Ansichten aus Afrika

Das Tagebuch der City

Die Fotografin Nonzuzo Gxekwa nimmt uns mit auf eine Wanderung durch Johannesburg. Teil 1

Von Flurina Rothenberger (Text) und Nonzuzo Gxekwa (Bilder), 11.01.2020

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Die Wände der Chiawelo Flats leuchten in einem warmen Rot, als das Auto vor dem Block O Nr. 16 zum Stehen kommt. Es ist einer dieser schönen sommerlichen Spät­nachmittage in Soweto, einem Township westlich von Johannesburg. Als sie aussteigt, rollt ein Fussball zwischen Nonzuzo Gxekwas Füsse und verschwindet unter ihrem wallenden Kleid. Sie lacht und kickt den Ball einem Jungen in verschwitztem Batman-T-Shirt zu. Sie zeigt auf den zweiten Stock, wo eine Gruppe junger Leute auf dem Balkon­flur steht: «Geht schon mal vor, ich komme gleich nach», ruft sie, dann entfernt sie sich, ihre Kamera in der Hand, mit ruhigen, gezielten Schritten in die Richtung einer Wand, die ihr bei der Einfahrt aufgefallen ist. Tough Guys steht da in grossen krakeligen Buchstaben.

Wir sind hier, um die Eröffnung der «Sixteen Gallery» zu feiern, es ist das Projekt eines lokalen Künstlers, der mit dieser kleinen feinen Heim­galerie die Wohnung seines verstorbenen Vaters sinnvoll umnutzt. Nonzuzo Gxekwa, 38 Jahre alt, ist eine der ausstellenden Künstlerinnen an diesem Abend.

Zu dieser Bildkolumne

Warum sollen wir gerade jetzt nach Afrika blicken? Falsche Frage, sagt Flurina Rothenberger. Die richtige laute: Warum erst jetzt? In ihrer wöchentlichen Kolumne «Ansichten aus Afrika» stellt Flurina Rothenberger junge Fotografie aus Afrika vor. Hier finden Sie den Podcast «Aus der Redaktion» dieser Kolumne.

Nonzuzos Eltern, die Mutter Kranken­schwester, der Vater Händler, stammen ursprünglich aus der südafrika­nischen Provinz Ostkap. Auf der Suche nach Arbeit ziehen sie in die rund 800 Kilo­meter nördliche Nachbar­provinz KwaZulu-Natal. Nonzuzo und ihre Zwillings­schwester Noncedo Gxekwa kommen im Sommer 1981 in Ladysmith zur Welt. «Meine Mutter fotografierte uns sehr oft, als wir klein waren», erinnert sich Nonzuzo. «Manchmal überliess sie uns Mädchen die Kamera, wenn wir die Familie im Ostkap besuchten. Wir waren drei Mädchen, unsere ältere Schwester Nomvuyiseko, Noncedo und ich.»

Mit 25 beschliessen die Zwillinge, KwaZulu-Natal zu verlassen. Nonzuzo zieht nach Johannes­burg, ihre Schwester nach Kapstadt. Zum ersten Mal in ihrem Leben trennen sie sich – zur Fotografie aber finden beide, wenn auch auf unter­schiedlichen Wegen. Während ihre Schwester Fotografie studiert, bringt sich Nonzuzo das Hand­werk auto­didaktisch bei.

Nonzuzo, gab es einen bestimmten Punkt, an dem du erkannt hast, dass die Fotografie ein wichtiger Bestandteil deines Lebens wird?
Als ich vor einigen Jahren meine Schwester besuchte, die in Kapstadt mit dem Studium der Fotografie begonnen hatte, machte sie eine Aufnahme von mir vor einem Baum. Man sieht mich im Profil und man sieht diesen Baum. Meine Schwester mochte die grobe Textur und die Bewegung seiner Rinde. Dieses Bild blieb bei mir. Wenn ich an ein stimmiges Bild denke, dann an dieses. Die Aufnahme entstand lange bevor ich die Fotografie verstand, aber ich erkannte in jenem Moment, was man mit einer Kamera alles erschaffen kann. Die Aufnahme ist nicht perfekt, und doch ist sie von einer wunder­samen Klarheit. Dieses Porträt hat die Art und Weise, wie ich Bilder betrachte, gänzlich verändert.

Nonzuzos Werk ist gekennzeichnet vom Bewusst­sein für das zutiefst Menschliche, das eingewoben ist in die Struktur des täglichen städtischen Treibens. Meistens entstehen ihre Bilder in der City, wie man das Gebiet im Herzen Johannes­burgs gemeinhin nennt. Gekenn­zeichnet durch eine hohe Dichte von Taxi­standplätzen und alten Wolken­kratzern, erzählt der Ort eine reiche, bewegende Geschichte: vom einstigen Ruhm, vom Abstieg zur No-go-Zone, von der aktuellen Wieder­belebung im Prozess der Gentrifizierung.

Viele deiner Bilder wurden in Johannesburg und insbesondere in der City aufgenommen. Was ist es, das dich immer wieder in diese Räume zieht?
Die meisten Menschen in Joburg sind nicht aus Joburg. Etwas an dieser gemeinsamen Erfahrung, nicht von hier zu sein, spricht mich an. Meine Bilder sind die Geschichten vieler von uns, die in die Stadt kommen und ein besseres Leben wollen, die zu Hause zurück­gebliebene Familien haben und sie vermissen. Ein grosser Teil meiner Arbeit besteht noch immer darin, die City zu verstehen und mich in ihr zurechtzu­finden. Durch die visuellen Ausschnitte sehen wir uns selbst in all diesen Menschen und in diesen Momenten. Mir gefällt der Gedanke, dass ich den eingefangenen Moment für mich selbst geniesse. Ich mag aber auch die Idee, dass jemand anderes diesen Moment eben­falls sieht und ihn zusammen­fügt zu einer eigenen Geschichte. Es gibt Momente, in denen ich mehr über die Menschen oder Dinge erfahren möchte, die ich sehe, aber manchmal betrachte ich sie einfach als flüchtige Bilder, offen zur Interpretation.

Nonzuzo Gxekwas Bild­unterschriften sind kurz und beiläufig. Genau das verstärkt den Eindruck eines visuellen Tage­buchs, einer wachsenden Sammlung von Bildern, die aus einer privaten Entscheidung heraus aufgenommen wurden, aber für andere so zugänglich sind wie der öffentliche Raum selbst, in dem sie entstehen.

Nonzuzo Gxekwa beschreibt sich selbst als wanderer, als Wanderin. Ein Begriff, der ihre Bewegung in der Stadt gut einfängt, wie auch jene der Menschen, die sie fotografiert. Zu Fuss und in den gängigen Sammel­taxis unterwegs, ist die Foto­grafin immer sehr nahe dran an ihren Motiven.

Wie entstehen deine Bilder, und wie reagieren die Menschen auf deine Kamera?
Ich fotografierte lange digital, doch gegenwärtig erkunde ich die analoge Fotografie als Versuch, langsamer zu arbeiten und weniger Masse zu produzieren. Mein Smartphone nutze ich vor allem aus Sicherheits­gründen im städtischen Raum. Ich finde, dass Menschen anders auf ein Telefon reagieren als auf eine Kamera, ein Telefon schüchtert weniger ein. Das Foto­grafieren von Menschen ist eine schwierige Sache. In Südafrika wird viel gesprochen über das Ein­verständnis und die Zustimmung zum eigenen Bild. Wenn ich sage: «Hi, mir gefällt, wie du aussiehst, kann ich bitte ein Foto von dir machen?», werden einige Leute sagen: «Ganz bestimmt nicht!» Gewisse spirituelle Über­zeugungen hier lehren, dass das eigene Abbild dich deiner Seele beraubt. In bestimmten Situationen mache ich Bilder, ohne um Erlaubnis zu bitten. Manchmal setze ich mich zu den Menschen, die ich fotografiere, oder porträtiere sie über einen längeren Zeitraum. Letztlich bleibt das Zentrale aber, mit einem anderen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und in diesen zwei Minuten, die ich mit diesem Menschen teile, entsteht etwas Schönes, das bei mit mir bleibt, wenn ich nach Hause gehe.

Spiegeleffekt als Stilmittel: Immer wieder integriert Nonzuzo Gxekwa sich selbst in die Szene und lässt so die Rollen des Foto­grafierens und des Fotografiert­werdens verschmelzen.

Die südafrikanische Kuratorin Fulufhelo Mobadi, die kürzlich die Ausstellung Yenza Kwenzwke mit den Fotografinnen Nonzuzo Gxekwa und Lebogang Tlhako kuratierte, macht eine wichtige Beobachtung im Projekt­beschrieb. Die Arbeiten der beiden jungen Fotografinnen reflektierten die Entwicklung weg von den Konventionen der klassischen dokumentarischen Fotografie, sie hinterfragten die Traditionen des Foto­journalismus. Die zeitgenössische Fotografie in Afrika, schreibt Kuratorin Mobadi, habe sich inhaltlich und stilistisch von der Strassen­fotografie zu einer konzeptu­elleren Fotografie verlagert. (Eine Bemerkung am Rande: Ein bedeutendes Beispiel dafür ist die Arbeit «Somnyama Ngonyama» von Zanele Muholi, die der dokumenta­rischen Foto­grafie eine andere Ästhetik verleiht.) Mobadi weist darauf hin, dass dies ein grosser Gegen­satz dazu ist, wie männliche Foto­grafen in ganz Afrika arbeiten. Diese würden sich immer noch vorwiegend auf die harten Geschichten und die sozialen Themen fokussieren.

Die Menschen auf ihren Bildern sind für Nonzuzo nicht einfach Motive: «Ich sehe ein wenig von mir selbst in jeder Person, die ich fotografiere. Auch wenn ich nicht in der City wohne, wo die meisten meiner Wanderungen statt­finden, so teile ich viele Erfahrungen der Menschen, denen ich begegne. Ich weiss, wie es ist, kein Geld zu haben und in einer Wohnung zu leben, die sehr schäbig aussieht. Wo man denkt: Oh nein, hier soll mich keiner besuchen kommen! Auch das Unbehagen eines über­füllten Ortes zu spüren, gehört zu meinem Alltag, und ich denke, viele Menschen in Johannes­burg können sich in diese Erfahrung hineinversetzen.»

Später an diesem Abend in der Sixteen Gallery werden die ausstellenden Künstlerinnen vorgestellt. Mehrmals wird Nonzuzo Gxekwas Name aufgerufen, bevor sie sich leise und unauf­dringlich einen Weg durch die Menge in die Mitte des Raumes bahnt.

«Forget your perfect offering / There is a crack in everything / That’s how the light gets in», singt Leonard Cohen. Nonzuzo Gxkwa ist eine Wanderin, die nicht das Rampen­licht sucht. Sondern als Beobachterin immer wieder die Risse in ihrer unperfekten Stadt findet, durch die das Licht in unser Leben bricht.

Zur Fotografin

Nonzuzo Gxekwa, geboren 1981, wuchs in der Provinz KwaZulu-Natal im Osten Südafrikas auf. Sie brachte sich das Fotografieren autodidaktisch bei. Gxekwa lebt und arbeitet in Johannesburg. Folgen Sie ihr auf Instagram.

Zur Autorin

Die Schweizer Fotografin Flurina Rothenberger (1977) wuchs in Zuénoula, Côte d’Ivoire, auf. Den Grossteil ihrer fotografischen Laufbahn widmete sie sich ihrem Heimatkontinent Afrika. Ihre Fotografien zeichnen das Bild eines Kontinents im rasanten Wandel, mit den schwankenden Auswirkungen der Globalisierung und einem starken und vielfältigen kulturellen Erbe. Rothenberger ist Mitgründerin von «Klaym», einem unabhängigen Netzwerk, das «The Nice Magazine» publiziert und mit Ausbildungen junge Bildschaffende und Autorinnen aus afrikanischen Ländern fördert.

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