Serie «Mein Vater, der Gangster» – Teil 2

Die grosse Liebe, das schnelle Geld und der Maulwurf

Nach der Flucht aus Vietnam schlägt sich Dung in Kalifornien als Mickey Mouse durch. Linh landet in Frenkendorf, Kanton Baselland, wo bald darauf Tochter Yen geboren wird. Als Dung ins Gefängnis kommt, nimmt das tödliche Schicksal seinen Lauf. Teil 2 der Serie «Mein Vater, der Gangster».

Von Renato Beck, 26.12.2019

Die Liebe zweier Teenager war stärker als das Flüchtlingselend: Vater Dung und Mutter Linh in Hongkong. Privatarchiv

7. Argyle Street Camp, Kowloon, Hongkong, 1979

Er liess einfach nicht von ihr ab, dieser schmächtige Junge, der viel zu zart wirkte für die Widrigkeiten im Flüchtlings­lager. Dessen Charme und Charisma ihm aber dabei halfen, sich in der Masse der Gestrandeten zu behaupten. Er, 15, hatte sie im Camp entdeckt. Hatte sie um ein Date gebeten, wieder und wieder. Sie, 14, liess ihn abblitzen, wieder und wieder. Aber er gab nicht auf. Und sie erst, als sie sich in ihn verliebt hatte, und zwar so sehr, wie man sich nur als Teenager verlieben kann.

Er war die erste grosse Liebe im Leben von Yens Mutter Linh, und er sollte ihre einzige bleiben. Sie hatte ihn so intensiv geliebt, dass Körper und Geist nicht mehr weitermachen wollten, als sie viele Jahre später die Nachricht seines Todes erhielt. Und die Bilder sah von der Leiche mit der Tätowierung auf dem Rücken, die das Gesicht einer Frau zeigte, die sie selbst war.

Sie hatten vieles gemeinsam, Yens Mutter und Yens Vater. Beide entstammten sie chinesischen Händler­familien. Linhs Vorfahren hatten lange im Grenzgebiet zwischen China und Vietnam gelebt, mal auf der einen Seite, mal auf der anderen. Als die Kommunisten auch an den bislang losen Rändern ihres riesigen Reiches ihre Macht konsolidierten, setzte sich Yens Grossvater nach Vietnam ab. Er stand als einstiger enger Weggefährte von Chiang Kai-shek, dem gescheiterten Gegen­spieler Maos während des Chinesischen Bürger­krieges, auf der Fahndungs­liste der Geheimpolizei.

Serie «Mein Vater, der Gangster»

In den 1980er-Jahren betreibt eine vietnamesische Gang in Kalifornien brutale Geschäfte. Zu den Draht­ziehern gehören die Brüder Dung und Hung, die 1979 als Flüchtlinge in den USA gelandet sind. 1990 wird Dung erschossen, bald darauf auch Hung. 30 Jahre später will Dungs Tochter Yen, die mit ihrer Familie in Basel lebt, heraus­finden, wer ihr Vater war. Und wer ihn getötet hat. (Einige der Namen wurden aus Gründen des Persönlichkeits­schutzes geändert.)

Sie lesen: Teil 2

Die grosse Liebe, das schnelle Geld und der Maulwurf

Teil 3

Die Leiche im Porsche

Teil 4

Bis keiner mehr da war

1979 dann der nächste Wendepunkt in der Geschichte von Yens Familie: Die chinesische Armee fiel in Vietnam ein und besetzte mehrere Städte im Grenzgebiet. Der Einmarsch sollte den Nachbarn dazu bewegen, sich aus Kambodscha zurückzuziehen, wo Vietnams Armee gegen die mit China verbündeten Roten Khmer kämpfte. Chinas Intervention wurde zu einem kurzen, blutigen Krieg, blieb aber so weit folgenlos. Ausser für die bereits unter Diskriminierung leidende chinesische Minderheit, die fortan unter General­verdacht stand. Wer das Geld für die Überfahrt auftreiben konnte, verliess das Land mit dem nächsten Boot.

China

2

Vietnam

1

Südchinesisches Meer

Laos

Thailand

1. Haiphong

2. Hongkong

China

2

Vietnam

1

Südchinesisches Meer

Laos

Thailand

1. Haiphong

2. Hongkong

Als Linhs Mutter aus ihrer Nudel­fabrikation in Haiphong vertrieben wurde, packte sie ihre Habseligkeiten und bestieg mit ihrem Mann und den fünf Kindern ein Boot. Der Abschied fiel schwer, aber es war ja nicht der erste. Brüche strukturieren die Familien­geschichte, und Heimat war immer nur eine Variable, bedeutete nichts mehr, als einen Ort auf Zeit zu haben. Halt gab immer nur die Familie, die bestehen blieb und Schutz bot, selbst wenn alle staatlichen Strukturen wegbrachen oder sich gegen einen richteten.

Das Leben in Hongkong war von Langeweile und Zukunfts­ängsten geprägt. Ein Jahr lang wurden die Flüchtlinge im Camp eingeschlossen. Sie schliefen auf dem Boden in überfüllten Massen­unterkünften. Erst danach öffneten die Behörden das Lager, und die aus Vietnam Geflohenen durften die Stadt betreten. Dort konnten sie, wenn auch verdeckt, ein bisschen Geld mit Hilfs­arbeiten verdienen. Und, wenn sie Entsprechendes im Sinn hatten, Kontakte zu den Triaden knüpfen, Hongkongs mächtiger Unterwelt.

Zu jener Zeit wusste die Welt­öffentlichkeit bereits von den boat people und den vielen Flucht­toten. Medien­berichte über festsitzende und gekenterte Boote hatten die Runde gemacht. Frankreich und die USA als frühere Kriegs­parteien hatten sich bereit erklärt, Hundert­tausende Flüchtlinge aufzunehmen, und sie drängten andere Staaten dazu, es ihnen gleichzutun. Deutschland nahm schliesslich 40’000 Vietnamesen auf, und auch die Schweiz übernahm 8000 Menschen aus den asiatischen Flüchtlings­lagern. Die Hilfs­bereitschaft der Staaten­gemeinschaft war eine andere als heute. Das Wort «Wirtschafts­flüchtlinge» war noch nicht Teil des politischen Vokabulars. Dafür «System­flüchtlinge», für Menschen, die vor dem Kommunismus weggerannt waren.

Das Wunschziel der allermeisten Flüchtlinge war Amerika. Auch die beiden Familien von Yens Eltern wollten dorthin. Doch nur Yens späterer Vater Dung und seine Angehörigen erhielten ein US-Visum, weil eine Verwandte bereits in Kalifornien lebte und für sie bürgte. Yens Familie mütterlicher­seits wurde die Einreise in die USA verwehrt, dafür nahm sie die Schweiz auf.

Damit trennten sich die Wege der beiden Verliebten, Linh und Dung. Sie war 15, er 16. Als sie sich voneinander verabschiedeten, schwor sie ihm, nach Kalifornien nachzureisen, um mit ihm durchzubrennen, sobald sie die Gelegenheit dazu habe.

8. Little Saigon, Orange County, 1975–2019

Wie Inseln liegen die asiatisch geprägten communities in Südkaliforniens Städte­meeren. Kleine Stadt­staaten, verbunden über Freeways, die es den Bewohnerinnen ermöglichen, sich von einer Insel zur nächsten zu bewegen, ohne mit kulturell anderen Lebens­weisen in Berührung zu kommen. In Orange County sind die Übergänge der communities fliessend, weil die Städte dort nirgendwo anfangen und nirgendwo aufhören. Ihre Grenzen lassen sich allein an der Sprache auf den Schildern der Einkaufs­zentren, Bäckereien, Hochzeits­planer und Beerdigungs­institute ablesen.

Im Gebiet von Garden Grove, Westminster und Anaheim im Südosten von Los Angeles liegt eine der grössten asiatischen communities der USA. Sie trägt den Namen Little Saigon, und die Menschen erzählen, dass Vietnam heute so aussehen würde, wäre der Krieg anders ausgegangen. Etwa 200’000 Menschen vietnamesischer Herkunft leben in Little Saigon, jedenfalls nach offizieller Zählung. Vermutlich dürfte ihre Zahl um ein Mehrfaches darüber­liegen, denn viele Einwanderer holten nach und nach Familien­mitglieder illegal ins Land. Und jedes Jahr werden es ein paar tausend mehr, weshalb sich Little Saigon ausbreitet und nun bereits bis ins beschauliche Fountain Valley weit im Süden von Los Angeles reicht.

Dort, in einem modernen vietnamesischen Café, treffen wir Anh Do, Lokal­journalistin bei der «Los Angeles Times». Anh Do erzählt von den drei Phasen vietnamesischer Flucht­bewegungen nach Amerika, von den «drei Wellen», wie sie in ihrem Sprach­gebrauch und in der Forschung genannt werden. Anh Do ist die Tochter des legendären Verlegers Yen Ngoc Do, der 1978 in Little Saigon die erste Tages­zeitung auf Vietnamesisch herausbrachte.

Do, der als Kriegsreporter in Saigon beste Beziehungen zu den US-Amerikanern unterhielt, wurde 1975 mit einer der letzten Maschinen aus Südvietnam ausgeflogen. Gemeinsam mit einigen tausend anderen Intellektuellen, Wirtschafts­führern und Politikern gehörte er der ersten Welle von Personen an, die Vietnam nach dem Krieg verliessen. Nicht auf dem gefährlichen Seeweg, sondern heraus­geschafft von den abziehenden US-Streitkräften.

Erst wurden die Neuankömmlinge in einem Flüchtlings­lager in Südkalifornien untergebracht, bis die lokalen Behörden in Orange County Raum geschaffen hatten für neue Siedlungen. «Das Ankommen war nicht so einfach, vor allem für die ansässige Bevölkerung», erzählt Anh Do, während sie an einem Zuckerrohr­saft nippt. Plötzlich stand an der Ecke nicht mehr Jacks Diner, sondern eine seltsame Bäckerei, angeschrieben in fremder Schrift. Das alte, weisse Amerika zog weg, junge Vietnamesen übernahmen Haus um Haus und Geschäft um Geschäft.

1

Los Angeles

2

Orange

4

Westminster

3

5

Santa Ana

6

1

Los Angeles

2

Orange

4

Westminster

3

5

Santa Ana

6

1 San Marino: Treffen mit Amy und Olivia, der Mutter von Dung Duongs zweitem Kind 2 Chino Hills, der Wohnort des Ex-Polizisten und Gang-Experten Al Valdez 3 Little Saigon 4 Holiday Inn, das Hotel von Yen Duong und Renato Beck 5 Melrose-Abbey-Friedhof, wo Dung begraben ist und ein bislang ungeklärter Mordanschlag geschah 6 Anchor Street, der Wohnort von Oma Duong


Südvietnams alte Elite organisierte das Leben im Exil nach den Regeln der aufgegebenen Heimat. Eine streng antikommunistische Doktrin wurde zur Richtschnur des gesellschaftlichen und privaten Lebens. «Die Debatten, die heute geführt werden, sind oft noch dieselben wie vor vierzig Jahren», sagt Do und erzählt von einem Laden­besitzer, der unlängst in einen Shitstorm geriet. Er führte in seiner Auslage eine vietnamesische National­flagge, gelber Stern auf rotem Grund. Nach tagelangen Protesten vor seinem Shop und wüsten Drohungen gab er schliesslich sein Geschäft auf und kehrte nach Vietnam zurück.

«Selbst im Stadt­parlament wird lieber über angebliche Kommunisten in der community debattiert als etwa über soziale Probleme», sagt Anh Do. Die Flüchtlinge der ersten Welle gehören zur Oberschicht der Diaspora in Orange County. Sie beherrschen die Politik und die zahlreichen eigenen Medien, sie bestimmen die öffentliche Debatte. Aber darunter existiert eine andere Welt, nach anderen Regeln organisiert und fern der politischen Agenda.

Die zweite Welle, die Menschen, die erst ein paar Jahre nach Kriegsende ankamen und zu denen Yens Vater gehörte, war viel grösser und von anderer Beschaffenheit als die erste. Nun kamen Menschen, die Folter, Gefangenschaft und systematische Ausgrenzung erfahren hatten. Denen das Regime erst das Geld und dann die Würde genommen hatte und für die der Wert des menschlichen Lebens verhandelbar geworden war. Es kamen zigtausend boat people, von denen sich viele in die harte Arbeit, in den Kampf um den gesellschaftlichen Aufstieg stürzten, mit dem Ziel, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.

Und einige, die einen schnelleren Weg entdeckt hatten, sich Respekt zu verschaffen. Als wir auf sie zu sprechen kommen, auf die Kriminalität der Gangs, wird Anh Do plötzlich wortkarg.

9. Anaheim/Frenkendorf 1981

Die Familie Duong liess sich mit ihren mitgeflohenen fünf Söhnen in Orange County nieder, darunter Yens späterer Vater Dung und sein Bruder Hung. Dung fand Arbeit im nahen Disneyland, wo er zehn Stunden am Tag als Mickey Mouse verkleidet herumlief und Kapriolen für das weisse Amerika machte. Sein Bruder Hung nahm Kontakt auf zu den anderen Jungs aus Haiphong, die das Segel­schiff auf der Brust trugen.

Die Familie kaufte ein Haus in einem ruhigen Quartier von Santa Ana, wo flächige, einstöckige Häuser mit grossen Garagen stehen. Dung blieb lange weg, oft tagelang. Er genoss das Leben in vollen Zügen. Hatte ein Mädchen und dann ein anderes. Butterfly nennen sie Typen wie ihn in den USA, einen Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert. Yens Oma tobte, wenn er wieder mal zu Hause war, aber sie liess ihn gewähren, er war schliesslich ihr Jüngster.

Vater Dung posiert als Gangster in Orange County. Privatarchiv

In der Schweiz landeten zur selben Zeit Yens Mutter Linh und ihre Familie in der neuen Heimat. Sie verbrachten ein paar Monate in einem Empfangs­lager in Basel. Ein christlich motiviertes altes Ehepaar half, eine Unterkunft zu finden, und unterstützte die Familie bei der Alltags­bürokratie.

Yens Grosseltern, vier Töchter und ein Sohn lebten fortan gemeinsam in einer Block­wohnung in Frenkendorf. Wer alt genug war, arbeitete – sofort nach der Ankunft. In der Baselbieter Uhren- und Feinmechanik­industrie fanden sie Anstellungen. Sie arbeiteten für ein paar Franken in der Stunde am Fliessband. Deutsch mussten sie nicht können, sondern schweigen und ihre Arbeit erledigen.

Yens Mutter träumte damals von einem freieren Leben und von Dung, den sie seit Hongkong nicht mehr aus dem Kopf bekam. Linh war eine bildhübsche junge Frau, die es nicht erwarten konnte, volljährig zu sein und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie verzehrte sich am Gedanken an den Aufbruch und an ihn. Manchmal rief sie ihn an, und er sagte zu ihr: «Komm, komm zu mir nach Kalifornien.» Und als sie 18 Jahre alt war, ging sie zu ihrer Mutter, sagte ihr: «Ich gehe auf Reisen, habe einen Flug in die Staaten gebucht.» Ihre Mutter war besorgt, aber Linh beruhigte sie: «Mutter, es sind ja nur ein paar Wochen.» Und so setzte sie sich schliesslich ins Flugzeug mit dem Ziel Los Angeles, und als sie das nächste Mal zu Hause anrief, sagte sie ihr: «Mutter, ich komme nicht zurück.»

Er nahm sie mit in seinem Auto auf eine Reise durch Kalifornien. Sie hörten das bittersüsse «Hello» von Lionel Richie, immer wieder, bis der Song ihr Lied wurde. Sie fuhren bis nach San Francisco hoch, wo jemand ein Foto von ihnen an der Auffahrt zur Golden Gate Bridge schoss. Dung in Leder­jacke wie ein vietnamesischer James Dean, Linh an ihn angelehnt. Nach ein paar Wochen wurde sie schwanger. Er sagte: «Wir sind zu jung, mach es weg.» Sie sagte: «Ich behalte es.» Also heirateten sie, weil es die Konvention von ihnen verlangte, und die mit Yen schwangere Linh zog ins Haus der Familie in Santa Ana.

Ein Bild aus glücklicheren Tagen: Vater im James-Dean-Look mit Mutter Linh auf einem Trip nach San Francisco. Privatarchiv
Eine Ehe, die früh geschlossen wurde und nicht lange hielt: Braut und Bräutigam Duong. Privatarchiv

Das Glück hielt nicht lange. Er änderte sich nicht, und sie machte ihm Vorwürfe. «Wo du gewesen bist, will ich wissen», sagte sie zu ihm, wenn er sich nach langen Nächten zu ihr ins Bett legte. «Einfach unterwegs, um Spass zu haben», sagte er. Sie wusste, dass er sie betrog, und es schmerzte sie.

Dungs Mutter, Yens heutige Oma, die Herrin des Hauses, liess Linh trotz Schwangerschaft in der Nähfabrik schuften. So behandelt man doch keine schwangere Frau, dachte Linh und zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie ihre Lage verbessern könnte.

Sie war einsam und telefonierte jeden Tag in die Schweiz, und jedes Mal brach ihre Mutter in Tränen aus und flehte sie an, zurückzukommen. «Ich kann nicht», sagte sie, «ich hab doch jetzt hier eine Familie.» Aber ihr Bauch schwoll an, und sie wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. In jener Zeit gab Dung seinen Job im Disneyland auf und begann im Casino zu arbeiten, wie sein älterer Bruder und die anderen Jungs mit dem Segel­schiff auf der Brust. Was sie dort genau taten, sollte schon bald die Polizei in Orange County beschäftigen.

Linh überlegte hin und her, sie war unglücklich. Kurz bevor sie ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft wegen gesperrt worden wäre, bestieg sie ein Flugzeug und reiste zurück in die Schweiz. Mein Kind, schwor sie sich, wird nicht so aufwachsen.

10. Anaheim, 1987

Jeden Tag sah ich die Porsches in ihrer Einfahrt stehen. Einmal habe ich gefragt, woher das Geld komme. Chemische Reinigung, antwortete dein Vater.

Jack, ehemaliger Nachbar.

Sie zogen dem Mann das Hemd aus, klebten ihm ein Mikrofon auf die Brust, knöpften das Hemd wieder zu und schickten ihn gemeinsam mit seiner Frau hinein ins Casino von Bell Gardens. Zielstrebig steuerte er die Pai-Gow-Tische an – ein Glücksspiel mit Domino­steinen, bei dem asiatische Einwanderer hohe Einsätze machten. Prompt lief er Yens Vater Dung Duong über den Weg, der ihn aufforderte, ihm diskret an die Bar zu folgen. Dung winkte seine Männer heran, diese stellten sich vor dem Casino­besucher auf. Es ging um gewonnenes Geld. Dung sprach auf den Verkabelten ein. Drohte ihm mit dem Tod, wenn er den Casino­gewinn nicht herausrückte, den Dung seit Wochen von ihm verlangte. Als Dungs Männer sich anschickten, die Frau des Spielers in die Mangel zu nehmen, griffen die Polizisten zu. Den Spieler, der den Maulwurf gegeben hatte, schickten die Behörden mit einer neuen Identität und ein paar tausend Dollar für den Neuanfang in einen anderen Bundes­staat. Und Yens Vater Dung für anderthalb Jahre ins Gefängnis.

Die Polizisten feierten ihren Fahndungs­erfolg. Sie riefen die Journalisten zusammen, die so oft geschrieben hatten, dass die asiatischen Gangs vogelfrei durchs County wildern. Sie erzählten den Reportern, wie sie sie drangekriegt hatten und wie sie sich davon eine Signal­wirkung erhofften. Schon lange hatten sie gewusst, dass die Duongs und ihre Gang in den Casinos und Karten­clubs von East Los Angeles als Aufpasser angestellt waren und dort jene armen Kerle um ihr Glück brachten, die beim Pai Gow ein paar tausend Dollar gewonnen hatten. Die Casino­bosse liessen sie gewähren oder steckten sogar mit ihnen unter einer Decke, weil die Banden­mitglieder im Gegenzug blanke Spieler mit frischem Geld versorgten – das sie danach freilich plus Zinsen wieder eintrieben.

Aber erst jetzt hatten sie einen case, ein Opfer, das kooperierte. Zum ersten Mal gelang es der Polizei, der Hung-Pho-Gang einen Schlag zu versetzen, ja überhaupt ein rudimentäres Verständnis ihrer Struktur zu gewinnen. Bislang waren die Behörden am Versuch gescheitert, Hung Pho und die vielen weiteren asiatischen Gangs zu durchdringen, die sich dutzend­weise in Kalifornien formiert hatten. Insbesondere die vietnamesischen bereiteten den Sicherheits­diensten Kopfzerbrechen. 1986 warnte der kalifornische Justiz­minister John Van de Kamp in einem Lagebericht vor den «extrem beweglichen und lose organisierten» vietnamesischen Gangs, die schwer zu identifizieren seien und deren Aktivitäten deswegen kaum überwacht werden könnten.

Nun glaubte die Polizei, sie hätte der Gang mit der Verhaftung von Yens Vater den Kopf abgeschlagen, doch der Einfluss der Bande wuchs weiter, während Dung Duong einsass. Denn ihr Anführer war stets ein anderer gewesen: Yens Onkel Hung.

Für Yens Vater muss die Zeit im Gefängnis schwer gewesen sein. Dutzende Briefe schickte er an die Frau in der fernen Schweiz, die ihn verlassen hatte.

Aber er tat auch das, wofür Gefängnis­aufenthalte prädestiniert sind: Dung betrieb Networking und gewann neue Freunde.

Solche, von denen es heute heisst, sie seien verantwortlich für seinen Tod.

«Mein Vater, der Gangster» – wie es weitergeht

Ein Ex-Polizist und Experte für Gang­kriminalität berichtet schonungslos über die brutalen Geschäfte von Yens Vater Dung. Was weiss Tante Evelyn, die Frau von Dungs Bruder Hung? Und ist sie etwa selbst in ein Mord­komplott verwickelt?

Serie «Mein Vater, der Gangster»

Sie lesen: Teil 2

Die grosse Liebe, das schnelle Geld und der Maulwurf

Teil 3

Die Leiche im Porsche

Teil 4

Bis keiner mehr da war