Ganz in Weiss in «Schwarzwasser»: Caroline Peters als «Sprecherin» mit Felix Kammerer, Christoph Luser und Caroline Baas (v. l.). Matthias Horn/Akademietheater

Zum Lachen, dieses Österreich

Elfriede Jelinek bringt Österreichs Ibiza-Affäre auf die Bühne. Was macht die Literatur-Nobelpreis­trägerin mit der Absurdität der Realität?

Von Solmaz Khorsand, 14.02.2020

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Altersmilde ist sie geworden, die Frau Jelinek, murmelt der Sitznachbar. Nicht mehr so bissig. Er ist ja ein Fan der Frau Jelinek. Er liebt ihre Sprachgewalt, die Wortspiele, die bei anderen immer so plump klingen und bei ihr so richtig scharf ins Mark gehen. Bei ihren Stücken rumst es so schön. Normalerweise.

Aber heute?

Heute rumst es nicht.

Es ist Donnerstagabend im Wiener Akademietheater. Elfriede Jelineks Stück «Schwarzwasser» steht auf dem Programm. Schwarzwasser ist der Ausdruck für Abwasser mit Fäkalien, es ist Jelineks Antwort auf die Ibiza-Affäre.

Von Wiens Bürgermeister über den ehemaligen Kultur­staatssekretär bis hin zum Ex-Nationalbank­chef des Landes sind alle zur Premiere gekommen. Keiner will es sich nehmen lassen, zu sehen, wie die Grande Dame der österreichischen Nestbeschmutzung einen der grössten Skandale der Republik in ihre besondere Sprache packt:

«(…) immer das einzige Opfer, immer ein Opfer, immer Opfer, mehr wollen wir auch gar nicht sein. Mehr als uns wollen wir auch gar nicht sehen. Warum sollten wir mehr sein wollen? Opfer sein ist schön. Opfer beginnen, die Lage selbst in die Hand zu nehmen, das machen wir jetzt, selbst ist das Opfer, das Opfer bringt sich schliesslich nicht von allein, das Opfer muss angebetet werden, dann kann es sich wieder einpacken, dann kann es einpacken und sich zur Party mitbringen, okay, wir sind vielleicht zu oft Opfer gewesen, (…)»

Aus: «Schwarzwasser» von Elfriede Jelinek.

Zur Erinnerung: Im Mai 2019 gingen «Der Spiegel» und die «Süddeutsche Zeitung» mit einem kurzen Video online. Zu sehen waren Heinz-Christian Strache, Vizekanzler Österreichs und FPÖ-Chef, und sein Parteikollege Johann Gudenus. Unmittelbar vor der anstehenden Nationalratswahl 2017 treffen die beiden Männer in einer Villa auf Ibiza eine vermeintliche russische Investorin. Im Austausch für finanzielle Unterstützung im bevorstehenden Wahlkampf versprechen sie ihr unter anderem die Übernahme der «Kronen Zeitung», überteuerte Staatsaufträge im Baubereich und eine Beteiligung am staatlichen Wassergeschäft.

Die Folge: Strache tritt zurück. Die Regierung mit der ÖVP platzt. Bundeskanzler Sebastian Kurz kündigt Neuwahlen an. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt.

«Schwarzwasser» nimmt sich all dessen an und noch viel mehr. Es ist ein Rundumschlag auf den Populismus weltweit und die Verblendung der Menschen, aus denen am Ende nur eines wird: eine einzige Hetzmasse. Jelineks «Schwarzwasser» ist eine Premiere in vielerlei Hinsicht. Bis auf einige kurze Verdauungs­sketche österreichischer Kabarettisten und Kleinbühnen­künstler hat sich noch niemand an den Stoff «Ibiza» als künstlerisches Mahnmal für die Nachwelt herangewagt. Wie ironisieren? Wie provozieren? Wie demaskieren, wenn alles schon von den politischen Akteuren erledigt wurde?

Die Realität rumst zur Genüge, und zwar dermassen laut, dass es sich gar nicht mehr zu lohnen scheint, ihr mit Zwischen- und Untertönen aus der Kunst beizukommen.

Österreichs Fassadenkorrektorin

Dass sich Elfriede Jelinek als Erste intensiv des Stoffes annimmt, ist kein Zufall. Die Literatur-Nobelpreis­trägerin hat sich noch nie gescheut, ihren Landsleuten den Spiegel entgegenzuhalten. Seit jeher arbeitet sie sich in ihren Texten, Dramen und Romanen an Österreichs Fassade ab. Im Stück «Burgtheater» (1985), das ihren Ruf als «Nest­beschmutzerin» begründete, stellt sie den Opportunismus, gar die Mittäterschaft, von Schauspielern im National­sozialismus bloss.

Und das ganz konkret. Mutter Käthe, Vater Istvan, Bruder Schorsch sind für jeden Einheimischen ganz klar als Österreichs Publikums­lieblinge Paula Wessely, ihr Ehemann Attila Hörbiger und dessen Bruder Paul zu erkennen. Unverzeihlich, selbst die deutschen Nachbarn haben das nicht goutiert. «Das Stück (schon wieder!) ist ein einziger Skandal. Zutiefst verletzt es die Gefühle aller anständigen Menschen. Ein eindeutig anti-österreichisches Machwerk, verfasst (wie könnte es anders sein) von einer eindeutig österreichischen Autorin», schrieb damals die «Zeit» in ihrer Rezension.

Uraufgeführt wurde «Burgtheater» in Bonn, in Österreich wurde es – mit Ausnahme einer Produktion am Theater im Bahnhof in Graz – bislang noch nicht gespielt.

Immer wieder webt Jelinek Österreichs Realität in ihre komplexen Textteppiche, etwa 1996 in ihrem Stück «Stecken, Stab und Stangl». Im Jahr zuvor ermordeten Rechtsradikale im burgenländischen Oberwart vier junge Roma, «die den Fehler hatten, nicht rechtzeitig das Aussehen und die Namen unserer Bekannten angenommen zu haben». Damals rückte sie den Fokus weniger auf das Verbrechen als vielmehr auf die verlogenen Reaktionen darauf.

Lieblingsfeindbild der Rechten

Politisch hat Elfriede Jelinek immer klar Position bezogen. Gegen den Populismus, das Patriarchat und den kleinsten Hauch von Scheinheiligkeit. Nicht umsonst war sie jahrzehntelang das Lieblings­feindbild der österreichischen Rechten und des Boulevards (derselbe Boulevard, der ihr aktuelles Stück übrigens als eines von «unserer» Literatur-Nobelpreisträgerin anpreist).

Nestbeschmutzerin mit Nobelpreisehren: Elfriede Jelinek (eine Aufnahme aus den 90er-Jahren). Anita Schiffer-Fuchs/Interfoto/Keystone

Aus dem Leserbrief-Forum liess das Massenblatt «Kronen Zeitung» gegen die «Pornografien» hetzen, Haus-Dichter Wolf Martin diffamierte sie in seinen «Gedichten», FPÖ-Chef Jörg Haider höhnte bei jeder Gelegenheit über die «zutiefst frustrierte Frau». Die Hetze gipfelte 1995 in einer Kampagne der FPÖ. «Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk … oder Kunst und Kultur?», stand auf dem Plakat, das die FPÖ in der ganzen Stadt Wien affichierte. Keiner machte sich damals für Jelinek stark. Die Autorin verhängte ein temporäres Aufführungs­verbot ihrer Theaterstücke in Österreich. Und zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück.

Als die ÖVP zum ersten Mal 2000 mit der FPÖ koalierte, gehörte Jelinek zu den Intellektuellen, die von Anfang an dagegen protestierten. Sie marschierte mit bei den Donnerstags-Demonstrationen und gastierte sogar einen Tag lang in Christoph Schlingensiefs «Ausländer raus!»-Container. Der deutsche Theaterregisseur stellte damals im Rahmen der Wiener Festwochen einen Container neben die Wiener Staatsoper. Angelehnt an das Reality-Format «Big Brother», wurden dort täglich «Ausländer» aus Österreich «hinausgeschmissen». Über ihren Rauswurf konnte ein Publikum online abstimmen. Als Klangkulisse rezitierte Schlingensief Reden führender FPÖ-Politiker. Ein Skandal, und Jelinek wieder mittendrin.

Als sie just unter dieser Regierungs­konstellation 2004 den Literatur-Nobelpreis gewann, als erste Österreicherin überhaupt, distanzierte sie sich prompt von jedweden politischen Anbiederungs­versuchen: «Eine Vereinnahmung werde ich auf keinen Fall dulden, weil ich eine entschiedene Gegnerin dieser Regierung bin, die ja die erste in Europa ist, die die extreme Rechte wieder zugelassen und salonfähig gemacht hat», sagte sie dem Nachrichtenmagazin «Profil».

Ihre Haltung hat sich auch 13 Jahre später nicht verändert. Als Sebastian Kurz nicht nur die Rechtspopulisten zum dritten Mal in die Regierung holte, sondern sich auch an ihrem Diskurs ein Beispiel nahm, verfasste sie den Text «Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!». Darin heisst es: «Ich wache wieder auf in einem kryptofaschistischen Land, das eine dazu passende Bewegung erzeugt hat. Es liegt in der Natur eines geheim gehaltenen Wertesystems, dass sich niemand offen dazu bekennt, aber alle es wissen, was?»

Lachen über Ibiza?

Nun hat sich Jelinek wieder zu Wort gemeldet. Zu Ibiza. Mit Spannung hat man diese Antwort auf den Skandal erwartet.

Wie verarbeitet «Schwarzwasser» die vergangenen zwei Jahre und jene sechs Video-Minuten, die eine Regierung zu Fall brachten? In einem Monolog, ohne Handlung und ohne Rollen. Ein Monolog, in dem keiner zu kurz kommt, weder das ausgeleierte T-Shirt eines Vizekanzlers noch «die gespielte Sanftmut» eines gottgleichen Bundes­kanzlers, dessen anzugs- und frisuridentischen Lemminge einen bedrohlichen Mob bilden.

«Keiner kann den jungen Agitator, der aber nicht agiert, dafür hat er andre, der nicht reagiert, dafür hat er andre, er regiert, das genügt ihm, keiner also kann ihn wieder einfangen. Er hat uns gefangen genommen. Es ist zu spät. Und auch dafür hat er andre, dass er als Gott einfach zu spät gekommen ist. Wenn es brennt, wird er unversehrt aus den Trümmern hervorsteigen. Wenn er ertrinkt, wird er unversehrt aus den Wellen emporsteigen.»

Aus: «Schwarzwasser» von Elfriede Jelinek.

Unter der Regie von Robert Borgmann wird das Publikum knapp drei Stunden lang durch ein fragmentarisches Anspielungs­rätsel gepeitscht, dessen Bogen von Ibiza über Fridays for Future bis hin zum NSU-Prozess und Beate Zschäpe reicht. Es ist anstrengend, Jelineks Referenz­rahmen in Borgmanns Inszenierung zu decodieren: Worauf will der pinke Gorilla hinaus? Wen parodiert der Joker gerade? Wer ist jetzt eigentlich das Opfer wovon?

Ist das im Hintergrund Greta Thunberg? Vorne ist auf jeden Fall ein pinkfarbener Gorilla: Caroline Baas (links) und Caroline Peters im Akademietheater. Matthias Horn/Akademietheater

Stolz über die eigene Interpretations­leistung klatscht das Publikum, wenn es eine Anspielung verstanden hat, einem Wortspiel bis zum Schluss folgen konnte. Am Ende aber muss man sagen: Provoziert hat «Schwarzwasser» keinen. Mehr belustigt. So wie letztlich das Ibiza-Video selbst. Sogar Philippa Strache, die Frau des Ex-Vizekanzlers, hat in ihrer Antrittsrede als Neo-Abgeordnete im Parlament einen kleinen Witz über das Filmchen, in dem sie nicht auftaucht, gemacht. Die Parlamentarier klopften sich auf die Schenkel.

Doch dass die Ibiza-Affäre nicht zum Lachen ist, daran mahnt Jelinek selbst, in einem Begleittext zu ihrem Stück: «Wir sind einer Gefahr immer nur knapp entronnen, auch weil diejenigen, von denen sie ausgeht, so lächerlich und mickrig scheinen. Über Ibiza muss man lachen, man kann es aber nicht.»

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