Briefing aus Bern

Ein Spionage­skandal schockiert die Welt und der Fall Assange erreicht die Schweiz

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (88).

Von Andrea Arežina, Elia Blülle und Bettina Hamilton-Irvine, 13.02.2020

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Die Schweizer Stimm­bevölkerung hat entschieden: 57 Prozent lehnten am Sonntag die Initiative des Mieterinnenverbands ab. Sie verlangte, dass in Zukunft mindestens 10 Prozent der neu gebauten Wohnungen in der Schweiz gemeinnützig sein müssen. Bei der zweiten Abstimmungs­vorlage sprachen sich 63 Prozent für ein Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aus.

So weit, so bekannt. Doch kaum waren die Resultate da, weiteten sich die Diskussionen aus. So zeichnet sich im Parlament ein Streit zwischen den beiden Kammern ab, bei dem es um die Frage geht, ob der Mieter­schutz gelockert werden soll. Der Nationalrat, in dem die Haus­eigentümer stark vertreten sind, ist dafür: Er hat einer Initiative von Olivier Feller (FDP) vom Haus­eigentümer­verband zugestimmt, der sich eine höhere zulässige Rendite wünscht. Die Rechts­kommissionen beider Räte sind für die Initiative von Haus­eigentümer­verbands­präsident und Alt-Nationalrat Hans Egloff (SVP), der das Beschwerde­recht gegen missbräuchliche Mietzinse einschränken will. Drei weiteren haus­eigentümer­freundlichen Initiativen hat die grosse Kammer zugestimmt, während die vorberatende Kommission des Ständerats lieber das Mietrecht komplett überarbeiten würde. Was wiederum der Nationalrat ablehnt. Es dürfte ungemütlich werden – der Mieter­verband spricht bereits von einer «Kriegs­erklärung gegen die Mieterinnen und Mieter».

Auch die Siegerinnen der Antidiskriminierungs-Abstimmung wollen den Schwung ausnutzen – und fordern eine vollständige rechtliche Gleichstellung. So sollen Schwule und Lesben genauso wie hetero­sexuelle Paare Kinder adoptieren können, und lesbischen Paaren sollen künstliche Befruchtung und Samen­spende offenstehen. Die Kinder­frage wird denn wohl auch der springende Punkt in der Diskussion um die Ehe für alle sein, die voraussichtlich in der Frühlings­session im Nationalrat stattfindet. Die Ehe für gleich­geschlechtliche Paare ist mittlerweile sowohl in der Bevölkerung als auch im Parlament breit abgestützt.

Und damit zum Briefing aus Bern.

CIA-Operation: Schweiz soll davon gewusst haben

Worum es geht: Am Dienstag ist unter dem Namen Cryptoleaks eine der grössten Geheim­dienst­operationen aller Zeiten aufgeflogen. Recherchen von «Rundschau», ZDF und «Washington Post» zeigen, dass die Zuger Firma Crypto AG ein halbes Jahrhundert lang manipulierte Chiffrier­geräte an ausländische Kunden verkauft hat. Das Unternehmen wurde gemäss den Recherchen ab den 1970er-Jahren durch den US-Geheim­dienst CIA in Partnerschaft mit dem deutschen Bundes­nachrichten­dienst kontrolliert.

Warum Sie das wissen müssen: Die Crypto AG hat ihre Geräte an rund 130 Regierungen verkauft – darunter auch an Staaten wie Ägypten, den Iran, Libyen oder Argentinien. Die manipulierten Chiffrier­geräte aus Zug ermöglichten den Nachrichten­diensten, die geheime und verschlüsselte Kommunikation anderer Länder mitzuhören. Für die Schweiz ist das vor allem pikant, weil die Manipulation der Chiffrier­geräte offensichtlich im Wissen von Schweizer Amtsträgern geschehen ist. In den CIA-Dokumenten steht gemäss «Rundschau», dass Schlüsselpersonen in der Schweizer Regierung von den Vorgängen gewusst hätten und dass der militärische Nachrichten­dienst die Operation geschützt habe. Trifft das zu, wäre das eine krasse Verletzung des Neutralitätsprinzips.

Wie es weitergeht: Der deutsche Bundes­nachrichten­dienst ist bereits seit 1993 nicht mehr an der Operation beteiligt, und die Crypto AG wurde 2018 aufgelöst. Eine Nachfolgegesellschaft behauptet, dass sie «keine Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten» pflege. Der Bundesrat hat am 15. Januar den ehemaligen Bundes­richter Niklaus Oberholzer für eine Unter­suchung eingesetzt. Er soll bis Ende Juni dem Verteidigungs­departement Bericht erstatten. Verschiedenen Parlamentarierinnen reicht das aber nicht. Sie fordern eine parlamentarische Untersuchungs­kommission, die sich der Sache annehmen soll. FDP-Präsidentin Petra Gössi sagte gegenüber dem «Tages-Anzeiger»: «Wenn Oberholzers Unter­suchungen zu lange dauern, müssen wir uns sehr ernsthaft überlegen, ob eine PUK nötig ist.»

Fall Assange: Schweizer Parlament lädt Melzer ein

Worum es geht: Nils Melzer wird ins Bundeshaus eingeladen. Auslöser ist ein Interview mit der Republik, in dem der Uno-Sonder­beauftragte für Folter die britischen Behörden der Folter an Julian Assange bezichtigte. Nun soll er auf Einladung von SP-Nationalrat Cédric Wermuth und dem Grünen-Politiker Balthasar Glättli am 11. März Schweizer Parlamentarierinnen treffen.

Warum Sie das wissen müssen: Der australische Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt seit April ohne Verurteilung in britischer Hoch­sicherheits­haft. Seither beschäftigt sich auch Nils Melzer mit dem Fall. Er wirft den Briten vor, Assange psychischer Folter auszusetzen. Zudem beschuldigt er die schwedischen und amerikanischen Behörden schwer. Diverse Juristen fordern, Assange so bald wie möglich Asyl in der Schweiz zu gewähren.

Wie es weitergeht: Am 24. Februar beginnt in London die Anhörung über Assanges Auslieferung an die USA. Bei einer Verurteilung drohen ihm 175 Jahre Haft. Prominente Journalistinnen und Politiker wie der frühere deutsche Aussen­minister Sigmar Gabriel erklären, die Rechts­staatlichkeit des Verfahrens sei nicht gewährleistet – und auch der Europarat fordert in einer Resolution die sofortige Freilassung von Assange.

Gleichstellung: Der Staubsauger gehört beiden

Worum es geht: Der Bund plant, erstmals eine nationale Strategie für die Gleichstellung vorzulegen. Er will damit erreichen, dass Haus-, Familien- und Lohnarbeit gleichmässiger unter den Geschlechtern verteilt wird.

Warum Sie das wissen müssen: In der Schweiz wird die Haus- und Familien­arbeit nicht entschädigt. Für Frauen heisst das, sie arbeiten im Durchschnitt knapp 30 Stunden pro Woche gratis, bei den Männern sind es 18 Stunden. Dahinter stecke nicht nur eine freie Wahl, sagt der Bundesrat – sondern das habe strukturelle Gründe: Lohn­ungleichheit, Betreuungs­angebote und vorgegebene Arbeits­pensen beispiels­weise. Weil Frauen mehr Familien­arbeit leisten und weniger Lohnarbeit, haben sie später eine tiefere Rente und sind auch viel häufiger von Altersarmut betroffen.

Wie es weitergeht: Für den Bundesrat ist das Ziel klar: Er will, dass Frauen und Männer eine echte Wahl haben, sich für ein Modell zu entscheiden. Mit welchen Mitteln und in welchem Zeit­rahmen er dieses Ziel erreichen will, ist aber noch offen. Klar ist nur, dass die Strategie noch in der laufenden Legislatur stehen soll.

Pestizide: Das Risiko soll halbiert werden

Worum es geht: Die Wirtschafts­kommission des Ständerats fordert, dass die Risiken von Pflanzen­schutz­mitteln bis in sieben Jahren um die Hälfte reduziert werden. Wie sie das erreichen will, würde die Landwirtschaft selber entscheiden. Wird das Ziel verfehlt, soll der Bundesrat eingreifen und beispielsweise eine Lenkungsabgabe auf Pestiziden einführen.

Warum Sie das wissen müssen: Voraussichtlich im Herbst kommen gleich zwei Volks­initiativen zur Abstimmung, die erreichen wollen, dass in der Schweiz weniger Pestizide eingesetzt werden. Während die Trinkwasserinitiative vorsieht, dass nur noch Bauern subventioniert werden, die auf Pestizide verzichten, würden bei Annahme der zweiten Initiative synthetische Pestizide generell verboten. Der Bundesrat lehnte beide Initiativen ohne Gegen­vorschlag ab. In der Bevölkerung hingegen stossen die Anliegen auf viel Sympathie. Die grüne Welle sowie Negativschlagzeilen über Fungizide im Trinkwasser oder Pestizidcocktails in Schweizer Gewässern spielen den Initianten zudem in die Hände. Doch die Politik hat bisher nicht reagiert. Mit ihrem Vorschlag präsentiert die Ständerats­kommission nun den ersten mehrheits­fähigen Kompromiss.

Wie es weitergeht: Der Bundesrat wird demnächst eine umfassende Agrarreform verabschieden, über die das Parlament voraussichtlich im Juni diskutiert. Interessant wird bei dieser Diskussion sein, wie die Landwirtschafts­lobby mit den verbindlichen Zielen zur Reduktion von Pestiziden umgeht. Nach einer ersten Sichtung begrüsse er die Pläne, sagt Bauern­verbands­präsident Markus Ritter.

Die Berechnung der Woche

Die Frage klingt simpel: Was würde die Pflegeinitiative kosten, mit der erreicht werden soll, dass der Pflege­beruf bessergestellt wird? Doch die Antwort hat es in sich. Beziehungs­weise: die Antworten. Denn je nachdem, wen man fragt, bekommt man Zahlen, die sich um einige Milliarden unterscheiden. Wie ist das möglich? Nun, der Kranken­kassen­verband Santésuisse rechnet so: Bis zu 20 Prozent mehr Lohn für die Pflege­fachfrauen plus – weil die Baby­boomer ins Pflege­alter kommen – ein deutlich gestiegener Bedarf an Pflege­personal gleich 3,5 Milliarden Franken Mehr­kosten. Der Verband der Pflege­fachleute tut das als «populistische, unseriöse Schätzung» ab und rechnet selber vor: Gäbe es mehr ausgebildete Pflege­fachleute in den Spitälern, würden Komplikationen und damit Aufenthalts­tage abnehmen, macht minus 357 Millionen Franken. Mehr qualifiziertes Personal in den Pflege­heimen und bei der Spitex bedeutet weniger Spital­aufenthalte und 1,6 Milliarden Franken Einsparungen. Gibt insgesamt fast 2 Milliarden Franken weniger. Rechnet man noch die Mehrkosten für mehr Fach­personen in Pflegeheimen dazu, kommt der Verband der Pflege­fachleute unter dem Strich auf ein Spar­potenzial von etwa 1,5 Milliarden – im Vergleich zu Mehr­kosten von 3,5 Milliarden bei der Berechnung der Kranken­kassen. Wer hat nun recht? Das ist wohl – wie so oft im Leben – eine Frage der Perspektive.

Illustration: Till Lauer

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