aber schon vor der Wahl in die Kommission hatte, darf diese behalten.

Wie es weitergeht: Bevor die Initiative ins Parlament kommt, geht sie zurück in die Staats­politische Kommission des Ständerats. Diese hat bereits im August 2019 grundsätzlich grünes Licht gegeben. Nachdem nun auch die Schwester­kommission Ja gesagt hat, muss sie das Parlaments­gesetz entsprechend anpassen.

Das Logo der Woche

Zum Schluss noch eine möglicherweise etwas persönliche Frage: Wenn Sie ein Bild von einem Hirsch mit einem leuchtenden Kreuz zwischen den Stangen des Geweihs sehen, was löst das in Ihnen aus? Wenn Sie nun sagen, Sie hätten plötzlich Lust auf einen Kräuter­schnaps, dann wäre es gut möglich, dass Sie – zumindest in dieser Hinsicht – einigermassen durchschnittlich sind. So sieht es auf jeden Fall das Bundes­verwaltungs­gericht, das am Montag in einem Urteil festgehalten hat, das Logo des Kräuterlikör-Herstellers Jägermeister verletze «die religiösen Gefühle durchschnittlicher Christen» nicht. Weshalb Jägermeister sein Hirschlogo in der Schweiz auch für Sportartikel oder Kosmetika verwenden darf. Das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum hatte das noch anders gesehen. Es hatte 2017 geurteilt, das Logo könnte die religiösen Empfindungen von Christinnen verletzen. Dieses bezieht sich auf die Hubertussage, derzufolge der gleichnamige Bischof von Liège auf der Jagd von einem Hirsch mit einem strahlenden Kruzifix zwischen den Geweih­stangen zu einem fürsorglichen Wohltäter bekehrt worden sei. Nichts da, findet nun das Bundes­verwaltungs­gericht. Weil Jägermeister das Logo seit 1935 verwende, sei es zu einem Bedeutungswandel gekommen: «Der intensive Gebrauch hat den religiösen Charakter des strittigen Zeichens somit überschrieben.» Wir staunen: Was Schnaps alles kann.

Illustration: Till Lauer

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